Ein Winzling versöhnt die ganze Welt: Mami 2040 – Familienroman
Von Rosa Lindberg
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Die Kinder, war Katharinas erster Gedanke gewesen, wie werden die Kinder es auffassen? Gut, war dann ihr zweiter, daß sie nicht zu Hause sind. Ihre Hände hatten automatisch begonnen, den Frühstückstisch abzuräumen. Sie hielt inne und betrachtete diese Hände, die einer Frau gehörten, die sich bis vor einer knappen Stunde noch für eine glückliche gehalten hatte. Katharina stellte sich ans Fenster. Draußen lag dieses Versprechen von Frühling in der Luft, das sie schon beim Zeitungsholen beglückt wahrgenommen hatte. Hier in der Küche aber stand die Luft plötzlich, als wäre sie aus Rauhreif. Wie gelähmt sah Katharina zu, wie Joachim das Haus verließ. Mit geneigtem Kopf durchquerte er den Garten. Ein schlanker, eleganter Mann in den besten Jahren, fünfundvierzig, um genau zu sein, der entschieden hatte, noch einmal von vorn anzufangen. Allein natürlich! Man hatte sich ja auseinandergelebt. Katharina hätte eher angenommen, man hätte sich zueinandergelebt. Einundzwanzig Jahre Ehe, Liebe, Treue, Fleiß und Erfolg. Zwei Kinder, ein Haus, zwei Autos und ein floriendes Architekturbüro ließen diesen Schluß durchaus zu. Irrtum! »Eine kleine Frühlingsweise nimmt mein Herz mit auf die Reise…«, sang eine schöne Frauenstimme im Küchenradio. Katharinas kalte Hand schaltete sie ab. Joachim fuhr soeben aus der Garage.
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Buchvorschau
Ein Winzling versöhnt die ganze Welt - Rosa Lindberg
Mami
– 2040 –
Ein Winzling versöhnt die ganze Welt
Benjamin wird der Sonnenschein in Katharinas Leben
Rosa Lindberg
Die Kinder, war Katharinas erster Gedanke gewesen, wie werden die Kinder es auffassen?
Gut, war dann ihr zweiter, daß sie nicht zu Hause sind.
Ihre Hände hatten automatisch begonnen, den Frühstückstisch abzuräumen. Sie hielt inne und betrachtete diese Hände, die einer Frau gehörten, die sich bis vor einer knappen Stunde noch für eine glückliche gehalten hatte.
Katharina stellte sich ans Fenster.
Draußen lag dieses Versprechen von Frühling in der Luft, das sie schon beim Zeitungsholen beglückt wahrgenommen hatte. Hier in der Küche aber stand die Luft plötzlich, als wäre sie aus Rauhreif.
Wie gelähmt sah Katharina zu, wie Joachim das Haus verließ. Mit geneigtem Kopf durchquerte er den Garten. Ein schlanker, eleganter Mann in den besten Jahren, fünfundvierzig, um genau zu sein, der entschieden hatte, noch einmal von vorn anzufangen.
Allein natürlich!
Man hatte sich ja auseinandergelebt. Katharina hätte eher angenommen, man hätte sich zueinandergelebt. Einundzwanzig Jahre Ehe, Liebe, Treue, Fleiß und Erfolg. Zwei Kinder, ein Haus, zwei Autos und ein floriendes Architekturbüro ließen diesen Schluß durchaus zu.
Irrtum!
»Eine kleine Frühlingsweise nimmt mein Herz mit auf die Reise…«, sang eine schöne Frauenstimme im Küchenradio. Katharinas kalte Hand schaltete sie ab.
Joachim fuhr soeben aus der Garage. Sie konnte nicht ausmachen, ob er einen Blick zurückwarf. Vermutlich nicht.
Die Stille umwaberte sie, und Katharina hätte gerne geweint, geschimpft, getobt, oder irgend etwas gegen die Wand geschmettert. Statt dessen stand sie unbeweglich da und starrte die offene Garage an.
Als das Telefon klingelte, fuhr sie zusammen. Nach dem vierten Läuten nahm sie den Hörer auf. Menschen funktionieren einfach in allen Situationen, Frauen besonders.
»Steinberg…«
Es war Elsa, Joachims Mutter. Eine großartige Frau und Schwiegermutter, ohne deren nie nachlassende Hilfs- und Einsatzbereitschaft Joachim und sie nie erreicht hätten, was sie heute nun besaßen. Ein Mutter- und Großmuttertier im allerschönsten Sinne dieses Wortes.
»Joachim schon weg?« erkundigte sie sich. Katharina nickte, bis ihr einfiel, daß Elsa das ja gar nicht sehen konnte.
»Ja.«
Besorgnis kam durch die Leitung.
»Bist du erkältet?«
»Nein.«
»Deine Stimme klingt aber so. Hör zu, mein Herz: Ich wollte nur fragen, ob du mir für Samstag die beiden Torten machst.«
Am Samstag hatte Elsa Geburtstag. Einundsiebzig wurde sie. Das Altsein fand sie schön.
»Hoffentlich bleibe ich es sehr, sehr lange!« war eines ihrer geflügelten Worte, und dabei konnte sie lachen wie ein junges Mädchen. Man mußte Elsa einfach lieben, sie brachte so viel kostbare Güte in die Welt. Mit Tatkraft, nie mit leeren Worten.
»Ich denke schon«, Katharina mußte sich räuspern, »wenn nichts dazwischenkommt.«
»Was soll denn schon?«
Mit Sicherheit konnte Elsa sich unter ›auseinandergelebt‹ nichts vorstellen. Jetzt erkundigte sie sich nach ihren Enkeln.
