Die Bucklige: Horrorthriller
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Buchvorschau
Die Bucklige - Alfred J. Schindler
Alfred J. Schindler
Die Bucklige
Horrorthriller
von
Alfred J. Schindler
VORWORT
Wir haben das Jahr 1950 – 15. Juli...
Wenn Luise Goldner aus ihrer Holzhütte tritt, hat sie einen wundervollen Ausblick über das Meer. Sie lebt auf einer kleinen Insel mit dem Namen Vulkania. Ihre geräumige Hütte befindet sich etwa fünfhundert Meter von dem Dörfchen Steinbruck entfernt. Sie ist vom Dorf aus nicht zu erkennen. Die Insel ist nicht besonders groß. Sie hat eine Länge von etwa sechs Kilometern und eine Breite von drei Kilometern. Sie ragt ca. dreihundert Meter aus dem Meer. Man nennt die Insel auch den „Ewigen Wind".
Luises Hütte steht auf der östlichen Seite der Insel. Die steile Klippe, die fast senkrecht ins Meer fällt, ist nicht weit von ihrer Hütte entfernt. Mit einigen, weiten Schritten hat man sie erreicht. Es führt ein steiniger Weg von Steinbruck – vorbei an Luises Hütte – hinein in den unergründlichen Wald. In den letzten Jahrzehnten stürzten schon einige Leute in die Tiefe - manche unabsichtlich, andere absichtlich.
Man hat Luise Goldner Zeit ihres bisherigen Lebens von der Dorfgemeinschaft ausgeschlossen, nein, ausgestoßen, da die Menschen glauben, dass sie allen nur Unglück bringt. Sie ist für die Insulaner eine Missgeburt, der man besser aus dem Wege geht. Man bezeichnet sie klammheimlich als die...
„Tochter des Teufels".
Natürlich weiß sie, wie über sie gesprochen wird, und sie hätte die kleine Insel längst verlassen können, aber ihr ist im Lauf der Zeit klar geworden, ja, sie fühlte es, dass es ihr woanders, am Festland, nicht besser ergangen wäre. Also blieb sie zweiunddreißig Jahre lang hier – oben auf dem einsamen Plateau – auf das sich Kinder und Touristen verirren...
Sie lebt ihr einsames Leben, zusammen mit ihrem kleinen schwarzen Kater Tommy, den sie von ihrer einzigen Freundin Hannelore geschenkt bekam. Seit Luise den Kater hat, fühlt sie sich nicht mehr so einsam. Sie liebt ihn sehr, den kleinen, wuscheligen Kater. Er ist ihr Ein und Alles. Seltsamerweise ist er nicht sehr gewachsen. Das macht ihn umso niedlicher. Und sie verwöhnt ihn nach allen Regeln der Kunst.
Luise ist eine bekannte Wahrsagerin. Von diesen unregelmäßigen Einnahmen lebt sie. Auf dem Festland sprach es sich in den letzten fünf Jahren, also seit Kriegsende, schnell herum, dass Luise absolut zutreffende Auskünfte über die Zukunft der jeweiligen Person gibt. Außerdem ist ihr Honorar erschwinglich.
Ihre geheimen Hobbys sind Psychotherapie und Hypnose. Sie erzählte bisher niemand, dass sie sich auch mit diesen Themen beschäftigt. Sie möchte nicht, dass die Insulaner davon wissen. Es genügt, dass den Leuten bekannt ist, dass sie von der Wahrsagerei lebt.
Sie – die Hexe.
Viele Leute vom Festland kommen - meist mit einer Fähre - auf die Insel, nur um sie aufzusuchen. Am westlichen Teil der Insel befindet sich ein kleiner Hafen, in dem die Fähren rangieren können. Manche Leute fahren auch mit ihren eigenen Booten herüber, denn es sind nur sechs Seemeilen bis zum Festland. Wenn man auf der Klippe steht, kann man das Festland deutlich erkennen. Voraussetzung ist natürlich klares Wetter.
Alleine mit dem Geburtstag, der Geburtsstunde und dem Abtasten der Hände des „Klienten" blickt Luise in die Zukunft des- oder derjenigen Person...
xxx
Die Händler im Dorf dulden es, dass ich bei ihnen einkaufe. Nur Pfarrer Gustav Meier und natürlich meine einzige Freundin Hannelore stehen auf meiner Seite. Und die Kinder des Dorfes rufen mir zu, wenn sie mich vor meiner Holzhütte sehen:
„Luise, du alte Hexe!"
„Luise, zeig mir deinen Buckel!"
„Luise, du alte Missgeburt!"
„Luise, du Ausgeburt der Hölle!"
„Luise, du Tochter des Satans!"
Ich habe mich in all den Jahren NICHT an die bösartigen Beleidigungen gewöhnt. Es ärgert mich jedes Mal ganz fürchterlich, wenn das Wort „Buckel" fällt... Dieses schreckliche Wort empfinde ich wie einen tiefen Stich in meine verwundete, gequälte Seele.
Soeben kommt ein kleiner Junge namens Matthias Gründl des Weges. Ich bin gerade dabei, meine Bettwäsche im Garten aufzuhängen, als ich es tönen höre:
„Luise, du buckeliges Monster!"
Eine Bombe explodiert in meinem Gehirn.
„Komm mal her, du kleiner Schlingel!"
„Was wollen Sie denn von mir?"
„Möchtest du einen Kaugummi?"
„Ja!"
„Wie hast du mich genannt?"
„Ich? Ich sagte doch gar nichts!"
„Möchtest du meinen Buckel mal sehen? Ganz ohne Kleidung?"
„Au ja!"
