Die Rache der schönen Lady
Von Virginia Heath
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Über dieses E-Book
Sein schlechter Ruf? Darauf gibt Ross Jameson keinen Penny! Nur zu gern spielt der Charmeur den rücksichtslosen Halunken. Da ist die Eroberung seiner rätselhaften Hausdame natürlich Pflicht! Die er teuer bezahlen muss, denn Hannahs Küsse betören ihn so sehr, dass er beinahe nicht bemerkt, was sie im Schilde führt...
Virginia Heath
Schon als kleines Mädchen hat Virginia Heath sich fantastische Geschichten ausgedacht, wenn sie nicht einschlafen konnte. Schließlich hat sie beschlossen, dass Schlaf nicht so wichtig ist, und angefangen, die Geschichten aufzuschreiben. Mittlerweile hat sie über zwanzig Bücher veröffentlicht und wurde bereits zwei Mal für den Romantic Novel of the Year Award nominiert.
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Buchvorschau
Die Rache der schönen Lady - Virginia Heath
IMPRESSUM
Die Rache der schönen Lady erscheint in der HarperCollins Germany GmbH
© 2016 by Susan Merritt
Originaltitel: „That despicable Rogue"
erschienen bei: Mills & Boon Ltd., London
Published by arrangement with HARLEQUIN ENTERPRISES II B.V./S.àr.l.
© Deutsche Erstausgabe in der Reihe HISTORICAL SAISON
Band 45 - 2017 by HarperCollins Germany GmbH, Hamburg
Übersetzung: Svenja Tengs
Umschlagsmotive: ElenaMedvedeva/GettyImages, angelinast_GettyImages
Veröffentlicht im ePub Format in 01/2020 – die elektronische Ausgabe stimmt mit der Printversion überein.
E-Book-Produktion: GGP Media GmbH, Pößneck
ISBN 9783733729516
Alle Rechte, einschließlich das des vollständigen oder auszugsweisen Nachdrucks in jeglicher Form, sind vorbehalten.
CORA-Romane dürfen nicht verliehen oder zum gewerbsmäßigen Umtausch verwendet werden. Sämtliche Personen dieser Ausgabe sind frei erfunden. Ähnlichkeiten mit lebenden oder verstorbenen Personen sind rein zufällig.
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PROLOG
White’s Club, Mai 1818
Die Menge, die um den Kartentisch versammelt stand, gab sich Handzeichen, die verschiedene Dinge bedeuten konnten: Entweder stand irgendwer kurz davor, eine beachtliche Geldsumme zu gewinnen, oder jemand würde in Kürze sein letztes Hemd verlieren. Von dem Spektakel wurde Ross Jameson wie eine Motte vom Licht angezogen. Am Kartentisch saß der Earl of Runcorn, der – die Augen geweitet – aus allen Poren schwitzte, während Viscount Denham einen beachtlich großen Stapel an Banknoten, den er offenbar soeben gewonnen hatte, langsam vom Tisch aufklaubte.
Ross ging zu seinem Freund Carstairs, um sich die Situation erklären zu lassen. „Was ist los?", murmelte er, während er einen Schluck von seinem Getränk nahm.
John Carstairs tat es ihm nach, ohne den Blick von der Tragödie am Tisch abzuwenden. „Denham hat Runcorn soeben ausgenommen. Es liegen über eintausend Pfund auf dem Tisch."
Das überraschte Ross nicht. Seit Jahren steuerte Runcorn auf den Ruin zu, und Viscount Denham bereitete es Freude, einen Dummkopf um sein Geld zu bringen.
Selbstgefällig erhob Denham sich und grinste seinen Gegenspieler an. „Es war mir ein Vergnügen, Runcorn."
Der Geschlagene, der offensichtlich neben sich stand, blinzelte schnell. Als er in seine Jackentasche griff, sah es so aus, als würde er jeden Moment eine große Dummheit begehen. Er holte ein großes, amtliches Dokument heraus und warf es kurzerhand in die Mitte des Tisches.
