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Das letzte Signal
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eBook236 Seiten3 Stunden

Das letzte Signal

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Über dieses E-Book

"Der Luxuszug besaß eine Fernsprechkabine. Hier kam ein Ruf an. Irgendwoher. Eine Stimme, trocken, heiser, sehr aufgeregt. ›Hallo! Spreche ich mit dem D-Zug 219 Lyon–Marseille? ... Gott sei Dank – Fräulein – oder wer Sie auch seien – ziehen Sie auf der Stelle die Notbremse, hören Sie? Menschenleben sind in Gefahr – folgen Sie meinem Rat, bevor es zu spät ist – –!‹" Ein beherzter junger Mann greift nach dem Signalgriff und zieht die Bremse; wenige Augenblicke später tut es einen gewaltigen Schlag ... Als draußen das letzte Signal vorbeischwirrte, hatte Lokführer Besier bereits ein ungutes Gefühl übermannt – jetzt liegt er mit zerschmettertem Schädel auf einem Felsvorsprung unter der zerstörten Eisenbahnbrücke. Was ist geschehen? Welches Verbrechen verbirgt sich hinter den rätselhaften Vorfällen um das Unglück? Komissar Lebrun von der Pariser Kriminalpolizei, der sich zufällig im Zug befindet, übernimmt die Ermittlungen. Harry Hoffs vielleicht ungewöhnlichster Kriminalroman beginnt so rasant wie ein Schnellzug, geht rasant weiter und hält dieses Tempo bis zur letzten Seite!-
SpracheDeutsch
HerausgeberSAGA Egmont
Erscheinungsdatum18. Nov. 2016
ISBN9788711508626
Das letzte Signal

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    Buchvorschau

    Das letzte Signal - Hans Heidsieck

    Landjäger

    Erstes Kapitel

    Der Zug rast. Die Räder glühen. Funken stieben aus dem gedrungenen Schornstein der schweren Lokomotive.

    Ein eisernes Brausen tönt durch die Nacht. Vor zehn Minuten wurde der Bahnhof Valence verlassen. Weiter geht die jagende Fahrt auf Marseille zu. Der Expreßzug Lyon—Marseille, einer der schnellsten Frankreichs, schwebt mit seinen erleuchteten Fenstern wie ein phantastischer Pfeil durch die Ebene hin.

    „Was haben wir drauf?" fragt der Heizer. Unermüdlich schaufelt er in das gähnende Feuerloch. Der Lokomotivführer, magisch beleuchtet vom Widerschein züngelnder Flammen, am Regulator hantierend, steht wie eine Statue da. Sein Blick ist starr durch die Windschutzscheibe nach vorne gerichtet.

    „Neunzig erst! Leg noch zu!" ruft er gegen die Scheibe so laut, daß der Heizer es hören muß.

    Der Zug hat Verspätung. Zwar nur Minuten —, aber die müssen eingeholt werden. Normalerweise legt er schon einhundertundzwanzig Kilometer in der Stunde zurück. Jetzt muß man noch zehn höher klettern.

    Das Tachometer vibriert nervös hin und her. Viktor Besier, der Lokomotivführer, streift es immer von neuem mit einem flüchtigen Blick. Fünfundneunzig — achtundneunzig — hundert —.

    Der Heizer schaufelt. Schweiß rinnt ihm die Stirn herunter; vermischt sich mit Kohlenstaub. Er ist schwarz im Gesicht, über das kleine Bäche laufen. Nur seine Zähne stechen blendend daraus hervor. Er grinst.

    „Immer noch?" fragt er.

    „Ja, feste, feste!" kommt es von der Windschutzscheibe zurück.

    105 — — 110 — 118 — — 123

    Im Widerschein des offenen Feuers zucken die Telegraphenstangen vorüber. Das sieht gespenstig aus. In Wellenbewegungen glitzern die Drähte, hoch und nieder, hoch und nieder, es ist eine unruhige Gleichförmigkeit.

    „Genug!" ruft Besier und streicht sich über die Stirn. 130!

    Ein leises Zittern geht durch den stählernen Körper der Lokomotive. Sie stürmt dahin wie ein edles Pferd. Besier liebt sie. Er fühlt sich verwachsen mit diesem Wesen, das für ihn keine tote Maschine ist.

    Gewissenhaft prüft er den Druck der Ventile. Er reißt den Regulator zurück; läßt Dampf ab. Zischend strömt der in einer weißen, milchigen Wolke aus.

    Der Führerstand liegt jetzt im Dunkel. Michon, der Heizer, hat die eiserne Tür der Feuerung zugeworfen. Aber nach kurzer Zeit schon beginnt sie zu glühen. Wieder erhellt ein magischer Schimmer den kleinen Raum.

