Der Schattenreiter
Von Logan Kenison
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Über dieses E-Book
Ich tat es. Den ganzen Nachmittag lang schoss ich auf Äste, Zweige, Blüten, Steine. Bis mir die Ohren von den Detonationen schmerzten. Bis mir das Handgelenk wehtat. Bis es Abend wurde und Ma neben mich trat.
"Du bist gut, Grant. Gut genug für diese Verbrecher."
"Was willst du damit sagen, Ma?"
"Du wirst jetzt zu Irving Burdette hinüberreiten und ihn erschießen."
"Aber … wieso, Ma?"
"Er hat die Morde an deinem Vater und deinem Bruder in Auftrag gegeben. Burdette hat sieben Revolvermänner ausgesandt, um sie zu töten. Jetzt sende ich dich aus, um ihn zu töten."
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Buchvorschau
Der Schattenreiter - Logan Kenison
Impressum
09/2018
Copyright dieser Ausgabe: 2020 by Logan Kenison
Lektorat: Carola Lee-Altrichter
Abdruck auch auszugsweise nur mit Genehmigung des Autors.
Das Cover wurde gestaltet nach Motiven der Episode Ein Taschenmesser für Jodi
(Orig.: The Jackknife
, USA, 1962) der Bonanza-Komplettbox. Im Handel auf DVD erhältlich. Mit freundlicher Genehmigung von www.fernsehjuwelen.de
Kontakt: logan.kenison@gmx.de
Der Schattenreiter
Westernroman
von Logan Kenison
Als ich an jenem Tag gegen elf Uhr aufs Feld hinauskam, um frisches Wasser und das Mittagessen zu bringen, fand ich meinen Pa und meinen Bruder Cole tot vor – ermordet.
Sie waren blutüberströmt, von zahllosen Kugeln durchsiebt, und auch die zwei Pferde, die den Pflug gezogen hatten, waren tot.
Der Himmel an jenem Tag war blau und wolkenlos, in den hohen Gräsern zirpten die Grillen und irgendwo in der Ferne schrie eine Krähe.
Ich musste nicht weinen. Nicht in diesen Moment. Eine eisige Kälte gefror mein Herz zu Stein. Die Kälte breitete sich in alle Organe aus, bis in die Haarspitzen, die Finger, die Zehennägel.
Ich stand nur da und blickte auf die zwei toten Menschen und die zwei toten Tiere.
Und vor mir öffnete sich der Boden, und für einen Moment sah ich in die Hölle hinab.
*
Meine Ma und ich schaufelten Gräber in der Nähe des Hauses, bei der Sykomore, die vor ein paar Jahren von einem Blitz gespalten worden war. Wir begruben Pa und Cole. Wir sprachen ein Gebet, dann gingen wir zum Haus. Auf der Schwelle blieben wir noch einmal stehen und sahen zurück. Ma sagte, es sei gut so, denn so könne sie immer zu ihren Lieben hinübersehen, bis in alle Ewigkeit, denn sie würde die Farm niemals verlassen.
Dann gingen wir ins Haus. Ma setzte für sich Kaffee auf, und zu mir sagte sie:
»Geh, hol den alten Remington deines Vaters aus dem Schlafzimmer.«
Ich tat es.
»Hol Munition und den Waffengurt deines Vaters, Grant.«
Ich tat auch dies.
»Schnall ihn dir um.«
Der Gurt und die Waffe waren Vaters Heiligtum gewesen. Niemals hatten Cole oder ich diese Dinge berühren dürfen. Mein Pa lehrte mich, wie man mit der Henry Rifle einen Bock schoss, aber den Colt hatte er mich nie anfassen lassen. So fühlte es sich befremdend an, den Gurt umzuschnallen und den Revolver hineinzustecken. Er war schwer, und doch fühlte ich mich nun wie ein Mann. Der Gurt war mir beinahe zu groß, ich musste ihn bis zum letzten Loch zuziehen.
»Geh hinters Haus und übe, Grant. Schieß so lange auf etwas, bis du es triffst. Übe!«
Ich tat es. Den ganzen Nachmittag lang schoss ich auf Äste, Zweige, Blüten, Steine. Bis mir die Ohren von den Detonationen schmerzten. Bis mir das Handgelenk wehtat. Bis es Abend wurde und Ma neben mich trat.