„Die Besitzurkunde von Barchester Hall, verkündete er mit verzweifeltem Eifer. „Es muss nicht innerhalb der Familie vererbt werden und steht inmitten einer wunderschönen Park- und Wiesenlandschaft. Ich setze alles, was ich verloren habe, auf das Haus.
Die versammelte Menge hielt den Atem an.
„Was für ein Mann bringt die Besitzurkunde seines Hauses mit zu einem Kartenspiel?", zischte Carstairs.
„Einer, der töricht genug ist, es zu verlieren", antwortete Ross ruhig. Runcorn war nicht der erste Mann, der das Familienerbe verspielte, und er würde zweifellos auch nicht der letzte sein.
Beklommen warteten die Anwesenden, wie Denham auf die Herausforderung reagieren würde. Sie lebten für diese Art von Spektakeln und konnten es gar nicht abwarten, den Niedergang eines Mannes aus den eigenen Reihen zu erleben.
Denham hatte sich noch nicht wieder hingesetzt, betrachtete Runcorn jedoch mit unverhohlener Neugier. Für Ross war es unverkennbar, dass er sein Glück noch einen Moment auskosten wollte.
Und tatsächlich hielt Denham den Mann noch etwas hin. „Ich bezweifele stark, dass das Grundstück viel mehr als dreitausend wert ist, sagte er abfällig, „aber mit mir lässt sich reden. Unter den Umständen werde ich …
Ross unterbrach ihn, bevor er den Satz beenden konnte. „Ich werde die Wette annehmen, Runcorn. Er legte ein riesiges Bündel Banknoten auf den Tisch. „Fünftausend auf dein Haus.
Angesichts dieser interessanten und vollkommen überraschenden Wende der Ereignisse schnappte die Menge hörbar nach Luft. Es wurde aufgeregt geflüstert, und ein oder zwei Männer empörten sich darüber, dass sich Ross’ Einmischung nicht gehören würde. Dies war Denhams Spiel – er hätte zumindest erst ablehnen sollen. Doch ein derart ordinärer Emporkömmling wie Jameson würde nie verstehen, wie die Dinge in der gehobenen Gesellschaft geregelt wurden. Andere versetzte seine scheinbare Großzügigkeit in Staunen. Fünftausend auf ein altes, heruntergekommenes Haus erschien ihnen zu viel.
Ross ignorierte sie. Stattdessen beobachtete er, wie Runcorn gierig das Geld musterte, und wusste genau, was der verdammte Narr dachte: dass er mit diesem stattlichen Betrag seine Verluste decken und ein paar Schulden begleichen könnte. Spieler wie Runcorn waren von der jämmerlichen Hoffnung getrieben, dass sich ihre Pechsträhne wandeln würde. Weiter konnten sie nicht denken.
„Abgemacht!", rief Runcorn aufgeregt, ohne den Blick ein einziges Mal vom Geld zu nehmen.
Ross sah, wie Denham kurz seine hellen Augen zusammenkniff, bevor er widerwillig zur Seite trat, um Ross seinen Platz zu überlassen. „Was spielen wir?", fragte Ross beiläufig, obwohl er bereits wusste, dass es Pikett sein würde.
Der arme Runcorn hatte nicht die geringste Chance. Für viele war Pikett nicht so risikoreich wie das Würfelspiel Hazard, doch in Wahrheit fiel es leichter zu betrügen, wenn man das beabsichtigte. Bei Hazard war selbst der beste Spieler nicht vor Zufall und Glück gefeit, wohingegen Pikett für jemanden mit Ross’ Verstand vorhersehbar war. Er gab ein Zeichen, damit die Karten ausgeteilt wurden, und trank noch einen Schluck von seinem Getränk, bevor er sein Blatt langsam aufnahm.
Da seine Karten gut waren, legte er sie ab und zog fünf neue. Er wollte sein Gegenüber nicht schon zu Beginn vernichtend schlagen.
