Entdecken Sie Millionen von E-Books, Hörbüchern und vieles mehr mit einer kostenlosen Testversion

Nur $11.99/Monat nach der Testphase. Jederzeit kündbar.

Der blaue Falter
Der blaue Falter
Der blaue Falter
eBook239 Seiten3 Stunden

Der blaue Falter

Bewertung: 0 von 5 Sternen

()

Vorschau lesen

Über dieses E-Book

Ein Wirbelwind ausgewöhnlicher Geschehnisse braust innerhalb von drei Tagen über Rio de Janeiro hinweg. Erst wird eine Bank überfallen, dann wir das Spielkasino an der Copacabana geplündert und schließlich wird auch noch eine Millionenerbin entführt. Als Urheber all dieser Taten wird Borboleta – der blaue Falter – vermutet, ein geheimnisvoller Mann mit hundert Gesichtern. Überall ist er Stadtgespräch, in jedem Lokal, jedem Club, auf jeder Gasse wird nach ihm gesucht. Doch der phantomhafte Verbrecher weiß sich immer wieder aufs Neue allen Nachforschungen zu entziehen; stets findet er in letzter Sekunde doch wieder einen Ausweg. "Onkel Joaquim", der kleine Mann mit dem Seehundsgesicht und Bruder von Dona Mariana, der Gattin des Bankiers Affonso de Mello, will sich das nun endgültig nicht mehr bieten lassen, und beschließt, dem scheinbar Unbezwingbaren endlich das Handwerk zu legen ... Ein raffinierter exotischer Krimi, den man, einmal angefangen, nicht mehr aus der Hand legen will.-
SpracheDeutsch
HerausgeberSAGA Egmont
Erscheinungsdatum7. Apr. 2016
ISBN9788711508572
Der blaue Falter

Mehr von Hans Heidsieck lesen

Ähnlich wie Der blaue Falter

Ähnliche E-Books

Fiktion für Sie

Mehr anzeigen

Ähnliche Artikel

Rezensionen für Der blaue Falter

Bewertung: 0 von 5 Sternen
0 Bewertungen

0 Bewertungen0 Rezensionen

Wie hat es Ihnen gefallen?

Zum Bewerten, tippen

Die Rezension muss mindestens 10 Wörter umfassen

    Buchvorschau

    Der blaue Falter - Hans Heidsieck

    Gegenwart.

    Es war eine Sinfonie des Lichts. Perlenschnüre glitzernder Bogenlampen, ein leuchtendes Festgeschmeide, zogen sich an den Kais und die prächtigen Avenidas von Rio de Janeiro entlang.

    Funkelnde Lichtketten rankten sich an den Hängen und Bergen hinauf.

    Illuminierte Schiffe hoben sich von der phosphoreszierenden Wasserfläche des riesigen Hafens ab.

    Nur ein Haus lag im Dunkel. Es hatte an diesem Freudentaumel des Lichts keinen Anteil mehr. Hier hatten Mächte der Finsternis einen grausigen Sieg davongetragen.

    Alarmsignale!

    Ein Polizeiwagen bricht sich Bahn.

    Autos und Elektrische stoppen. Die Menge spritzt auseinander. An den Tischen, vor den Kaffees auf den Bürgersteigen, reckt man die Hälse hoch: Was ist los?

    Das Licht flutet, der Wagen rast weiter.

    Ein Feuerrad dreht sich vor einem Vergnügungspalast. Menschen drängen sich an die Kassen. „Zwei Parkettsessel, bitte! — „Hallo, Bonifacio — du auch hier?

    Ein grelles Plakat schreit den Leuten entgegen: ‚Mimosa tanzt!‘.

    Um das eine Haus kroch die Finsternis, — schlich der Tod ...

    Der Polizeiwagen näherte sich, knirschend radierten die Räder an einer jähen Kurve den heißen Asphalt.

    Die Alarmglocke schrie ...

    Zwei Männer blickten dem Wagen erschrocken nach. Der eine sagte: „Das war die Mordkommission!"

