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Tatort Hanau
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eBook386 Seiten7 Stunden

Tatort Hanau

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Über dieses E-Book

Spionage, Mord, Mafiabanden, Schieberringe, ein Banküberfall und Intrigen. Mit einem Wort: Großes Verbrechen. Der Ort des Geschehens Hanau und seine Stadtteile, Klein-Auheim, Großauheim, Wolfgang und Steinheim. Zwei Männer kämpfen dagegen an. Kommissar Herbert Schönfelder von der Polizeidirektion Hanau und sein Großauheimer Kollege Mario Weinrich.

Mario Weinrich ist Polizeiinspektor. Jung und voller Tatendrang. Frisch von der Polizeiakademie. Mit der Vision für höhere Ermittlungsarbeit erkoren zu sein. Doch seine erste Dienststelle liegt in Großauheim, einem kleinen Stadtteil am Rande von Hanau. Doch anstatt in der Provinz zu versauern, wie er befürchtete, wird er noch vor seinem ersten Arbeitstag in ein Kapitalverbrechen verwickelt. Ein Toter liegt im Beichtstuhl der Jakobuskirche. Mord? Weinrich nimmt sich des Falles an und kollidiert dabei mit den alteingesessenen Kollegen. Diese vermuten die Täter im Dunstkreis albanischer Banden und jugoslawischer Messerstecher. Doch Weinrichs Ermittlungen führen ihn mitten hinein in die "gute Gesellschaft".

Der junge Weinrich und sein älterer Kollege Schönfelder bilden ein Ermittlungsteam, das unterschiedlicher kaum sein kann. Während Weinrich am liebsten mit gezogener Pistole auf Ganovenjagd gehen würde, versteht sich Schönfelder aufs Beobachten. Weinrichs Aktionismus und Schönfelders abwartendes Betrachten der Dinge machen sie zu einem spannungsreichen Duo zweier Generationen. Ihre Ermittlungen sind zugleich eine Reise durch die Begebenheiten und Örtlichkeiten der Region und vor allem eines: eine Liebeserklärung an Hanau und seine Stadtteile.
SpracheDeutsch
HerausgeberCoCon Verlag
Erscheinungsdatum20. Juni 2012
ISBN9783863146412
Tatort Hanau

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    Buchvorschau

    Tatort Hanau - Dieter Kögel

    Matthias Grünewald

    Dieter Kögel

    Tatort Hanau

    CoCon-Verlag 2007

    E-Book 2012

    CoCon-Verlag Hanau

    In den Türkischen Gärten 13

    63450 Hanau

    Tel.: 06181-17700

    Fax: 06181-181333

    Email: kontakt@cocon-verlag.de

    www.cocon-verlag.de

    ISBN 978-3-86314-641-2

    Bankraub in Steinheim

    Es war ein Regentag, und der Himmel blieb grau. Ich erinnere mich noch genau, wie in der Steinheimer Vorstadt die Einwohner ihre Haustüren abschlossen und die Vorhänge zuzogen. Um den Regen nicht mehr sehen zu müssen oder aus Angst, der flüchtige Bankräuber könne die Wohnung eines braven Bürgers als Unterschlupf missbrauchen?

    Ich saß zu der Zeit in meinem Taxi am Kardinal-Volk-Platz und wartete auf Kundschaft, als die Meldung über Funk kam: »An alle Fahrer. In der Sparkasse wurde eingebrochen. Der oder die Täter sind flüchtig und bewaffnet.«

    Das war schlecht fürs Geschäft. Für einen Taxifahrer gibt es nichts Besseres als Regenwetter, allenfalls noch einen Streik der Busfahrer.

    Doch die Straßen waren wie leergefegt. Wahrscheinlich hatten sich alle Hanauer zitternd in ihren Wohnungen eingeschlossen.

    Die Frontscheibe meines Benz begann sich mit Atemluft zu beschlagen. Ich drückte auf den Sensorknopf des automatischen Fensterhebers. Mit leisem Brummen fuhr die Scheibe nach unten. Der Geruch frischer Wurst wehte von der gegenüberliegenden Metzgerei zu mir herüber und erinnerte mich an meinen Hunger. Kurzerhand schälte ich mich aus meinem Sitz und machte mich auf den Weg zu »Fleisch & Wurstwaren Fuchs«. »Einmal Leberwurstbrötchen«, bestellte ich an der Theke. »Haben Sie schon gehört? Ein Banküberfall«, raunte die freundliche Fleischereifachverkäuferin, froh, einen neuen Gesprächsstoff zu haben. »Das war bestimmt die Mafia«, sagte sie, als sie mir das Wechselgeld gab. »Die brauchen immer Geld für ihre schmutzigen Geschäfte.« Zwei ältere Damen, die für ein Pfund Gehacktes anstanden, nickten zustimmend. »Die Mafia ist überall.« Ich zuckte ratlos mit den Schultern, verstaute meinen Imbiss in der Jackentasche und fragte: »Braucht jemand ein Taxi? Falls der Ganove noch unterwegs ist, ist es im Auto am sichersten. Außerdem regnet es.« Doch die zwei Damen schüttelten synchron die Köpfe. »Nein danke, junger Mann. Wir wohnen gleich da drüben. Einmal über die Straße. Das lohnt nicht fürs Taxi. Aber wenn Sie ein anständiger Kerl sind, können Sie uns die Tür aufhalten.« Das ließ ich mir nicht zweimal sagen, hielt die große Glastür der Metzgerei auf und machte einen tiefen Diener wie ein Hotelpage aus dem Sheraton. Gickelnd rauschten die beiden an mir vorbei.

