Das Haus Zamis 58 - Pforte zur Hölle
Von Michael Marcus Thurner und Logan Dee
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Über dieses E-Book
Doch mit der Zeit spielt man nicht. Irgendetwas scheint schiefgegangen zu sein, als sich Ficzkó in die Vergangenheit versetzt hat. Der Schrank, in dem sie verschwunden sind, erweist sich als Pforte zur Hölle …
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Buchvorschau
Das Haus Zamis 58 - Pforte zur Hölle - Michael Marcus Thurner
Fußnoten
Was bisher geschah:
Die junge Hexe Coco Zamis ist das weiße Schaf ihrer Familie. Die grausamen Rituale der Dämonen verabscheuend, versucht sie den Menschen, die in die Fänge der Schwarzen Familie geraten, zu helfen. Auf einem Sabbat soll Coco endlich zur echten Hexe geweiht werden. Asmodi, das Oberhaupt der Schwarzen Familie der Dämonen, hält um Cocos Hand an. Doch sie lehnt ab. Asmodi kocht vor Wut – umso mehr, da Cocos Vater Michael Zamis ohnehin mehr oder minder unverhohlen Ansprüche auf den Thron der Schwarzen Familie erhebt.
Nach jahrelangen Scharmützeln scheint endlich wieder Ruhe einzukehren: Michael Zamis und seine Familie festigen ihre Stellung als stärkste Familie in Wien, und auch Asmodi findet sich mit den Gegebenheiten ab. Coco Zamis indes hat sich von ihrer Familie offiziell emanzipiert. Das geheimnisvolle »Café Zamis«, dessen wahrer Ursprung in der Vergangenheit begründet liegt und innerhalb dessen Mauern allein Cocos Magie wirkt, ist zu einem neutralen Ort innerhalb Wiens geworden. Menschen wie Dämonen treffen sich dort – und manchmal auch Kreaturen, die alles andere als erwünscht sind.
Michael Zamis, seine Frau Thekla und Coco reisen nach Rumänien. Dort, auf der Temeschburg, findet die Testamentseröffnung der Fürstin Bredica statt, einer Großtante Michaels. Hier trifft er seine ehemalige Geliebte Florentina wieder – und seine uneheliche Tochter Juna, die er bisher verschwiegen hat. Juna hat eine grausame Vergangenheit hinter sich – die sie auf der Temeschburg einzuholen droht.
Das in Aussicht gestellte Erbe der Fürstin erweist sich als Lockvogel, damit diese ihre Jugend wiedererlangen kann. Michael, Thekla und Coco Zamis sowie Juna und auch Skarabäus Toth entkommen der tödlichen Intrige nur knapp. Der Rückweg nach Wien führt durch den sagenumwobenen, dämonenverseuchten Hoia-Baciu-Wald. Dort werden sie von einem unsichtbaren Gegner attackiert. Jeder Einzelne muss fortan um sein Leben kämpfen: Coco Zamis gelangt in ein Dorf, das von der Außenwelt abgeschnitten scheint. Bei dem verzweifelten Versuch, daraus zu fliehen, wird sie von Schwärmen von Fliegen attackiert. Ihr Vater, Michael Zamis, hat unterdessen in demselben Dorf eine Unterredung mit einem Dämon namens Beelzebub, der über die Ansiedlung herrscht. Der Dämon versucht Michael dazu zu gewinnen, mit ihm gegen Asmodi vorzugehen, doch Michael lehnt ab …
Unterdessen wird klar, dass Skarabäus Toth, der Schiedsrichter der Schwarzen Familie, einmal mehr ein doppeltes Spiel betreibt: Er bereitet für Beelzebub dessen Herrschaft in Wien vor.
Die verbliebenen Zamis-Sprösslinge Adalmar, Lydia und vor allem Georg, der das Erbe seines für tot erklärten Vaters Michael anzutreten anstrebt, halten dagegen.
Georg hat jedoch keinen leichten Stand. Er wird von den Wiener Dämonen nicht akzeptiert. Da tauchen Coco und ihre Eltern unverhofft wieder auf. Michael Zamis nimmt das Zepter wieder in die Hand, und es gelingt der vereinten Familie, Baalthasar Zebub zu schlagen …
Die intriganten Spiele, auch innerhalb der Zamis-Sippe, gehen unvermindert weiter. Dabei erfährt Coco Zamis einen ganz besonderen Exorzismus: Ihre böse Seite gewinnt die Oberhand. Mit wessen Hilfe Michael Zamis das geschafft hat, bleibt erstmal sein Geheimnis.