Runcorn gewann die erste Runde und atmete erleichtert auf. Der Mann war tatsächlich ein erbärmlicher Spieler; kein Wunder, dass Denham ihm die Taschen geleert hatte. Er trug seine Gefühle offen zur Schau. In der zweiten Runde spielte Ross absichtlich ungeschickt und ließ es so aussehen, als ob sein letzter, siegreicher Trick Zufall gewesen wäre. Das dritte Blatt legte er ohne Umschweife ab und gewann, doch das vierte verlor er – allein um der Unterhaltung willen. Die Menge war bester Stimmung.
Runcorn war viel zu leichtsinnig und sein angespannter Zustand ließ ihn nachlässig werden. Er war so dankbar für jeden Punkt, dass er den Überblick über die abgelegten Karten verlor und offenbar nicht wusste, welche noch im Spiel waren.
Als das vorletzte Blatt ausgeteilt wurde, blieb Ross’ Blick an John hängen. Sein Freund sah bedeutungsvoll auf seine Taschenuhr, um ihn daran zu erinnern, dass sie an einem anderen Ort erwartet wurden. Ross hörte auf, mit seiner Beute zu spielen. Berechnend legte er eine Karte nach der anderen ab und wandte jeden Trick an, den er kannte. Am Ende der Partie bekam Runcorn sichtlich Angst. Schweißtropfen rannen ihm über das Gesicht und fielen auf den hohen Stehkragen seines modischen Hemdes.
Dieses Detail spricht ebenfalls Bände über den Mann, dachte Ross. Es war allgemein bekannt, dass der Earl of Runcorn bei allen angesehenen Geschäftsmännern Londons hohe Schulden hatte – und ebenfalls bei den weitaus weniger angesehenen. Lange Zeit hatte er über seine Verhältnisse gelebt, doch anstatt sich zu mäßigen, hatte der leichtsinnige Runcorn es vorgezogen, die Fassade des Wohlstands aufrechtzuerhalten. Damit konnte er jedoch niemanden hinters Licht führen – am wenigsten Ross, der es sich zur Aufgabe gemacht hatte, Männer wie Runcorn ausfindig zu machen. Aus diesem Grund tat ihm sein Gegenüber auch nicht leid.
Das letzte Blatt wurde in Stille ausgeteilt, während die Zuschauer versuchten, ihre Schadenfreude zu verbergen. Runcorn brauchte mindestens dreißig Punkte, um ihn zu schlagen. Für einen brillanten Spieler, der das Spiel aufmerksam verfolgte, wäre ein derartiger Schachzug möglich gewesen. Leider traf das jedoch nicht auf Runcorn zu. Ihm mangelte es sowohl an Können als auch an Achtsamkeit.
Nachdem Runcorn seine beste Karte zu früh gespielt hatte, Ross jedoch noch zwei Könige und eine Königin auf der Hand hielt, war Runcorns Niederlage unvermeidlich. Sein Gesicht färbte sich weiß und dann zunehmend grünlich, als Ross so viele Punkte erzielte, dass sich Runcorn keine Möglichkeit mehr bot, seine Verluste wettzumachen. Als seine letzte Karte vom Herzkönig übertrumpft wurde, bedeckte Runcorn sein Gesicht mit den Händen. Um sie herum brach Applaus los.
Still nahm Ross seine fünftausend und die gefaltete Urkunde auf, um sie in der Innentasche seiner Jacke zu verstauen. Jetzt wäre auf jeden Fall ein guter Zeitpunkt gewesen, um eilig zu verschwinden.
Leise stellte sich Viscount Denham hinter ihn und flüsterte: „Wie ich sehe, ist das Glück weiterhin auf Ihrer Seite, Jameson."
Ross nickte kurz. Er hatte soeben einen Mann in den Ruin getrieben; damit musste er sich nicht brüsten. Auch wollte er sich nicht eine Sekunde länger als nötig in Denhams Gesellschaft aufhalten. Der Mann verursachte ihm Gänsehaut.