    »Die Polizei bittet die Bevölkerung um Mithilfe«, tönte es aus dem Radio. Was wohl nichts anderes hieß als, die Ermittler tappten im Dunkeln.

    »Mal hören, was der Buschfunk meint.« Neugierig geworden, startete ich den Motor, das Brötchen zwischen den Zähnen, um bei Steinheims »geheimer Informationsquelle« vorbeizuschauen. Herbert Schönfelder war als Kommissar bei der Hanauer Kripo. Sein Haus lag nicht weit entfernt. Doch der Geheimtipp hatte sich schon herumgesprochen. Das Haus wurde bereits von einer aufgeregten Menschenmenge belagert, als gäbe es hier Freibier. »Was gibt’s Neues? Ob es wahr sei, dass es vier Tote gegeben habe? Stimmt es, dass die Gangster auf dem Weg nach Panama sind?«

    Schönfelder, mit kleinem Bauch und schütterem Haar, stand auf der Eingangstreppe und winkte ab. »Leute, ihr behindert die Polizei bei der Ermittlungsarbeit.« Dann schaute er sich unauffällig um, so als ob er sich vergewissern wollte, dass sein Dienstherr nicht zufällig um die Ecke käme. Und hinter vorgehaltener Hand verkündete er doch etwas: »Bei uns auf der Dienststelle war jemand vom BKA.« »BKA!«, wiederholte die Menge, zu der ich mich inzwischen auch zählte.

    »Ja, Bundeskriminalamt«, sagte Schönfelder und dehnte jeden Buchstaben so, als habe er eine Gruppe Taubstummer vor sich. »Die kommen nur bei großen Dingern. Eine Million Mark Beute«, zischte er und wartete, bis die Nachricht bei uns ankam. Wir waren erstaunt und erst einmal sprachlos. »Tja, ich muss dann weiter«, sagte er genüsslich, schloss die Tür seines Reihenhauses und verschwand. »Jetzt große Katastrophe«, meinte Hasan Öglu, der als einer der ersten türkischen Gastarbeiter nach Steinheim gekommen war und dort eine kleine Änderungsschneiderei aufgemacht hatte. »Ja, schlecht fürs Geschäft«, brummte jemand, und dachte dabei an den Wirbel, die vielen Polizisten, die bald an jede Haustür klopfen und dämliche Fragen nach dem Alibi der Bewohner stellen würden. »Wo waren Sie zur Tatzeit? Haben Sie einen Zeugen? Ist Ihnen etwas Verdächtiges aufgefallen?« So lange, bis man es selbst für möglich hielt, der Täter zu sein. »Wenn die den Kerl nicht bald finden, bleiben unsere Apfelweinkneipen ohne Kundschaft«, so die Befürchtungen.

    Und tatsächlich war am nächsten Tag die Ladentür von Hasan Öglus Schneiderei geschlossen. »Komme bald zurück«, stand mit eiliger Hand auf einen vergilbten Karton geschrieben, den Hasan immer dann in die Ladentür hängte, wenn er mal für ein paar Besorgungen unterwegs war. Aber dieses Mal kam er nicht zurück. Nicht heute und auch nicht in den nächsten Tagen. Für jene, die am Kiosk ihr Frühstück aus braunen Flaschen tranken, war klar, wer der Täter war: die »Kanaken«.

    Die Beamten vom BKA in Wiesbaden hatten für den folgenden Tag alle, denen etwas Ungewöhnliches aufgefallen war, für zehn Uhr in die Kulturhalle bestellt. Viele waren da. Vielleicht auch nur, um aus einem nicht vorhandenen Entschädigungsfond Geld für ihr verschwundenes Vorgartenhuhn zu ergattern, das längst ein Fuchs verspeist hatte. Die Zeit verstrich. Von den Beamten keine Spur. Später stellte sich heraus, dass sie die Kulturhalle in Steinheim mit der Stadthalle in Hanau verwechselt hatten. Schimpfend standen sie vor dem versperrten Eingang, erzählte uns Schönfelder, der sie dort abholen musste. »Provinznest«, »miese Organisation«, beschwerten sich die Landeshauptstadtbeamten während der Fahrt bei Schönfelder. Schlechtgelaunt fuhren sie eine dreiviertel Stunde später vor und wurden mit spöttischem Applaus begrüßt.

    In der Halle präsentierten sie die abgewetzten Ordner mit dem Verzeichnis der einschlägig Vorbestraften. Die Hühnerfreunde gingen erwartungsgemäß leer aus. Hinweise der Bevölkerung notierten die Beamten auf kleine Zettel, die die Putzfrau später im Papierkorb wiederfand. Die Polizei war ahnungslos und wollte es offensichtlich auch bleiben.

    Also machten sich ein ige Steinheimer selbst auf die Suche nach den Tätern. Vor allem interessierte sie, wieso eine Million Mark in einer kleinen Sparkassenfiliale gelagert hatte. Was steckte dahinter?

