Kleines Herz in großer Not: Sophienlust 442 – Familienroman
Von Anne Alexander
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Über dieses E-Book
Diese beliebte Romanserie der großartigen Schriftstellerin Patricia Vandenberg überzeugt durch ihr klares Konzept und seine beiden Identifikationsfiguren.
»Sieh an!« Else Rennert drehte eine bunte Postkarte in ihren Händen. »Aliza hat uns aus Büsum geschrieben.« Die Leiterin des Kinderheims Sophienlust reichte Denise von Schoenecker die Karte über den Tisch. »Es freut einen immer, wenn man von früheren Zöglingen hört«, meinte sie. »Ich bin froh, dass es Aliza so gut getroffen hat. Sie scheint ihre Adoptiveltern abgöttisch zu lieben.« Denise von Schoenecker betrachtete die Vorderseite der Karte, die grüne Dünen, Meer und Schafe zeigte, dann drehte sie sie um. In Alizas steiler Schrift standen mehr als nur Urlaubsgrüße darauf. Unten am Rand hatte sie noch geschrieben: Jetzt heiße ich Winter, wie Mama und Papa. Sie sind schrecklich lieb zu mir. »Dieses Jahr, das die Winters auf die Adoption warten mussten, war eine harte Prüfung für sie«, sagte Denise nachdenklich. »Ich habe nie so ungeduldige Adoptiveltern erlebt. Am liebsten hätten sie damals Aliza sofort ihren Namen gegeben. Und Aliza wollte ja auch von Anfang an eine Winter sein.« Ein Lächeln huschte über ihr apartes Gesicht. »Ich denke noch daran, wie Aliza bei ihrer Einschulung der Lehrerin eklärte, sie würde auch bald Winter heißen, man solle sich nur noch etwas gedulden.« Frau Rennert, die dabei gewesen war, lachte leise vor sich hin.
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Buchvorschau
Kleines Herz in großer Not - Anne Alexander
Sophienlust
– 442 –
Kleines Herz in großer Not
Anne Alexander
»Sieh an!« Else Rennert drehte eine bunte Postkarte in ihren Händen. »Aliza hat uns aus Büsum geschrieben.« Die Leiterin des Kinderheims Sophienlust reichte Denise von Schoenecker die Karte über den Tisch. »Es freut einen immer, wenn man von früheren Zöglingen hört«, meinte sie. »Ich bin froh, dass es Aliza so gut getroffen hat. Sie scheint ihre Adoptiveltern abgöttisch zu lieben.«
Denise von Schoenecker betrachtete die Vorderseite der Karte, die grüne Dünen, Meer und Schafe zeigte, dann drehte sie sie um. In Alizas steiler Schrift standen mehr als nur Urlaubsgrüße darauf. Unten am Rand hatte sie noch geschrieben: Jetzt heiße ich Winter, wie Mama und Papa. Sie sind schrecklich lieb zu mir.
»Dieses Jahr, das die Winters auf die Adoption warten mussten, war eine harte Prüfung für sie«, sagte Denise nachdenklich. »Ich habe nie so ungeduldige Adoptiveltern erlebt. Am liebsten hätten sie damals Aliza sofort ihren Namen gegeben. Und Aliza wollte ja auch von Anfang an eine Winter sein.« Ein Lächeln huschte über ihr apartes Gesicht.
»Ich denke noch daran, wie Aliza bei ihrer Einschulung der Lehrerin eklärte, sie würde auch bald Winter heißen, man solle sich nur noch etwas gedulden.« Frau Rennert, die dabei gewesen war, lachte leise vor sich hin. »Sie ist schon ein kleiner Sonnenschein und gehört zu den Kindern, die man nicht so schnell vergisst.«
»Wer ist ein Sonnenschein?« Heidi Holstein, das jüngste der Dauerkinder Sophienlusts, trat ins Zimmer. Mit zur Seite geneigtem Köpfchen baute sie sich vor Denise auf.
»Wir sprechen von Aliza«, sagte Denise. »Kannst du dich noch an sie erinnern?« Sie breitete ihre Arme aus. Heidi kletterte auf ihren Schoß und kuschelte sich an sie. Zärtlich strich sie der Fünfjährigen eine blonde Strähne aus der Stirn.
»Kommt uns Aliza besuchen?«, fragte Heidi begeistert. »Bringt sie Lorenzo mit?«
»Nein, vorläufig nicht. Zur Zeit ist sie mit ihren Eltern in Büsum, das liegt an der Nordsee. Sie hat uns eine Karte geschickt.« Denise gab Heidi die Karte und las ihr vor, was Aliza geschrieben hatte.
»Bin ich auch ein Sonnenschein?«, wollte Heidi wissen, während sie das bunte Bild betrachtete.