    Draußen flattert die Nacht vorüber.

    Auch Michon hat sich jetzt, auf der anderen Seite, an die Windschutzscheibe begeben. Auch er starrt dem Zug voraus. Ein Signal taucht auf. Es ist das Vorsignal eines Bahnübergangs. Das grüne Licht huscht vorüber. Schon kommt das Hauptsignal. Auch vorüberI Vorbei —: vorbei!

    Der Bahnübergang — die Schranke — — alles nur eine Vision!

    Fast hätte der Luftzug des durch die Nacht stürmenden Eisens den Bahnwärter umgerissen …

    Besiers Kiefer mahlen. Alles ist Spannung an ihm. Stählern hart ist sein Blick. In solchen Stunden fühlt er seine ganze Verantwortung. Nur ein falscher Griff, e ine Schwäche, ein Übersehen, und der Zug versinkt in ein Chaos splitternder Eisenteile!

    Gerade in der vergangenen Nacht hatte er einen furchtbaren Traum gehabt. Daran krankt er noch. Visionär sieht er die Katastrophe, die jeden Augenblick kommen kann. Für ihn und die anderen, die sich ihm ahnungslos anvertrauten.

    Sekundenlang fühlte er Michons Blick auf sich ruhen. Ob dem auch schon Bedenken kamen?

    Ach was — Bedenken! So etwas gab es nicht! Er ist ein normaler, gesunder Mensch! Drei Jahre lang fährt er die Strecke schon. Wieso sollte heute ausgerechnet etwas passieren!

    Der Heizer wendet sich wieder seiner Feuerung zu. Mit einer Riesenstange stochert er in der Glut herum. Die Stange entgleitet der sehnigen, rauhen Hand; Stahl klirrt auf Eisen, — es tönt wie ein warnendes Glockenzeichen.

    Besier fährt zusammen. Was war das? Ihn schüttelt etwas. Es verkrampft sich in ihm. Ohne daß er dem wehren kann. Draußen schwirrt ein Signal vorüber — Signal — Signal — — das letzte Signal, geht es ihm durch den Kopf. Weiß der Teufel, wie er auf solche irrsinnigen Gedanken kam!


    Der Luxuszug besaß eine Fernsprechkabine. Hier kam ein Ruf an. Irgendwoher. Eine Stimme, trocken, heiser, sehr aufgeregt.

    „Hallo! Spreche ich mit dem D-Zug 219 Lyon—Marseille?"

    „Ja, bitte, hier ist die Sprechzelle D-Zug 219.

    Wen wünschen Sie?"

    „Gott sei Dank — Fräulein — oder wer Sie auch seien — ziehen Sie auf der Stelle die Notbremse, hören Sie? Menschenleben sind in Gefahr — folgen Sie meinem Rat, bevor es zu spät ist — —!"

    „Wer spricht denn dort?"

    „Das kann Ihnen gleichgültig bleiben. Handeln Sie, wie ich sage! Oder Sie sind verloren! Wenn Ihnen Ihr eigenes Leben noch lieb ist"

    Die Telephonistin schwankt blaß zur Tür. Sie stürmt in den Gang hinaus. „Schaffner! ruft sie mit bebender Stimme, „Schaffner!

    Einige Fahrgäste stürzen aus ihren Abteilen heraus, umringen das Fräulein. Tausend Fragen umschwirren es.

    „Ich soll die Notbremse ziehen! ruft das Mädchen in seiner Verzweiflung, „es kam ein Anruf — eben — ich weiß nicht — —

    Wachsbleich im Gesicht, starrt sie die drängenden Leute an. Eine Frau stößt einen hysterischen Schrei aus. Dann sinkt sie dem neben ihr stehenden Herrn in die Arme.

    Die allgemeine Verwirrung nimmt panikartige Formen an. Da tritt ein junger, sorgfältig gekleideter Mann aus der Menge hervor, schreitet gemessen auf den nächsten Signalgriff zu und zieht die Bremse.

    Ein Zittern und Beben geht durch den Zug. Alles purzelt wirr durcheinander. Die Leute werden nach vorne und aufeinander gepreßt. Knirschende Räder hört man — Flüche — Seufzer — — verworrene Schreie.

    Und dann kommt ein Stoß, ein furchtbarer, alles durchrüttelnder Stoß, den draußen irgendwo ein splitterndes Krachen begleitet hat …

    Im ganzen Zug ist das Licht erloschen. Gepäckstücke sind auf die Menschen heruntergefallen. Größer und größer wird der Tumult. Man hört Hilferufe.

