Entdecken Sie Millionen von E-Books, Hörbüchern und vieles mehr mit einer kostenlosen Testversion

Nur $11.99/Monat nach der Testphase. Jederzeit kündbar.

Vampire sind überall: Anthologie
Vampire sind überall: Anthologie
Vampire sind überall: Anthologie
eBook398 Seiten5 Stunden

Vampire sind überall: Anthologie

Bewertung: 0 von 5 Sternen

()

Vorschau lesen

Über dieses E-Book

Was erwartet Sie hier in diesem Vampirbuch: Das Leben mehrerer Vampirgruppen untereinander, Machtkämpfe, Vampire als Jäger, aber auch Liebe zwischen den Vampiren. Einige Geschichten spielen in der heutigen Gesellschaft und zeigen das Leben von Vampiren als Integrationsmöglichkeit auf. Natürlich sind Liebe zwischen Mensch und Vampir und auch die Leiden eines Vampirdaseins Mittelpunkte von vielen Geschichten. Etwas ausgefallenere Kurzgeschichten zu Halbvampiren und vampirähnlichen Wesen runden unsere Kurzgeschichtensammlung hervorragend ab. Spannung, Tragik und Begegnungen zwischen Liebe und Hass werden Ihnen die blutigen Lesestunden versüßen ...
SpracheDeutsch
Herausgebernet-Verlag
Erscheinungsdatum1. Juni 2011
ISBN9783942229418
Vampire sind überall: Anthologie

Ähnlich wie Vampire sind überall

Ähnliche E-Books

Fantasy für Sie

Mehr anzeigen

Ähnliche Artikel

Rezensionen für Vampire sind überall

Bewertung: 0 von 5 Sternen
0 Bewertungen

0 Bewertungen0 Rezensionen

Wie hat es Ihnen gefallen?

Zum Bewerten, tippen

Die Rezension muss mindestens 10 Wörter umfassen

    Buchvorschau

    Vampire sind überall - Greta Zicari

    Greta Zicari

    Motto: Tanz der Vampire

    Niedergeschlagen schaute ich aus dem Fenster. Wenigstens das Wetter hatte etwas Mitleid mit mir, denn es goss wie aus Strömen. Wassertropfen donnerten auf das Dach, Pfützen bildeten sich, und vorbeifahrende Autos bespritzten mit dem Regen kämpfende Fußgänger, die ihnen daraufhin wild hinterhergestikulierten und vermutlich fluchten. Doch das konnte ich durch das geschlossene Fenster nicht hören. Mein Handy hatte ein paar Mal vibriert, doch ich hatte es ignoriert. Ich wollte mit niemandem reden. Was gab es schon groß zu sagen? Außer dem Regen war nur die Musik in meinem Zimmer zu hören. Deprimierende Musik. An diesem Donnerstagabend brauchte ich nichts als den Regen, die traurige Musik und mein Zimmer. Gerade als ich diesen Gedanken gefasst hatte, klopfte es auch schon wieder an meine Zimmertür.

    Das musste meine Mutter sein. Sie kam vorhin schon mal mit einem Tablett Mitleidskeksen und einem Glas Milch vorbei.

    »Ja, Mama, mir geht’s gut, ich brauche nichts«, rief ich, den Blick noch immer fest auf das Fenster gerichtet.

    Die Tür öffnete sich trotzdem, und ich wollte schon genervt etwas erwidern, als eine laute Stimme dröhnte: »Kathy, du kannst nicht den ganzen Tag hier so rumlungern. Auf, ich habe Neuigkeiten! Warum gehst du auch nicht ans Handy?«

    Entsetzt drehte ich mich um. Lizzy. Meine beste Freundin.

    »Was ... was tust du denn hier?«, fragte ich verdattert. Ich musste die Klingel wegen der Musik überhört haben, deshalb stellte ich die Stereoanlage auch sofort etwas leiser. Musste ja nicht jeder im Haus mitbekommen, was los ist.

