Geliebte, bezaubernde Amelie: Karin Bucha Classic 52 – Liebesroman
Von Karin Bucha
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Über dieses E-Book
Karin Bucha Classic ist eine spannende, einfühlsame geschilderte Liebesromanserie, die in dieser Art ihresgleichen sucht.
»Professor Martens bitte nach OP 1!« In kurzen Abständen wird die Durchsage wiederholt. »Professor Martens bitte nach OP 1!« Martens hebt den Kopf von seiner Arbeit. Soeben hat er noch etwas Müdigkeit bei der Abfassung des Berichtes für die Fachzeitschrift »Der Arzt« gespürt. Er schiebt die Arbeit von sich und eilt davon. Nichts mehr vor Müdigkeit spürt er. Er wird gebraucht. Irgendein Mensch braucht seine ärztliche Hilfe. Im Vorraum zum Operationssaal findet er seinen Oberarzt Dr. Lenz, den Narkosearzt und Assistenzarzt Dr. Berthold beim Händewaschen. Er stellt sich neben sie an das freie Becken und läßt das Wasser über seine Hände laufen. »Ein Unfall?« »Ein Unfall, ja. Irgendein Idiot hat ein junges Mädchen angefahren. Ich vermute Milzverletzung. Operation eilt jedenfalls. Bluttransfusion habe ich bereits angeordnet.«
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Geliebte, bezaubernde Amelie - Karin Bucha
Karin Bucha Classic
– 52 –
Geliebte, bezaubernde Amelie
Karin Bucha
»Professor Martens bitte nach OP 1!«
In kurzen Abständen wird die Durchsage wiederholt.
»Professor Martens bitte nach OP 1!«
Martens hebt den Kopf von seiner Arbeit. Soeben hat er noch etwas Müdigkeit bei der Abfassung des Berichtes für die Fachzeitschrift »Der Arzt« gespürt.
Er schiebt die Arbeit von sich und eilt davon. Nichts mehr vor Müdigkeit spürt er. Er wird gebraucht. Irgendein Mensch braucht seine ärztliche Hilfe.
Im Vorraum zum Operationssaal findet er seinen Oberarzt Dr. Lenz, den Narkosearzt und Assistenzarzt Dr. Berthold beim Händewaschen.
Er stellt sich neben sie an das freie Becken und läßt das Wasser über seine Hände laufen. Dabei erkundigt er sich:
»Ein Unfall?«
»Ein Unfall, ja. Irgendein Idiot hat ein junges Mädchen angefahren. Ich vermute Milzverletzung. Operation eilt jedenfalls. Bluttransfusion habe ich bereits angeordnet.«
»Sehr gut, danke«, erwidert der Professor in seiner knappen Art, an die sich seine Mitarbeiter längst gewöhnt haben. Sie alle bewundern ihn restlos, sein Können, sein unermüdliches Ringen um jedes Menschenleben, das ihm anvertraut wurde.
Wenig später steht jeder an seinem Platz.
Und dann operiert der Professor. Kaum ein Laut außer dem leisen Klirren der zurückgelegten Instrumente und den knapp gegebenen Befehlen ist hörbar in dem grüngekachelten weiten Raum, der mit allen Neuerungen ausgestattet ist.
Der Oberarzt und die Operationsschwester haben wieder einmal Gelegenheit, die souveräne Ruhe des Professors zu bewundern. Sie überträgt sich auf den gesamten Mitarbeiterstab. Professor Martens operiert schnell und sicher.
Manchmal trifft ein schneller Blick den Narkosearzt, und dieser nickte beruhigend.
Keiner blickt auf die elektrische Uhr. Sie stehen ganz im Bann der meisterhaft geführten Operation. Sie erwachen erst daraus, als sie das erlösende: »Fertig!« hören.
In diesem Augenblick zieht Dr. Lenz das Tuch vom Gesicht der Verunglückten. Während ihm Schwester Karla das Mundtuch und den Kittel abnimmt, hat er Zeit, in das süße Mädchengesicht zu blicken. Über einer hohen, klugen Stirn bauschen sich tiefschwarze kurze Locken. Etwas rührend Hilfloses liegt über der stillen Gestalt.
