Ferdi zieht das Große Los: Sophienlust 128 – Familienroman
Von Judith Parker
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Über dieses E-Book
Diese beliebte Romanserie der großartigen Schriftstellerin Patricia Vandenberg überzeugt durch ihr klares Konzept und seine beiden Identifikationsfiguren.
Seit Tagen tobte der Sturm um die dicken Mauern des Herrenhauses von Sophienlust. Wilde Böen rüttelten an den Fensterläden und rissen die letzten Blätter von den Bäumen. Das Herbstwetter fesselte die Kinder ans Haus. Wenn sie von der Schule heimkamen, liefen sie rasch die Stufen der Freitreppe hinauf und retteten sich in die gemütliche Wohnhalle. Auch die Hunde suchten dort Zuflucht. Oft gesellte sich die Hubermutter zu den Kindern und streckte ihre Hände dem Feuer im offenen Kamin entgegen. Sie blieb ein Stündchen, um den Kindern eine ihrer geheimnisvollen Geschichten zu erzählen.
Dominik von Wellentin-Schoenecker, Nick genannt, blieb nun ganz in Sophienlust. Das geschah sehr zur Freude von Pünktchen, die nur dann wirklich glücklich war, wenn Nick da blieb. Denn sie liebte den älteren Jungen, der sie nach Sophienlust gebracht hatte, wo sie eine neue Heimat fand, am meisten von allen. Anfangs hatte sie sich geärgert, wenn die anderen sie wegen ihrer Schwärmerei für Nick neckten, doch jetzt nahm sie es gelassen hin.
Nicks kleiner Bruder Henrik beneidete ihn sehr. Er hätte auch gern ein eigenes Zimmer in Sophienlust gehabt. Aber er musste jeden Abend nach Schoeneich zurück. Pünktlich holte ihn seine Mutter ab.
»Wann bekomme ich endlich auch ein eigenes Zimmer in Sophienlust?«, fragte er an einem Samstagnachmittag seine Mutter.
»Noch bist du zu klein dafür«, erwiderte Denise von Schoenecker. »Auch wären Vati und ich traurig, wenn wir beide allein in Schoeneich wohnen müssten.«
»Aber ihr seid doch nicht allein, Mutti! Martha ist da, und das Hausmädchen Gusti und …«
»Das ist etwas anderes, Henrik.«
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Buchvorschau
Ferdi zieht das Große Los - Judith Parker
Sophienlust –128–
Ferdi zieht das Große Los
Wie wird ein kleines Herz wieder richtig froh?
Roman von Judith Parker
Seit Tagen tobte der Sturm um die dicken Mauern des Herrenhauses von Sophienlust. Wilde Böen rüttelten an den Fensterläden und rissen die letzten Blätter von den Bäumen. Das Herbstwetter fesselte die Kinder ans Haus. Wenn sie von der Schule heimkamen, liefen sie rasch die Stufen der Freitreppe hinauf und retteten sich in die gemütliche Wohnhalle. Auch die Hunde suchten dort Zuflucht. Oft gesellte sich die Hubermutter zu den Kindern und streckte ihre Hände dem Feuer im offenen Kamin entgegen. Sie blieb ein Stündchen, um den Kindern eine ihrer geheimnisvollen Geschichten zu erzählen.
Dominik von Wellentin-Schoenecker, Nick genannt, blieb nun ganz in Sophienlust. Das geschah sehr zur Freude von Pünktchen, die nur dann wirklich glücklich war, wenn Nick da blieb. Denn sie liebte den älteren Jungen, der sie nach Sophienlust gebracht hatte, wo sie eine neue Heimat fand, am meisten von allen. Anfangs hatte sie sich geärgert, wenn die anderen sie wegen ihrer Schwärmerei für Nick neckten, doch jetzt nahm sie es gelassen hin.
Nicks kleiner Bruder Henrik beneidete ihn sehr. Er hätte auch gern ein eigenes Zimmer in Sophienlust gehabt. Aber er musste jeden Abend nach Schoeneich zurück. Pünktlich holte ihn seine Mutter ab.
»Wann bekomme ich endlich auch ein eigenes Zimmer in Sophienlust?«, fragte er an einem Samstagnachmittag seine Mutter.
»Noch bist du zu klein dafür«, erwiderte Denise von Schoenecker. »Auch wären Vati und ich traurig, wenn wir beide allein in Schoeneich wohnen müssten.«
»Aber ihr seid doch nicht allein, Mutti! Martha ist da, und das Hausmädchen Gusti und …«
»Das ist etwas anderes, Henrik.« Sie strich ihm liebevoll über seinen braunen Haarschopf.