    »Ich wusste ja, dass du dich hier vermutlich versteckst und dir die Seele aus dem Leib heulst. Da dachte ich, komme ich mal lieber vorbei und bring dir Taschentücher«, antwortete Lizzy und warf mir eine rosa Taschentuchpackung zu. Rosa? Ich sah zu ihr auf. »Bahar«, erklärte sie sofort. Trotz der Situation zuckten meine Mundwinkel ein bisschen, wie um ein Lächeln anzudeuten. Typisch Bahar. Die Dritte bei uns im Bunde war diejenige, der alles, was glitzert, plüschig und rosa ist, total gefällt. Must have.

    »Du siehst ja scheußlich aus«, sagte Lizzy. So ist sie eben, immer ehrlich.

    »Na danke«, antwortete ich bloß und blickte zu Boden. Sie ließ sich neben mir fallen.

    »Du kannst Nico nicht ewig nachtrauern«, setzte Lizzy an, und beim Klang seines Namens muss ich hart schlucken. Natürlich habe ich pausenlos an nichts anderes gedacht, aber die Menschen im Haus, meine Eltern und mein jüngerer Bruder, haben vermieden, seinen Namen zu erwähnen, seit es passiert ist. Seit er mich betrogen hat. Es ist wirklich schwer, das vor sich selbst zuzugeben, und dann auch noch vor anderen ...

    »Lizzy, wir waren fast vier Jahre zusammen«, schluchzte ich.

    »Ja, schön«, erwiderte sie. »Aber das letzte Jahr hat er ja Melanie verführt, das Jahr solltest du also schon mal streichen.«

    Ich weiß, dass sie nur das Beste für mich will, und zwar, dass ich ihn vergesse, aber ihre Worte verletzten mich. Als ob ich nicht selbst schon wüsste, dass Nicos Liebe zu mir verblasst wäre, reibt sie es mir noch mal unter die Nase.

    »Und dann auch noch mit Melanie«, murmelte ich schwach.

    »Melanie ist der hässlichste Mensch der Welt«, verkündete Lizzy, doch ich weiß, dass sie das nur sagt, um mich aufzuheitern.

    Melanie hat eine sportliche Figur und eine wirklich ansehnliche Oberweite – wie kann Nico so einem Mädchen schon widerstehen?

    »Ich habe etwas dabei, um dich aufzuheitern«, fuhr Lizzy fort. Für einen Moment überkam mich die Angst und gleichzeitig eine stille Hoffnung, dass sie einen bösen Racheplan vorbereitet hätte, dass wir losziehen würden und ihr Zahnpasta in den Briefkasten schmieren oder die Reifen von ihrem Fahrrad zerstechen würden. Doch es war nichts dergleichen. Geheimnisvoll griff sie in ihre giftgrüne Handtasche und zwinkerte mir zu: »Du wirst begeistert sein.«

    Dann hielt sie mir die Karte entgegen.

    »W... Was ist das?«, wollte ich wissen, denn sie hielt mir das Stück Pappe so nah ans Gesicht, dass ich bloß Farben erkennen konnte.

    »DAS ist eine Eintrittskarte zu der angesagtesten Faschingsparty des Jahres!«, rief sie begeistert und erwartete eine Reaktion. Doch ich stand anscheinend auf dem Schlauch, denn sie fuhr leicht genervt fort: »Mensch Kathy, hast du noch nie von Quartier Latin gehört? Der Faschingsparty der Uni Frankfurt?«

    Irgendwo im Hinterkopf klingelte es. »Ich bin sicherlich schon einmal an den Werbeplakaten vorbeigefahren.«

    Doch Lizzy hatte sich bereits wieder den Karten zugewandt: »Ich habe uns Karten für diesen Samstag besorgt: Bahar, Jenny du und ich. Na, was sagst du?«

    Was ich sage? Dass ich ganz und gar nicht in Partystimmung bin, doch so kann ich das Lizzy natürlich nicht sagen. Also versuchte ich es auf die sanfte Tour: »Lizzy, das ist echt nett von dir, aber ich glaube, ich brauche erst mal ein bisschen Ruhe ...«

    »Nein, das ist die falsche Einstellung! Du musst dich ablenken – Party machen!« Lizzy sprang auf und fing an, in meinem Zimmer auf- und abzutanzen, wobei sie lauthals ein Lied sang, das ihr durch den Kopf ging, was eindeutig besser zu ihrem Tanz passte, als meine Deprimusik.

