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Das Haus Zamis 068 - Das Heer der Gefallenen
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eBook233 Seiten3 Stunden

Das Haus Zamis 068 - Das Heer der Gefallenen

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Über dieses E-Book

Guardian ahnt nicht, dass er mit seiner Suche an Dinge rührt, die das Gleichgewicht zwischen Gut und Böse entscheidend verändern können.
Dies wiederum ruft uralte Wesen auf den Plan, mit denen er einst gebrochen hat. An seiner Seite muss auch Coco Zamis erfahren, dass sie längst nicht mehr allein über ihr Schicksal bestimmt …
SpracheDeutsch
Erscheinungsdatum2. Feb. 2024
ISBN9783955722685
Das Haus Zamis 068 - Das Heer der Gefallenen

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    Buchvorschau

    Das Haus Zamis 068 - Das Heer der Gefallenen - Michael Marcus Thurner

    Was bisher geschah:

    Die junge Hexe Coco Zamis ist das weiße Schaf ihrer Familie. Die grausamen Rituale der Dämonen verabscheuend, versucht sie den Menschen, die in die Fänge der Schwarzen Familie geraten, zu helfen. Auf einem Schwarzen Sabbat soll Coco endlich zur echten Hexe geweiht werden. Asmodi, das Oberhaupt der Schwarzen Familie der Dämonen, hält um Cocos Hand an. Doch sie lehnt ab. Asmodi kocht vor Wut – umso mehr, da Cocos Vater Michael Zamis ohnehin mehr oder minder unverhohlen Ansprüche auf den Thron der Schwarzen Familie erhebt.

    Nach jahrelangen Scharmützeln scheint endlich wieder Ruhe einzukehren: Michael Zamis und seine Familie festigen ihre Stellung als stärkste Familie in Wien, und auch Asmodi findet sich mit den Gegebenheiten ab. Coco Zamis indes hat sich von ihrer Familie offiziell emanzipiert.

    Die intriganten Spiele, auch innerhalb der Zamis-Sippe, gehen unvermindert weiter.

    In ihrer Halbschwester Juna findet Coco eine Gleichgesinnte: Auch Juna stößt das Treiben der Dämonen eher ab.

    Unterdessen schart ein mächtiger Dämon weltweit Jünger um sich: Abraxas. Niemand weiß, was genau er bezweckt, doch selbst Asmodi, der amtierende Fürst der Finsternis, sieht in ihn einen gefährlichen Gegenspieler. Abraxas bedient sich in Wien eines treuen Vasallen: Monsignore Tatkammer.

    Coco verlässt Wien. Unterwegs erreicht Coco der Todesimpuls ihrer Geschwister – Adalmar und auch Lydia werden Opfer von Tatkammers Intrigen.

    Nun ist Coco gefragt, ihren Eltern beizustehen und den Tod der Geschwister zu rächen.

    In Wien kommt es zum Showdown. Mit Abraxas’ Macht im Rücken gelingt es Tatkammer, Coco wie eine Marionette zu benutzen und sie zu zwingen, ihr Elternhaus, die Villa Zamis, in Brand zu setzen. Ihre Eltern Thekla und Michael Zamis kommen in den magischen Flammen um. Auch ihr Bruder Georg und Juna befinden sich zu dem Zeitpunkt in der Villa. Ob sich die beiden haben retten können, ist nicht bekannt, jedenfalls sind sie spurlos verschwunden.

    Schwer verletzt erwacht Coco in einem Krankenhaus. Sie wird von dämonischen Schwestern und Ärzten gesund gepflegt und wohnt schließlich der Beerdigung ihrer Eltern bei, deren Seelen in einem Scheingrab auf einem Friedhof, der sich in einer anderen Dimension befindet, beigesetzt werden.

    Wien ist nun in Abraxas’ Hand. Wie überall immer mehr Mitglieder der Schwarzen Familie zu Abraxas überlaufen.

    Coco hat von allem genug. Sie will nur noch ihren Frieden.

    Sie setzt sich in einen Zug und fährt einem unbekannten Ziel entgegen …

    Als der Zug auf offener Strecke hält und sie verwirrt aussteigt, entbrennt ein tödlicher Kampf. Coco stirbt – und erwacht wieder zum Leben. Ein geheimnisvoller Fremder, der sich Guardian nennt, erklärt ihr, dass es sich um eine Prüfung handelte. Da sie sie nicht bestanden habe, müsse sie weitere zu meistern versuchen. Dahinter steckt das geheimnisvolle Hohe Gremium, für das nach eigenen Angaben weder Gut noch Böse existiert und das allein dafür sorgt, dass das Gleichgewicht gewahrt bleibt.

