Der ungeliebte Bruder: Sophienlust 160 – Familienroman
Von Aliza Korten
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Über dieses E-Book
Diese beliebte Romanserie der großartigen Schriftstellerin Patricia Vandenberg überzeugt durch ihr klares Konzept und seine beiden Identifikationsfiguren.
Dr. Hans-Joachim von Lehn nahm dem Buben, der sein Sprechzimmer betreten hatte, die Katze ab. »Was fehlt dir denn?«, fragte er freundlich.
»Gar nichts«, antwortete der Junge. »Jemand hat sie ausgesetzt. Finden Sie das auch so gemein?« Die Kinderstimme zitterte vor Empörung.
»Sehr gemein«, erwiderte der Tierarzt. »Hast du sie gefunden?«
»Ja, aber leider – leider kann ich Heinrich nicht behalten. Meine Eltern erlauben es nicht.«
Der Tierarzt betrachtete die junge Katze genauer. »Schade. Tiere passen eben nicht in jede Wohnung. Übrigens solltest du dir einen Mädchennamen für sie ausdenken. Es ist nämlich eine Katzendame.«
Der Junge hob die Schultern. »Mein Freund heißt Heinrich. Deshalb habe ich die Katze so genannt. Ich wollte fragen, ob sie ins Tierheim könnte – weil sie doch ausgesetzt worden ist. Jemand hat erzählt, dass bei Waldi & Co. heimatlose Tiere aufgenommen werden. Stimmt es, dass Waldi ein Dackel ist? Würde er meinem Heinrich auch nichts tun?«
»Waldi ist viel zu vernünftig, um einer jungen Katze etwas zuleide zu tun. Du musst mit meiner Frau sprechen. Ich untersuche die Katze inzwischen, damit wir genau wissen, ob sie gesund ist.«
Der Tierarzt wollte dem Jungen eben den Weg zum Hauptteil des Hauses beschreiben, da trat Andrea von Lehn ein. »Du kommst wie gerufen«, sagte er. »Dieses Katzenmädchen mit Namen Heinrich sucht Unterkunft bei Waldi & Co.«
Andrea nickte. Sie wandte sich an den Jungen und fragte ihn nach seinem Namen.
»Ich heiße Klaus Werner.« Der Junge war, wie er sagte, sieben Jahre alt, ein hübscher Bub mit klaren intelligenten Augen. Sein Gesicht wirkte ein wenig
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Buchvorschau
Der ungeliebte Bruder - Aliza Korten
Sophienlust
– 160–
Der ungeliebte Bruder
Wann wird Klaus wieder fröhlich sein können?
Aliza Korten
Dr. Hans-Joachim von Lehn nahm dem Buben, der sein Sprechzimmer betreten hatte, die Katze ab. »Was fehlt dir denn?«, fragte er freundlich.
»Gar nichts«, antwortete der Junge. »Jemand hat sie ausgesetzt. Finden Sie das auch so gemein?« Die Kinderstimme zitterte vor Empörung.
»Sehr gemein«, erwiderte der Tierarzt. »Hast du sie gefunden?«
»Ja, aber leider – leider kann ich Heinrich nicht behalten. Meine Eltern erlauben es nicht.«
Der Tierarzt betrachtete die junge Katze genauer. »Schade. Tiere passen eben nicht in jede Wohnung. Übrigens solltest du dir einen Mädchennamen für sie ausdenken. Es ist nämlich eine Katzendame.«
Der Junge hob die Schultern. »Mein Freund heißt Heinrich. Deshalb habe ich die Katze so genannt. Ich wollte fragen, ob sie ins Tierheim könnte – weil sie doch ausgesetzt worden ist. Jemand hat erzählt, dass bei Waldi & Co. heimatlose Tiere aufgenommen werden. Stimmt es, dass Waldi ein Dackel ist? Würde er meinem Heinrich auch nichts tun?«
»Waldi ist viel zu vernünftig, um einer jungen Katze etwas zuleide zu tun. Du musst mit meiner Frau sprechen. Ich untersuche die Katze inzwischen, damit wir genau wissen, ob sie gesund ist.«
Der Tierarzt wollte dem Jungen eben den Weg zum Hauptteil des Hauses beschreiben, da trat Andrea von Lehn ein. »Du kommst wie gerufen«, sagte er. »Dieses Katzenmädchen mit Namen Heinrich sucht Unterkunft bei Waldi & Co.«
Andrea nickte. Sie wandte sich an den Jungen und fragte ihn nach seinem Namen.
»Ich heiße Klaus Werner.« Der Junge war, wie er sagte, sieben Jahre alt, ein hübscher Bub mit klaren intelligenten Augen. Sein Gesicht wirkte ein wenig ernst. Ging ihm das Schicksal der kleinen Katze so nahe?