»Hoffentlich können sie es einrichten, daß sie am Samstag kommen. Haben sie schon was verlauten lassen?«
Das mußte Katharina verneinen. Ihre beiden Kinder studierten in Köln und waren damit beschäftigt, sich langsam aber sicher abzunabeln. Es war schwer zu sagen, wer mehr unter diesem Abnabelungs-Abenteuer litt, Katharina oder Elsa.
Elsa schickte ein nicht ganz ernstes Seufzen durch die Leitung, bevor sie Katharina noch einen wunderschönen Tag wünschte und sich verabschiedete.
Katharina ließ sich auf den Hocker fallen und betrachtete wieder ihre Hände, die auf den lebhaften Karos der Kittelschürze seltsam leblos wirkten. Hatten sie – diese Hände – sich zu sehr den Kindern gewidmet? Waren ihre Zuwendungen für Joachim zu kurz gekommen? Sie strich das ohnehin glatte Hauskleid glatt. Früher, als die Kinder noch klein waren, hatte sie diese ach so praktischen geblümten Hänger getragen, in deren Buntheit selbst Kakao-, Eigelb, sogar Kirschsaftspritzer beinahe verschwanden. Für die damals wie heute modernen Jeans und Overalls war sie nicht der Typ. Und, wichtiger noch, Joachim konnte Jeans und Overalls nicht ausstehen. Damals wie heute nicht. Daß seine bildhübsche Tochter sich bisweilen von Kopf bis Fuß in Jeans warf, freute ihn nicht eben.
Der Spiegel der gegenüberliegenden Wand zeigte eine Katharina mit ratlosen Augen und rundem Rücken.
»Und was jetzt?« fragte Katharina die Katharina.
Wieder das Telefon!
Diesmal war es Laura Marks, Joachims Sekretärin, die wissen wollte, ob der Chef heute später käme. Katharina versicherte, er sei zur selben Zeit wie immer abgefahren. Laura war beruhigt und wünschte ihr ebenfalls einen wunderschönen Tag.
Gab es für sie überhaupt noch wunderschöne Tage?
Erneut läutete das Telefon. Katharina ließ es klingeln. Elfmal. Sie hatte den Anrufbeantworter nicht eingeschaltet. Nein, sie wollte mit niemandem sprechen. Wie ein Summen unter der Haut nahm sie wahr, wie ihre innere Anspannung langsam wich und etwas anderem Platz machte: Zorn, schlichtem, echtem Zorn. Er brodelte nicht, kochte nicht, war einfach nur da und ging nicht weg. Warum sollte er auch? Seine Daseinsberechtigung stand doch wohl außer Zweifel!
Nachdem sie in diesem sonderbar ruhigen, geradezu gelassenen Zorn den Anrufbeantworter eingeschaltet hatte, ging Katharina nach oben. Sie ließ Badewasser in die Wanne, stieg in das heiße, duftende Bad, streckte sich aus und schloß die Augen. Nachdenken. Sie mußte nachdenken.
Zunächst versuchte sie sich vorzustellen, was Joachim unter einem NEUEN ANFANG verstand. Näher erklärt hatte er das nicht. Der Gedanke an eine andere Frau flog Katharina an. Schon merkwürdig, daß er sie nicht nennenswert beunruhigte. Wieso nicht? Sie hatte nicht die Spur einer Ahnung und wollte sie auch nicht haben!
Reihen anderer Gedanken kamen und gingen. Das Wasser kühlte aus, sie ließ heißes nachlaufen. Als sie sich nach vier weiteren Heißwasserströmen endlich frottierte, war sie so ruhig, als hätte sie nicht soeben die außergewöhnlichste Entscheidung ihres Lebens getroffen.
Für eine Frau wie sie, eine Nur-Hausfrau, Nur-Mutter, Nur-Ehefrau einer schier unvorstellbare Entscheidung. Es würde eine ganze Reihe von Leuten gelinde gesagt verblüffen. Den einen oder anderen würde es womöglich umwerfen.
Über die Halbgardine wanderte ihr Blick dabei über die vertrauten Wiesen, Äcker und Wälder. Ein so hübscher Anblick! Alles war so hübsch, die kleine Stadt, vor der sie wohnten, das Haus, in dem sie seit fünfzehn Jahren lebten, der mit viel Liebe und freudig erarbeiteter Sachkenntnis gepflegte Garten, die Straßen, die Nachbarn…
Mit einem entschiedenen Ruck zog Katharina den Stöpsel aus der Wanne.
Ihr Entschluß stand fest.
Nach kurzer Überlegung, einer rein organisatorischen Überlegung, ging sie ganz systematisch vor.
Sie packte eine Reisetasche mit dem nicht nur Allernötigsten. Und einen Koffer. Sie räumte auf, schloß alle Fenster und suchte nach dem Scheckheft. Der Umgang damit war ungewohnt, obwohl sie unterschriftsberechtigt war. Alle finanziellen Angelegenheiten regelte Joachim. Ein noch nicht abgehefteter Kontoauszug fiel ihr in die Hand, und der Kontostand verblüffte sie. Sekundenlang starrte sie auf den fünfstelligen Betrag, dann schrieb sie den Scheck über die gesamte Summe aus. Bereits an der Haustür, ging sie noch einmal zurück und besprach den Anrufbeantworter neu. Sie nahm die Wagenschlüssel und verließ das Haus.
Das Garagentor war immer noch offen. In ergebener Zuverlässigkeit stand das betagte alte Auto da, das Joachim ihr überlassen hatte, als er sich endlich den Wagen mit dem Stern leisten konnte. Inzwischen hatte