    *


    Im Spielkasino von Copacabana, einem der südlichen, vornehmen Stadtteile Rios, warf am Roulettetisch ein elegant gekleideter Herr mit gelassener Miene ein Geldnotenbündel auf die Zahl siebenundzwanzig.

    Der Croupier zählte die Summe nach. Dann fragte er sachlich:

    „Höchstsatz, mein Herr?"

    Der Spieler nickte. Er klemmte sich ein Einglas ins linke Auge und verfolgte mit dem Blick die bereits rollende Kugel, als ob er sie hypnotisieren wollte.

    Die Umstehenden starrten den Herrn an.

    Als die Kugel in eine Rille gefallen war, rief der Croupier:

    „Siebenundzwanzig!"

    Der Herr nickte wieder, als ob das eine Selbstverständlichkeit sei. Ohne mit einer Wimper zu zucken, strich er das viele Geld ein, das ihm auf den Tisch gezählt wurde, erhob sich und schritt zur Kasse, um die Jetons umzutauschen.

    Zwei Damen, zu elegant aufgeputzt, um noch vornehm zu wirken — und dadurch schon ihren wahren Beruf verratend, folgten dem Mann.

    Er lächelte, sagte mit einem höflich-bedauernden Klang in der Stimme: „Es tut mir sehr leid — ich bin schon verabredet!", drückte jeder einen Hundertmilreisschein in die Hand — und ward nicht mehr gesehen.

    Ein Saaldiener, uniformiert wie ein Operettenprinz, trat auf den Oberspielleiter zu und überreichte ihm einen blauen Falter, der an einer Nadel aufgespießt war.

    „Was soll das, Mann?"

    „Der Falter war an die Lehne des Sessels gesteckt, Cavalheiro, in welchem der Herr saß, der eben das viele Geld gewann."

    „Ich bitte, das Spiel zu machen!" rief der Croupier.

    *


    Das Haus, das im Dunkel lag, barg die Privatbank der Familie de Mello. Es war keine große, aber es war eine gut fundierte und sehr angesehene Bank.

    Die Geschäftsräume lagen im Erdgeschoß.

    Scheinwerferstrahlen waren durch die verlassenen Räume gehuscht, hatten sich an den Wänden entlanggetastet.

    Glitzerndes Licht spiegelte sich in den leeren, toten, erloschenen Augen eines erschossenen Mannes.

    „Der Nachtportier!" flüsterte ein Beamter.

    Kommissar Branco trat in den Tresorraum.

    Seltsam — der große Tresor war geöffnet, aber nicht aufgeschweißt. Die Schlüssel steckten. Sämtliche Fächer waren herausgezogen und ausgeraubt.

    Der Kommissar leuchtete gegen die blanke Wandung der Tür.

    „Fingerabdrücke, Herr Kommissar?"

    Der Kommissar brummte: „Nichts!"

    Eine alte Fregatte — in eine moderne Bar verwandelt, bis in die Mastspitzen illuminiert, schaukelte auf den Wellen der Bucht von Botafogo und spiegelte sich verschwimmend und glitzernd im Wasser.

    Jenseits dieses seltsamen leuchtenden Schiffes, von der Avenida Beiramar aus gesehen, zeichnete sich als Silhouette der Pão d’Assucar, der Zuckerhut, gegen den sternenübersäten Nachthimmel ab.

    Wie ein riesiger Leuchtkäfer schwebte die kleine Kabine der im Jahre neunzehnhundertunddreizehn von einer Kölner Firma erbauten Drahtseilbahn über üppige Waldungen auf den dreihundertsiebenundachtzig Meter hohen Gipfelpunkt zu.

    Rasche Motorboote, eine auserlesene Menschenfracht bergend, jagten geschäftig zwischen Fregatte und Strand hin und her ...