»Du bist gut, Grant. Gut genug für diese Verbrecher.«
»Was willst du damit sagen, Ma?«
»Du wirst jetzt zu Irving Burdette hinüberreiten und ihn erschießen.«
»Aber … wieso, Ma?«
»Er hat die Morde an deinem Vater und deinem Bruder in Auftrag gegeben. Burdette hat sieben Revolvermänner ausgesandt, um sie zu töten. Jetzt sende ich dich aus, um ihn zu töten.«
»B-bist du … sicher, Ma?«
»Ja. Er hat angekündigt, uns von hier zu vertreiben, weil dein Vater sein Angebot abgelehnt hatte. Burdette will das ganze Land für sich allein haben. Für sich und seine verdammten Rinder. Er hasst uns Farmer. Deswegen hat er deinen Pa und Cole ermorden lassen. Geh, Grant. Reite! Reite zu ihm hinüber und erledige ihn.«
»Ja, Ma.«
Ich ging in den Stall und sattelte das letzte uns verbliebene Pferd.
Meine Ma hatte mir etwas Essen zusammengepackt und steckte es in die linke Satteltasche. In die rechte tat sie Unterwäsche und ein Hemd.
»Du brauchst danach nicht wieder zurückzukommen, Grant. Reite fort. Lass dich nicht erwischen. Von niemandem! Wenn sie dich jagen, verlasse Arkansas. Komm nie wieder zurück. Ich – ich werde auf der Farm bleiben – für immer. Mich bringt hier niemand weg. Es ist meine Rache an Burdette, dass ich für immer hierbleibe. Und deine Rache ist es, dass du ihn erschießt.«
»Verstehe, Ma.«
»Und nun los, Junge. In den Sattel mit dir! Reite hinüber und gib’s dem verdammen Schwein.«
Ich stieg auf und gab der alten Betsy einen Schenkeldruck. Sie lief an, und ich verließ die Farm. Als ich ein Stückweit geritten war, hielt ich an und blickte noch einmal zurück. Die Heimstatt lag verlassen in der Talsenke. Nun kam die Nacht, und Ma würde allein sein. Würde ich sie je wiedersehen?
Dann wandte ich mich um und ritt weiter.
Ich war fünfzehn Jahre alt.
*
Ich erreichte Burdettes Ranch lange nach Einbruch der Nacht. Um ehrlich zu sein, ich hatte mich verirrt und musste nach dem Weg suchen. Denn ich war zuvor nicht sehr viele Male zu ihm hinübergeritten. Nur ein oder zwei Mal, als wir Gemüse hinüberbrachten, das er gnädiger Weise bei meinem Pa gekauft hatte.
Schließlich tauchte der große Bau vor mir auf.
Aus einigen Fenstern fiel Lichtschein. Viele andere jedoch lagen im Dunkeln. Es war ein gewaltiges, weiß angestrichenes Haus, beinahe ein Palast.
Ich stieg vom Pferd und sah in den Ranchhof hinab, achtete auf all die Kleinigkeiten, Geräusche und Bewegungen, die mir sagten, wo die Menschen dort unten sich befanden und was sie taten.
Die Lichter im Bunkhouse waren gelöscht. Sicher schliefen all die Cowboys und Rancharbeiter, die dort unten lebten. Und auch die Dienstboten, die im Haus Tätigkeiten zu verrichten hatten, schliefen, denn in dem Anbau war es ebenfalls dunkel.
In einem zwischen Bunkhouse und Dienstbotenflügel stehenden Haus brannte noch Licht. Ich vermutete, dass dort die Revolvermänner einquartiert waren. Jene Männer, die Irving Burdette ausgesandt hatte, um meinen Pa und Cole zu töten.
Ab liebsten würde ich sie alle erledigen, denn in mir toste die Hölle. Doch das war unmöglich. Ich war ein Junge, und gegen sieben professionelle Revolverschwinger konnte ich nicht bestehen.
Ich konzentrierte mich also auf den Auftrag, den Ma mir gegeben hatte. Irving Burdette. Doch wie sollte ich an ihn rankommen?
