Denken Sie an Ihren Eid, Herr Doktor: Karin Bucha Classic 20 – Liebesroman
Von Karin Bucha
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Über dieses E-Book
Karin Bucha Classic ist eine spannende, einfühlsame geschilderte Liebesromanserie, die in dieser Art ihresgleichen sucht.
Über der Tür zum OP I brennt seit einer Stunde ein rotes Warnlämpchen. Jede der Schwestern, die daran vorüberhuschen, weiß, was das bedeutet. Im Marien-Hospital ist eine Operation im Gange, jede Störung ist unerwünscht. Im Operationsraum herrscht eine Atmosphäre angespannter Aufmerksamkeit. Sie überträgt sich auch für die assistierenden Ärzte und Schwestern. Knapp und präzise kommen die Befehle des Professors. »Skalpell! Tupfer! Naht!« Unaufhaltsam rückt der Zeiger der elektrischen Uhr weiter, von keinem der Anwesenden beachtet. Es gilt, ein Menschenleben zu retten, und jeder gibt sein Bestes. Bei der Patientin handelt es sich um die einzige Tochter von Direktor Annacker, einem Freund des Professors. Obgleich er schon einige Operationen hinter sich hat, ist ihm keine Spur von Erschöpfung anzumerken. Dabei ist Professor Hanssen nicht mehr der jüngste. Man munkelt bereits, daß er sich zurückzuziehen beabsichtigt und seinem Oberarzt, Dr. Stefan zur Mühlen, sein Lebenswerk übertragen will. Dr. Stefan zur Mühlen, ein hochgewachsener schlanker Mann, steht mit unbewegter Miene neben seinem Chef. Niemand weiß, wie ihm in diesen Minuten wirklich zumute ist. Unter den sterilen Tüchern sieht er sekundenlang den schmalen Körper der Patientin.
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Denken Sie an Ihren Eid, Herr Doktor - Karin Bucha
Karin Bucha Classic
– 20 –
Denken Sie an Ihren Eid, Herr Doktor
Karin Bucha
Über der Tür zum OP I brennt seit einer Stunde ein rotes Warnlämpchen.
Jede der Schwestern, die daran vorüberhuschen, weiß, was das bedeutet. Im Marien-Hospital ist eine Operation im Gange, jede Störung ist unerwünscht.
Im Operationsraum herrscht eine Atmosphäre angespannter Aufmerksamkeit. Sie überträgt sich auch für die assistierenden Ärzte und Schwestern. Knapp und präzise kommen die Befehle des Professors.
»Skalpell! Tupfer! Naht!«
Unaufhaltsam rückt der Zeiger der elektrischen Uhr weiter, von keinem der Anwesenden beachtet. Es gilt, ein Menschenleben zu retten, und jeder gibt sein Bestes.
Bei der Patientin handelt es sich um die einzige Tochter von Direktor Annacker, einem Freund des Professors. Obgleich er schon einige Operationen hinter sich hat, ist ihm keine Spur von Erschöpfung anzumerken. Dabei ist Professor Hanssen nicht mehr der jüngste. Man munkelt bereits, daß er sich zurückzuziehen beabsichtigt und seinem Oberarzt, Dr. Stefan zur Mühlen, sein Lebenswerk übertragen will.
Dr. Stefan zur Mühlen, ein hochgewachsener schlanker Mann, steht mit unbewegter Miene neben seinem Chef. Niemand weiß, wie ihm in diesen Minuten wirklich zumute ist. Unter den sterilen Tüchern sieht er sekundenlang den schmalen Körper der Patientin. Er kennt sie gut, die zauberhafte Nadine Annacker, und keiner ahnt, wie sehr sein Herz um sie bangt. Er liebt dieses elfenhafte Geschöpf. Nun liegt sie vor ihm, reglos, in tiefer Bewußtlosigkeit, ganz der Kunst der Ärzte ausgeliefert.
Sie muß gerettet werden! denkt er, sie darf nicht sterben! Sie ist so köstlich jung, so jung, daß er, der reife Mann, niemals die Hand nach ihr ausstrecken würde. Aber lieben darf er sie, ganz still in seinem Herzen, ohne jemals von dieser Liebe zu sprechen…
»Fertig!«
Sekundenlang steht der Professor noch neben dem Operationstisch. Nachdem er seinem Oberarzt einige Anweisungen gegeben hat, die eigentlich gar nicht nötig gewesen wären, denn zur Mühlen weiß genau, was er zu tun hat, verschwindet er im angrenzenden Waschraum.