    Hoch schlugen die Wellen des Vergnügungsbetriebs in der Bar. Menschen aller Gattungen, aller Farben und aller Nationen — sofern sie nur gut gekleidet waren — konnten hier ihrem Temperament je nach Neigung die Zügel schießen lassen. Es gab ein Kino — es gab einen Spielsaal und zahlreiche in bunten Farben erleuchtete gläserne Tanzflächen. Dazu eine Reihe ausgezeichneter Samba-Kapellen, von denen unermüdlich die neuesten Schlager zu Gehör gebracht wurden.

    Während der Tanzpausen traten Artisten auf. Eine Pariser Ballettgruppe zeigte viel Gewandtheit und zartes Fleisch ...

    In einer Loge saß ein einzelner Herr und hatte den Kopf an einen mit vergoldeten Ornamenten reichlich gezierten Pfeiler gelehnt. So hockte er regungslos schon eine ganze Weile da. Niemand kümmerte sich um ihn.

    Eine Tänzerin streifte an den Logen vorbei. Sie bemerkte den Mann und klopfte ihm auf die Schulter.

    „Nun, altes Walroß! rief sie, „hier schläft man doch nicht!

    Der Herr schrak zusammen, zwinkerte mit den Augen, sah verstört um sich und rieb sich über die Stirn. „Was ist denn los?" fragte er.

    „Gar nichts ist los — und mit Ihnen erst recht nicht! lachte das Mädchen, „haben Sie etwas Schönes geträumt, Senhor?

    Der Herr tastete an sich herum. Er fuhr hastig in alle Taschen. „Wo sind meine Schlüssel?" stotterte er.

    „Ach, lassen Sie doch Ihre Schlüssel! sagte die Tänzerin. „Oder wollen Sie schon nach Hause gehen?

    Er blickte wirr um sich. „Nein — aber — lassen Sie mich zufrieden! Ich muß mit dem Kellner sprechen. He! Kellner!"

    Das Mädchen verschwand, und der Kellner kam.

    „Sie wünschen, Senhor?"

    „Wo — wo ist der andere Herr, der hier bei mir saß?"

    „Fortgegangen!" erwiderte der Kellner lakonisch.

    „Ganz fort?"

    „Ja — ich denke. Er hat die Zeche bezahlt, meinte, Sie wären recht angegriffen. Sie schliefen ja wohl. Ich sollte Sie ruhig hier sitzen lassen."

    „Sie sollten mich ruhig hier sitzen lassen?"

    „Jawohl."

    Der Erwachte griff abermals in die Taschen. Die Brieftasche war noch da. Er zog sie heraus und öffnete sie. Auch sein Geld war vorhanden.

    Aber die Schlüssel ...

    Sein Blick blieb auf dem gegenüberstehenden Sessel haften, wie gebannt. Er deutete auf die Stelle. Er sagte: „Was ist das?"

    Der Kellner lächelte. „Ein blauer Falter, Senhor!"

    *


    Die Turbinen heulten. An einem Schaltbrett leuchteten rote, weiße und gelbe Lämpchen auf.

    Der Werkmeister prüfte die Tafeln. Er wischte sich den Schweiß von der Stirn.

    Dampf zischte. Scheiben zitterten.

    Ein Arbeiter kam über den eisernen Laufsteg auf den Werkmeister zu. Er hielt eine Ölkanne in der Hand. Seine Hände trieften von Öl. In sein rußgeschwärztes Gesicht hatten sich Schweißbäche eingegraben.

    „Nun, fragte der Werkmeister, „sind die Leute zurück?

    „Jawohl, Meister. Sie sind eben vorgefahren."

    „Dann bleib du mal hier. Mit der Umdrehungszahl bei Turbine drei stimmt etwas nicht. Vielleicht liegt es auch an dem Generator. Ich werde es dem Ingenieur melden."

    Er schritt die aus schmalem Eisenblech bestehenden Stufen hinunter, durchquerte den Maschinenraum und ging auf die Tür zu.

    In diesem Augenblick traten die beiden Monteure ein.

    „Nun — was war los?" fragte der Meister.