»Ein ganz großer«, bestätigte Denise. Sie drückte Heidi fest an sich. Sie kannte die Eifersucht der Kleinen nur zu gut. Heidi war ein gutmütiges Persönchen, doch von Zeit zu Zeit stach sie der Hafer.
»Größer als Aliza?«, kam es prompt. Heidi legte die Karte auf den Schreibtisch und blickte zu Denise auf. Ihre blauen Augen leuchteten.
»Sagen wir genauso groß«, schlug Denise amüsiert vor.
»Och!«, machte Heidi und zog eine Schnute.
»Aber dafür bist du hier bei uns«, meinte Frau Rennert. Sie zwinkerte Denise zu.
Heidi strahlte. »Stimmt!«, erklärte sie und rutschte von Denises Schoß. »Ich geh jetzt zu Schneeweißchen und Rosenrot und sage ihnen, dass Aliza geschrieben hat. Sie haben Aliza sehr, sehr gern gehabt.« Übermütig fasste sie ihr blaues Röckchen am Saum, drehte sich im Kreis herum und hüpfte dann aus der offenen Tür in die Halle hinaus.
»Unser Wirbelwind«, sagte Frau Rennert lachend. Sie atmete tief ein. »Schön, dass zur Zeit alles wie am Schnürchen läuft und wir kein Kind hier haben, das sich mit großen Problemen herumschlagen muss. Ein bisschen Ruhe haben wir uns alle redlich verdient.« Denise nickte. In den letzten Wochen war es ziemlich hektisch zugegangen, aber im Moment sah es tatsächlich so aus, als würde ihnen eine Verschnaufpause gegönnt. »Ruhe vor dem Sturm«, meinte sie ahnungsvoll. »Mein Mann und ich wollen über das Wochenende zu Freunden in die Schweiz fahren. Wir haben sie schon ewig nicht mehr gesehen. Hoffentlich kommt nicht wieder etwas dazwischen, wie das letzte Mal. Als wir sie vor drei Monaten besuchen wollten, machte uns ja Henrik mit seiner Angina einen Strich durch die Rechnung.«
»In so einem Fall sind immer noch wir da«, meinte Frau Rennert. »Davon abgesehen wird sich Henrik diesmal hoffentlich nichts einfallen lassen.« Schmunzelnd fügte sie hinzu: »Sonst streikt eines Tages Ihr Gatte und lässt Sie nicht mehr nach Sophienlust.«
Denise stimmte in das Lachen der Heimleiterin ein. Alexander war zwar oft der Meinung, dass sie sich sehr verausgabte, doch er wusste, wie sehr ihr Herz daran hing. Er würde sie nie hindern, andern zu helfen. Zudem war er genauso kinderlieb und konnte es nicht ertragen, Kinder leiden zu sehen. Deshalb unterstützte er ihre Arbeit sogar noch.
»Da habe ich keine Bange«, erklärte sie und stand auf. »Ich werde jetzt noch nach Pünktchen sehen. Es ist hart, bei so schönem Wetter krank im Bett liegen zu müssen.«
»Frau Doktor Frey meint, dass sie in einigen Tagen wieder aufstehen kann«, sagte Frau Rennert. »Sie hat also noch Glück gehabt. So eine Sommergrippe kann sehr hartnäckig sein.«
Als Denise die geräumige Halle des ehemaligen Herrenhauses durchquerte, kam ihr sechzehnjähriger Sohn Dominik gerade die Treppe hinunter. »Hallo, Mutti«, grüßte er.
»Warst du bei Pünktchen?«, fragte Denise.
»Ja«, antwortete Nick. »Aber keine Angst, Mutti, ich habe mich sicher nicht angesteckt. Pünktchen und ich waren mindestens einen Meter voneinander getrennt. Wir haben uns nicht mal die Hand gegeben.«
»Dann ist es gut!« Denise lächelte ihrem Sohn zu. »Ich fahre in einer Viertelstunde nach Hause. Kommst du mit oder bleibst du in Sophienlust?«
»Ich bleibe hier«, entschied Nick spontan, »heute Nachmittag will ich noch einmal nach ihr sehen. Außerdem wollen Fabian und die größeren Jungen Justus in der Baumschule helfen, da bin ich natürlich dabei. Ist doch Ehrensache!«
»Und ob«, meinte seine Mutter. »Dann bis heute Abend!« Sie legte ihre Hand auf Nicks Schulter. »Wenn Henrik hört, dass du Justus hilfst, wird er es auch wollen. Pass auf, dass er nicht wieder den großen Mann markiert und sich übernimmt.«
»Du hast wohl Angst, bis zum Wochenende könnte noch was passieren?«, scherzte Nick. Er wusste, wie sich seine Eltern auf die Schweiz freuten.