Nachdenklich kehrt er in den Waschraum zurück. Auch die anderen Ärzte folgen ihm nach und nach, während die Oberschwester mit Schwester Karlas Hilfe die Operierte aus dem Operationssaal schiebt.
Wie alle Frischoperierten fahren sie das junge Mädchen in das für diese Zwecke bereitstehende Einzelzimmer.
Indessen fragt der Professor seinen Oberarzt:
»Wissen Sie den Namen der Verunglückten? Sind Angehörige zu verständigen?«
»Bisher war dazu noch keine Zeit, Herr Professor. Es ging um das Leben der Unbekannten. Aber selbstverständlich erkundige ich mich sofort.«
»Tun Sie das«, fordert der Professor ihn auf. »Ich gehe zu der Operierten. Falls Sie mich brauchen…«
Damit verschwindet der Professor, und der Oberarzt eilt in die Aufnahme, wo das Eigentum des junge Mädchens abgegeben wurde.
Bei Professor Martens’ Eintreten erhebt sich Schwester Karla sofort.
»Wie steht es?«
»Alles normal, Herr Professor.«
Er winkt ab. »Danke. Sie haben Nachtdienst?« Und als sie bejaht, setzt er hinzu: »Sollte ich Sie benötigen, klingle ich.«
»Jawohl, Herr Professor.«
Sie neigt sich zum Nachttisch, um etwas zurechtzurücken, dabei hört sie es in ihrer Tasche rascheln. Leichenblaß fährt sie empor und lehnt sich gegen die Wand.
»Herr Professor«, stammelt sie mit versagender Stimme. »Ich – ich – mir ist etwas Schreckliches passiert.« Sie reicht ihm ein Telegramm, das sie nun schon seit Stunden in ihrer Tasche trägt.
»Was gibt es?« Mit seinem durchdringenden Blick sieht er die Schwester an, so daß sich ihr Mund hilflos öffnet und schließt. »Nun reden Sie schon.«
»Hier – dieses Telegramm – an Sie.« Hier versagt ihr die Stimme. Der Professor nimmt es der Schwester aus der Hand. Sie zittert am ganzen Körper.
Gespannt öffnet und liest der Professor die Depesche.
»ankomme mit nachtflugzeug aus paris stop da ortsunkundig erwarte ich abholung stop deine nichte amelie baxter.«
Nichte! Nichte! Die Gedanken wirbeln ihm durch den Kopf. Mein Gott, er hat eine einzige Schwester. Es kann nur Irmgards Tochter sein, die abgeholt sein will. Sein Blick fällt auf Schwester Karla, die keinen Tropfen Blut mehr im Gesicht hat.
»Nun fallen Sie mir bloß nicht in Ohnmacht«, sagt er mit heiserer Stimme. »Erkundigen Sie sich lieber, wann das Nachtflugzeug aus Paris auf dem Flughafen eintrifft.«
Schwester Karla ist so erschüttert über ihre Vergeßlichkeit, daß sie kein Glied zu rühren vermag.
»Sie hatten reichlich viel Arbeit heute, Schwester Karla. Dabei kann man schon einmal etwas vergessen. Kein Mensch ist unfehlbar.«
»Sie nicht, Herr Professor«, platzt sie schwärmerisch heraus. Wo sie einen Anschnauzer erwartet, tröstet er sie noch? Das ist noch nie dagewesen. Sie hetzt davon und wäre draußen beinahe mit dem Oberarzt zusammengeprallt. Kopfschüttelnd sieht er hinter ihr her, wie sie den Korridor entlangfegt.
Hat sie einen Anpfiff bekommen? Sah ganz danach aus. Dabei ist sie ein so lieber, hilfsbereiter Kerl, der alles tut, um die Ärzte und die ihr anvertrauten Kranken zufriedenzustellen.
Er unterdrückt einen Seufzer und betritt das Krankenzimmer.
Martens dreht sich um und winkt Dr. Lenz zu sich heran.