    »Und ... müssen wir verkleidet gehen?«, schrie ich zu ihr hinauf, damit sie mich durch ihren Gesang und das Getrampel hörte.

    »Es gibt ein Motto: Tanz der Vampire!«

    Sie hielt inne und sah mich erwartungsvoll an. Schon wieder.

    »Meine armen Nachbarn«, sage ich stattdessen, »du hast sie bestimmt zu Tode getanzt.«

    Lizzy grinste. Sie wusste, wie ich das meinte.

    Na ja, wenigstens hatte das Motto »Tanz der Vampire« ja etwas Positives.

    Ich konnte schön finster auftreten. So finster, wie ich mich fühlte.

    »Und was ziehst du an?«, fragte ich, während ich die Eintrittskarte in meinen Fingern drehte.

    »HA! Ich wusste, ich könnte dich überzeugen!«, rief Lizzy, als wäre diese einfache Kostümfrage ein Ja gewesen. Sie fiel mir in den Arm, und in dem Moment wusste ich, dass ich meiner besten Freundin so etwas nicht abschlagen konnte. Ich seufzte. Für Lizzy würde ich also trotz Liebeskummer auf eine Party gehen und mich trotz einer großen Abneigung für Fasching verkleiden.

    Am Freitag ging ich nicht zur Schule. Ich wollte keine Fragen beantworten oder dumm angemacht werden wegen dem, was passiert war. Außerdem wollte ich weder Melanie noch Nico sehen. Früher hatte ich immer die Vorteile daran geschätzt, dass Nico und ich auf dieselbe Schule gingen. Man sah sich öfters, auch in den Pausen. Jetzt sollte ich also die Schattenseiten eben dieses Phänomens kennenlernen. Stattdessen verbrachte ich den Nachmittag mit meinen drei Freundinnen in verschiedenen Geschäften auf der Suche nach Kostümen.

    »Das Motto dient ja nur zur Orientierung«, hörte ich Bahar sagen. »Das heißt, man kann sich ja auch als was anderes verkleiden. Wie wäre es mit diesem süßen Erdbeerkostüm?«

    »Vergiss es, Bahar«, antworteten Lizzy und ich ihr fast gleichzeitig.

    »Ich fasse es immer noch nicht, dass Mel dir so was angetan hat«, sagte Jenny, während sie zwei sehr knappe Röcke in der Hand hielt und beide abwägend musterte. »Rot oder schwarz?«

    »Rot ist mehr Hexenrot. Nimm schwarz«, bestimmte ich.

    Sie musterte den ausgefransten roten Rock noch ein letztes Mal und hing ihn dann an eine Stange mit Polizeikostümen.

    »Der gehört doch da gar nicht hin«, platzte Bahar heraus.

    »Jemand wird’s schon wegräumen«, erwiderte Jenny ruhig. Typisch Bahar und Jenny. Ich musste schmunzeln.

    »Ist der Rock nicht ein bisschen kurz?«, fragte Bahar schließlich, als sie den verbliebenen Rock in Jennys Hand musterte.

    »Ich will ja auch kein gruseliger Vampir sein«, erklärte diese. »Ich will ein sexy Vampir sein. Sonst guckt mich doch dort keiner mit dem Arsch an, wenn ich mich vollkommen in einen dunklen Umhang verhülle.« Dann wandte sie sich an mich: »Süße, das ist deine Gelegenheit, da werden unzählige heiße Studenten auftauchen, du musst dir einen krallen.«

    »Aber Nico und ich, wir ... es ist doch erst ...«, platzte es aus mir heraus.

    Doch Jenny unterbrach mich: »Du hast immer noch Hoffnung, dass er zurückkommt? Vergiss es! Der Typ ist für uns gestorben und Melanie auch, klar?«

    Ich nickte.