    Woher wussten die Täter, dass gerade an besagtem Tag der Tresor im Keller des Bankgebäudes randvoll mit frisch gedruckten Scheinen war? Gab es irgendwo bei den Bankmitarbeitern eine undichte Stelle? Oder steckte ein Bänker womöglich mit den Räubern unter einer Decke?

    Am runden Tisch im Stadtwirtshaus am Platz des Friedens jedenfalls wurde der Fall lebhaft diskutiert. »Das waren Hanauer!« Da war sich der alte Jakob sicher. »Seit wir eingemeindet sind, haben wir nicht nur unsere Selbständigkeit verloren, sondern auch die Hanauer Kriminalität geerbt.« Zustimmendes Nicken in der Runde, als habe Jakob den Nagel auf den Kopf getroffen. Nur Georg, den alle Schorsch riefen, zog kräftig an seiner Zigarre, blies den Rauch in Richtung Deckenlampe und sinnierte in den Nebel hinein. »Ich weiß nicht. Ich weiß nicht. In Hanau gibt’s doch weiß Gott genug Banken mit wesentlich mehr Geld im Tresor. Warum sollten die also nach Steinheim kommen? Das macht für mich keinen Sinn. Nee, ihr Leut’. Die Ganoven kommen von hier. Bedenkt doch, wie die geflüchtet sind. Ohne eine Spur zu hinterlassen, in den Altstadtstraßen untergetaucht. Vielleicht im alten Stadtgraben, der unterhalb der alten Stadtmauer verläuft, und dann die Beute irgendwo in einem Keller versteckt.«

    Schorsch spürte, wie plötzlich alle Augen auf ihn gerichtet waren. Der Verdacht, den er gerade geäußert hatte, war zu unglaublich. »Und bitteschön«, meldete sich Heinz zu Wort, »Herr Kriminaler, wen hättest du denn im Verdacht? Vielleicht den Bäcker Seiler? Der hat die Million in den Mehlsäcken versteckt oder in die Brötchen eingebacken, die er jetzt unverdächtig auf seinen Landsitz am Gardasee schmuggelt.«

    Auch Schönfelder hatte am Stammtisch Platz genommen. Die Runde rückte respektvoll zur Seite. Denn wenn der Kommissar mit ernster Miene erschien, gab es Neuigkeiten.

    »Eigentlich dürfte ich es nicht sagen«, begann Schönfelder, »aber der Verdacht der Ermittler geht tatsächlich in die Richtung, dass es sich bei den Tätern um äußerst Ortskundige gehandelt haben muss.« Jakob trank seinen Sauergespritzten mit einem Zug aus: »Was heißt denn des, Ortskundige? Heutzutag’ is doch jeder in der Altstadt ortskundig, der öfter als wie zweimal die Woche hier einen trinken geht. Unsre Altstadt ist doch schon so was wie Klein-Sachsenhausen! Und ich sag’ euch, des wird noch schlimmer! Ihr werdet noch an mich denken. Nein! Des war keiner von hier! Des waren Hanauer! Rainer! Noch ‘nen Sauerne!« Jakob hob sein Geripptes in Richtung Theke, und das verstehende Nicken des Wirtes tröstete Jakob ein klein wenig darüber hinweg, dass seine Theorie wenig Anklang am Stammtisch fand.

    Stattdessen ruhten alle Augen auf Kommissar Schönfelder, der erst weitersprach, als Jakob seine Nase in das neue Glas Steinheimer Gold versenkte. »Also«, sprach der er mit gedämpfter Stimme, die ungeteilte Aufmerksamkeit, die ihm in dieser Minute allein galt, sichtlich auskostend, »das BKA hat tatsächlich festgestellt, dass die Täter durch einen Nebenraum des Kellers der Bankfiliale geflüchtet sind.« »Und wo sollen Sie denn bitte schön hingeflüchtet sein?«, fragte Schorsch ungläubig. »Vielleicht in den nächstbesten Kanal, oder was?« Aber Schorschs Witz erntete statt Lachern nur böse Blicke, weil er es gewagt hatte, Schönfelder zu unterbrechen. »Hinter einem Stahlschrank«, so fuhr dieser mit gedämpfter Stimme fort, »entdeckte ein BKA-Beamter durch Zufall einen Mauerdurchbruch. Und der führt direkt hinein in den alten Stadtgraben, der sich entlang der Stadtmauer durch die gesamte Vorstadt zieht. Die Spurensicherung ist noch am Werk. Aber die Beamten gehen davon aus, dass die Täter durch den Stadtgraben bis zur Bankfiliale vorgedrungen sind, dann die Mauer an dieser Stelle durchbrochen haben, auf diese Weise in das Bankgebäude eingedrungen und auf gleichem Weg auch wieder mit der Beute geflohen sind.«

    Schönfelder lehnte sich zurück, das ungläubige Staunen in den Augen der Stammtischbrüder weidlich genießend. »Aber das würde ja wirklich heißen, es war einer von hier?«, warf Heiner ein. »Wer weiß dann schon, dass sich der Stadtgraben sozusagen unterirdisch durch die Vorstadt zieht?«