»Etwas gefunden?« erkundigt er sich. Das Telegramm dreht er nervös in seinen Händen. »Geben Sie her. Und bitte, wissen Sie zufällig, wann das Nachtflugzeug aus Paris hier eintrifft?«
Der Oberarzt wirft einen Blick auf seine Armbanduhr. »Jetzt ist es gleich vier Uhr morgens. Es ist vor vier Stunden schon gelandet.«
Martens bekommt einen Schreck. »Irren Sie sich auch nicht?«
»Gewiß nicht, Herr Professor. Ich habe erst neulich einen Freund von diesem Flugzeug abgeholt.«
»Danke«, würgt Martens hervor, und das ist gleichzeitig die Verabschiedung für Lenz, der sich auch sofort zurückzieht.
Mein Gott, denkt er verzweifelt, jetzt steht das Mädel irgendwo in der Nacht.
Weiter kommt er nicht mit seinen Überlegungen. Schwester Karla taucht auf und bestätigt ihm, was er bereits weiß. Und dann ist er endlich allein. Er sinnt darüber nach, was zu tun ist. Ganz zufällig, geistesabwesend, öffnet er den Paß des operierten Mädchens, den ihm sein Oberarzt mit einem Schreiben überreicht hat. Er starrt wie hypnotisiert auf das Bild im Paß. Das Gesicht gleicht genau dem, das vor ihm in den Kissen liegt. Und nun liest er auch den Namen:
»Amelie Baxter«, leise murmelt er den Namen vor sich hin und überfliegt auch die übrigen Eintragungen.
Immer wieder vergleicht er das Foto. Gütiger Himmel! Vor ihm liegt seine Nichte, die ihm ihr Kommen durch das Telegramm angekündigt hatte!
Wieder wird er gestört. Ärgerlich blickt er auf.
»Verzeihen Sie, Herr Professor«, flüstert Dr. Lenz, »daß ich noch einmal stören muß. Unten in der Halle sitzt ein Mann. Er ist völlig durcheinander. Beinahe wäre er mir unter den Händen weggesackt. Er behauptet, er habe den Unfall verschuldet. Er gehe nicht eher, bevor er wisse, wie es um die verletzte Frau steht. Er möchte Sie unbedingt sprechen.«
Kalte Wut steigt in Martens auf. Sicher ist der Mann betrunken, denkt er und erhebt sich.
»Bleiben Sie solange hier. Ich mache es so kurz wie möglich.«
Den an ihn gerichteten Brief und den Paß steckt er in die Tasche seines Kittels.
Kaum hat er die Flügeltür geöffnet, schnellt aus einem der Sessel ein Mann in die Höhe und stürzt sich förmlich auf Martens.
»Mein Name ist Ernst Stewing, Rechtsanwalt und Notar. Darf ich Ihnen eine Erklärung geben?«
Martens Gesichtsausdruck ist verschlossener denn je.
»Ich bitte darum.«
Forschend mustert Martens den Anwalt. Er wirkt sympathisch.
»Die baumbestandene Straße war menschenleer. Aus der Ferne kam mir ein Wagen mit aufgeblendeten Scheinwerfern entgegen und hielt auf der linken Seite. Ich war etwas geblendet, sah aber trotzdem einen Schatten vor meinen Wagen huschen; und dann merkte ich, ich hatte jemanden zu Fall gebracht. Ich stieg aus, erkannte eine Frau, die leblos vor mir lag, und alarmierte sofort den Pförtner dieses Krankenhauses. Gemeinsam brachten wir die Verletzte hierher. Der Wagen war inzwischen weggefahren. Vermutlich war es ein Taxi, aber genau kann ich das nicht sagen.«
»Hatten Sie Alkohol getrunken?« forscht Martens kühl.