Ein wenig benommen ist der Professor doch, als die Oberschwester ihm Maske, Gummi-schürze, Handschuhe und den Kittel abnimmt.
In einem der weißen Becken läßt er das heiße Wasser über die Hände laufen.
Dr. zur Mühlen gesellt sich wenig später zu ihm. Auch er läßt sich aus der Operationsbleidung helfen und säubert sich die Hände.
»In Ordnung?«
Stefan zur Mühlen begegnet im Spiegel dem schmalen Gesicht des Professors. Jetzt gewahrt er deutlich dessen Erschöpfung.
»Nadine Annacker liegt in Zimmer vier. Die Umbettung habe ich beaufsichtigt. Soweit alles normal.«
Hanssen nickt. »Gut, zur Mühlen. Wir müssen den Vater benachrichtigen. Wollen Sie das übernehmen, oder soll ich…«
Dr. zur Mühlen ist unschlüssig, und als wolle Hanssen ihm die Entscheidung abnehmen, sagte er kurz:
»Ich werde das übernehmen, Herr Kollege. Bis später. Wir sehen uns im Ärztezimmer. Der neue Assistenzarzt wird schon auf mich warten. Wie heißt er doch gleich?«
»Benrat, Herr Professor, Thomas Benrat.«
»Ach ja, stimmt! Was meinen Sie, werden wir das Mädchen durchbringen?«
Erstaunt über diese Frage, die er von dem Professor nicht erwartet hat, dreht Dr. zur Mühlen sich zur Seite.
»Selbstverständlich, Herr Professor«, kommt seine Antwort.
»Das glaube ich auch.« Der Professor legt das Tuch auf den chromblitzenden Halter und wendet sich zum Gehen. »Sie kümmern sich vorläufig um die Patientin.«
»Gewiß, Herr Professor.«
Während zur Mühlen Zimmer vier aufsucht, geht der Professor an das Telefon. Er hat keine leichte Aufgahe übernommen, als er sich bereit erklärte, seinen Freund von dem Unfall seines einzigen Kindes zu unterrichten.
*
»Herr Direktor Annacker, bitte ans Telefon!« Über Lautsprecher tönt der Ruf über die Werkshöfe der Annacker-Werke. Er wiederholt sich in den Fluren der einzelnen Abteilungen, den Werkshallen und den zahlreichen Laboratorien.
»Herr Direktor Annacker, bitte ans Telefon!«
Im Labor III hält Chefchemiker Dr. Peiner einen Vortrag über die Ergebnisse einer Versuchsserie.
Annacker, eine kraftvolle Erscheinung mit einer schon angegrauten Löwenmähne, hört interessiert zu.
»Herr Direktor Annacker, bitte ans Telefon!«
Dr. Peiner stockt in seiner Rede und sieht hinüber zu seinem Chef.
»Sie werden am Apparat verlangt, Herr Direktor«, sagt er, und nun wird Annacker aufmerksam.
Dr. Peiner hat bereits den Hörer abgenommen und reicht ihn dem Chef.
»Annacker!«
Auf einmal ist es lähmend still in dem Raum, in dem sich die engsten Mitarbeiter des Labors III versammelt haben. Alle sehen sie gespannt hinüber zu dem Mann, dessen imponierende Erscheinung allein schon Respekt einflößt.
»Ja? Nein! Wann ist es geschehen? Wo befindet sich Nadine? Gut, ich komme sofort. Sagen Sie meinem Chauffeur Bescheid.«
Sekunden vergehen, in denen sich Annacker besinnen muß. Nadine, seine Tochter Nadine, sein einziges Kind verunglückt!
Er sieht sich um, etwas abwesend, verwirrt, ein verlegen wirkendes Lächeln um den energischen Mund.
»Verzeihen Sie, meine Herren«, sagt er mit rauher Stimme. »Leider kann ich Ihre Berichte nicht zu Ende hören. Meine Tochter ist verunglückt – Sie verstehen.«
Er hastet aus dem Zimmer. Wenig später rast er mit seinem schweren Tourenwagen über die Landstraße dem Marien-Hospital zu, wo seine Nadine bei Professor Hanssen, dem Freund, eingeliefert wurde.
»Wo befindet sich meine Tochter?« wendet er sich an Oberschwester Magdalena.
»Wenn Sie mir bitte folgen wollen?«
Eine hohe weiße Tür öffnet sich vor ihm. Behutsam tritt er ein. Er sieht nur ein weißes Bett und darin ein blasses Antlitz, umrahmt von blonden Haarwellen, die sich wie flüssiges Silber über das Kissen ausbreiten. Dunkle Schatten liegen unter den Augen.
