N3RDASTY: Teil 1: Der Geschmack von Träumen
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Buchvorschau
N3RDASTY - Stefanie Mühlsteph
Mühlsteph
N3RDASTY
Teil 1
Der Geschmack von Träumen
Impressum
Originalausgabe | © 2018
in Farbe und Bunt VerlagsUG (haftungsbeschränkt)
Kruppstraße 82 - 100 | 45145 Essen
www.ifub-verlag.de
Dieses Werk ist urheberrechtlich geschützt. Alle Rechte, auch die der Übersetzung, des Nachdrucks und der Veröffentlichung des Buches, oder Teilen daraus, sind vorbehalten. Kein Teil des Werkes darf ohne schriftliche Genehmigung des Verlags und des Autors in irgendeiner Form (Fotokopie, Mikrofilm oder ein anderes Verfahren) reproduziert oder unter Verwendung elektronischer Systeme verarbeitet, vervielfältigt oder verbreitet werden.
Alle Rechte liegen beim Verlag.
Herausgeber: Mike Hillenbrand
verantwortlicher Redakteur: Björn Sülter
Lektorat und Korrektorat: Telma Vahey
Cover- und Innenseitengestaltung: Grit Richter
E-Book-Erstellung: Grit Richter
Dieses Schuljahr wird alles besser
Meine Finger flogen über die Tastatur. Den Pausenlärm um mich herum nahm ich nur am Rande wahr. Vor meinem inneren Auge zog die vergangene DoKoMi vorbei und ich versuchte sie in Worte zu fassen. Jeden einzelnen Augenblick – selbst als ich meiner Nemesis persönlich fast über den Weg gelaufen wäre.
Warum war ich überhaupt dort gewesen?
Meine Hände stoppten abrupt.
Wegen Caldur – allerdings war es unmöglich, ihn zu treffen. Er ist mit Abstand mein liebster Online-Journalist, mit seiner bissigen, selbstironischen Art. Aber niemand wusste, wie er aussieht. Selbst auf der Webseite der AnimeThunder-Redaktion gab es kein Foto von ihm.
Dabei wollte ich ihn unbedingt kennenlernen. Er war schließlich der Grund, warum ich mit dem Bloggen angefangen hatte.
Ich seufzte tief und dramatisch.
»Was machst du denn da schon wieder?«
Mit einer raschen Bewegung klappte ich mein Netbook zu und schob es unter meinen Rucksack. Den Schreck in meinen Gliedern hätte ich gerne auch so einfach verschwinden lassen.
Sven stand wenige Meter vor mir, die Hände in die Taschen seiner Baggy gesteckt, um die Mundwinkel ein falsches Lächeln.
Mein Speichel hatte etwas von zähem Pech. »Die Tageszeitung lesen, um mich weiterzubilden – was dir vielleicht auch guttun würde«, rechtfertigte ich mich und drängte den Gedanken beiseite, dass er mir möglicherweise mitten in der großen Pause und vor allen Schülern den gesellschaftlichen Todesstoß versetzen wollte. So wie ich ihm damals, als ich ihm vor versammelter Mannschaft ein Buch aus der obersten Regalreihe gegeben hatte. Bei unserem Streit danach hatte ich angedroht, ihm auf den Kopf zu spucken. Das hatte er mir nie verziehen.
»Mit einem Laptop?!«
»Ich lese Zeitung online, wie jeder normale Mensch aus dem 21. Jahrhundert und das ist ein Netbook, kein Laptop.« Ich erwiderte sein Lächeln und versuchte, meine Ausrede nicht Lügen zu strafen. »Aber wenn du mehr lesen würdest, hättest du den Unterschied vielleicht erkannt.« Meine Hände zitterten – allerdings nicht vor freudiger Erregung, diesen laufenden Meter Unliebenswürdigkeit verbal ungespitzt in den Boden zu rammen.