Ich nahm die Henry Rifle aus dem Scabbard und schlich vorsichtig die steile Anhöhe hinab. In der Dunkelheit war dies nicht ganz einfach.
Als ich ungefähr auf halber Höhe war, hatte ich eine Idee.
Ich legte die Rifle an, zielte kurz und schoss.
Das Projektil durchschlug die prächtige weiße Tür des palastartigen Ranchgebäudes. Von meinem Versteck aus und auf die Entfernung konnte ich sogar bei diesem schlechten Licht das Loch sehen, das die Kugel geschlagen hatte.
Ich lachte grimmig in mich hinein.
Dafür hätte ich nicht den ganzen Nachmittag üben müssen, bis ich halbtaub wurde und mir der Arm wehtat. Nein, mit dem Gewehr umzugehen verstand ich, denn Pa hatte mich darin schon frühzeitig unterwiesen.
Ich brauchte nur noch zu warten.
Denn unten brandete Geschrei auf. Lichter wurden angezündet, und Männer in Unterwäsche mit Petroleumlampen stürmten aus dem Bunkhouse. Auch die Revolvermänner traten vor die Tür und schauten, was los war.
Im Haupthaus wurde es ebenfalls lebendig. Menschen versammelten sich vor der Tür und bestaunten oder beschimpften das Loch, das ich in sie hineingeschossen hatte.
Der Rest war sehr einfach. Sobald ich Irving Burdette ausmachte, den ich an seiner Kleidung und der Statur erkannte und auch daran, dass er lautstark die Befehle erteilte, begann ich zu zielen. Es war eine gute Entfernung für einen Schuss mit der Henry Rifle. Und noch während sie berieten, wer dieses Loch geschossen haben konnte, und von woher, zog ich den Abzug durch.
Irving Burdette brach an Ort und Stelle zusammen.
*
Die Revolvermänner schwärmten aus. Plötzlich hielten sie alle ihre Colts in den Händen, und ich sah, wie sie in der Dunkelheit verschwanden.
Nun machten sie Jagd auf mich.
Währenddessen entstand am Haustor Geschrei. Eine Frau kreischte haltlos, und Männer brüllten. Alle, die keine Waffen in Händen hielten, liefen dort zusammen.
Ich kraxelte im Schutz der Dunkelheit den Hang hinauf.
Ich hatte aus der Dunkelheit geschossen, niemand hatte das Mündungsfeuer gesehen. Sie hatten also keine Ahnung, wo sie mich suchen sollten.
Und so schaffte ich es ungesehen zu meinem Pferd.
Ich nahm es am Zügel und führte es langsam und zu Fuß weit in die Wildnis hinein. Wir machten kaum Geräusche, Betsy und ich. Dann stieg ich auf und ritt davon. Es war eine mondbeschienene Nacht, und der nachtblaue Himmel über mir leuchtete, und die Sterne glitzerten.
Es wäre eine schöne Arkansas-Nacht gewesen, wenn nicht der Tod seine Ernte gehalten hätte.
Ich versuchte, in ein Waldstück zu gelangen und hoffte, dass dort meine Spuren nicht zu finden wären.
Als der Morgen graute, erreichte ich einen gewaltigen Felsbrocken, aus dessen Seiten Geröll brach, und der mit schwarzen Kiefern bewachsen war. Das Land hier war feucht, und überall wuchsen Gräser, Büsche und Bäume.
Im Schutz dieses Felsens stieg ich vom Pferd und richtete mir ein Lager ein. Ich aß von den Lebensmitteln, die Ma mir mitgegeben hatte, und trank eiskaltes Wasser aus einer nahen Quelle.
Ich kannte meinen Auftrag, und wie es aussah, hatte ich ihn erledigt.
Nun galt es, dem Aufgebot zu entkommen, das mich ganz bestimmt jagen würde.
Ich überlegte, wohin ich reiten sollte.
In der Wildnis würde ich es bestimmt noch eine Weile aushalten, wenn es draufankäme. Ich könnte Wild schießen und über einem Feuer braten. Wasser fand ich hier überall, es gab zahlreiche Creeks und Quellen, und auch Gras für das Pferd war im Überfluss vorhanden. Nein, ich musste nicht in eine Stadt oder eine Ansiedlung reiten.
Von der ganzen Sache war ich