»Keinen Tropfen. Hinter mir lag eine stundenlange Konferenz. Ich gebe zu, etwas müde gewesen zu sein.«
»Trotzdem muß ich Sie bitten, sich einer Blutprobe zu unterziehen.«
Der Rechtsanwalt bejaht heftig. »Selbstverständlich bin ich dazu sofort bereit.«
»Gut«, entscheidet Martens, und ihm ist genauso elend zumute wie dem Mann, der Amelies Unfall verschuldete. Trägt er nicht ebensoviel Schuld? Wäre Amelie, die Tochter seiner einzige Schwester, abgeholt worden –! Nein! So weit darf er nicht denken. Nicht einmal Schwester Karla kann er dafür verantwortlich machen. Eine Verkettung unglücklicher Zufälle, wie es sie so oft im Leben gibt. Er fühlt den abwartenden Blick des Anwalts und reißt sich zusammen. »Warten Sie hier. Ich schicke meinen Oberarzt. Er wird die Sache erledigen. Gute Nacht – oder vielmehr guten Morgen«, verbessert er sich und wendet sich der Flügeltür zu. Im Nu steht der Mann wieder neben ihm und ergreift seinen Arm. »Die Hauptsache haben Sie mir noch nicht gesagt, Herr Professor. Ich hätte gern gewußt, wie es Ihrer Patientin geht und ob ich etwas für sie tun kann.«
Martens verhält den Schritt. »Es wird alles getan, dessen können Sie versichert sein. Auch wenn die junge Dame nicht zufällig meine Nichte wäre. Guten Morgen!«
Entgeistert sinkt Rechtsanwalt Stewing in den nächsten Sessel. Gütiger Gott, die Nichte des berühmten Professors ist ihm vor den Wagen gelaufen! Was wird sich alles für ihn Unangenehmes daraus entwickeln? Sehr zugänglich war dieser Professor nicht.
Als er sich einigermaßen gesammelt hat, taumelt er zu dem Glasverschlag mit dem Schild »Anmeldung«.
»Halt!« Erschreckt fährt er herum. Richtig, die Blutprobe.
Er geht dem Oberarzt entgegen. »Jetzt wäre ich Ihnen bald davongelaufen«, sagt er und wirft einen unsicheren Blick auf den Oberarzt. Doch der lächelt verständnisvoll.
»Sie stehen immer noch unter der Schockeinwirkung. Kommen Sie bitte mit.«
Stewing folgt dem Arzt.
*
Nachdem Martens noch einmal Blutdruck und Puls kontrolliert hat und alles in Ordnung fand, zieht er endlich den Brief aus der Tasche, öffnet ihn und liest:
Lieber Bruder Matthias!
Wenn Amelie, meine Tochter, Dir diesen Brief aushändigt, bin ich längst unter der Erde. Meine Zeit ist bemessen, deshalb die Kürze. Doch mein Rechtsanwalt Ben Allison besitzt ein umfangreiches Schreiben von mir, eine Art Lebensbeichte, die er Dir, wenn er all meinen Besitz veräußert hat, senden will. Er ist ein jahrelanger Vertrauter und dieses Vertrauens würdig. Mein Mann, Tom Baxter, war sehr wohlhabend. Amelie hätte ein Leben in Luxus führen können. Sie wollte es nicht. Sie hat Medizin studiert und zwei Jahre unter dem berühmten Professor Kelly gearbeitet.
Nimm sie bei Dir auf, lieber Matthias, ich bitte Dich von Herzen darum. Amelie soll die Geborgenheit meines Elternhauses kennenlernen und – vielleicht kann sie auch bei Dir als Kinderärztin arbeiten.
Ich segne Dich aus der Ferne,
Deine Schwester Irmgard Baxter.
»Irmgard tot«, murmelt Matthias Martens fassungslos vor sich hin. Seine Mutter hat er zärtlich geliebt. Mit seinem Vater verband ihn ein inniges Verhältnis, aber Irmgard, seine um zehn Jahre ältere Schwester, liebte er abgöttisch. Alles war sie ihm, dem damals fünfzehnjährigen Junge, der beste Kamerad, den er sich überhaupt denken konnte.
Als er einst aus den mit heißer Sehnsucht erwarteten Ferien heimgekehrt war, hatte er alles wie ausgestorben in seinem Elternhaus vorgefunden. Alle waren sie verändert, die Mutter, der Vater. Irmgard war aus dem Elternhaus geflohen, war dem Mann ihrer Liebe gefolgt, den seine Eltern abgelehnt hatten, weil er Rennfahrer war.
Jeder verschloß sich vor dem anderen, und von da an war er innerlich vereinsamt. Er hatte sich wie besessen auf sein Studium geworfen. Irmgards Flucht lag heute noch wie ein Schatten über seinem Dasein.
Und nun lag Irmgards