    »Jenny hat auf jeden Fall recht«, sagte auch Lizzy. »Du musst Nico vergessen und weitermachen«

    »Aber auf einer Party mit einem fremden Jungen?«, kreischte Bahar fast. »Nein, nein, nein Kathy, das kann ich nicht tolerieren! Er könnte Herpes haben ...«

    »Oder Warzen ...« Lizzy schauderte. »Sind die nicht auch übertragbar?«

    »Bevor wir jetzt die imaginären Krankheiten meines nicht existierenden imaginären Flirts besprechen, könnten wir vielleicht weiter nach Kostümen suchen?«, mischte ich mich schließlich ein.

    Die anderen verstummten, und wir suchten weiter nach Kostümen. Es dauerte Stunden, bis jede von uns zufrieden mit ihrem Outfit war.

    Samstag haben wir uns dann schließlich alle bei Jenny zum Fertigmachen verabredet. Ihre Eltern waren nicht da, und selbst wenn, wären sie wohl die Einzigen, die unsere Outfits, egal wie lang oder kurz, kommentarlos hinnehmen würden. Während Bahars Eltern oder mein Vater uns zu kurze Röcke sofort verbieten würden. Es ist ein bisschen seltsam, dass wir nur noch zu viert sind. Früher war Mel immer dabei. Obwohl sie sich in der letzten Zeit sehr von uns distanziert hatte, hätte ich niemals gedacht, dass sie mir so etwas antun würde. Ich, eine ihrer besten Freundinnen. Wir waren sogar noch letzten Sommer zusammen im Urlaub. Marco und Melanie, Nico und ich. Ich war für sie da, als Marco sie verließ, und wie dankte sie mir das? Indem sie mich zum Single machte. Manchmal fragte ich mich, ob sie vielleicht schon im Urlaub etwas miteinander hatten, hinter meinem Rücken. Ob Marco deshalb Schluss gemacht hatte? Nein, niemals. Er hätte es mir gesagt. Oder? Wenigstens hielten die Mädels zu mir. Bei Lizzy hatte ich nie Zweifel – doch bei Bahar und Jenny wusste ich nicht genau, was geschehen würde, da sie sowohl meine, als auch Melanies Freundinnen waren. Doch sie standen zu mir. Ob es daran lag, dass ich das Opfer der Geschichte war, oder ob es daran lag, dass Melanie sich zuvor zu sehr von uns distanziert hatte, das weiß ich nicht genau. Bahar und Lizzy zumindest würdigen sie keines Blickes mehr. Jenny redete manchmal noch mit ihr, aber nur oberflächlichen Kram.

    Hatte ich mich eigentlich jemals bei ihnen für ihre Unterstützung bedankt, fragte ich mich, während ich mir weißes Make-up aufs Gesicht schmierte. Vampire sind blass. Während wir uns so fertigmachten, spürte ich, wie ich schließlich doch von der Motivation der anderen angesteckt wurde.

    Jenny hatte vor, die Sau rauszulassen und sich einen netten Studenten zu angeln, und so sah auch ihr Outfit aus. Von ihrer Cousine, die einen schrägen Stil hat, hatte sie sich eine schwarze Schnürkorsage ausgeliehen. Sie war eng geschnitten und betonte ihren Oberkörper perfekt. Dazu trug sie den kurzen schwarzen Rock, den wir zusammen gekauft hatten und rote Stiefel, die perfekt zu dem Lippenstift passten, den Bahar ihr geborgt hatte.

    »Wo ist denn jetzt das Kunstblut?«, fragte sie, als sie gerade mit den Händen wedelte, damit die roten Nägel schneller trockneten. Lizzy, die gerade mit einem Gebiss kämpfte, antwortete zwar, doch wir konnten sie nicht verstehen.

    »Bist du sicher, dass du die Vampirzähne tragen willst?«, fragte ich sie. »Das ist doch auf Dauer total ungemütlich.«

    Sie spuckte sich das Gebiss auf die Hand, und Jenny würgte, als sie die Spuckefäden daran sah: »So kriegst du nie einen ab.«

    Lizzy verdrehte die Augen. Sie machte keinen Hehl daraus, dass sie Jennys Absichten blöd fand und nicht im geringsten daran interessiert war, einen Studenten aufzureißen. Lizzy war eben einfach ein Verkleidungsmensch. »Ich mag so Gebisse, da kann man so schön drauf rumbeißen«, erwiderte sie und wischte sich über den Mund.

