Heimatkinder 47 – Heimatroman: Der kleine Ausreißer
Von Hildegard Lenz
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Der Tag fängt früh an auf einem Bauernhof. Ganz gleich, ob wochentags, sonntags oder feiertags – das Vieh will stets pünktlich versorgt werden. Auch der Milchwagen wartet nicht, wenn die gefüllten Kannen nicht pünktlich auf der Rampe stehen. So war es auch auf dem Grandlhof in Krainberg oberstes Gebot, rechtzeitig aufzustehen und unverzüglich den Pflichten nachzugehen. Der Grandl-Bauer war, wie jeder im Dorf wußte, eine Seele von Mensch. Wenn ihn aber etwas in Rage brachte, dann waren es Unpünktlichkeit und Nachlässigkeit bei der Arbeit.
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Heimatkinder 47 – Heimatroman - Hildegard Lenz
Heimatkinder –47–
Der kleine Ausreißer
Roman von Hildegard Lenz
Der Tag fängt früh an auf einem Bauernhof. Ganz gleich, ob wochentags, sonntags oder feiertags – das Vieh will stets pünktlich versorgt werden. Auch der Milchwagen wartet nicht, wenn die gefüllten Kannen nicht pünktlich auf der Rampe stehen. So war es auch auf dem Grandlhof in Krainberg oberstes Gebot, rechtzeitig aufzustehen und unverzüglich den Pflichten nachzugehen. Der Grandl-Bauer war, wie jeder im Dorf wußte, eine Seele von Mensch. Wenn ihn aber etwas in Rage brachte, dann waren es Unpünktlichkeit und Nachlässigkeit bei der Arbeit.
Auf dem Grandlhof lebten längst nicht mehr so viele Menschen wie früher, als Knechte und Mägde im Stall, in Feld und Wald schafften. Auf einem modernen Bauernhof hatten die Maschinen die fleißigen Hände überflüssig gemacht, so daß außer dem Bauern Pankraz Grandl, seine Frau Sofie und Sohn Martin nur noch der Azubi Wolfi zur Hausgemeinschaft gehörte. Als Aushilfe kamen im Sommer die Sennerin Alberta und der Rentner Simon hinzu. Wolfi hatte sich nach einigen Anfangsschwierigkeiten gut eingelebt und war nun, nachdem zwei Jahre seiner Lehrzeit herum waren, bereits eine vollwertige Hilfe.
Er nahm es auch sehr ernst mit seinen Pflichten und war besonders frühmorgens der erste im Stall. Wenn er fröhlich pfeifend die Stalltür öffnete, wandten ihm alle Tiere die Köpfe zu und ließen auch ab und zu ein sanftes Muuuh ertönen. Besonders gut gelaunt war der Wolfi nach der langen dunklen Winterzeit, wenn sich der Frühling allmählich gegenüber den Schneeresten auf den Hängen von Krainberg durchsetzte.
Auch an dem Dienstag vor Pfingsten, dessen klarer Morgenhimmel einen schönen Tag versprach, stiefelte Wolfi frohgemut über den Hof, um sich um seine Viecher im Stall zu kümmern. Zunächst mußte er aber frisches Heu aus dem Stall holen. Auf dem Weg dorthin begegnete ihm die Katze Minka. Sie rannte mit hängendem Schwanz eilig an ihm vorbei, ohne sich wie sonst streicheln zu lassen.
»Was hast du denn heute, Minka?« rief ihr der Wolfi erstaunt nach.
Kopfschüttelnd schob er die Stadltür auf, die zu seiner Verwunderung nur angelehnt gewesen war. Drinnen war aber alles unverändert. Weiß der Kuckuck wovor sich das Katzerl erschreckt hatte. Wolfi zog die Schubkarre aus ihrer Ecke, griff zur Heugabel und begann die Karre mit Heubündeln zu füllen. Er hatte schon einen großen Stapel aufgeladen, da fiel das oberste Packerl wieder herab und Wolfi mußte sich wohl oder übel nach ihm bücken, denn es war in den engen Spalt zwischen Karre und Stadlwand gefallen.
Und da fiel Wolfis Blick auf ein zusammengekrümmt daliegendes Etwas, das er im ersten Moment nicht genau erkennen konnte. War es ein Tier? Ein Futtersack? Oder… war es ein Mensch? Wolfi öffnete die Stadltür noch weiter, so daß ein Schein des hellen Morgenlichtes in die Ecke fiel. Jetzt sah er, was dort lag und in einen tiefen Schlaf versunken war: Ein kleiner Bub war es, aber er war nicht allein. Er hielt einen ebenfalls kleinen braunen Hund fest an sich gepreßt. Der Hund war wach und starrte Wolfi mit großen Augen an. Ein kaum vernehmbares Knurren sollte den fremden Menschen wohl warnen, seinem Herrchen zu nahe zu kommen.
Wolfi dachte gar nicht daran, den schlafenden Buben zu wecken. Er ließ zum ersten Mal seit langem die Arbeit im Stich und rannte in die Küche des Bauernhauses, in dem die Bäuerin bereits emsig tätig war.