Coco wird unterdessen aufgewiegelt, dass ihre Halbschwester Juna ihr das Café streitig machen wolle. Kurzerhand versetzt Coco sie mithilfe des Zwerges Ficzkó in die Vergangenheit – in die Dienste der berüchtigten Blutgräfin.
Doch Juna taucht in der Gegenwart wieder auf – als Puppe. Georg Zamis, der inzwischen seine Gefühle für Juna entdeckt hat, entführt sie kurzerhand und versteckt sich mit ihr im Haus der Callas. Coco findet es heraus und zwingt Ficzkó, Juna erneut auf magische Weise in die Vergangenheit zu entführen. In letzter Sekunde springt Georg hinzu. Alle drei werden von dem Sog erfasst und gelten seitdem als verschollen.
Erstes Buch: Pforte zur Hölle
Pforte zur Hölle
von Michael Marcus Thurner
nach einem Exposé von Uwe Voehl
1.
Tatkammer verließ mit leisen Schritten das Haus und trat ins Freie. Er sah sich um in dieser widerlich schönen Welt. Die Luft war von Blumengestank erfüllt, irgendein Nachtvogel gab einen Balzruf von sich.
Nahrung! Er brauchte dringend etwas zu essen. Tatkammer musste sich neu orientieren und erfahren, welche Art von Geschöpfen hier lebte. Aber er war guter Dinge. Ringsum roch es nach Unschuld, nach Frieden, nach Unverdorbenem.
Ja. Das war genau sein Terrain. Er würde sich dieses Land untertan machen. Er würde seine schwarzen Gedanken überall verbreiten wie kleine Seifenblasen, die langsam zueinanderfanden, miteinander verwuchsen und die Welt mit dem Odem der Sünde vergifteten.
Er benötigte, um wieder zu Kräften zu kommen, willfährige und naive Opfer. Solche, deren Ideen er leicht infiltrieren konnte.
Er machte sich auf den Weg. Die Nacht würde er irgendwo in der Dunkelheit der Natur verbringen, morgen würde er zuschlagen. Normalerweise hätte Tatkammer gleich hier im Haus damit begonnen, seine Arbeit zu verrichten. Aber da waren noch andere, die den Übergang versuchten. Sie drängten nach, sie schoben und drückten durch das Tor.
Monsignore Tatkammer war immer schon vorsichtig gewesen. Er mochte nicht in Auseinandersetzungen zwischen anderen dämonischen Geschöpfen hineingezogen werden. Er wollte in aller Ruhe und unbeobachtet wirken.
Hunger. Er hatte Hunger.
Idylle.
Ja, das war das erste Wort, das Hannah einfiel, wenn sie an ihr neues Zuhause in Tausendgrün dachte.
Kein städtisches Getriebe. Keine nervösen Menschen, keine Hektik, kein Gestank, keine Unfreundlichkeiten.
Ringsum blickte Hannah auf Natur. Da waren im Norden Bäume und Sträucher, über hügeliges Land verteilt, und ein breiter Streifen Mischwald im Süden, in dem die Kinder gerne spielten und den sie aus unerfindlichen Gründen Deutelwald nannten. Unverfälschte Natur, kaum 35 Kilometer von Wien entfernt. Eine andere Welt, in der jeder jeden kannte und in der man in der Gemeinschaft zusammenhielt.
Und dann sind da noch die besoffenen Bauern, die dir blöde Sprüche hinterherrufen und dich mit ihren Blicken ausziehen …
Hannah strich sich irritiert über die Stirn. Hatte sie das eben gedacht? War sie eingenickt und hatte einen dummen Traum gehabt?
Was waren das bloß für Gedanken, die sie seit einigen Tagen plagten?
Hannahs Rechte tat mit einem Mal weh. Sie starrte auf ihren Zeichenblock. Sie umkrampfte einen Bleistift, einen 6B. Einen Stift mit ihrer Lieblingshärte. Bestens geeignet, um Skizzen mit Leben zu erfüllen und mit passenden Schattierungsstärken Tiefenwirkungen zu erzielen.