    »Na, wenn du meinst«, meinte Jenny und sah zu Bahar rüber, die als Einzige von uns nicht als Vampir gehen würde.

    An ihrem Rücken hatten wir zwei schwarze Plastikfledermausflügel befestigt, und auf ihrem Kopf ragte ein schwarzer Haarreif mit zwei kleinen Fledermausöhrchen hervor. Gerade malte sie sich einen schwarzen Tupfen auf die Nase.

    »Diese Flügel werden dich in deiner Bewegung einschränken und denk dran, dass es da total voll sein wird«, hatte Lizzy sie gewarnt. Aber es hatte nichts genützt, und ich musste zugeben, dass sie so ganz süß aussah. Ich dagegen wirkte eher schlicht in einem normalen schwarzen Kleid. Das Make-up würde meine langweiligen Klamotten wettmachen müssen.

    »Glaubt ihr ...«, setzte ich schließlich an, denn ich musste die eine Frage loswerden, die ich mir schon seit dem Morgen stellte. Doch ich brach ab. Ich hatte nicht die Kraft dazu. Noch nicht.

    Lizzy erriet meine Gedanken: »Ob wir glauben, dass Mel oder Nico da sein werden oder beide?«

    Ich nickte.

    »Vielleicht«, murmelte Lizzy. »Aber es ist so groß, dass wir sie nicht sehen werden ... vielleicht waren sie ja auch gestern. Ich meine, die Party ist Samstag und Freitag. Kann doch sein, dass sie nicht an unserem Tag gehen ...«

    Ich lächelte schwach und fuhr fort, schwarze Striche über meine Augenlider zu ziehen. Ich hoffte einfach nur, dass wir ihnen nicht begegneten.

    Diese Party glich mehr einer Halloweenparty, als einer Faschingsparty. Normalerweise war Fasching eher eine bunte Angelegenheit mit ganz viel Konfetti und bunten Kostümen: Clowns, Prinzessinnen, Piraten und Cowboys, es war immer alles vertreten. Diesmal war der Großteil der Gäste wirklich mottogetreu erschienen: Hier und da sah man ein Bunny, einen M&M oder Gefängnisstreifen, aber die große Masse war doch recht düster.

    Obwohl wir uns relativ früh auf den Weg machten, standen wir doch noch etwas mehr als eine halbe Stunde in der Schlange und noch ungefähr zwanzig Minuten an der Garderobe. Bahars Laune senkte sich. Jenny hatte uns vorher eine Flasche Sekt besorgt, die wir getrunken hatten, und mir schwirrte noch immer der Kopf davon.

    Im Inneren war ich überwältigt von den vielen Eindrücken. In jedem Hörsaal spielte ein anderer DJ eine andere Musikrichtung. Während wir in einem Raum zu deutschen Schlagern und alten Faschingsliedern grölten, tanzten wir im nächsten zu unseren Lieblingscharthits, nur um im nächsten Raum auf House umzusteigen. Zwischendurch eilten Kamerateams und Fotografen umher, die versuchten, die ausgefallensten Kostüme festzuhalten.

    Es war in dem Raum, in dem wir zu House tanzten, als ich ihn sah. Jenny tanzte gerade mit einem fremden Graf Dracula, auf dessen Flirtversuche sie eifrig einging. Bahar tanzte so vor sich hin und wirkte schon fast ein wenig müde, und Lizzy versuchte, einen aufdringlichen Piraten loszuwerden.

    Ich weiß gar nicht genau, wieso er mir auffiel, aber als ich den Kopf beim Tanzen hob, um mir die Haare aus dem Gesicht zu wedeln, da entdeckte ich ihn. Er betrat gerade den Raum, und wie vom Schicksal gewollt, sah er im selben Moment zu mir herüber. Für einen Moment schien die Zeit langsamer zu vergehen. Unsere Blicke hielten einander gefangen. Seine intensiven Augen nagelten sich an meinen fest. Auch das in Weiß geschminkte Gesicht konnte seine Schönheit nicht mindern. Ich hätte ihn ewig anschauen können, als er den Blick abwandte. Peinlich berührt wandte auch ich den Blick ab. Sicherlich musste er bemerkt haben, dass ich ihn angestarrt hatte. In dem Moment spürte ich eine Hand auf meiner Schulter. Als ich mich umwandte, stand da ein merkwürdiger Typ, der aus dem Mund stark nach Bier stank, und grölte mich an: »Hey, Kleine, Lust auf ’nen Tanz?«

    Während er das sagte, schwankte er ein wenig. »Nein, danke«, erwiderte ich leicht angewidert und wollte mich schon wieder umdrehen, als er mich plötzlich an sich zog.