»Streitet ihr zwei schon wieder?«
Deswegen zitterten sie.
Präziser – wegen ihr: Sabine Kollwitz, Klassensprecherin und selbsternannte Diplomatiebeauftragte der Stufe, war wie ein Ninja. Man sah sie weder auftauchen noch verschwinden. Sie war plötzlich einfach da.
Ein Phantom.
Und meine Geißel.
Genau wie ER.
»Ich mache Greta nur auf die Schulregeln aufmerksam«, sagte Sven mit einem süffisanten Tonfall, der mir den Magen zusammenschnürte. Ich fühlte mich wie eine Ameise, die kurz davorstand, den Backpulver-Explosionstod zu sterben.
»Und was hat Greta verbrochen?« Sabine straffte die Schultern und kreuzte die Arme vor der Brust. Hätte sie noch einen strengen Haardutt und eine dieser hippen Hornbrillen getragen, hätte man Sabine für die kleine, moderne Schwester von Fräulein Rottenmeier halten können.
Nur kam ich mir nicht wie Heidi vor. Und Sven war bestimmt nicht der Ziegen-Peter.
»Sie hat einen Laptop mit auf das Schulgelände gebracht«, sagte Sven.
Ich hätte »Hinter euch, ein dreiköpfiger Affe!«, brüllen können, um Verwirrung zu stiften, aber wahrscheinlich hatte keiner – außer mir – je Monkey Island gespielt oder fand es auch nur ansatzweise lustig. Ich hätte auch ganz cool mit den Schultern zucken, ein selbstgerechtes Grinsen aufsetzen und so tun können, als interessierte mich Sabines Meinung nicht.
Aber das wäre gelogen gewesen – so sehr ich mir auch wünschte, die Meinung anderer Leute ginge mir am Allerwertesten vorbei.
»Einen Laptop auf das Schulgelände mitzubringen, ist noch kein Grund für eine Rüge, Sven«, erklärte Sabine ruhig. Ihre Gesichtszüge wurden allerdings nicht weicher. »Erst die Nutzung zieht eine Verwarnung nach sich.«
So kannte ich sie. Höchst korrekt und regeltreu. Sabine würde bestimmt einmal Richterin oder Polizistin werden. Ich konnte sie mir sehr gut in Uniform oder Robe vorstellen – wie sie einem armen Teufel die Paragrafen um die Ohren schlug.
»Sie hat den Laptop benutzt.«
»Laut deiner beschränkten Definition vielleicht, aber nicht laut meiner«, erwiderte ich genau so kühl, wie es Seven of Nine in diesem Moment getan hätte – obwohl es Sabine war, die sich wie eine ehemalige Borg-Drohne benahm.
»Du gibst also zu, den Laptop benutzt zu haben?« Sabine und ihre Logik waren nicht aus der Ruhe zu bringen.
Meine Hände wurden eklig glitschig. Ein widerliches brennendes Prickeln in meinem Magen und an den Wangen sagte mir, dass ich verloren hatte.
Die Ameise explodierte.
Ich nickte schwer. Aus Liebe zur Vernunft, zur Wahrheit … und weil ich einfach nicht die Fähigkeit besaß, anständig zu lügen.
Sabine streckte ihren Arm aus und winkte mir zu wie dieser unsympathische Johnny Lawrence beim Kampf gegen Karate Kid himself, Daniel-san LaRusso.
Auf einmal knirschte es aus den Lautsprechern unter der Decke und das vertraute Räuspern von Direktorin Klohocker erfüllte die Pausenhalle.
Es war ein achtes Weltwunder, wie schnell der Geräuschpegel in einem Raum sinken konnte. Man hätte zwar keine Stecknadel fallen gehört, aber für eine Halle voller Schüler war es eine fast schon andächtige Stille.
»Achtung, dies ist eine Durchsage«, erklärte Frau Klohocker so langsam und deutlich, dass auch die hinter der Sporthalle kiffenden Schüler keine Probleme gehabt haben dürften, das Gesagte zu verstehen.