    Der jüngere der beiden, ein frischer, kräftiger Bursche, dem der zu enge blaue Kittel wie eine Zwangsjacke saß, trat erregt auf ihn zu. „Kurzschluß! erwiderte er, „absichtlich herbeigeführt. Die beiden Hauptsicherungen waren vollkommen zerschmolzen. Jawohl — und die Polizei —

    Der andere schaltete sich ein: „Die Polizei fand zwei Tote. Die Bank war ausgeraubt."

    „Donnerwetter! Also so hängt das zusammen!"

    Der ältere Monteur fuhr fort: „Ja — ich sage Ihnen: eine ganz tolle Sache, Meister!"

    Der jüngere faßte den Meister am Arm. „Dreihunderttausend Milreis sollen gestohlen sein!"

    Der andere fuhr ihm über den Mund. „Ach nein — was du nicht schon alles weißt!"

    „Ich hörte doch, verteidigte sich der Gerügte, „wie der Kommissar mit dem zweiten Buchhalter sprach — —

    „Wer sind die Toten?" wollte der Meister wissen. Kriminalfälle interessierten ihn.

    „Der Nachtportier und ein Wächter, der das Haus nachts zu kontrollieren hatte. — Denken Sie sich: kein Schloß war erbrochen, auch das am Tresor nicht. Die Schlüssel steckten."

    „Die Schlüssel steckten?"

    „Jawohl."

    *


    Die letzten Gäste des Doktors Affonso de Mello verabschiedeten sich. Damit fand eine kleine Abendgesellschaft im engeren Freundeskreise, wie sie der Doktor und seine Gattin besonders liebten, ihr Ende.

    Nur Onkel Joaquim, der zu Besuch aus Recife gekommen war, blieb im Hause. Mit ihm zusammen setzte man sich noch einen Augenblick in den Salon, um Nachschau zu halten. Onkel Joaquim machte dabei seine Glossen. Er war, wie Cecilia, die Tochter des Hauses, behauptete, ein ulkiges Huhn. Aber mit seinem struppigen Schnauzbart und den aufgeblasenen Backen sah er mehr wie ein Seehund aus.

    Sein kahl geschorener Schädel war stets rot angelaufen.

    „Die Frau des Kaffeegroßhändlers, meinte er, „wäre besser Amme geworden. Habt ihr den Busen gesehen? Und dann noch ein Dekolleté! So ist’s richtig! Wenn sie den Kopf vorstreckte, dachte ich immer, sie wollte auf den Balkon treten! — Ihr Mann sieht aus wie ein Hundedresseur.

    „Aber Onkel Joaquim! rügte Senhora de Mello, „wie kannst du nur so etwas sagen — in Gegenwart von Cecilia! Außerdem beleidigst du unsere Gäste.

    „Beleidigen? Nein — ich vergleiche nur gern. Außerdem hören sie mich ja jetzt nicht mehr. Oder wollt ihr ihnen das wiedererzählen?"

    „Wenn du mit anderen über uns sprichst, wird es wohl ebenso über uns hergehen!" behauptete der Bankier und streifte die Asche von seiner Zigarre.

    Onkel Joaquim winkte lachend ab. „Nein, rief er, „euch vergleiche ich höchstens mit Engeln. Ihr habt mich doch hier so nett aufgenommen!

    Cecilia bemühte sich, mit ihrem Feuerzeug eine Zigarette anzuzünden. Das Feuerzeug funktionierte nicht. Onkel Joaquim griff in die Tasche und reichte ihr eine Streichholzschachtel. „Siehst du — siehst du! sagte er triumphierend, „ich habe doch recht, meine Fabrik zu behalten! (Er besaß in Recife eine Streichholzfabrik.)

    „Wie ich hörte, fiel der Bankier rasch ein, „hast du kürzlich noch einen Betrieb aufgemacht?

    Der Onkel spitzte den Mund, als ob er den krächzenden Laut eines Seehundes ausstoßen wollte. „Du hast ganz richtig gehört!" entgegnete er.

    „Na — und was wird da fabriziert?"