    Coco besteht auch die nachfolgenden Prüfungen nicht. Sie wird auf den Dämonenfriedhof verbannt. Dort, so teilt ihr Guardian mit, wird sie so lange bleiben müssen, bis das Hohe Gremium endgültig über ihr Schicksal entschieden hat.

    Zunächst jedoch kann Coco entkommen, doch wieder gerät sie in die Fänge des Gremiums.

    Georg und Juna konnten dem von Coco gelegten Feuer entkommen. Georg ist voller Rachedurst. Auch ist er überzeugt, dass Coco die Schuldige ist. Da erscheint ihm Guardian, der ihm das Gegenteil beweisen will. Er weiß zudem, wo sich Coco aufhält: im Haus der schwarzen Tränen. Guardian glaubt in Coco die Reinkarnation seiner geliebten Aurora gefunden zu haben …

    Mit Guardians Hilfe gelingt es Georg, Coco zu befreien.

    Guardian benutzt fortan Coco für seine eigenen Zwecke, während Michaels und Theklas Lebensfunken in den Körpern Asmodis und Junas wiederauferstehen.

    Voller Hass planen die vereinten Zamis, Abraxas endlich zu vernichten …

    Erstes Buch

    Luzifers Kralle

    von Michael Marcus Thurner

    nach einem Exposé von Uwe Voehl

    Kapitel 1

    Juna blickte sich immer wieder um. Krumme, sonderbare Gestalten versteckten sich in den Schatten der engen Straße. Meckerndes Gelächter war aus einem der dunklen Winkel zu hören, dann das Reißen festen Stoffs. Ein erstickter Schrei, gefolgt von einem Plätschern, als würden Innereien zu Boden platschen.

    Weiteres Gelächter, dann schreckliche Stille.

    Sie beschleunigte ihren Schritt und konzentrierte sich auf den Weg. Das Ratzenstadl im sechsten Wiener Gemeindebezirk war ein Ort, den sie noch nie gemocht hatte. Nun, zu den Zeiten von Abraxas’ Herrschaft, erst recht nicht.

    Juna zuckte zusammen, als ein alter Mercedes an ihr vorüberklapperte. Er bog an der nächsten Querstraße rechts ab, das metallene Getucker verklang allmählich in der Ferne.

    Ihre Sicht wurde überlagert. Von Erinnerungen. Von Bildern, die von der anderen stammten.

    Von Thekla Zamis. Jener Frau, die in ihrem Leib Quartier genommen hatte.

    Ich war hier mal anschaffen, wisperte Thekla in ihrem Kopf. Dutzende Verehrer hatte ich. Sie legten mir Herzen zu Füßen. Im wahrsten Sinne des Wortes. Sie wilderten unter den Menschen, um mir diese noch pochenden Klumpen zu überreichen, sodass ich das vergehende Leben spüren und mich daran delektieren konnte. Menschen schlachteten Menschen meinetwegen, und Dämonen wiederum Menschen. Nur, um meine Gunst zu erringen und ein kurzes, flüchtiges Stück vom Glück zu erfahren. Weil sie in ihrer Verblendung meinten, dass körperliche Liebe wichtiger als alles andere wäre. Es war eine schöne, eine aufregende Zeit.

    Juna verzichtete darauf nachzufragen. War dies gewesen, bevor Thekla Michael kennengelernt hatte? Oder hatte er sie während ihrer Ehe für eine Weile freigegeben, damit sie ihren inneren Gelüsten hatte folgen können?

    Nach links!, befahl Thekla. Die schmale Treppe hinab. Halte dich am Geländer fest. Die Steine sind abgetreten und rutschig. Generationen von Bordsteinschwalben sind hier entlanggegangen, hinab zum Wien-Fluss, um betrunkene Freier zu werben und sie ins Ratzenstadl zu locken.