    Es wurde ein langer Abend im Stadtwirtshaus. Kommissar Schönfelder, dessen Rechnung an diesem Abend gegen weitere Informationen vom Stammtisch übernommen wurde, wusste sogar noch, dass die Spuren durch den Stadtgraben bis zu Hasan Öglus kleinem Schneiderladen hin verfolgt worden seien. Dort hätten sie sich verloren. Die Spuren. Das BKA tappe im Dunklen, suche aber den Schneider wie die berühmte Stecknadel im Heuhaufen zwecks wichtiger Zeugenaussagen. »Der Hasan? Der doch net. Der ist ‘ne ehrliche Haut!« Gegen Schorschs Einschätzung erhob sich kein Widerspruch. Denn Hasan gehörte einfach dazu. Seit langem. Doch die Indizienlage galt es zu überdenken. »Vielleicht hat ihn die Mafia erpresst. Dann hat er gar net gewusst, was die vorhaben und die einfach gewährn lassen. Dass die Mafia kein Spaß versteht, weiß jeder.« Mit der flachen Hand über seine Kehle fahrend, machte Schorsch eindeutig klar, was dem armen Hasan hätte passieren können, wenn er sich gegen die Unterwelt gestellt hätte. »Aber fort ist er trotzdem, der Hasan«, resümierte Jakob. »Wenn er nichts zu verbergen hat, warum ist er dann net dagebliebe?« Heiner, nie um eine Lösung verlegen, warf mit schon recht benebeltem Kopf und belegter Stimme ein: »Tot! Wer’s mit der Mafia zu tun hat, überlebt des net.« Und die Runde hätte wahrscheinlich den Fall an diesem Abend noch endgültig gelöst, wäre nicht der Wirt zum Abkassieren gekommen. »Tut mir Leid Leute, aber es ist schon Sperrstunde. Und wenn ich die überschreite, dann entzieht mir Schönfelder die Schankerlaubnis.«

    Rainer grinste in die Runde, aber niemand lachte zurück. Zu sehr waren alle vertieft in den Fall, der das Leben in dem ehemals selbständigen Städtchen Steinheim von Grund auf zu verändern schien. »Aber zahlt jetzt bitte nicht auch mit einem Fünfhunderter!«, flehte der Wirt die Runde an. »Den hier hat mir nämlich grade ein Gast in die Hand gedrückt, für ein Steak mit Kräuterbutter, Pommes, Salat und drei Bier. Ganz neu, wie frisch gebügelt.« Rainer hielt einen druckfrischen Fünfhunderterschein in die Höhe, und der Stammtisch fixierte das Papier, das Wirt Rainer gegen die matte Glühbirne hielt, mit ungläubigem Staunen. Kommissar Schönfelder hatte plötzlich wieder einen glasklaren Kopf. Er nahm den Schein vorsichtig in die Hand, ließ die Note durch die Finger gleiten und traf eine Feststellung, mit der niemand gerechnet hatte.

    »Der ist falsch«, sagte er kurz und knapp. »Hier, das Wasserzeichen fehlt.« Alle wollten die Stelle sehen, auf die Schönfelder deutete, und es gab ein ziemliches Gerangel. Dann hörte man im Hintergrund einen Plumps, wie wenn ein Kartoffelsack abgestellt wird. Rainer, der Wirt, lag ohnmächtig ausgestreckt am Boden. Als er wieder zu sich kam, war sein Gesicht weiß und er stammelte. »Ich war’s nicht, Herbert« – damit meinte er Schönfelder – »du kennst mich. So etwas würde ich nie machen. Nie, ich schwör’s dir.« Dabei hatte er die Hände gefaltet und kniete flehend vor Schönfelder wie vor einer Heiligenfigur.

    »Das hatte schon was Komisches«, erzählte mir Schönfelder am nächsten Tag im Taxi mit einem Lachen. »Aber der Rainer war’s bestimmt nicht. Den kenn’ ich noch aus der Schule. Nur weil er seine Schulhefte mit nachgemalten Geldscheinen dekoriert hat. Ne. Hat ja nicht mal zum Grafiker gereicht.« Plötzlich stockte Schönfelder, als sei ihm etwas eingefallen. »Fahr’n Sie mich doch bitte in die Fasanerie, ich muss nachdenken. Mein Auto ist kaputt. Und den Dienstwagen hat der Kollege in Hanau«, sagte er entschuldigend.

    Im Wildpark kaufte Schönfelder erst einmal eine Tüte Tierfutter und atmete tief durch. »Die gute Luft bläst die Gehirnwindungen frei«, sagte er. Der Fall war inzwischen kompliziert geworden. Seine Migräne meldete sich von fern. »Zu viele verwirrende Spuren«, dachte er laut, während er die Kieswege entlang schlenderte. Am Rotwildgehege stand ein Rudel Rehe und ließ sich von ihm mit Maiskörnern füttern. »Na, was meint ihr«, redete er leise auf die Tiere ein. Dann plötzlich ein Geräusch aus dem Dickicht hinter ihm. Schönfelder eschrak, zog die Dienstwaffe und richtete sie auf das Brombeergestrüpp. »Rauskommen, Hände hoch!« Wenig später sah er sich einem Tierpfleger des Parks gegenüber. Der hatte wenig Verständnis für Schönfelders Fahndungsarbeit. Er notierte sich seine Personalnummer und ging drohend in die entgegengesetzte Richtung davon: »Sie hören noch von mir.«