In diesem Moment kam der Earl of Runcorn schwankend auf die Füße, ohne zu bemerken, dass er seinen Stuhl umwarf. „Gut … Gut gespielt, Sir, stammelte er – eher aus anerzogener Höflichkeit als aus Respekt, vermutete Ross. Anschließend drehte er sich zur versammelten Menge um und neigte den Kopf. „Wenn die Gentlemen mich bitte für eine Minute entschuldigen würden.
Ross sah, wie er taumelnd in Richtung Tür ging, und tauschte einen vielsagenden Blick mit seinem Freund aus. John nickte verständnisvoll und heftete sich an Runcorns Fersen. Er würde wissen, was zu tun war.
„Ich frage mich, Jameson, sagte Denham mit schneidender Stimme, „sind Sie von der Aufregung des Spiels angezogen oder bereitet es Ihnen einfach immer wieder aufs Neue Vergnügen, meine Pläne zu durchkreuzen?
Die Antwort blieb aus, als ein vereinzelter Schuss zu hören war.
Schnell stürzten alle Anwesenden zur Tür, die in den Marmorflur des Herrenclubs führte. Noch bevor Ross den Gang erreichte, ahnte er bereits, was geschehen war. Dennoch folgte er den anderen. John war natürlich schon da. Er sah erschüttert aus.
Eine gespenstische Stille breitete sich aus, während sie den schaurigen Anblick auf sich wirken ließen. Die Alabasterwände vom White’s waren übersät mit Runcorns Blut, das von den Wänden lief. Auf dem schwarz-weißen Marmorboden schimmerte rund um den Toten eine immer größer werdende Blutlache, während die Pistole, mit der sich der Earl in den Kopf geschossen hatte, in seiner zuckenden Hand qualmte.
Mit einem heimtückischen Glänzen in den Augen wandte sich Denham an Ross. „Nun ja, jetzt dürften die Zeitungen etwas haben, worüber sie morgen berichten können."
1. KAPITEL
Gut ein Jahr später
Lady Hannah Steers las den Brief noch einmal mit zunehmender Aufregung. Wenn sie Cook Glauben schenken konnte, war das endlich die Gelegenheit, alles in Ordnung zu bringen.
„Was hast du da, Liebes?", fragte ihre Tante Violet, die verwundert darüber war, dass Hannah überhaupt einen Brief erhalten hatte. So etwas kam nur sehr selten vor.
„Es ist ein Brief von Cook mit Nachrichten über Barchester Hall. Dieser Schuft beabsichtigt nun, dort einzuziehen. Könnt ihr das glauben?"
„Ach, meine Liebe, ich wünschte, du würdest versuchen, diesen Ort zu vergessen, sagte Tante Beatrice besorgt. „Es ist an der Zeit, dass du dein Leben weiterlebst.
Ihre beiden in die Jahre gekommenen Tanten setzten mitleidsvolle Mienen auf. Hannah spürte, wie Ärger in ihr aufstieg, da die beiden ihr immer noch kein Verständnis entgegenbrachten.
Wieso erwarteten sie, dass sie ihr Leben weiterlebte, wenn ihr der wichtigste Teil darin gestohlen worden war? Barchester Hall war alles, was ihr blieb.
„Tante Beatrice, sagte sie unter Aufbringung all ihrer Geduld, „ich kann erst weitermachen, wenn ich Ross Jameson am Galgen hängen sehe. In der Zwischenzeit muss irgendwer der Welt zeigen, wie sein wahrer Charakter aussieht.
„Unsinn!, meinte ihre Tante. „Er wird seine wohlverdiente Strafe noch bekommen, aber es liegt nicht an dir, dafür zu sorgen. Du hast fünftausend Pfund von deinem Vater auf der Bank und du bist immer noch jung genug, um einen Mann zu finden.
Ha! Als ob das nun jemals geschehen würde. Nach dem Skandal würde kein Mann, der etwas auf sich gab, sie anrühren – unabhängig davon, mit wie viel Zuversicht ihre Tanten auch auf sie einredeten. Außerdem wollte sie nie wieder einem Mann ihr Vertrauen schenken. In den vergangenen Jahren hatte sie gelernt, dass sie auch hervorragend allein zurechtkam.