    Juna gehorchte den Ratschlägen ihrer Stiefmutter. Derzeit drohte keine Gefahr von ihr. Thekla Zamis würde alles unternehmen, um sie bei geistiger und körperlicher Gesundheit zu behalten. Schließlich steckte ihr Lebensfunke in Juna drin. Ihre Körperlichkeit hingegen hatte sie verloren. Bei dem schrecklichen Brand in der Villa Zamis, den Coco Zamis unter Zwang verursacht hatte.

    Nicht so rasch, du dummes Ding!

    Juna hielt inne. Sie stand auf einem Treppenabsatz. Rechts von ihr wucherte Efeu über die Halbdächer eines einstöckigen Gebäudes, zur Linken ragte ein moderner und deutlich höherer Bau hoch. Die Fassade war abgeschlagen, da und dort bröckelte Verputz ab.

    Zerteile den Efeu, schiebe ihn nach links und nach rechts. Du wirst ein schmiedeeisernes Tor finden mit einer Klinke in Form einer Schlange auf Hüfthöhe.

    »Aber … aber da ist kein Eingang. Keine Öffnung zum Haus.«

    Du sollst mir gehorchen!

    Theklas Gedanken waren unerbittlich stark. Sie drückten auf Junas Gemüt und ließen ihren Geist wie zertrümmert anfühlen. Sie fühlte sich in die Tiefen ihres Unterbewusstseins gepresst, so als wollte ihre Stiefmutter die Macht über den geteilten Körper übernehmen.

    Doch Thekla verzichtete darauf, sie zu verdrängen. Vorerst. Erleichtert atmete Juna durch.

    Freu dich bloß nicht zu früh, liebe … Tochter. Ich könnte dein Bewusstsein jederzeit auslöschen. Aber vorerst bist du mir nützlich. Dein Körper ist jung, deine Fähigkeiten sind brauchbar. Und es würde eine Weile dauern, bis ich dich völlig unter Kontrolle hätte.

    »Du nutzt mich also bloß aus?«

    Was dachtest du denn? Dass ich die Gelegenheit nutzen würde, um ein gutes Verhältnis mit dir aufzubauen, wenn wir schon mal so eng beieinandersitzen? Thekla sandte eine Woge verächtlicher Wut. Du bist Michaels Balg. Du bist das Resultat seines Verrats. Seines Betrugs.

    »Ich kann nichts dafür, dass …«

    Schweig! Streif endlich die Efeuränke auseinander. Wir müssen weg von der Straße, so rasch wie möglich!

    So kühl, wie sich Thekla normalerweise gab, so unbeherrscht war sie nun, da sie keinen eigenen Körper mehr besaß. Juna fühlte ihren Hass, ihre Ungeduld, das dunkle Feuer, diese endlose Gier nach Leben und nach Dominanz.

    Zögerlich zerteilte sie den Vorhang an dunkelgrünen Pflanzen. Sie musste ein wenig suchen, bis sie eine rostige und massive Klinke entdeckte. Zu Junas Überraschung ließ sie sich problemlos nach unten drücken. Und noch mehr wunderte sie sich, als sich in der Außenwand mit einem Mal ein dünnes Türblatt abzeichnete.

    Ziehen, nicht drücken, du dummes Balg!

    Juna öffnete das versteckte Tor und trat zögerlich ins Innere des Hauses. Vor sich hatte sie eine Wand. Nach links und nach rechts wand sich ein schmaler Weg um eine Rundung, die von außen am Gebäude nicht wahrnehmbar gewesen war.

    Illusionen. Ein Taschenspielertrick. Und eine Methode, um normale Menschen davon abzuhalten, den Weg ins Innere zu nehmen.

    Bevor sie ins Haus trat und die Außentür zuzog, blickte sich Juna nochmals um. Es war niemand zu sehen. Und dennoch hatte sie das Gefühl, als würde sie beobachtet werden.

    Beweg dich endlich!, herrschte Thekla sie an. Nach links, dem vagen Lichterschein nach.

    Juna nickte, als würde sie eine normale Konversation führen, zog die leichtgängige Steintür zu, tat einige kräftige Atemzüge und machte sich auf den Weg.

    Es roch modrig, mehrmals tapste sie mit den Schuhen in Wasser. Sie bewegte sich langsam und vorsichtig. Junas Finger streiften über feuchte Wände. Erst als sie eine trübe Funzel erreichte, die ein wenig Licht spendete, bemerkte sie die vielen kleinen Krabbeltierchen, die sich parallel zu ihr entlang der Wände bewegten. Sie waren wie kleine Soldaten, die ihrer menschlichen Anführerin folgten.