»Bäuerin, Bäuerin«, rief der Wolfi aufgeregt, »kommen Sie ganz schnell mit. Im Stadl liegt ein fremder Bub.«
Sofie Grandl stellte die Dose mit dem Kaffeemehl beiseite. Sie hatte gerade den Filter in der Maschine damit gefüllt, denn ihr Mann brauchte am Morgen einen starken Muntermacher.
»Einen Buben hast du gefunden? Ja mei, wo kommt der denn her?«
»Ich weiß es doch net, Bäuerin. Er schläft tief und fest, ein Hunderl hat er auch dabei.«
»Ich schau mal nach, Wolfi. Geh du derweil zu deinen Viechern, es ist Zeit für die Stallarbeit. Wenn du dem Martin begegnest, sag ihm, er soll mal in den Stadl kommen. Er ist gerade in den Hühnerstall gegangen, weil er gemeint hat, der Fuchs sei ums Gehöft geschlichen.«
Wolfi ging diesmal widerwilliger an seine Arbeit, denn die Neugier plagte ihn allzu sehr. Er traf den Bauernsohn vor der Stalltür, so daß er ihm gleich die Neuigkeit berichten konnte.
Martin war nicht weniger erstaunt als seine Mutter.
»Ein fremder Bub? Wie mag der ausgerechnet auf unseren Hof gefunden haben? Kennst du ihn etwa von daheim?«
»Net die Bohne«, verneinte Wolfi energisch. »Hab’ ihn nie gesehen. Die Bäuerin ist selber hin, vielleicht hat sie ihn inzwischen erkannt.«
Martin Grandls Sorgen um das Federvieh waren unbegründet gewesen. Vielleicht war der angebliche Fuchs gar nur ein Nachbarshund gewesen. Oder… sollte er etwa den Hund des fremden Buben gesehen und für einen Fuchs gehalten haben?
Eilig lief Martin zum Stadl. Dort bot sich ihm eine erstaunliche und rührende Szene dar.
Seine Mutter saß auf dem harten Zementboden und hielt ein weinendes Büberl im Arm, das noch immer den kleinen Hund umklammert hielt. Die Bäuerin sprach ganz leise und tröstend auf das weinende Kind ein. Was sie sagte, konnte Martin nicht verstehen. Er sah nur, daß seiner Mutter ebenfalls Tränen in den Augen standen. Sie mußte großes Mitleid mit dem Büberl haben. Jetzt spürte sie, daß sie beobachtet wurde. Ohne den Kopf zu wenden, fragte sie:
»Bist du es, Martin? Geh, komm ein bisserl näher. Schau, wen der Wolfi gefunden hat. Ein heimatloses Bürscherl, das net mehr weiß, wohin es gehört. Wir wollen ihm helfen, gell, Martin? Vor allem muß er war zu essen kriegen, er und das Hunderl auch. Kannst du aufstehen, Büberl? Oder soll dich der Martin ins Haus tragen?«
Der Bub schüttelte heftig den Kopf. Mit energischen Bewegungen fuhr er sich über die Augen, wobei er eine unübersehbare Schmutzspur auf der Haut hinterließ.
»Ich kann laufen«, krächzte der Kleine. »Nur die Füße tun mir ein bisserl weh. Aber das ist nicht so schlimm.«
»Wie schaut’s mit deinem Hunderl aus?«
Da jammerte der Bub: »Mein Putzi hat auch ganz wunde Pfoten. Er kann schon lange nicht mehr laufen, ich habe ihn die ganze Zeit getragen. Gell, Putzi? Wir zwei bleiben trotzdem zusammen. Für immer und ewig.«
Es war ein ans Herz gehender Anblick, wie der kleine Bub, das Hunderl fest an sich drückend, mühsam über den Hof schlurfte. Er konnte kaum die Füße heben, biß aber tapfer die Zähne zusammen. Sofie Grandl beobachtete jeden seiner Schritte, um notfalls sofort zupacken zu können, wenn er vor Schwäche stolpern sollte. Ihre Sorge war unbegründet. Kind und Hund kamen wohlbehalten im Bauernhaus an, wo sie erst einmal in die Küche hineingeschoben wurden.
»So, Bub, jetzt kriegst du ein großes Glas Milch mit Honig zu trinken. Das gibt Kraft und macht munter. Nachher frühstücken wir zusammen. Deinem Hunderl stellen wir einen großen Napf Wasser hin. Zu fressen haben wir auch für ihn, wir haben ja selber einen Hund, den Jako, der ist aber schon sehr alt und tut deinem Kleinen nix zuleide. So, wenn du noch stehen kannst, dann wasch dir ganz schnell mal die Hände im Spülbecken. Nachher kommst du in die Badewanne und ins Bett, und dann schläfst du bis zum Mittagessen. Einverstanden?«
Der fremde Bub nickte stumm mit dem Kopf. Es war ihm anzusehen, wie schwer ihm die Augenlider schon wieder wurden. Sofie Grandl merkte, daß er ihr gar nicht richtig zugehört hatte. Das Planschen in der Badewanne würde man wohl auf später