Sie hatte die Mine abgebrochen, die Spitze hatte sich durch das Zeichenpapier gebohrt.
Hannah unterdrückte einen Fluch. Fluchen war eine Sünde. Sie verbat sich selbst den Gedanken daran. Schließlich wollte sie ein gutes Beispiel für ihre Kinder, Leo und Karin, sein.
Sie legte den Stift beiseite. Es war spät geworden, sie musste sich auf den Weg machen und die Kinder von der Schule in Neulangbach abholen. Die Zeichnung eines Stars, der in einem Wasserbad stand und fröhlich vor sich hin tschilpte, konnte sie ohnedies nicht mehr retten. Sie würde am Abend von Neuem beginnen müssen und vermutlich die halbe Nacht durcharbeiten müssen.
Sie hatte ihren Abgabetermin bereits um einige Tage überzogen. Irgendwann einmal würde Herr Habeck die Geduld verlieren und sie am Telefon zusammenscheißen, wenn sie …
Hannah erschrak und schlug sich die Hände vor den Mund, als hätte sie laut gesprochen. Zusammenscheißen?! Wie komme ich bloß auf so ein Wort?
Hastig stand sie auf, streifte ihren Rock glatt, richtete mit einem kurzen Blick in den Vorzimmerspiegel die Haare und verließ das Haus. Ihr Wangen brannten vor Scham.
Lukas kam pünktlich nach Hause, wie immer. Sein Ruf: »Ich bin da, Schatz!« gellte durch die Wohnung, wie immer. Er drückte ihr einen Schmatz auf die Wange, wie immer, und berührte sie sachte an intimen Stellen, wie immer.
»Lass das doch« sagte sie kichernd, wie immer. »Wir können doch später …«
Hannah hielt inne und sah ihren Mann an. Er hatte Mund und Augen weit aufgerissen.
»Was ist los?«, fragte sie ihn.
»Was du eben, nun ja, gesagt hast …«, stotterte er, »das habe ich noch nie von dir gehört.«
»Das sage ich doch jeden Tag«, meinte sie irritiert.
»Du meintest, ich solle dich hier und jetzt gleich … durchficken«, sagte er und schüttelte den Kopf. »Ich solle dich über den Küchentisch legen und …«
»Das habe ich niemals gesagt!«, fuhr Hannah ihren Mann an. »Was denkst du von mir!«
Lukas zögerte, als wolle er etwas erwidern, ließ es dann aber bleiben. Er lächelte. »Na schön«, sagte er. »Wo sind die Kinder?«
»Sie sind noch im Deutelwald. Holst du sie bitte rein? Das Essen ist in wenigen Minuten fertig. Sie sollen sich gründlich waschen, bevor wir uns zum Abendtisch setzen.«
Lukas nickte, wandte sich ab und ging bei der Hintertür raus, um nach den Kindern zu sehen.
Er sieht so unglaublich dämlich aus, wenn er sich seiner Sache unsicher ist, dachte Hannah. Warum habe ich diesen Waschlappen bloß geheiratet?
Leo und Karin stopften wie immer Unmengen an Essen in sich rein, während sie von ihren Fantasieabenteuern erzählten, die sie auch heute wieder im Deutelwald erlebt hatten.
Hannah betrachtete sie lächelnd und liebevoll. Die Entscheidung, sich ein neues Leben fern der Stadt aufzubauen, war richtig gewesen. Leo und Karin hatten sich nach anfänglichem Gejammer gut auf die neuen Lebensumstände eingestellt. Sie hatten Freunde auf den Gehöften der unmittelbaren Umgebung gefunden, sie genossen die frische Luft und den Auslauf, den sie jeden Tag hatten. Die unverfälschte Natur ließ sie frisch und erholt aussehen und jeden Morgen mit viel Energie aus den Betten springen.