Ein schier unerträglicher Schmerz durchzuckt ihn. Ist er zu spät gekommen?
Von der Wand löst sich die schlanke Gestalt Professor Hanssens. Er drückt Annacker kurz die Hand.
Worte verlieren sie nicht. Es ist zwischen ihnen auch nicht nötig.
Annacker sieht, daß sein Kind in tiefer Bewußtlosigkeit liegt. Erklärungen wird der Freund ihm später geben.
Er stellt keine Frage, wie es zu dem Unfall gekommen ist. Er erkundigt sich auch nicht, wie es um seine Tochter bestellt ist. Er ist da. Er ist bei seinem Kind, und damit ist vorläufig alles getan.
Er nimmt auf einen Stuhl Platz und wartet, er wartet mit innerer Spannung auf den Moment, da sich die Lider heben, und er in die Augen seines Kindes sehen darf.
Aber Nadine liegt regungslos, fast könnte man meinen, alles Leben sei aus dem elfenhaft zarten Körper entflohen.
Annacker glaubt nicht daran. Seine Nadine muß leben! Dieses junge, hoffnungsvolle Leben darf nicht jäh vernichtet sein. Nadine ist noch so köstlich jung. Sie weiß ja noch nicht einmal, was leben heißt, bewußt leben.
In diesem Augenblick gelobt er sich, alles zu tun, was seine Tochter glücklich machen kann. Und sei es der unsinnigste, der törichste Wunsch, er wird ihn ihr erfüllen.
*
Professor Hanssen steht in seinem Zimmer Dr. Benrat gegen-über. Der junge Arzt ist ihm von einem bekannten Kollegen, Professor Weinreich, empfohlen worden. Er benötigt dringend einen Assistensarzt, da seine chirurgische Abteilung überlastet ist.
Aufmerksam studiert er sein Gegenüber. Hm! Der Mann sieht gut aus. Aber um den Mund und in den Augen liegt etwas, das dem Professor nicht besonders gefallen will. Nun, ein Vorurteil will er nicht haben. Der junge Arzt soll sich bewähren.
Der Professor greift zum Telefon, dabei erklärt er: »Ich übergebe Sie meinem Oberarzt, Dr. zur Mühlen. Er wird Sie einführen, und Sie werden unter ihm arbeiten. Ich hoffe, daß Sie sich gut einleben werden. Arbeit gibt es in Hülle und Fülle.«
Damit ist der junge Arzt entlassen. In dessen Zügen malt sich Enttäuschung. Er hat erwartet, der Chefarzt würde ihn persönlich einführen.
Wenig später begrüßt Stefan zur Mühlen den neuen Mitarbeiter. Ein kurzer prüfender Blick über die ganze elegante Erscheinung genügt ihm, diesen Dr. Benrat einzustufen.
Sehr jung, sehr selbstbewußt, viel zu elegant und, wie ihm scheint, etwas leichtsinnig, so lautet sein Urteil. Bisher hat er sich auf seinen ersten Eindruck noch immer verlassen können. Sein Instinkt warnt ihn. Aber unbestechlich in seinem Gerechtigkeitsgefühl, verwirft er jedes Vorurteil. Die Zukunft wird es lehren, was er wirklich von dem neuen Kollegen zu halten hat.
Seite an Seite gehen sie über die Flure. Dr. zur Mühlen gibt in knappen Sätzen die nötigen Erklärungen. Er stellt ihm die übrigen Ärzte vor, unter denen auch zwei Ärztinnen sind. Er macht ihn mit den Schwestern bekannt, die ihren Weg kreuzen, und Benrat lernt auch Oberschwester Magdalena kennen.
Zugegeben, Oberschwester Magdalena erscheint auf den ersten Blick etwas sauertöpfisch und wenig aufgeschlossen. Doch das scheint eben nur so. Sie ist
der gütigste, verständnisvollste Mensch, und sie wird geradezu abgöttisch geliebt.
Als Dr. Benrat sich vor ihr verneigt, steht ein spöttisches Lächeln um seinen Mund. Die Oberschwester bemerkt es, und sie sieht sofort errötend zu Boden.
Windhund! denkt sie und huscht davon. Der wird sich nicht lange halten…
Dr. zur Mühlen ist etwas unangenehm berührt, als Dr. Benrat die weiblichen Angestellten übertrieben freundlich begrüßt. Aber er äußert sich nicht.
Sie kehren in das Ärztezimmer zurück und treffen hier auf Dr.