    »Komm schon, wir können auch aufs Klo verschwinden, wenn du magst ...«

    Von seinem Atem wurde mir übel, und wieder wollte ich mich losreißen, doch trotz seiner Fahne war er erstaunlich stark. Eine seiner Hände landete auf meinem Hintern. Ich sah mich nach meinen Freundinnen um. Jenny knutschte mittlerweile mit dem Typen herum, und Bahar und Lizzy bestellten sich gerade an der Theke etwas zu trinken, sahen aber besorgt zu mir herüber.

    Gerade als ich ihnen ein Zeichen geben wollte, zog jemand den betrunkenen Kerl von mir weg. Als ich aufblickte, sah ich den schönen Vampir von vorhin. »He, was soll das?!«, rief der Betrunkene und schaute den Fremden verstört an.

    »Finger weg von meiner Freundin, sonst kriegst du es mit mir zu tun«, dröhnte der Hübsche. Obwohl ich wusste, dass er es nur sagte, um mich zu schützen, freute ich mich trotzdem insgeheim darüber, dass er mich als seine Freundin ausgab. Da der Vampir ihn um etwa zwei Köpfe überragte, gab der Kerl schließlich auf und verzog sich. Er entschuldigte sich sogar noch bei ihm.

    »Hey, danke«, rief ich über die Musik hinweg zu dem Fremden.

    »Gern geschehen«, erwiderte dieser ruhig. »Es sah aus, als würde er dich belästigen.«

    »Mein Name ist übrigens Kathy«, sagte ich rasch und reichte ihm die Hand. Er ergriff sie, und ich war überrascht, wie kühl seine Hände trotz der unerträglichen Hitze waren.

    »Damiano«, erwiderte er. Über die Musik hinweg fiel es mir schwer, ihn richtig zu verstehen.

    Als er mich nun anlächelte, nahm ich all meinen Mut zusammen und fragte ihn: »Und, darf ich meinen Retter um einen Tanz bitten?«

    Für einen Moment sah er wirklich überrascht aus, doch dann riss er sich zusammen und nickte freundlich. Ich ergriff die Hand, die er mir hinhielt. Automatisch legte er eine Hand auf meine Hüfte, und mit der anderen hielt er die meine. Ich war etwas verwirrt. Er setzte zu einer traditionellen Tanzhaltung an, doch ich fragte mich, wie er so zu House und Electro Beats tanzen wollte. Doch ich schwieg.

    Schon nach wenigen Schritten stellten wir fest, dass unsere Tanzstile gar nicht miteinander kompatibel waren. Ich trug es mit Fassung, lachte, aber er sah gequält aus. »Lass uns etwas zu trinken bestellen«, versuchte ich, die Atmosphäre aufzulockern.

    Ich bestellte eine Cola und er nichts. Er betrachtete mich nur ruhig, wie ich an meiner Cola nippte. Die Stimmung war deutlich besser, wir quatschten munter drauf los. Ich erfuhr, dass seine Familie schon seit Jahren in Frankfurt lebte, aber dass sie ursprünglich italienische Wurzeln hatten. Ihm gefielen meine Augen.

    »Hey, wie machst du das, dass dein Make-up gar nicht verwischt. Ich bin mittlerweile bestimmt wieder total Rosa vom ganzen Schwitzen, und du bist weiß, wie eh und je ...« Er lachte.

    »Man muss nur wissen, wie.« Da fielen mir seine spitzen Zähne auf.