„Du solltest jetzt dein Leben genießen. Dieser ganze Groll gegen Mr. Jameson ist nicht gesund. Tatsächlich wissen wir fast nichts über ihn. Bist du dir überhaupt sicher, dass er so schuldig ist, wie du glaubst? Schließlich kam es nie zu einer Anklage."
Hannah spürte, wie ihr Blut bei dieser Andeutung in Wallung geriet. „Verteidige diesen verachtenswerten Gauner nicht auch noch. Ich kann dir versichern, dass er es nicht wert ist, mit Freundlichkeit behandelt zu werden. Alle meine Nachforschungen und alle Beweise, die ich zusammengetragen habe, lassen nur eine Schlussfolgerung zu. Er ist ein Verbrecher und ein Betrüger – darüber sollten wir uns im Klaren sein. Allerdings hat er seine Spuren gut verwischt. Ein jeder, der sich von einem derart niedrigen Stand einen Weg in die Gesellschaft bahnen kann, verfügt über ein besonderes Talent im Betrügen. Natürlich ist er charmant. Sein Vermögen hat ihm die Türen von einigen gehobenen Häusern in London geöffnet, doch im ton gibt es immer noch viele, die ihm den Rücken kehren. Sie wissen, was er in Wahrheit ist. Die Klatschseiten sind voll von seinen Eroberungen."
„Muss ich dich daran erinnern, dass die Eskapaden deines Bruders ebenfalls regelmäßig in den Skandalblättern standen?, entgegnete ihre Tante Violet. „Wir wissen alle, dass George kein Heiliger war. Auch von dir würden sich die meisten in der Gesellschaft immer noch abwenden, was du natürlich nicht verdient hast. Deshalb würde ich über diesen speziellen Punkt hinwegsehen.
Ihre beiden Tanten tauschten einen bedeutungsvollen Blick aus, und Hannah seufzte verdrossen. Für kurze Zeit war tatsächlich auf den Skandalseiten über sie berichtet worden – sogar auf sehr spektakuläre Art und Weise. Zwar war nichts davon wahr gewesen, doch davon würde sie sich jetzt nicht ablenken lassen. Obwohl die Geschichten erlogen waren, entbehrten sie nicht jeglicher Grundlage. Schließlich waren alle – ihr eigener Verlobter eingeschlossen – von ihrer Schuld überzeugt gewesen, bevor die grausamen Worte überhaupt in den Zeitungen erschienen waren. Man hatte lediglich die Nachrichten gedruckt.
„Ich weiß, dass ihr meinen Wunsch, ihn vor Gericht zu bringen, nicht teilt, aber ich kann nicht tatenlos mitansehen, wie er Barchester Hall ruiniert. Es ist mein Zuhause, und ich liebe es. Ich muss zumindest versuchen, es zurückzubekommen. Auch wenn ich im Grunde ebenfalls glaube, dass der Gesellschaft nicht zu trauen ist, wurde zu viel über ihn geschrieben, als dass es alles falsch sein könnte. Es gibt mindestens eine Geschichte pro Woche, die entweder von einer Frau oder seinen zweifelhaften Geschäftsmethoden handelt. Er streitet nie etwas ab. Warum sollte er zulassen, dass solche Dinge gedruckt werden, wenn sie nicht der Wahrheit entsprechen? Er könnte Anklage wegen Verleumdung erheben. Wusstet ihr, dass in einer Zeitung sogar behauptet wurde, er habe seinen Vater umgebracht?"
„Das kann nicht sein!" Tante Violet legte sich die Hand über den offenen Mund.
Angesichts der Bestürzung in den Gesichtern ihrer Tanten erläuterte Hannah ihnen, was sie gelesen hatte. „Na ja, vielleicht nicht direkt. Er lieferte ihn wegen der Belohnung an die Behörden aus und sagte gegen ihn aus, sodass er in die Kolonien geschickt wurde. Auf der Überfahrt starb er dann."
„Das macht aus ihm keinen Mörder, Hannah", sagte Beatrice erleichtert.