»Greta Schmidt soll sich im Sekretariat melden. Ich wiederhole: Greta Schmidt soll sich unverzüglich im Sekretariat melden.«
Mist.
Die Luft war erfüllt von einem Gemisch aus Schwefel, Kohle, beißendem Kunststoff … und angekokelten Haaren. Ich hielt eine Hand vor Mund und Nase und kam mir seltsam deplatziert vor.
Man hätte dem Haus nichts angesehen, befänden sich an den Außenwänden keine rußschwarzen Spuren, an denen die Flammen entlanggeleckt hatten. Sie erinnerten mich auf eine obskure Weise an das Dunkle Mal, das die Todesser in den Himmel zeichneten, wenn sie wieder eine Gräueltat verübt hatten.
Es war surreal. Wie ein Traum. Nur hatte ich keine Chance, hochzuschrecken und mich in meinem weichen Bett wiederzufinden.
Mein Bett war verbrannt, wie auch fast alles andere, was sich in unserer Wohnung befunden hatte.
Ich drückte meinen Rucksack fester an meine Brust.
»Greta?«, drang eine Stimme durch den Klangteppich aus Sirenengeheul und Stimmengewirr.
»Mama«, wisperte ich. Mein Hals brannte und meine Augen tränten.
Mamas braunes, buschiges Haar stand wild nach allen Seiten ab, als sie auf mich zustürmte. Ihre dünne Oberlippe zuckte nervös und in ihrem Blick lag etwas Unstetes.
Sie schloss mich in die Arme, drückte mich. Der aufdringliche Geruch nach Zahnarztpraxis stach mir in die Nase. Sie musste direkt von der Arbeit hierher gebrettert sein. Wahrscheinlich lag ihr weißer Kittel noch im Auto.
Sie drückte mir einen Kuss auf den Scheitel. »Ich bin so schnell hergekommen, wie ich konnte«, sagte sie und entließ mich aus ihrer Umarmung.
Mit dem Ärmel wischte ich mir die Tränen aus dem Gesicht. »Was ist denn genau passiert?« Meine Stimme klang widerlich weinerlich in meinen Ohren.
»Frau Mayer hatte mich in der Praxis angerufen. Sie war die erste, die den Geruch wahrgenommen hatte. Sie meinte, es käme aus unserer Wohnung.«
»Sie hat nicht sonderlich schnell die Feuerwehr gerufen, hm?« Mein Blick schweifte auf die Glasscherben, die wie Hagelkörner auf der Straße verteilt lagen.
»Wir können froh sein, dass Frau Mayer noch nicht zu ihrem Rentner-Stammtisch aufgebrochen war, sonst wäre das komplette Haus abgebrannt.« Mama zog ein zerbeultes Päckchen Zigaretten aus einer Jeanstasche und zündete sich mit zitternden Fingern einen Glimmstängel an. Das war ihre Art, mit solchen Situationen umzugehen. »Der Brandherd scheint in unserer Wohnung zu sein«, erzählte sie weiter und atmete einen Schwall Zigarettenqualm in die spätsommerliche Luft aus.
Ein seltsames Gefühl brannte auf einmal in meinen Eingeweiden.
»Ich habe erst vor wenigen Wochen von einem Brand gehört, der von einem Trinkglas verursacht wurde«, machte meine Mutter unbeirrt weiter. »Das Glas wirkte wie eine Lupe und entzündete eine Papiertüte, die ebenfalls auf dem Tisch stand.«
Ich schluckte hart. »Zufälle gibt es.« Ich wusste nicht, warum sie mir diese Geschichte erzählte, aber auf eine beängstigende Weise fühlte ich mich plötzlich verantwortlich für den Brand.
»Wir haben jemanden gefunden!«, brüllte ein Feuerwehrmann.