    Sie beschützen uns – und sie beaufsichtigen uns. Unsere Gastgeberin ist vorsichtig. Aus gutem Grund.

    Eine Treppe hinab, eine weitere hoch. Mehrere Lampen entlang des Wegs waren ausgefallen. Einmal wäre Juna beinahe gestolpert und mit dem Fuß in ein Loch getreten, dessen Boden nicht zu erkennen war. Es war so groß, dass ihr Körper ohne Weiteres darin hätte verschwinden können.

    Ein Kieselstein, den Juna lostrat, klackerte erst nach etwa zehn Sekunden gegen Widerstand, ganz tief unten. Sie erschauderte, als sie daran dachte, wie weit der Schacht in die Tiefe reichte.

    Ein alter Brunnen, behauptete Thekla. Er hat nichts Dämonisches an sich. Er ist ein Überbleibsel aus jener Zeit, als Wien von den Türken und deren Begleitern belagert worden war.

    »Begleitern?«

    Wien stand stets im Fokus der Kämpfe zwischen Ost und West. Dämonen aus dem osmanischen Einflussbereich schickten Menschen, die ihnen ergeben waren, hierher. Um die Herrschaft zu übernehmen und Mitglieder der hiesigen Schwarzen Familie zu verdrängen.

    Juna nahm die Informationen auf und speicherte sie im Kopf ab, fragte aber nicht weiter nach. Sie und Thekla mussten die Probleme der Gegenwart lösen, bevor sie sich für solche der Vergangenheit interessieren konnten.

    Ein Geräusch. Sie zuckte zusammen. Drehte sich um, sah niemanden.

    Wir sind gleich da, behauptete Thekla. Mach dir bloß nicht in dein Höschen. Beziehungsweise in meines.

    Juna musste weitere Stufen bewältigen. Ein Wummern erfüllte den geziegelten Raum, den sie durch ein hölzernes Portal erreichte. Eine Art Nebel waberte durch den Raum. Das Echo ihrer Schritte deutete darauf hin, dass sie sich in einem Saal mit hoher Decke befand, vielleicht so hoch wie in einer Kathedrale.

    Es ist auch eine Art Kirche, hörte sie Thekla sagen. Eine Kirche für ganz besondere … Gläubige.

    Schritt für Schritt tastete sich Juna vor. Nur zu gerne hätte sie weitere Anleitungen von ihrer Stiefmutter bekommen, was zu tun war. Doch Thekla schwieg auf einmal, als hätte sie Spaß daran, Juna ins Unbekannte zu schicken.

    Sie stolperte über eine Kette, gleich darauf war ein Zischen und bösartiges Grunzen zu vernehmen. Worte in einer alten Sprache folgten, die etwas in Juna rührten. Die Kette spannte sich für einige Sekunden an, lockerte sich aber gleich wieder.

    Juna folgte dem massiven, geschmiedeten Band und gelangte an den Rand einer Grube. Das diffuse Licht erlaubte ihr den Blick auf einen Körper, dessen Extremitäten denen eines Spinnenwesens mit Lederhäuten zwischen den einzelnen Gliedern ähnelte. Ein runder Kopf, mit acht Facettenaugen besetzt, richtete sich nach Juna aus.

    »Ich würde einen Schritt zurücktreten, Schatzerl«, hörte sie jemanden sagen und zuckte zusammen. »Der alte Wohralik ist ein wenig unentspannt. Er wartet auf seine Fütterung. Aber eigentlich will er ja viel lieber hungern, nicht wahr?«

    Eine voluminöse Gestalt trat an Junas Seite. Sie bückte sich, griff mit dicken Wurstfingern nach der Kette und zog kräftig daran, sodass sich das Wesen im Inneren der Grube erneut bewegte. Bewegen musste. Es schien sich aus seiner Fesselung lösen zu können, bäumte sich auf, zog und zerrte, scheiterte dann aber doch.

    »Ist schon gut, Wohralik«, sagte das Wesen neben Juna mit rauer, aber eindeutig weiblicher Stimme. »Du kommst bald wieder dran. In ein, zwei Tagen erhältst du, was du dir wünschst. So lange kannst du dich sicherlich gedulden, nicht wahr?«

    Erneut Gerüttle und Geschüttle. Ein Grollen, eine dumpfe Stimme und einige Worte, die Junas Haare zu Berge stehen ließen.