    Am Wildschweinzaun stützte sich Schönfelder erschöpft auf die hölzerne Begrenzung. »Ihr habt’s gut«, sagte er, während er den Schweinen beim Durchwühlen des Erdreichs zusah. »Ihr müsst nur lange genug graben, dann findet ihr immer was zum Fressen.« Schönfelder hielt inne. Das war es, was er von den Wildschweinen lernen konnte. Den Boden durchwühlen und nicht aufgeben. Schönfelder spürte neue Kraft und Zuversicht in sich. Die Schweine hatten zu ihm gesprochen. Zufrieden spazierte er durch das eiserne Tor des Wildparks. Zurück auf dem Revier besorgte er sich als erstes die alten Baupläne und markierte den Stadtgraben. Grübelnd stand er davor und massierte sein Kinn.

    »Was wäre, wenn der Graben einen Durchgang zum Main hätte und die Täter über den Fluss gekommen sind?«, sinnierte er. »Oder wenn es noch weitere unbekannte Abzweigungen unterhalb der Stadt gibt, ähnlich den Katakomben in Paris?« Jetzt half Nachdenken nicht weiter. Es war die Zeit der Tat. Bewaffnet mit einem Spaten und einer Petroleumlampe aus dem heimischen Garten, machte sich Schönfelder auf den Weg unter die Erde. »Ganz wie die Schweine«, dachte er mit einem verschmitzten Lächeln. Sollen die vom BKA über der Erde suchen. Er würde die Lösung hier unten finden. Da war er sich sicher.

    Schönfelder schlich durch den Graben, der von den Anwohnern als Kellergewölbe genutzt wurde. Mancher brannte hier seinen Obstler, ohne dem Fiskus Meldung zu machen. Und wirklich, nach nur wenigen Schritten entdeckte Schönfelder Durchbrüche, die auf den Plänen nicht eingezeichnet waren. Hier hatten Anwohner auf eigene Rechnung gegraben und sich zusätzliche Keller unterhalb ihrer Häuser gebuddelt. Ein starkes Stück, dachte Schönfelder. Er stieg in gebückter Haltung über ausrangierte Waschmaschinen und Kühlschränke und grub sich immer tiefer unter die Altstadt. Manchmal hörte er Stimmen. Dann blieb er schaudernd stehen und wagte nicht zu Atmen. Nur der Schein der Lampe flackerte unruhig auf den feuchten Basaltwänden. »He Sie, was machen Sie hier?«, hörte er plötzlich eine Stimme neben sich.

    Herbert Schönfelder fuhr erschrocken herum. Doch noch bevor er seine Petroleumlampe heben und das zu der Stimme passende Gesicht beleuchten und erkennen konnte, traf ihn ein Schlag auf den Kopf. Der Kommissar spürte noch, wie ihm die Lampe entglitt. Wie von Ferne hörte er splitterndes Glas auf steinernem Boden. Ein stechender Schmerz durchzuckte ihn, seine Sinne schwanden. Mit einem Mal wurde alles um ihn herum schwarz. Schwarz und still.

    Schmerzen waren das erste, was Kommissar Schönfelder spürte, als sein Bewusstsein langsam zurückkehrte. Schmerzen am Kopf, dort, wo ihn der harte Schlag getroffen hatte. Schmerzen aber auch in den Schultern und den Armen, die irgendwie auf gänzlich unnatürliche Weise nach oben gezogen wurden. Langsam öffnete er die Augen. Es dauerte eine ganze Weile, bis er sich an das schummrige Dunkel gewöhnt hatte. Als er Einzelheiten wahrnehmen und erkennen konnte, glaubte er, in einem schlechten Film zu sein. Seine Handgelenke waren mit Eisenschellen gefesselt und diese hoch über ihm in die Basaltsteinwand eingelassen. Auch die Fußgelenke befanden sich in eisernen Fesseln, die in der grob behauenen Steinwand endeten. Der Geruch von modriger Feuchtigkeit lag in dem Raum und machte das Atmen schwer. Angestrengt spähte Schönfelder durch das Verlies. Und langsam konnte er Konturen erkennen. Beispielsweise die einer tischähnlichen Konstruktion mit großen Rädern an beiden Enden. Und dann stockte ihm das Blut in den Adern: Auf dem Tisch lag eine Gestalt. Ebenfalls an Händen und Füßen gefesselt, und die Fesseln führten direkt zu den Rädern. Ein krachendes Geräusch zerriss die Stille, die Räder an dem Tisch drehten sich ein kleines Stück, und die gefesselte Gestalt stöhnte laut auf. Eine Streckbank!, schoss es ihm durch den Kopf, nachdem der Mechanismus am Tisch wieder eingerastet war und die Räder stillstanden. Langsam, ganz langsam erkannte er noch mehr Folterinstrumente in dem Steinverlies: Ein Stuhl, aus dessen Rückenlehne und Sitzfläche Stahlspitzen ragten; ein Pranger und ein Fallbeil fehlten auch nicht in dieser unglaublichen Sammlung mittelalterlicher Grausamkeiten.