    „Feuersteine! — Man kann ja nicht wissen — und übrigens sind die Dinger noch steuerfrei. Ich sage immer:

    Bei mir macht es die Steuer fein, —

    Sie nimmt nichts für den Feuerstein!"

    Alle lachten.

    „Ja — und — übrigens — vielleicht gliedere ich den beiden Werken später noch eine dritte Fabrik an."

    „Was willst du denn noch herstellen?" fragte de Mello erstaunt.

    „Elektrische Feueranzünder! kam prompt die Antwort, „dann kann mir doch nichts mehr passieren, nicht wahr?

    Plötzlich schrillte das Telephon. Es klingelte nicht, es schrillte, es war nicht zu beruhigen, bevor der Bankier den Hörer genommen hatte.

    „Hallo! Was ist los?"

    Er verfärbte sich. Seine Hände begannen zu zittern.

    Die anderen standen um ihn herum. „Ja — ich komme sofort!" hörten sie ihn in die Muschel schreien.

    Vom Apparat zurücktaumelnd, sagte er mit gebrochener Stimme: „Die Bank ist ausgeraubt worden!"

    *


    Es klopfte. Kommissar Branco warf einen mißmutigen Blick nach der Tür. Am liebsten würde er gar nicht ‚Herein‘ rufen. Er hatte eine fast schlaflose Nacht hinter sich. Die Ermittlungen bei der Mello-Bank hatten ihn bis zum frühen Morgen in Atem gehalten.

    Irgendein positives Ergebnis hatten seine Anstrengungen bisher nicht gehabt. Es gab keine Spuren und wenig Anhaltspunkte. Niemand hatte die Leute gesehen. Kein Auto war vorgefahren. Kein Werkzeug war liegengeblieben.

    Nur etwas — ja, merkwürdig! — hatte an einem Ledersessel im Vorzimmer zum Tresorraum gesteckt, fein säuberlich aufgespießt: ein blauer Falter! —

    „Herein!"

    Onkel Joaquim steckte den Kopf durch die Tür. Seine Platte glühte. Rasch schob er den molligen Körper mit seinen kurzen Beinchen nach.

    Er hatte während der Nacht seinem Schwager das Geleite gegeben, hatte auch mit dem Kommissar schon gesprochen. Er war unterrichtet.

    „Herr Kommissar, sagte er, näher tretend, „entschuldigen Sie bitte die Störung — aber ich möchte Ihnen so gerne helfen.

    „Helfen? Wieso?" fragte Branco erstaunt und deutete gleichgültig auf einen Sessel.

    Onkel Joaquim machte es sich bequem, schlug die Beinchen übereinander und steckte sich eine Zigarette an, ohne den Kommissar erst um Erlaubnis gefragt zu haben. Er benutzte ein Streichholz dazu.

    Branco blickte ihn mißtrauisch an. Dieser Herr hatte ihm schon während der Nacht mit seinen Fragen und wichtigtuerischen Andeutungen viel zu schaffen gemacht.

    „Ja, sehen Sie, legte Onkel Joaquim umständlich los, „ich hätte nämlich eigentlich auch Detektiv werden müssen. Aber meine Eltern wollten es nicht. Sie hielten von meinen Erleuchtungen leider nicht viel —

    „Vielleicht hatten sie recht!" erwiderte Branco mit einem spöttischen Seitenblick.

    „Sagen Sie das bitte nicht! wandte Onkel Joaquim ein, „jedenfalls tragen wenige Menschen heute so viel zur Erleuchtung bei wie gerade ich.

    „Sie sprechen für mich in Rätseln, Senhor!" brummte Branco.

    „Ah! Das verstehen Sie nicht! Natürlich, — Sie wissen ja auch noch nicht, wer ich bin. Meine Streichholzfabrik in Recife ist führend, Senhor! Und nun auch noch Feuersteine! Begreifen Sie jetzt?"

    „Es tut mir leid, Ihnen sagen zu müssen, erwiderte Branco, „daß ich für Scherze augenblicklich nicht aufgelegt bin.