    Die Wagen stehen wie angeschraubt.

    „Silence! Silence! — Ruhe, Ruhe! ertönt eine volle, sympathische Männerstimme, die wirklich etwas Beruhigendes hat, „ich bitte Sie, meine Herrschaften — — es ist doch gar nichts passiert! Man hat nur die Bremse gezogen!

    Draußen laufen zwei Schaffner und der Zugführer mit Laternen am Zuge entlang nach vorne. Überall springen die Fenster auf, erscheinen verzerrte Gesichter.

    Ein pfeifendes Zischen kommt von da vorne her. Dazwischen erschallt es wie eine brüllende Menschenstimme. Sollte doch etwas passiert sein?

    Die Männer hasten die Böschung entlang. Mehrere Reisende schließen sich ihnen an.

    Dann starren sie entsetzt auf den vordersten Wagen, der, in Rauchwolken eingehüllt, halb über einem Abgrund hängt.

    Aus der Tiefe kommt ein klägliches Wimmern.

    Der Zugführer tritt an den Rand der Brücke, die, ein zerborstenes Eisengewirr, gesprengt und zerstückt in der Tiefe liegt.

    Beherzte Männer steigen den Hang hinab.

    Eben schiebt sich der Mond zwischen Wolken vor. Sein blasses Licht umgeistert die Schreckenszene.

    Dort unten liegt die schwere Schnellzuglokomotive, halb in den steinigen Boden des fast ausgetrockneten Flußbetts gewühlt. Immer noch strömt zischend Dampf von ihr aus, der in weißen, wallenden Schwaden emporsteigt. Das Wimmern ist stärker geworden. Es löst sich bisweilen in heiseren Schreien aus.

    Erblassend treten die Schaffner näher. Sie finden den Schreienden, — Michon, der Heizer ist es, der mit zerschmetterten Gliedern neben der Lokomotive liegt. „Schlagt mich tot! bittet er, „schlagt mich doch tot, ihr Leute! Das halte ich nicht mehr aus!

    Aber ein Arzt ist zur Stelle. Michon erhält eine Morphiumspritze. Da hört sein furchtbares Wimmern und Schreien auf …

    Zehn Meter weiter, auf einem Felsenvorsprung, findet man Besier, den Lokomotivführer, mit zerschmettertem Schädel. Hier ist nichts mehr zu retten. Vorsichtig trägt man die Leiche zum Zuge hinauf.

    Inzwischen haben sich alle Reisenden auf die Böschung begeben. Hastig rennen sie hin und her. Namen werden gerufen, geschrien. Antworten kommen. Herzzerreißende Szenen spielen sich ab. Jeder denkt sich das Unglück größer, als es gewesen ist. Endlich haben sich alle wieder zusammengefunden. Erleichtertes Aufatmen. Langsam beruhigt man sich. Nur wenige Reisende haben Hautabschürfungen und kleinere Verletzungen davongetragen. Der Zugschaffner gibt die Parole aus, daß nur der Lokomotivführer und der Heizer ernstlich zu Schaden gekommen sind.

    Ein Hilfszug wird telephonisch herbeigerufen.

    Während der Schaffner sachlich und ruhig seine Anordnungen traf, um wieder Ordnung herbeizuführen, trat ein Herr auf ihn zu und sagte:

    „Ich bin Lebrun von der Pariser Kriminalpolizei. Sie kennen vielleicht meinen Namen!"

    Der Zugschaffner leuchtete ihm ins Gesicht. „Haben Sie einen Ausweis?" fragte er sachlich, während er nebenbei einem Angestellten noch rasch eine Weisung gab.

    Lebrun hielt seine Legitimationskarte in den Schein der Laterne. Der andere prüfte sie. Dann reichte er dem Beamten die Hand hin.

    „Das ist ja ein glücklicher Zufall, daß Sie gleich da sind, Herr Kommissar! sagte er froh bewegt, „Sie waren im Zuge?

    „Jawohl. Mit einem deutschen Kollegen, der zu Studienzwecken im Austausch zu uns gekommen ist. Man erwartet uns in Marseille. Aber nun gibt es wohl hier zu tun. Wollen Sie sich mir freiwillig unterstellen?"

    Der Zugschaffner überlegt nicht lange. Unter Lebrun, dem berühmtesten Kriminalisten Frankreichs, zu arbeiten, sei keine Schande, erwidert er mit verhaltenem Lächeln.

    „Na schön. Wie heißen Sie eigentlich?"

    „Gaston Bois, Herr Kommissar!"

    „Wir wollen sofort die Gegend hier absuchen lassen. Es liegt ein Attentat vor. Wieviel Leute haben Sie zur Verfügung?"