„Aber es gibt Einblick in seinen Charakter, Tante. Er hat seine eigene Familie verraten und es nicht geleugnet. Welcher Mensch tut so etwas? Da keine ihrer Tanten etwas erwiderte, stimmten sie offenbar mit ihr überein. „Vielleicht ist Barchester Hall nicht verloren, wenn ich beweisen kann, dass er es sich auf unehrenhafte Art und Weise zu eigen gemacht hat. Vielleicht würde es wieder in unseren Familienbesitz übergehen. Falls nicht, wird die Krone das Grundstück zum Verkauf freigeben, wenn Jameson hinter Gittern sitzt. Dann könnte ich es mit meinen fünftausend Pfund kaufen.
Sie würde tun, was nötig war, um nach Hause zurückzukehren. Hier hatte sie das Gefühl, langsam zu sterben. Tage, Wochen, Monate, Jahre … Alles floss in einem unaufhörlichen Strom der Eintönigkeit zusammen. Manchmal fühlte sich Hannah so niedergeschlagen, dass sie Schwierigkeiten hatte, aus dem Bett zu steigen.
Vor Jahren war sie anders gewesen – voller Lebensfreude, Hoffnung und frohen Mutes. Wohin war dieses muntere Mädchen verschwunden? Die lange Zeit in der Verbannung hatte alle Freude aus ihrem Herzen vertrieben, und sie war es leid, sich wie eine Gefangene zu fühlen. Wenn sie nur nach Hause nach Barchester Hall gehen könnte … Vielleicht würde sie dann aufblühen, wieder zu der Frau werden, die sie einst gewesen war, und das Leben führen, das ihr gebührte.
Tante Violet schüttelte langsam den Kopf. „Aber Liebes, wir sind im abgelegenen Yorkshire, und Barchester Hall ist sehr weit weg. Wie willst du das aus dieser Entfernung bewerkstelligen?"
Ihre beiden Tanten hielten sie immer noch für ein Kind. Hannah unterdrückte ein leichtes Grinsen. Sie war nicht länger das unbescholtene Mädchen von einst. Der gesellschaftliche Ruin hatte sie robuster werden lassen, und sie würde jede auch noch so kleine Möglichkeit nutzen, um ihren Plan zu verwirklichen. Wenn ihre Tanten jedoch ahnten, was sie im Sinn hatte, würden sie Hannah nicht unterstützen. Mit dem Brief hatte Cook ihr einen Rettungsanker zugeworfen, den sie mit beiden Händen fest umklammern würde. Dies war ihre Chance auf eine neue Zukunft.
„Ich wollte noch über etwas anderes mit euch sprechen, sagte sie nach mehreren Minuten des Schweigens. „Cook sagte, dass Jane Barton mich eingeladen hat, sie diesen Sommer zu besuchen.
Mit der jungen Frau hatte Hannah nicht mehr gesprochen, seit sie auf ihrem letzten Ball gewesen war – kurz bevor sie auf so aufsehenerregende Art und Weise nach Yorkshire verbannt worden war. Davon wussten ihre Tanten jedoch nichts. Seit jenem entsetzlichen Ereignis hatte keine ihrer ehemaligen Freundinnen aus London mehr mit ihr gesprochen. Alle waren sofort davon ausgegangen, dass sie schuldig sei. Dabei hatte sie nie mit ihnen über jene schrecklichen Vorkommnisse geredet … Ihre jetzige Lüge war ein guter Vorwand, um dem Leben hier zumindest für ein oder zwei Monate zu entfliehen.
„Das ist schön, Liebes, sagte Violet beschwingt, während sie ihre Stickerei aufnahm. „Du solltest sie besuchen gehen. Es wird dir guttun, zur Abwechslung etwas Zeit mit Gleichaltrigen zu verbringen.
Beherzt pflichtete Tante Beatrice ihr bei: „Ein Urlaub wird dich auf andere Gedanken bringen und dich von diesen leidigen Racheplänen abhalten. Vielleicht lernst du sogar einen netten Herrn kennen,