    Onkel Joaquim strich sich beleidigt über den kahlen Kopf. „Scherze? Scherze? Ich meine es bitter ernst. Wenn auch Sie, wie ich gern anerkenne, die Leuchte sind, die einmal Licht in das furchtbare Dunkel bringen wird, von dem die Tat augenblicklich noch völlig umhüllt wird, — so dürfte es mir doch vielleicht vergönnt sein, dieses Licht zu entzünden! Als kleines Streichholz — als Feuerstein — wie Sie wollen."

    Branco konnte ein Lächeln nicht mehr zurückhalten. „Also Sie meinen —?"

    „Ich meine, daß ich Ihnen möglicherweise doch irgendwie behilflich sein kann. Ich bleibe noch einige Tage in Rio. Ich habe nichts weiter vor."

    „Also gut — schaffen Sie mir den Mörder herbei!"

    Onkel Joaquim blickte verdutzt auf. „Wie — ich soll —? Aber dazu müssen Sie mir doch Hinweise geben!"

    „Hinweise? Ich glaubte Sie so zu verstehen, daß Sie mir diese verschaffen wollten!"

    „Aber das geht doch nicht. Ich habe ja keine."

    „Na also — dann können Sie auch nicht helfen. Schade. Ich hätte mich selbstverständlich sehr über Ihre Hilfe gefreut. Und ich danke Ihnen verbindlich für Ihr freundliches Angebot."

    „Keine Ursache, Herr Kommissar. Tscha — na — dann werde ich so mal sehen, was sich machen läßt. Ob ich was finde —"

    „Ja — suchen Sie! Suchen Sie! Vielleicht sind Sie das blinde Huhn, das bisweilen auch mal ein Körnchen findet. Es sollte mich lebhaft freuen!"

    „Mich auch, Herr Kommissar!" fiel Onkel Joaquim ihm in die Rede, und ehe sich’s Branco versah, war er verschwunden.

    *


    Der Wecker rasselte. Er knatterte — tacktacktacktack — wie ein Maschinengewehr.

    Zilda rieb sich die Augen und sprang aus dem Bett. Sie war ein sehr schönes, sehr schlankes und sehr verdorbenes Mädchen. Doch ihre Verderbtheit beschränkte sich auf den Hausgebrauch.

    Sie streifte ihr Hemd ab, betrachtete sich, als Eva, einen Augenblick lang wohlgefällig im Spiegel und begann sich zu waschen. Dann kleidete sie sich mit großer Behendigkeit an. Ihre Bewegungen, voller Anmut, erinnerten an das Spiel junger Katzen.

    Das volle, pechschwarze Haar umrahmte ein liebliches, nicht gerade ebenmäßiges — aber vielleicht gerade darum reizvolles, schmales Gesicht. Ihr linkes Auge war stets etwas eingekniffen, und wenn sie lächelte, erschien auf der rechten Backe ein Grübchen.

    In dieses Grübchen waren alle Männer verliebt. Aber Zilda liebte nur zwei Exemplare von dieser Gattung, — ihren Bruder Rodrigues, und einen anderen, der sich Bernardo nannte. Ob er wirklich so hieß — darauf hätte sie keinen Eid ablegen können.

    Jetzt riß sie die Tür auf und rief nach draußen: „Das Frühstück, bitte!"

    Die alte Mulattin, bei der sie wohnte und deren Mann Lastträger war, gab einen heiseren, bellenden Laut von sich, Das hieß soviel wie: ‚Ich komme gleich!‘

    Zilda nutzte die Zeit aus, um sich die Lippen noch einmal rasch nachzuschminken.

    Die Alte kam und stellte das wacklige Tablett auf den morschen Tisch. Es war wahrlich kein Fürstenpalais, das die kleine Zilda bewohnte. An allen Stücken, die hier herumstanden, hatte der Zahn der Zeit schon genagt. Auf die Zerbrechlichkeit alles Irdischen

    Gefällt Ihnen die Vorschau?
    Seite 1 von 1