»Komm, Klaus, ich zeige dir das Tierheim«, sagte Andrea freundlich.
Die schwarze Dogge Severin gesellte sich zu den beiden. Sie wich kaum je von Andreas Seite. Nun erschien auch der Dackel Waldi und kläffte laut.
Klaus wurde von dem alten Tierpfleger Janosch freundlich begrüßt und durch das Tierheim geführt. Er streichelte die betagte Stute Fortuna, betrachtete den Esel Fridolin, den jungen Schimpansen Mogli und die übrigen Insassen dieses einmaligen Asyls für heimatlose und verlassene Tiere.
»Darf mein Heinrich hierbleiben?«, fragte er.
»Wenn du die Katze nicht behalten darfst, müssen wir sie wohl aufnehmen«, entgegnete Andrea lächelnd. »Willst du ihr nicht einen anderen Namen geben, weil sie doch ein Mädchen ist?«
»Macht es etwas aus, wenn sie trotzdem Heinrich heißt?«, fragte Klaus treuherzig. »Man sieht es doch nicht.«
»Recht hast du«, stimmte Andrea ihm zu. »Bei euch zu Hause ist also kein Platz für Heinrich?«
Klaus seufzte. »Platz wäre schon, aber meine Eltern mögen die Katze nicht. Jochen hat einen Goldhamster, drei Meerschweinchen und einen Hund.«
»Ist Jochen auch ein Freund von dir?«
»Nein, er ist mein Bruder.«
Der Gesichtsausdruck des Jungen ließ Andrea wachsam werden. Sie unterließ es, ihn mit weiteren Fragen zu bestürmen.
»Du kannst Heinrich gern hier besuchen«, sagte sie rasch. »Sie wird sich bestimmt bei uns nicht langweilen. Draußen im Freigehege ist auch noch Bambi, unser Reh. Und unsere Hunde tun ihr nichts. Auch Munko nicht.«
Munko, ein Schäferhund, der ein bisschen lahmte, drängte sich eben zärtlich an Andreas Bein.
Von der Praxis her kam jetzt Dr. von Lehn und übergab dem alten Janosch Heinrich das Katzenmädchen.
»Ich muss schnell einmal nach Peterle schauen«, rief Andrea.
»Ist das auch ein Tier?«, fragte Klaus neugierig.
Andrea und ihr Mann lachten. »Nein, Peterle ist unser Sohn«, erklärte Andrea heiter. »Er ist jetzt in einem Alter, wo er ständig Dummheiten macht. Er kann schon laufen, aber er kann noch nicht beurteilen, was für ihn gefährlich ist. Komm mit.«
Peterle war in der Küche bei Marianne, der tüchtigen Hausgehilfin der Familie. Mit strahlendem Gesicht lief er auf seine Mutter zu. Doch selbst der Anblick des fröhlichen Bübchens erhellte die Miene des fremden Jungen nicht.
»Ich kann dich heimbringen, Klaus«, bot Andrea ihm an. »Wo wohnst du denn?«
»Kastanienstraße vierzehn.«
Andrea verriet nicht, dass sie den Wunsch hatte, Näheres über die Familie Werner zu erfahren. Sie verstaute Klaus auf dem Rücksitz ihres kleinen Wagens und fuhr schwungvoll los. Nach dem Weg brauchte sie den Jungen nicht zu fragen, denn sie kannte sich in Bachenau aus.
In der Kastanienstraße standen nette Einfamilienhäuser. Nummer vierzehn erwies sich als kürzlich renoviert und sehr gepflegt. Schon dachte Andrea, dass ihre unbestimmte Sorge um Klaus unbegründet sei, als eine Bemerkung des Buben sie wieder hellhörig machte.
»Ich gehe lieber allein ins Haus. Mutti ist es vielleicht nicht recht, dass ich mit Ihnen gefahren bin.«
»Warum denn nicht? Deine Mutter wird sich doch sicher freuen, dass sich eine Unterkunft für dein Kätzchen gefunden hat.«
Andrea folgte ihrem Impuls und klingelte trotzdem.