    Während er all diese Absonderlichkeiten registrierte und sich zu erinnern versuchte, wie er in diese Lage gekommen war, setzten sich die beiden Räder an der Streckbank erneut in Bewegung und der Schmerzensschrei des Gequälten ließ den Gedankenfaden des Kommissars reißen. »Hasan!« rief Schönfelder. »Hasan Öglu!« Denn kein anderer lag da vor ihm auf dem Foltertisch als der Schneider aus der Vorstadt. Mühsam drehte Hasan seinen Kopf in Schönfelders Richtung. »Allah sei Dank. Herr Schönfelder. Ich bin gerettet!« Hasan Öglu schloss beruhigt die Augen, so als werde jetzt alles gut. »Hasan«, flüsterte Schönfelder. »Hasan, was hat das alles zu bedeuten? Wie bist du hier her gekommen, wo sind wir hier eigentlich?« Doch Hasan schwieg mit geschlossenen Augen.

    »Wir sind hier tief unter dem Bergfried, Herr Schönfelder. Hier könnt ihr schreien und jammern, niemand wird euch hören. Denn keiner außer mir weiß, dass es diesen Platz überhaupt gibt.« Und ein krächzendes Lachen unterstrich diese Sätze, die aus dem Dunkel kamen. Angestrengt blickte Schönfelder in Richtung der Stimme, konnte schließlich undeutlich die Umrisse einer Gestalt wahrnehmen, die ihm fremd, aber irgendwie auch bekannt vorkam. »Hier in dieser steinernen Kammer werden alle enden, die es wagen meine Pläne zu durchkreuzen. Und er«, die Gestalt wies auf Hasan, »gehört ebenso dazu wie Sie, Herr Kommissar.« Schönfelder fixierte die Erscheinung so intensiv, dass er die Schmerzen in Kopf, Armen und Schultern nicht mehr spürte. Und plötzlich wurde ihm klar, wer sich da vor ihm unter einem breitkrempigen Hut und einem weiten schwarzen Umhang verbarg: Andreas Stübner, Hobbyarchäologe, Heimatforscher und vehementer Verfechter der Einrichtung einer kompletten Folterkammer im Museum des Steinheimer Schlosses.

    Stübner galt in Steinheim als Sonderling, ja als Spinner, der von allen alles andere als ernst genommen wurde. Aber man hielt ihn für ungefährlich. Auch als er im Schlossgebäude Wände aufmeißelte, um die von ihm dort vermuteten Wandmalereien freizulegen, kam er mit einem blauen Auge davon. Nach diesem Zwischenfall trat Andreas Stübner nur noch selten in Erscheinung. Zuweilen erneuerte er seine Forderung nach originalgetreuen Ritterturnieren rund um das Steinheimer Schloss in der örtlichen Presse, brachte die Folterkammer ebenso ins Gespräch wie die von ihm vorgeschlagene Pflicht für die Altstadtbewohner, sich mittelalterlich zu kleiden. Doch außer einem gewissen Unterhaltungswert konnte niemand in Steinheim diesem Kreuzzug Stübners für die Wiedereinführung des Mittelalters etwas abgewinnen. Immer radikaler wurden seine Forderungen, immer vehementer trat er für seine Ideen ein. Und erst als nach der Eingemeindung Steinheims die Stadt Hanau das Schloss zum Preis von einer Mark erwarb – und damit auch die Pflicht zur Instandhaltung –, verschwand Stübner so ziemlich ganz aus den Schlagzeilen. Der wunderliche Mann ward immer seltener gesehen, und wenn er irgendwo in einer Altstadtkneipe seinen Äppler schlürfte, musste er sich Bemerkungen gefallen lassen: »Was macht das Mittelalter?« Andreas Stübner lächelte meist eiskalt zurück. »Ihr werdet es früh genug erfahren«, pflegte er zu sagen, ehe er seinen Umhang vom Haken nahm und die Kneipentür hinter sich zuknallte.

    Dieser fast vergessene Mensch stand nun drohend vor dem hilflosen Schönfelder. »Willkommen im dunklen Mittelalter«, grinste Stübner den fassungslosen Kommissar an und schob einen hölzernen Hebel, der aus der Wand ragte, nach oben. Rasselnd setzten sich die Ketten der Fesseln in Bewegung, und der Kommissar spürte, wie seine Arme noch weiter nach oben gezogen, die Schultergelenke fast ausgehebelt wurden. Er dachte nur an Gerda, seine Frau, die seit einigen Wochen zur Kur in Bad Füssing war. »Gerda!«, röchelte er, dann versank das Bild von Andreas Stübner vor ihm in Unschärfe.