Der kleine, aufgeweckte Junge freut sich. Ja, er ist begeistert. Er wird der erste Knabe im Dorf sein, der Luises grausigen Buckel ohne Kleidung sehen wird. Er wird es all seinen Freunden erzählen, und er wird der große Held in der Dorfschule der zweiten Schulklasse sein. Darauf freut er sich schon ungemein. Matthias ist sechs Jahre alt und ein richtiger Lausejunge. Wenn er nicht so mutig wäre, würde er sich Luise gar nicht nähern. So aber kommt es, dass er langsam auf sie zugeht. Sein Gesichtsausdruck ist voller Neugier. Gleich wird er ihren riesigen Buckel sehen.
Was für eine ungeheuere Aufregung!
In mir tobt es. Mich wundert selbst, dass ich plötzlich – von einer Minute auf die andere – diesen grenzenlosen Hass auf die Kinder von Steinbruck entwickele. All die Jahre zuvor hielt es sich noch im Rahmen. Aber dann explodierte gerade eben diese höllische Bombe in meinem Kopf. Ich frage mich, wieso dies nicht schon viel früher geschah. Ja, es war eine Zeitbombe, die plötzlich in mir hochging. Es hätte auch irgendein anderes Kind sein können, das mich beleidigt hätte, aber es ist nun mal dieser kleine Matthias.
Das Maß ist voll.
Zweiunddreißig Jahre übelste Beleidigungen...
Das Fass ist übergelaufen...
Jetzt hat Matthias mich erreicht. Das letzte, frische Bettlaken hängt auf dem Gestell und ich wende mich mit einem freundlichen Lächeln an ihn:
„Da ist dein Kaugummi."
„Danke, Frau Goldner."
„Kannst du ihn alleine aufmachen?"
„Ja."
„Sonst nennst du mich doch immer Luise!"
„Ich sage jetzt lieber Frau Goldner zu Ihnen!"
„Hier draußen kann ich dir meinen Buckel aber nicht zeigen!"
„Lassen Sie uns doch in Ihre Hütte gehen!"
Vorsichtig blicke ich mich um.
Niemand ist in der Nähe.
Die Hütte, in der ich lebe, wurde von meinen Brüdern erbaut. Das war damals, bevor sie beim Hochseefischen mit ihrem Schiffchen bei starkem Sturm kenterten und ertranken. Seit diesem Tag war ich völlig alleine auf mich gestellt. Meine Eltern waren längst verstorben.
Ich blicke mich noch einmal um. Niemand ist in der Nähe. Auch wenn sich die Leute vom Dorf Mühe geben würden, meine Hütte zu erkennen: Es würde ihnen nicht gelingen. Zu viele dichte Bäume verwehren den Blick. Außerdem haben die Leute sicherlich anderes zu tun, als mich andauernd zu beobachten.
Matthias und ich stehen in der Hütte. Ich verschließe die Türe. Erwartungsvoll und neugierig betrachtet er mich. Seine braunen Augen sind riesengroß.
Nun ziehe ich meine Bluse und den Büstenhalter aus.
„Habt ihr jetzt Sommerferien?"
„Ja."
„Du warst in der ersten Klasse?"
„Ja."
„Und im Herbst kommst du in die zweite Klasse."
„Ja, Frau Goldner."
„Du sollst nicht auf meine Brüste schauen, Matthias!"
„Ich schaue ja gar nicht!"
„Natürlich schaust du. Hast du denn noch nie den Busen deiner Mutter gesehen?"
„Doch, schon öfter."
Langsam drehe ich mich um. Und ich höre, wie Matthias durchatmet. Der Anblick meines Buckels raubt ihm wohl den Verstand. So schlimm hatte er es sich wahrlich nicht vorgestellt.
„Das ist ein Ding, was?"
„Ja, Frau Goldner."
„Gefällt er dir nicht?"
„Er ist schrecklich groß."
„Ja, das ist er."
„Ist er hart?"
„Möchtest du ihn anfassen?"
„Ja."
Er kommt zwei Schritte näher und berührt zögerlich meinen Buckel. Entsetzt weicht er zurück. Er benimmt sich, als ob er sich an meinem Buckel die Finger verbrannt hätte.
„Was hast du denn, Matthias?"
„Ihr Buckel ist grässlich. Ich fasse ihn nicht mehr an."
In mir tobt es. Nicht nur die Erwachsenen, auch die Kinder grauen sich vor meinem Buckel. Ich drehe mich langsam zu ihm um und sage:
„Matthias, schau mir tief in die Augen!"
„Ja."
„Du wirst jetzt ganz ruhig sein."
„Ja."
„Und still."
„Ja."
Mit aller Gewalt dringe ich in sein Unterbewusstsein ein. Ich lasse ihn nicht aus den Augen. Jede noch so geringe Ablenkung könnte den Effekt der Hypnose vernichten.
„Du wirst nun genau das tun, was ich dir sage."
„Ja."
„Du wirst jetzt noch ein letztes Mal tief einatmen und dann die Luft anhalten."
„Ja."
„Verstehst du, was ich sage?"
„Ja."
„Gut."
Irgendwie verloren blickt er mich an. Er weiß nicht, was hier geschieht – was mit ihm passiert. Er holt tief Luft und hält sie an. Und er atmet nicht mehr aus. Sein Gesicht läuft blau an. Es ist ihm nicht mehr möglich, zu atmen. Er ist vollkommen gelähmt, innerlich gesperrt. Seine Zunge quillt aus seinem Mund. Er fasst sich an die Brust und versucht, durchzuatmen. Er kämpft um sein junges Leben. Ich stehe