»… war da dieser Monsignore Tatkammer«, hörte sie Leo sagen. »Er ist plötzlich aufgetaucht, hat sich zu uns gesetzt und mit uns gespielt.«
»Monsignore Tatkammer?«, fragte Hannah alarmiert. Sie hatte nie von einem Priester dieses Namens gehört. »Was hat er mit euch denn gespielt?«
»Ach, er hat mit uns Tierfiguren aus Erde und Lehm gebaut«, plapperte Karin unbekümmert drauflos. Sie lud sich einen weiteren Schöpflöffel mit Tofu-Lasagne auf ihren Teller. »Er hat uns gezeigt, wie man die Figuren trocknet und wie man sie mit ein paar Ästen und Blättern aufpeppen kann, ganz echt! Sie haben beinahe wie richtige Tiere ausgesehen. Wie Kühe und Schweine, ganz echt!«
Ganz echt waren Karins neue Lieblingsworte, und sie nervten Hannah gehörig. Doch diese Angewohnheit spielte hier und jetzt keine Rolle. »Hat dieser Monsignore etwas von euch verlangt, das ihr nicht mögt?«, hakte sie nach.
»Nein, gar nicht! Er war einfach nur lustig und hat uns geholfen, ganz echt!«
»Er war sehr geschickt«, ergänzte Leo. »Er hat uns ein paar Tricks gezeigt, wie wir die Figuren auch ohne seine Hilfe basteln können.«
»Ihr wisst genau, dass ihr bei fremden Leuten misstrauisch sein müsst«, mischte sich Lukas erstmals in die Unterhaltung ein. »Es gibt böse Menschen, die böse Dinge tun.«
»Auch hier in Tausendgrün?«, fragte Leo.
»Auch hier in Tausendgrün«, bestätigte Hannah. Sie blickte Lukas an. Er fühlte dieselbe Besorgnis wie sie. So ruhig wie möglich sagte sie: »Wenn Monsignore Tatkammer nochmals auftaucht, möchte ich, dass ihr ihn zu uns ins Haus bittet. Er soll sich bei Papa oder bei mir vorstellen. Wenn er das nicht will, kommt ihr augenblicklich nach Hause gerannt. Habt ihr mich verstanden, ihr beiden?«
»Mach dir keine Sorgen, Mama«, meinte Leo altklug. »Der Monsignore geht auf eine längere Wanderschaft und wird nicht wiederkommen.«
»Er ist verschwunden, nachdem wir mit den Figuren fertig waren, ganz echt.«
»Und das war’s?«, fragte Hannah erleichtert.
»Ja«, antwortete Leo für seine kleine Schwester. »Er sagte noch irgendwas Komisches …«
»Und zwar?«, unterbrach ihn Lukas.
»Irgendwas mit zerstörter, mörderischer Unschuld, Papa. Ich hab’s nicht genau verstanden.«
»Anschließend hat er euch in Ruhe gelassen?«
»Richtig. Wir sind alle drei auf den Figuren herumgesprungen, bis sie nur noch Matsch waren, und dann …«
»Ihr habt sie zerstört?«
»Ja. Das hat richtig Spaß gemacht.«
»Ich … verstehe«, sagte Hannah und atmete tief durch. »Wenn ihr mit dem Essen fertig seid, könnt ihr noch ein wenig im Garten spielen. Aber ihr bleibt in der Nähe, sodass wir euch jederzeit durch das Wohnzimmerfenster sehen können. Verstanden?«
»Ja!«, riefen die beiden im Duett, schlangen die letzten Bissen der Tofu-Lasagne in sich hinein, brachten das Geschirr in die Küche und huschten in den Vorgarten.
Hannah starrte ihren Mann an, er starrte zurück.
»Wegen solcher Dinge sind wir aus Wien weggezogen«, sagte sie leise.
»Ich bin mir sicher, dass die Kinder übertreiben«, sagte Lukas schwach. »Vielleicht haben sie die Geschichte sogar erfunden. Du kennst doch Karins überbordende Fantasie.«
Hannah schwieg. Ihr Mann wollte sie beruhigen. Doch er spürte selbst die Veränderungen, die mit ihnen und rings um sie vor sich gingen.
Noch war nichts geschehen. Hannah atmete tief durch. Sie würde bei der nächsten Gemeindeversammlung über diesen sonderbaren Monsignore reden müssen. Oder noch besser: Sie würde gleich morgen aufs Amt gehen und die Frau Simmerl warnen. Frau Simmerl, die Gemeindesekretärin. Sie kannte jeden, sie wusste alles. Wenn der vermeintliche Priester schon mal in der Gegend aufgetaucht war und andere Kinder belästigt hatte, würde sie es gehört haben.