    Zur gleichen Zeit klingelte im Hanauer Rathaus im provisorisch eingerichteten Büro des BKA das Telefon. »Kriminalhauptkommissar Hermann Schneider, was gibt’s?«, meldete sich der diensthabende Beamte. »Ja, hier Scheller von der Spurensicherung. Wir haben was. Die Fingerabdrücke im Gang hinter dem Tresorraum stammen eindeutig von Öglu.« »Aha, wusste ich’s doch«, sagte Schneider triumphierend. »Du hast was gut bei mir.«

    »Wenn das so ist, dann kannste ja mal ‘ne Runde von deinem selbstgebrannten Obstler ausgeben«, antwortete Scheller mit einem Lachen. »Einverstanden. Aber das bleibt unter uns«, ließ sich Schneider nach einer kurzen Pause vernehmen. Ein Klicken beendete das Gespräch. Hauptkommissar Schneider nahm einen neuen Aktendeckel aus der Ablage und lehnte sich zurück. »Spurensammlung kurdische Separatisten« schrieb er mit Edding in seiner fahrigen Schrift. Dann legte er den Bericht des Verfassungsschutzes dazu. »Gute Arbeit von den Kollegen«, murmelte er anerkennend. Alles passte zusammen. Der Verfassungsschutz hatte von Zeugen gemeldet bekommen, Öglu habe an Treffen der Separatisten in der Rochushalle teilgenommen. Und nun die Spuren im Durchbruch. Allen war klar, dass die Separatisten Geld für Waffenkäufe brauchten, um ein unabhängiges Kurdistan gegen die Zentralregierung durchzusetzen. »Der Fall ist so gut wie abgeschlossen. Jetzt brauchen wir nur noch diesen Öglu.« Schneider atmete tief durch und freute sich auf ein freies Wochenende mit der Familie. Und Scheller hatte sich einen kräftigen Schluck von seinem Schwarzgebrannten verdient.

    In diesem Moment betrat sein Kollege, Kriminalhauptkommissar Günter Rosenbusch, das Büro. »Eine heiße Spur«, sagte er, während er eine Mappe auf den Tisch knallte. »Korruption, Mafia, Schmiergeld, Schwarzgeldkassen und Politik. Alles, was du willst. Die ganz große Nummer. Fehlt nur noch ein Mord.« Schneider, der in Gedanken schon auf Familienausflug im Spessart war, stöhnte. »Willste auch ‘nen Kaffee? Ich brauch’ jetzt erst einmal etwas Starkes und einen Jägermeister, um das alles zu verdauen.« Schneider brachte keinen Ton heraus, was sein Kollege als Zustimmung deutete. Wenig später stand eine zweite Tasse Kaffee vor ihm. »Also«, begann Rosenbusch, während er sich an seinen Schreibtisch gegenüber setzte, »hier ist Wahlkampf. Der OB will wiedergewählt werden. Auf der Sparkasse werden viele Konten mit regelmäßigen Abbuchungen ab 20 000 Mark geführt. Und jetzt pass’ auf! Alle Kontoinhaber sind Parteimitglieder oder gehören zum Dunstkreis der Günstlinge. Und unser Dorfpolizist Schönfelder ist mitten unter ihnen. Jetzt weißt du auch, warum der uns immer so schräg von der Seite anschaut. Der hat die Hosen voll, dass wir hier einen Sumpf trocken legen.« Rosenbusch war längst aufgesprungen und donnerte mit der Faust auf den Tisch. »Na, was sagt du jetzt?« Aber Schneider schwieg. Er verabschiedete sich von den Gedanken an ein freies Wochenende. »Was ist los? Ist bei dir Sendeschluss? Wir kommen ganz groß raus«, bohrte sein Kollege unerbittlich weiter und sah sich schon als Kriminalrat nach Berlin überwechseln.

    Schneider schüttelte den Kopf. Er wollte nicht nach Berlin. Er wollte in die Gaststätte am Buchbergturm und Schnitzel essen. »Hier sind seit zwanzig Jahren die Gleichen am Ruder. Da ist es doch klar, dass jeder in einer Partei ist«, versuchte er die Theorie seines Kollegen zum Einsturz zu bringen. Für einen Moment war Rosenbusch irritiert. Sollte er sich getäuscht haben? »Und was ist mit der Mafia?«, legte Schneider nach. »Genau«, polterte Rosenbusch, froh seinen Faden wiedergefunden zu haben. »Pizzaconnection sag ich nur. Die Geldverschieber sind entweder Parteifreunde oder Besitzer von Pizzerien, oder beides. Ist dir noch nicht aufgefallen, wie viele Pizzerien und Dönerbuden es hier gibt?« Schneider stutzte erneut. »Steht alles im Bericht«, fügte Rosenbusch triumphierend hinzu und ließ sich zurück in seinen Amtsstuhl fallen. Der Punkt ging an ihn, dachte er. In diesem Moment klopfte es an die Tür. »Herein«, riefen Schneider und Rosenbusch gleichzeitig. Durch die Tür drängelte sich der komplette Steinheimer Stammtisch. »Wir wollen eine Anzeige machen«, begann der alte Jakob, der zum Sprecher der Gruppe bestimmt worden war. »Worum geht’s denn?«, fragten die Kommissare unwillig. Sie hatten jetzt Wichtigeres zu tun. »Wir wollen eine Vermisstenanzeige aufgeben. Unser Kommissar Schönfelder ist verschwunden.« Rosenbusch zog die Augenbrauen nach oben, lehnte sich zurück und sagte: »Isst ihr Kommissar gerne Pizza?« »Ja klar«, antwortete Jakob, ohne jedoch den Sinn der Frage zu verstehen. »Macht hier doch jeder.« »Aha«, sagte Rosenbusch und schaute mit dem selbstgefälligen Blick eines Kriminalrats, der es schon immer gewusst hatte, zu seinem Kollegen. Nun war es an Schneider, die Augenbrauen zu verziehen. »Wochenende ade«, sagte er nur mit beißendem Ton. Zur Stammtischgruppe gewandt, bellte er: »Und Sie können gehen. Wir haben alles unter Kontrolle.«