    „Einen Packwagenschaffner, zwei Postbeamte, zwei weitere Schaffner und die beiden Schlafwagenkontrolleure. Das weibliche Personal zählt wohl nicht mit."

    Lebrun strich sich über das scharfe Kinn. „Hm. Vielleicht beteiligen sich auch einige Passagiere an der Aktion. Kennen Sie diese Gegend?"

    „Wenig, Herr Kommissar. Aber man wird schließlich ortskundige Leute finden!"

    „Schön. Die Sache nehmen Sie in die Hand!"

    „Verzeihen Sie bitte, Herr Kommissar — aber ich darf den Zug nicht verlassen!"

    „Richtig! Dann werden wir also — —"

    Ein Postschaffner trat herbei. „Verzeihen Sie, Kommissar — ich bin aus der Gegend!"

    „Schön, sehr schön. Also organisieren Sie eine Suchaktion! Aber sofort, wenn ich bitten darf!"

    Geschäftig hastet der Mann davon. Lebrun wendet sich wieder Bois zu. „Haben Sie übrigens nach der Gegenstation Nachricht gegeben?"

    „Jawohl. Ist sofort geschehen. Alle Vorkehrungen sind getroffen, um ein weiteres Unglück unmöglich zu machen."

    Jetzt steht ein jüngerer Herr ehrfurchtsvoll neben dem Kommissar. Es ist sein Begleiter, der mit Spannung in seinen Mienen forscht.

    „Nun, Herr Seidler, fragt er, „haben Sie sich an die Arbeit gemacht? Was meinen Sie, was hier vorliegt?

    Der Deutsche trat einen halben Schritt näher. „Natürlich ein Attentat! erwiderte er, „nach dem Anruf zu urteilen — —

    „Was für ein Anruf?" fragte der Kommissar erstaunt.

    „Ah — Sie wissen nicht? Irgendein Warner rief doch den Zug an!"

    „Ein Warner? Na — und?"

    „Die Telephonistin stürzte daraufhin auf den Gang hinaus, um den Schaffner zu suchen. Ihre augenblickliche Erregung steckte die anderen Reisenden an. Mir kam die Sache gleich höchst verdächtig vor. Da habe ich denn für alle Fälle die Bremse gezogen."

    „Sie haben — —?"

    „Jawohl. Und hätte ich‘s nicht getan, dann lägen wir jetzt alle mit mehr oder weniger zerschmetterten Gliedern in dem Flußbett da unten! Hätte ich es zwei Sekunden früher getan, dann wären auch noch der Lokomotivführer und der Heizer verschont geblieben. Aber wie konnte ich ahnen — —" In diesem Augenblick wurde dem Kommissar ein Mann vorgeführt, der als kleiner Hofbesitzer hier in der Nähe wohnte. Er glaubte eine wichtige Aussage machen zu können. Der Kommissar nahm ihn gleich vor.

    „Wie heißen Sie?"

    „Jérome Martin!"

    „Sie haben das Unglück beobachtet?"

    „Nein."

    „Ja, was wollen Sie denn?"

    „Ich, Herr — Herr Kommissar — — ich habe aber kurz vorher so einen heftigen Knall gehört, daß ich im Bette auffuhr und gleich auf den Hof lief. Aber da war alles still. Nur der Hund knurrte. Ich beruhigte ihn. Gerade wollte ich wieder ins Haus gehen, als wieder ein Krachen zu mir herüberklang. Ich lief sofort in der Richtung los — — und da bin ich nun."

    „So so — Sie hörten zweimal ein Krachen! Lebrun wandte sich den Umstehenden zu. „Das erstemal, sagte er, „war es die Brückensprengung. Beim zweitenmal handelte es sich dann um den Absturz der Lokomotive. Es war wahrhaftig ein Segen, Herr Seidler, daß Sie im letzten Augenblick noch die Notbremse zogen! Sie haben damit vielen Menschen das Leben gerettet!"

    „Bei dieser Geschwindigkeit unbedingt! flocht der Zugschaffner ein, „das Tachometer ist auf 126 stehengeblieben!

    Alles starrte den Retter an, der bescheiden zur Seite blickte.

    „Ein weiteres großes Glück war es noch, fuhr Bois fort, „daß die Kuppelung zwischen der Lokomotive und dem Packwagen gerissen ist. Sonst waren die ganzen Wagen noch hinterhergestürzt.

    „Wo ist die Telephonistin?" fragte Lebrun und löste sich von der Gruppe. Lediglich Seidler, der Deutsche, folgte ihm. Im Zuge brannte wieder das Licht.