Hannah räumte den Rest des Geschirrs beiseite und erledigte gemeinsam mit ihrem Mann den Abwasch. Beide redeten sie nicht viel. Bald danach zog sich Lukas in sein kleines Büro unter dem Dachstuhl zurück. Er hatte zu tun, Hannah ebenfalls.
Sie musste voll schlechten Gewissens an Herrn Habeck denken, der auf weitere Zeichnungen von ihr wartete. Aber sie konnte heute nichts mehr tun. Die Ängste und Sorgen ließen sich nicht einfach so verdrängen. Irrwitzige Szenarien spielten sich in ihrem Kopf ab. Filmschnipsel der schrecklichsten Art. Sie wiederholten sich in einer Endlosschleife.
Es gab bloß eines, das sie beruhigen würde: Im Hobbyraum wartete der schöne Schrank, wie Lukas und sie ihn nannten. Das eigentlich unscheinbare Ding, etwa mannshoch, das sie vor einigen Tagen auf einem Trödelmarkt gesehen und in den sie sich beide augenblicklich verliebt hatten.
Hannah hatte immer schon ein Händchen für Antiquitäten gehabt. Sie konnte die Qualitäten alten Handwerks erkennen. Beim schönen Schrank brauchte es bloß das geeignete Werkzeug und ein wenig Geduld, um das sonderbare Gekritzel auf der Vorderfront zu entfernen und jene naiven Bauernmalereien zum Vorschein zu bringen, die sich unter einer abblätternden Lackschicht verbargen.
Auch die Scharniere gehörten erneuert und einige Holzflächen sorgfältig abgeschliffen sowie mit Kitt ausgebessert. Zwei der Beine musste sie neu leimen …
Die Arbeit würde sie beruhigen und von Monsignore Tatkammer ablenken.
Zwei Tage zuvor
Mirka hatte das Wochenende frei. Drei ganze Tage! Weit weg vom Dienst, weit weg von dummen Kollegen, bornierten Vorgesetzten und der Dämonenwelt, von der sie vor einem Jahr noch gar nicht gewusst hatte, dass es sie gab.
Geraldine saß neben ihr am Rand des Swimmingpools und plätscherte mit den Zehen im Wasser. Sie waren ganz alleine in einer Gartenidylle, von der Mirka niemals geglaubt hätte, dass sie in Wien existieren könnte.
Das Haus stand nahe des Gänsehäufels, einem bekannten und beliebten Freibad für die Bewohner der österreichischen Bundeshauptstadt. Wasser und Wiesen des Geländes zogen in der warmen Jahreszeit unzählige Wiener an. Öfter mal waren Gelächter und Geplantsche von der Insel des Gänsehäufels zu hören, ab und zu der Ruf eines energischen Bademeisters. Dies waren die einzigen Geräusche, die zu Geraldines Haus vordrangen.
Mirka sah sich um. Das Grundstück wurde von blickdichten Thujen eingerahmt, zwei Silbertannen warfen breite Schatten über die Liegefläche hinter dem Pool. Solange sie nicht über das Draußen nachdachte, konnte sie glauben, irgendwo weit weg von Wien zu sein.
»Ich hab dich selten so entspannt und zufrieden gesehen«, sagte Geraldine und schenkte ihr aus dem Glaskrug mit der Zitronenlimonade nach. »Ist die Arbeit denn wirklich so anstrengend?«
»Es geht«, antwortete Mirka ausweichend und trank einen Schluck.
»Was bin ich froh, dass ich die Ausbildung abgebrochen habe! Es war die beste Entscheidung meines Lebens.«
»Du hast doch bloß so lange gewartet, bis du einen reichen Kerl gefunden hast, der dich heiraten wollte.«
»Reichtum war nicht das einzige Kriterium«, sagte Geraldine mit ernster Miene. »Er musste auch noch ein bisschen dumm sein und nicht kapieren, dass ich ihn bloß ausnehmen will.«
Beide kicherten sie. Mirkas Freundin war in Wirklichkeit der treueste, netteste und fürsorglichste Mensch, den man sich nur vorstellen konnte. Sie war auf der Polizeiakademie völlig fehl am Platz gewesen. Mirka hatte sie ein wenig unter ihre Fittiche genommen und dafür gesorgt, dass sie von den meist groben Ausbildern