»Na ja, wenn es so ist.« Bedauernd richtete er seine Augen auf die Kinder in derWohnhalle. »Dann muss ich wohl gehen. Auf Wiedersehen! Morgen nach dem Frühstück bin ich wieder da.« Er winkte noch einmal und folgte seiner Mutter hinaus.
Ein Windstoß drückte ihn fast ans Portal. Lachend sprang er die Stufen hinunter. »Mutti, ein solches Wetter ist auch schön!«, rief er. »Magst du auch den Sturm?«
»Manchmal.« Denise öffnete die hintere Autotür. »Steig schnell ein, Henrik.«
Der Junge kletterte in den Wagen. Denise startete und fuhr langsam die Auffahrt hinunter bis zum Parktor.
»Findest du es nicht ungerecht, dass Nicks Urgroßmutter mich in dem Testament ganz vergessen hat? Schließlich ist sie auch meine Urgroßmutter gewesen.«
Denise lachte herzlich. »Als Nicks Urgroßmutter starb, hatte sie doch keine Ahnung, dass du eines Tages zur Welt kommst.«
»Das ist wahr«, meinte er. »Dafür erbe ich einmal Schoeneich. Ich werde ein ebenso guter Landwirt wie Vati. Ob Vati schon daheim ist?«
»Hoffentlich.« Das schöne Frauengesicht mit den dunklen Augen spiegelte Denises Sorge wider. Ihr Mann Alexander war heute früh mit dem Auto nach Frankfurt gefahren. Ihr wäre es lieber gewesen, er hätte bei diesem Sturm den Zug genommen. Aber er hatte erklärt, sie brauche sich keine Sorgen zu machen, denn er sei ein sehr vorsichtiger Autofahrer.
Auch Denise fuhr vorsichtig die Schnellstraße zwischen den beiden Gütern Sophienlust und Schoeneich entlang. Als sie von weitem Licht im Herrenzimmer von Schoeneich erblickte, atmete sie befreit auf. Also war Alexander schon zurück.
Jedesmal, wenn Denise das Haus betrat, weitete sich ihr Herz vor Glück. Schoeneich war ihre wirkliche Heimat geworden. Die Erinnerungen an ihren ersten Mann, Dietmar von Wellentin, Nicks Vater, waren längst verblasst. Hätte es nicht Nick gegeben, würde sie geglaubt haben, dass die kurze Ehe mit Dietmar nur ein Traum gewesen war.
Alexander von Schoenecker, ein großer Mann mit einem schmalen sonnengebräunten Gesicht, dunklen Augen und braunen Haaren, trat aus der geschnitzten Eichentür, die ins Herrenzimmer führte, in die Wohnhalle. »Endlich«, sagte er. »Ich habe soeben in Sophienlust angerufen, um mich zu erkundigen, wann du kommst. Guten Tag, mein Sohn«, sagte er zu Henrik, dem einzigen Kind aus seiner Ehe mit Denise. »Lauf nach oben und sieh in deinem Zimmer nach, was ich dir mitgebracht habe.« Er lachte und legte seinen Arm um Denise. »Tut mir leid, Denise, dass ich dich gleich bitten muss, mit ins Herrenzimmer zu kommen. Du wolltest dich gewiss erst einmal umziehen.« Er sprach nun gedämpfter. »Aber wir haben Besuch.«
»Besuch? Wer ist es denn?« Sie sah an sich herunter. »Vielleicht sollte ich mich erst umkleiden.«
»Du siehst bezaubernd aus. Zudem glaube ich, dass Schwester Klara wenig Wert auf Äußerlichkeiten legt.« Er schmunzelte. Dann nahm er ihr den Mantel ab und hängte ihn an die Garderobe.
Warm leuchtete es in Denises dunklen Augen auf. »Wo hast du denn unsere Gemeindeschwester getroffen? Oder ist sie allein hierhergekommen?«
»Sie befand sich auf dem Weg nach Sophienlust. Mit ihrem Fahrrad. Aber sie hatte eine Panne. Als ich von der Autobahn abbog, sah ich sie schon von weitem am Straßenrand stehen und winken. Ich habe ihr Rad im Kofferraum verfrachtet und sie mitgenommen. Gusti hat ihr inzwischen trockene Sachen gegeben. Als ich Schwester Klara fragte, weshalb sie bei solchem Wetter unterwegs sei, sagte sie mir, sie müsse dich unbedingt sprechen, weil sie ein Problem habe. Mehr konnte ich von ihr nicht erfahren.«
Denise nickte und betrat das Herrenzimmer. Schwester Klara saß in einem der tiefen Sessel. Sie trug einen dicken Pullover und einen alten Rock. »Guten Abend, Frau von
Schoenecker«, begrüßte sie Denise und erhob sich. »Schauen Sie mich nicht an. Ich sehe fürchterlich aus. Aber Gusti trocknet gerade meine Schwesterntracht. Ich war bis auf die Haut durchnässt.«
»Setzen Sie sich, liebe Schwester Klara.« Denise mochte die ältere Gemeindeschwester sehr. Stets war sie unterwegs und half überall, wo Hilfe benötigt wurde. Keine Arbeit schien ihr zu viel zu werden.