    »Was heißt hier alles unter Kontrolle? Rein gar nichts haben Sie unter Kontrolle! Seit Sie hier sind, geht alles drunter und rüber!« Jakob holte tief Luft, um seinen Unwillen gegen die Beamtenbehäbigkeit der Kriminalen erneut ausbrechen zu lassen. Aber Schorsch packte ihn am Arm und gebot ihm zu schweigen. »Hören Sie zu. Herbert Schönfelder ist verschwunden. Weg, wie vom Erdboden verschluckt.« »Schon gut, schon gut!«, unterbrach Rosenbusch. »Der Herr Schönfelder wird schon seine Gründe fürs Abtauchen in den Untergrund haben. Genau wie euer Hasan Öglu. Hier«, und er winkte mit dem Aktenordner, der peinliche Erkenntnisse verheißen sollte, »alles Schwarz auf Weiß! Und wenn Sie jetzt nicht sofort aus diesem Büro verschwinden, werden wir die Akte um einige Personen erweitern! Nämlich um genau die, die hier in diesem Raum stehen und uns bei der Ermittlungsarbeit behindern!« Rosenbusch war sich der Wirkung seiner Worte sicher, als die Stammtischrunde zögerliche Blicke wechselte, dann aber den geordneten Rückzug antrat. »Siehste Schneider, die Arbeit in der Provinz hat auch ihr Gutes: Das Volk respektiert Amtspersonen noch.«

    Doch der Grund für den Rückzug der Stammtischmannschaft war ein anderer. Zu deutlich war die Fahne des Beamten, der sie so abgefertigt hatte. »Pflaume, Jahrgang ‘91«, meinte Schorsch bestimmt. »51 Prozent, mit Wilhelms Destillierapparat gebrannt – schwarz gebrannt!« Selbst Jakob, ansonsten immer für ein Widerwort gut, stimmte zu: »Richtig, mit Quetsche von Bäumen aus dem Kapellenweg.« Allgemeines Nicken in der Stammtischrunde, die sich mittlerweile vor dem Polizeigebäude befand. »Von denen können wir nichts erwarten. Die stecken selbst mit drin«, resümierte Heiner. »Wir müssen das selbst regeln, bevor hier ganz falsche Verdächtigungen in Umlauf kommen.« Wieder allgemeine Zustimmung, die der Stammtisch nur dann zeigte, wenn die Lage wirklich ernst war.

    Zur Feier des Tages leisteten sie sich sogar ein Taxi. Ich hatte gerade einen Fahrgast am Marktplatz abgesetzt und war froh, eine bezahlte Fuhre zurück nach Steinheim gefunden zu haben. Während des Stop-and-go-Fahrens über die Mainbrücke erzählte ich ihnen, dass ich Schönfelder gestern in die Fasanerie gefahren hatte. »Da war er sicherlich bei den Schweinen und hat ihnen die Borsten gekrault«, brummte Heiner. »Des macht er immer, wenn er nachdenke will.« Schorsch kratzte sich die Bartstoppeln. »Und was, wenn die Schweine ihm gesagt haben, dass er nur in der Erde wühlen muss, um die Lösung für den Fall zu finden? Ihr wisst doch, was der Herbert ab und zu in einfachste Sachverhalte hinein interpretiert.« Schweigen herrschte im Taxi, das soeben vor dem Stadtwirtshaus vorfuhr und sanft anhielt. »Platz des Friedens, meine Herren«, rief ich. Aber meine Gäste blieben sitzen und sahen sich an, nickten schließlich und Jakob gab den kurzen Befehl: »Fahren Sie zum Haus von Schönfelder.«

    Der Schlüssel war schnell aus dem hohlen Gartenzwerg mit Schubkarre herausgefingert und die Wohnungstür ebenso schnell geöffnet. Auf dem Tisch lagen sie noch. Die Pläne der unterirdischen Gräben, die Steinheims Altstadt durchziehen. Sofort war den Stammtischbrüdern allerdings klar, dass auf der vor ihnen liegenden Karte nicht einmal ein Drittel all jener Labyrinthgänge verzeichnet waren, die im Laufe der Zeit noch hinzugegraben worden waren. »Unser Schwarzbrennereck ist genauso wenig eingezeichnet wie das vom Hofbrauhauser«, stellte Jakob grinsend fest. »Aber die wird er jetzt bestimmt schon entdeckt haben«, raunzte Heiner zurück. »Ist doch egal, wir müsse ihn finden, auf jeden Fall«, warf Schorsch ein, der Schönfelders Diensttaschenlampe einsteckte, sein Sprechfunkgerät an sich nahm, und die Dienstmarke des Kommissars, für alle Fälle, in der Jackentasche verschwinden ließ.

    Jakob, Schorsch und Heiner nahmen den kurzen Weg: Im Hinterhof von Hasan Öglus Schneiderei führte eine steinerne Treppe hinab in einen geräumigen Keller und von da direkt in den Stadtgraben. Schnell fanden sie die nur

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