Lilo Werner kam im adretten Hauskleid an die Tür und sah zunächst nur Klaus. »Wo steckst du denn?«, fuhr sie ihn unfreundlich an. »Schleppst du mir heute schon wieder die Katze ins Haus, oder bist du sie losgeworden?«
Andrea trat vor und lächelte besonders liebenswürdig. »Guten Tag, Frau Werner. Ich bin Andrea von Lehn. Klaus hat die Katze zu mir ins Tierheim gebracht.«
»Was ist ein Tierheim?« Lilo Werner war ein wenig aus dem Konzept gebracht. »Klaus sollte die Katze dorthin tragen, wo er sie gestern aufgelesen hat.«
»Da wäre das arme Kätzchen verhungert oder von einer Krähe geholt worden«, erwiderte Andrea ruhig. »Bei uns geht es ihm gut. Mein Mann ist Tierarzt.«
Lilo Werner wurde nun etwas verbindlicher. »Wollen Sie nicht hereinkommen, Frau von Lehn?«, forderte sie Andrea auf. »Ich bin froh, dass sich für die Katze ein Unterkommen gefunden hat. Bei uns ist es wirklich nicht möglich.«
Andrea dachte an die verschiedenen Tiere, die der andere Junge hatte, doch sie schwieg, während sie der Hausfrau in das geschmackvoll eingerichtete Wohnzimmer folgte. Vor allem die ausgezeichneten Bilder an den Wänden beeindruckten sie, sodass sie eine Bemerkung über die Bilder machte. Sofort wurde Lilo Werner lebhaft. »Wir sind Kunstliebhaber, Frau von Lehn. Wenn ich Zeit finde, stehe ich selber an der Staffelei. Vor meiner Ehe habe ich in Paris studiert.«
»Wie schön, dass Sie das Malen nicht aufgegeben haben.«
»Unser Jochen zeichnet und malt auch schon recht nett.« Bei der Erwähnung des anderen Sohnes wurde das Gesicht der Mutter weich und zärtlich. »Er hat zum Geburtstag eine Staffelei bekommen.«
»Malst du auch?«, wandte sich Andrea an Klaus.
Stumm schüttelte der Junge den Kopf.
»Klaus ist ein schwieriges Kind«, beklagte sich Lilo Werner, ohne Rücksicht darauf zu nehmen, dass der Bub zuhörte. »Bei Jochen gibt es nie Probleme. Klaus verliert seine Sachen, zerreißt die Hosen, macht sich schmutzig und bringt schlechte Zensuren heim. Bei Jochen ist es genau umgekehrt.«
Armer kleiner Klaus, dachte Andrea und äußerte rasch: »Ich würde mich freuen, wenn Klaus ab und an zu uns käme, um sein Kätzchen zu besuchen. Es ist sehr lobenswert, dass er das Tier zu uns brachte.«
Das Lächeln der Hausfrau wirkte erzwungen. »Nun ja, wir hätten die Katze wirklich nicht gebrauchen können. Jochens Tiere genügen mir.« Sie schien es ganz selbstverständlich zu finden, dass Jochen alles hatte und Klaus nichts.
Andrea verabschiedete sich und lud Lilo Werner ein, sich das Tierheim Waldi & Co. bei Gelegenheit einmal anzusehen. Sie nahm sich vor, Klaus keinesfalls aus den Augen zu verlieren. Denn irgendetwas schien in dieser Familie nicht zu stimmen.
*
Der breitschultrige, sonnengebräunte Mann, der in der Hotelhalle eine Zeitung durchblätterte, blickte auf und starrte die schlanke junge Dame, die eben vorüberging, entgeistert an. »Sie ist es – kein Zweifel«, murmelte er und erhob sich, um ihr in den Weg zu treten.
»Hallo, Gerda! Kennst du mich noch?«
Dr. Gerda Ahlsen war nicht weniger überrascht, als der Mann. »Klaus Magnus! Wo in aller Welt … Dumme Frage, du kommst natürlich aus Südafrika.«
»Stimmt. Ich bin erst seit ein paar Stunden in München. Und schon treffe ich dich. Das muss gefeiert werden.«
»Gern, Klaus. Ich bin allerdings ziemlich beschäftigt. Mein Instinkt hat mich nicht zum Vergnügen hierher zum Kongress geschickt.«
»Wie wichtig das klingt.« Klaus Magnus lachte. »Du warst schon immer ein superkluges Haus. Können wir heute Abend zusammen essen?«
»Ich werde es einrichten«, versprach Gerda.
»Fein, Gerda. Ich lasse einen Tisch für uns reservieren und warte ab acht Uhr hier auf dich.«
Sie reichte ihm die schmale feste Hand. Seine Blicke folgten ihr, als sie davonging.
Gerda Ahlsen – sie hatte sich kaum verändert. Nachbarskinder waren sie gewesen. Später hatten sie sich aus den Augen verloren. Immerhin erinnerte sich Klaus, dass Gerda Physik studiert,und sich stets leidenschaftlich für die Emanzipation der Frauen eingesetzt hatte. Auf keinen Fall hatte sie heiraten wollen. Ob sie immer noch so dachte?
Gleich darauf fragte er sich: Wird sie mir etwas von Gabi erzählen können?