    »Was habe ich dir gesagt, Wohralik? Solltest du versuchen, dämonische Kräfte anzuwenden, werde ich deine … Behandlung weiter hinauszögern. Willst du das etwa?«

    Das Rasseln wurde leiser, die Kette entspannte sich. Der Kopf des dämonischen Wesens neigte sich ehrerbietig.

    »Na also. Wir verstehen uns. – Komm jetzt, Schatzerl, gehen wir ins Büro.«

    Juna fühlte die Nähe der Frau und schreckte vor einer Berührung zurück. Doch als sich die Dicke wie selbstverständlich bei ihr unterhakte, fühlte sie eine Woge von Sympathie in sich aufkommen.

    Die andere war eine Menschenfrau, und dennoch schien sie den Umgang mit Dämonen aller Art gewohnt zu sein. Sie wandte sich an Juna:

    »Du bist Juna, nicht wahr?«

    »Du trägst noch jemanden in dir drin, habe ich mir sagen lassen. Thekla Zamis.«

    »Richtig. Aber woher weißt du …«

    »Das erkläre ich dir später. Lass uns mal das Großverlies verschließen und ein paar neue Sigillen anbringen. Wohralik ist ein sehr ungeduldiger und jähzorniger Klient. Man weiß nie so recht, woran man bei ihm ist. Aber er zahlt gut.«

    Die Frau hielt auf einmal eine Art Kreide in der Hand. Damit kritzelte sie einige ineinander verschlungene Symbole auf rauen Fels. Die Zeichen leuchteten in Regenbogenfarben und schienen sich stetig zu verändern.

    Anschließend zog sie Juna mit sich, auf ein weiteres Tor zu. Dahinter wartete ein breiter Korridor.

    Betonboden. Teppiche. Kitschige Bilder. Mit rotem Samt bedeckte Beistelltische, grün bespannte Thonet-Stühle, Gipsstatuen, Stehuhren mit Plastikmännchen verziert, McDonald’s-Figuren in Vitrinen …

    Ich bekomme Augenkrebs, dachte Juna.

    Wir sind tatsächlich einmal einer Meinung, hörte sie Thekla in ihrem Kopf sagen. Aber lass dich bloß nicht täuschen. Dies alles ist Tarnung. Unsere Gastgeberin ist weder dumm noch geschmacklos.

    Endlich erreichten sie einen Raum, dessen Flügeltüren von einem dürren Riesen in Diener-Livree geöffnet und hinter Juna gleich wieder geschlossen wurden. Die dicke Frau bewegte sich auf ein Sofa zu und ließ sich ächzend darauf fallen. Ihr kurzer Lederrock rutschte hoch und zeigte die breiten Zwickel halterloser Strümpfe.

    Juna fühlte einen stechenden Schmerz, den sie nicht so recht verorten konnte. Entstand er im Kopf, in der Brust, im Unterleib? – Sie wusste es nicht zu sagen. Doch die Pein fraß sie auf, langsam und unaufhörlich. Juna meinte, weglaufen zu müssen, weg von diesen Tantalusqualen – und tat es auch. Sie floh und fühlte, wie jemand anderes ihren Platz einnahm.

    Juna verlor jegliche Kontrolle über ihren Körper, über ihr Wesen. Thekla übernahm sie. Einfach so, als wäre es das Selbstverständlichste auf der Welt. Thekla breitete sich in ihrem Leib aus und zwang ihn in einen breiten Stuhl gegenüber ihrer Gastgeberin.

    »Schön, dich wiederzusehen, Callas«, sagte Thekla und schlug die Beine übereinander. Junas Beine. Ihre Beine. »Du hast dich kaum verändert.«

    »Und du warst noch nie eine gute Lügnerin, Thekla.« Die unter Wiens Dämonen bekannteste Puffmutter zeigte ein müdes Lächeln. »Ich hingegen wäre froh, müsste ich mich nie mehr wieder mit dir abgeben.«

    »Ah. Dann sind wir also ehrlich zueinander? Seit wann denn das, Callas?«

    »Du weißt genau, dass ich mich immer fair dir gegenüber verhalten habe.«

    »Fairness ist ein Kriterium, das für unsereiner unwichtig ist. Das solltest du gelernt

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