»Genau das ist es!«, gab Denise zu. »Tschüs!« Sie nahm die Hand von der Schulter ihres Sohnes und stieg die Treppe hinauf.
Nick sah ihr nach. Er überlegte wieder einmal, wie viel Glück er mit seinen Eltern gehabt hatte. Anderen Jugendlichen ging es nicht so gut wie ihm. Zufrieden vor sich hin pfeifend verließ er das Haus.
*
»Pass auf, Lorenzo!« Aliza Winter, ein lebhaftes Mädchen von sieben Jahren, bückte sich nach einem Stock und warf ihn weit von sich. Wie ein Pfeil schoss ein großer brauner Wolfshund an ihr vorbei und jagte dem Stock nach. Aufgeregt bellte er, als er ihn erreicht hatte, nahm ihn mit seinen Zähnen auf und brachte ihn zurück. »Brav, Lorenzo, ganz braver Hund!« Aliza tätschelte zärtlich seinen wolligen Rücken.
Erika Winter trat aus der Tür des Ferienhäuschens, das sie während des Urlaubs gemietet hatten, und schaute lächelnd dem Spiel der beiden zu. Unbemerkt griff sie zum Fotoapparat und knipste.
»In den letzten Tagen hast du mindestens fünfzig Bilder geschossen«, rief Dieter Winter hinter ihr. Er atmete tief und lehnte sich gegen den Türrahmen. »Ich kann es immer noch nicht ganz glauben, dass Aliza nun völlig zu uns gehört.«
Erika drehte sich zu ihm um. »Mir geht es genauso. Oft ertappe ich mich dabei, dass ich spät abends an ihrem Bett stehe und auf sie hinuntersehe. Wie lange haben wir uns ein Kind gewünscht. Und nun haben wir endlich eine Tochter.«
»Ich wüsste nicht, was wir uns jetzt noch wünschen sollten«, meinte Dieter Winter und nahm Erika in die Arme. »Unser Glück ist endlich vollkommen.« Liebevoll küsste er sie auf die Stirn.
Aliza drehte sich zu ihren Eltern um. »Schau, Lorenzo, sie haben sich lieb«, sagte sie zufrieden. Der Wolfshund schmiegte sich an sie. »Ich bin froh, dass ich wieder eine Mama und einen Papa habe«, sprach sie weiter. »In Sophienlust war es zwar auch schön, aber jetzt ist es noch viel, viel schöner.«
»Wuw«, machte Lorenzo. Sein buschiger Schweif bewegte sich lebhaft auf und ab.
Aliza nickte fröhlich. »Du findest es jetzt auch schön«, meinte sie. »Du bist ein kluger Hund.« Sie lehnte ihre Wange an seinen Kopf.
»Wuw!« Lorenzo versuchte den Stock zu schnappen, den die Kleine in der rechten Hand hielt. Spielerisch tänzelte er hin und her.
»Schluss, Lorenzo!« Aliza ließ den Stock fallen und rannte zu ihren Eltern. Erika Werner breitete die Arme aus. Das kleine Mädchen fiel jubelnd hinein.
»Und wo bleibe ich?«, fragte Dieter, als Aliza das Gesicht seiner Frau mit feuchten Küsschen bedeckte.
»Du kriegst auch einen Kuss!« Aliza befreite sich aus Erikas Armen und hängte sich an Dieter. »Einen ganz dicken«, versprach sie. Zärtlich schlang sie die Arme um seinen Hals.
»Wir trinken gleich Kaffee«, sagte Erika. »Dein Kakao ist schon fertig, Liebes. Hilfst du mir beim Tischdecken?«
»Mach ich!« Aliza rannte ins Haus.
Wenig später saßen die drei Winters auf der Terrasse des Bungalows beim Kaffee. Auch Lorenzo war beschäftigt. Dieter hatte ihm am Morgen im Supermarkt einen Büffelhautknochen gekauft. Sorgfältig benagte er ihn jetzt von allen Seiten.
»Möchtest du wirklich nicht zum Segeln mitgehen, Aliza-Kind?«, erkundigte sich Dieter, als er bei der zweiten Tasse Kaffee angelangt war. Er verstand nicht, dass seine Tochter Angst vor Booten hatte. Von Anfang an hatte sie sich beharrlich geweigert, ein Boot auch nur zu betreten. Er glaubte nicht, dass es mit dem Tod ihrer leiblichen Eltern zusammenhing. Als sie bei einer Mittelmeerkreuzfahrt tödlich verunglückten, war Aliza noch keine zwei gewesen. »Du wirst sehen, wenn du dich erst einmal daran gewöhnt hast,