    Die Telephonzelle war umlagert. Jeder wollte telegraphieren oder telephonieren, daß ihm nichts weiter passiert sei. Aber der Raum war für jeden Privatverkehr abgesperrt. Er wurde für Dienstgespräche reichlich genug in Anspruch genommen.

    Lebrun sprach zunächst mit der Präfektur in Paris. Man fragte sofort, ob er den Fall nicht gleich in die Hand nehmen wolle. Er lächelte:

    „Ist schon geschehen!" Im übrigen berichtete er über die Heldentat seines deutschen Kollegen. Man stelle ihm gern anheim, wurde ihm mitgeteilt, diesen mit zuzuziehen, — sein Einverständnis vorausgesetzt.

    Dann nahm sich Lebrun die Telephonistin vor. „Erzählen Sie mir von dem Anruf, bitte!"

    „Ja — also — — Herr Kommissar — begann die immer noch Aufgeregte, „es war eine Männerstimme — — ich sollte die Notbremse ziehen, wenn mir mein Leben lieb sei! Was sollte ich machen? Ich war ganz durcheinander und wollte den Schaffner rufen.

    „Der Fremde gab keinen Namen an?"

    „Nein. Als ich fragte, meinte er, daß mir der gleichgültig bleiben könne."

    „Wissen Sie denn, woher dieser Anruf kam?"

    „Ich habe es eben festgestellt. Weil ich schon dachte, daß Sie mich danach fragen würden."

    „Sehr brav von Ihnen, mein Kind! Na — und?"

    „Der Anruf kam aus Valence. Auch die Nummer hat mir die Kollegin dort auf dem Amt verraten, als ich ihr andeutete, worum es sich handelt. Hier ist sie! Ich habe sie gleich notiert!"

    Lebrun starrte den Zettel an. Dann sagte er hastig:

    „Verbinden Sie mich mit der Kriminalpolizei in Valence!" Nun sprach er längere Zeit mit dem Kollegen, der sich dort meldete. Man müsse sofort den Inhaber der fraglichen Nummer feststellen lassen. Außerdem möge man ihn auf dem laufenden halten. Wahrscheinlich komme er selber im Laufe des Tages noch nach Valence.

    Dann wandte er sich wieder den näherliegenden Dingen zu.


    Der Hilfszug war angekommen. Die Aufräumungsarbeiten wurden in Angriff genommen. Da auch ein Ärztewagen dabei war, konnte man den unglücklichen Heizer nun einer notwendigen Operation unterziehen. Man hoffte, ihn am Leben erhalten zu können.

    Lebrun freute sich nicht nur vom rein menschlichen Standpunkt aus über die Tatsache, daß Michon am Leben blieb. Der Heizer würde ihm ganz gewiß auch wichtige Bekundungen über die letzten Augenblicke vor dem Absturz der Lokomotive machen können. — — —

    Auf der anderen Seite des Flusses war inzwischen ein Gegenzug angelangt, der die Fahrgäste weiterzubringen hatte. Zwei Boote waren herangeschafft worden, mit denen man bei Fackelschein übersetzte. Das war aber so mit Schwierigkeitern verknüpft, daß es sich bis in den werdenden Morgen hinzog.

    Seidler trat an Lebrun heran: „Ein Abgesandter der Suchkolonne möchte Sie sprechen, Herr Kommissar!"

    Jetzt erst sah Lebrun einen Mann in der Nähe stehen, der, wie es schien, sich dem berühmten Kriminalbeamten nur zaghaft zu nähern traute.

    „Nun, was gibt es, mein Freund?" fragte Lebrun in seiner leutseligen Art. Der andere trat jetzt vollends heran.

    „Ich soll Ihnen melden, Herr Kommissar, daß man von Etoile und von Livron aus dabei ist, alles gewissenhaft einzukreisen, und daß der Landjäger Elliot, der sich an unsere Spitze gestellt hat, bereits zwei verdächtige Handwerksburschen verhaften konnte. Auch auf der Straße nach Livron zu wurde ein Radfahrer festgenommen, der seine nächtliche Tour nicht genügend begründen konnte."

    „Sehr schön. Sehr schön. Wer schickt Sie denn zu mir?"

    „Landjäger Elliot. Er meinte, Sie müßten doch orientiert sein. Ob Sie besondere Befehle hätten für ihn?"

    „Hm — bestellen Sie ihm einen Gruß von mir, und ich freute mich sehr darüber, daß er mich gleich so tatkräftig unterstütze. Im übrigen lasse ich ihm freie Hand. Wo ist er denn stationiert?"

    „In Etoile, Herr

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