»Ich werde mir wohl nun doch ein kleines Auto zulegen müssen. Einen Führerschein habe ich seit Jahren.« Schwester Klara nieste und lachte dann. »Ursprünglich wollte ich nach Sophienlust. Aber Ihr Mann meinte, ich sollte lieber mit nach Schoeneich kommen, denn um diese Zeit seien Sie schon daheim.«
»Ich habe mich heute ein wenig verspätet.« Denise lächelte sie an. »Wo drückt der Schuh?«, fragte sie.
»Es geht um ein Kind – um einen dreijährigen Jungen. Er heißt Ferdinand Herzog. Er ist ein süßes Bübchen mit blonden Haaren und hellen Augen. Seine Mutter war nicht verheiratet.«
»Aha.«
Denise wartete, als Schwester Klara eine Weile schwieg. Endlich fuhr sie fort: »Es ist die übliche Geschichte und wiederum auch nicht. Jede Geschichte einer ledigen Mutter ist anders.«
»Das stimmt«, pflichtete Denise ihr bei.
»Sie heißt Cordula Herzog und ist das einzige Kind eines Landarztes, der seine Praxis in Hinterstein hatte. Sie studierte Medizin und wollte zwei Semester in Paris bleiben. Aber sie hatte ihr Studium dort frühzeitig abgebrochen und kam nach München. Wie Sie wissen, war ich vor etwa dreieinhalb Jahren für einige Monate in München bei einem Kurs. Dabei lernte ich Cordula Herzog kennen. Sie fühlte sich damals hilflos und unglücklich. Dass sie sich in anderen Umständen befand, war nicht zu übersehen. Sie erzählte mir, ihr Vater, der so stolz auf sie sei, dürfe auf keinen Fall erfahren, dass sie ein uneheliches Kind erwarte. Wegen des Kindes wollte sie auch Gemeindeschwester werden.
Ganz sind mir die Zusammenhänge nicht klar geworden. Während ihrer Ausbildungszeit in München war der kleine Ferdi dann in einem Tagesheim untergebracht. Jeden Abend hat sie ihn von dort abgeholt, um ihn bei sich zu haben. Nun möchte sie in ihren Heimatort Hinterstein zurückkehren und später ihren Jungen nachholen.
Erst möchte sie sich bewähren. Auch will sie ihrem Vater beweisen, wie tüchtig sie als Gemeindeschwester ist. In einem kleinen Ort ist man leicht Vorurteilen ausgesetzt. Cordula glaubt, dass sie Ferdi bald zu sich holen kann. Als ich ihr vorschlug, ihn bis dahin in Sophienlust unterzubringen, war sie sofort einverstanden.«
»Und der Vater des Kindes?«, fragte Denise.
»Sie spricht nie von ihm. Sie hat mir auch nicht gesagt, wer er ist. Es ist so, als wolle sie ihn vergessen.«
»Glauben Sie, dass Cordula Herzogs Vater es als Arzt nicht verstehen würde, dass ihr das widerfahren
ist?«
»Ich weiß es nicht. Aber sie hat vor, ihren Vater in einigen Wochen von der Existenz ihres Sohnes, seines Enkels, zu erzählen. Cordula ist ein lieber Mensch. Wenn sie von ihrem Vater spricht, leuchten ihre Augen auf. Sie schildert ihn als wundervollen Menschen und guten Arzt. Aber er scheint leidend zu sein, denn er hat seine Praxis einem jüngeren Kollegen überlassen.«
»Bestellen Sie Fräulein Herzog, dass ich den kleinen Ferdi in Sophienlust aufnehmen werde. Er wäre dann das jüngste Kind bei uns. Schwester Regine wird sich seiner besonders annehmen. Unsere vierjährige Heidi wird entzückt über einen kleinen Freund sein.«
»Vielen Dank, Frau von Schoenecker. Dann will ich Sie nicht länger stören.«
»Das tun Sie gar nicht, Schwester Klara. Ich lade Sie zum Abendessen ein. Sie werden sicherlich einen ebensolchen Appetit haben wie ich. Nach dem Essen wird mein Mann Sie dann nach Hause bringen. Bis dahin