    »Wow, wie hältst du es nur die ganze Zeit mit den falschen Zähnen aus? Meine Freundin Lizzy«, ich drehte mich um und deutete auf Lizzy, die mit Bahar in einer Ecke stand und uns beobachtete, »die hatte am Anfang auch ein Gebiss drin, aber es war viel zu ungemütlich auf die Dauer ...«

    »Wow«, er blickte auf seine Uhr, »da hat sie aber schnell aufgegeben, es ist gerade mal halb eins.«

    Ich erstarrte. Halb eins. Die letzte Bahn! Wenn wir nicht bis 5 Uhr morgens warten wollten, sollten wir schleunigst zur Garderobe eilen und versuchen, unsere Jacken noch vor eins zu erwischen, um noch rechtzeitig zur Bahn zu kommen. Um 1.18 Uhr fuhr unsere letzte Bahn. Doch dann schaute ich auf und sah in die wunderschönen dunklen Augen meines Gegenübers und wusste, dass ich nicht gehen wollte.

    Noch nicht.

    »Ist alles in Ordnung?«, fragte er.

    »Na ja, also unsere letzte Bahn fährt bald«, sagte ich schließlich, da ich wusste, dass Bahar die Uhr im Auge behalten würde.

    »Oh, okay«, erwiderte er. Aus dem Augenwinkel sah ich, dass Lizzy auf Jenny zusteuerte und Bahar auf mich. Sie würde mir jeden Augenblick Bescheid sagen, wann wir gehen würden.

    »Sehen wir uns wieder?«, platzte es aus mir heraus, ehe ich darüber nachdenken konnte. Der Zeitdruck machte mich wahnsinnig.

    Wieso sagte er nichts? Da beugte er sich vor, wie um mir etwas zuzuflüstern. Und – auf einmal küsste er mich. Seine Lippen berührten meine, und ein seltsames Kribbeln durchfuhr meinen Bauch. Dank meiner hohen Schuhe musste ich mich nicht auf Zehenspitzen stellen, trotzdem reckte ich den Kopf ein wenig.

    In dem Moment tauchte eine Fotografin auf: »Hey, ihr zwei Süßen, ein Foto?« Und bevor wir so recht wussten, was geschah, hatte die Fotografin auch schon ein Foto von uns beiden geknipst.

    Dann sah er mich an: »Ich glaube, es ist keine gute Idee, dass wir uns wiedersehen.«

    Ich starrte ihn an. Das verstand ich nicht. Erst küsste er mich, und jetzt das?

    »Kathy, wir müssen langsam ...«, hörte ich Bahars Stimme plötzlich neben mir.

    »Ja, einen Moment«, erwiderte ich rasch und dann an Damiano gewandt: »Wieso?«

    Er schluckte, dann beugte er sich wieder vor, aber diesmal flüsterte er mir etwas ins Ohr: »Die Antworten liegen im Bus Nr. 36, Richtung Hainer Weg, eine der letzten Stationen.« Dann gab er mir einen sanften Kuss auf die Wange, nickte Bahar zu und verschwand in der Menge. Ich starrte ihm fassungslos nach, während ich versuchte, seine Worte zu verarbeiten.

    Wir erwischten gerade noch so die Bahn nach Hause, und Jenny erzählte uns auf der Heimfahrt alles von Ian, einem Engländer, der in Deutschland studiert. Stolz zeigte sie uns seine Telefonnummer, die er ihr in den Ausschnitt geschrieben hatte. Sie kicherte. »Wir werden uns wiedersehen.«

    »Hey, aber jetzt zu dir«, unterbrach sie Lizzy und sah mich an. »Wer war dieser Typ?«

    Für einen Moment stellte ich mich dumm: »Wer?«

    »Na, der große, dunkelhaarige ... Bahar meinte, ihr hättet euch geküsst«, fuhr Lizzy fort.

    Ich errötete: »Na ja, er hat mich geküsst ...«

    »Das stimmt«, bestätigte Bahar. »Aber du sahst so aus, als hätte es dir gefallen.« Sie wirkte ein wenig vorwurfsvoll, und ich blickte auf meine Knie.

    »Weißt du, wie er heißt?«, fragte Jenny. »Hast du seine Nummer? Seht ihr euch wieder?«

    »Er heißt Damiano, das ist alles, was ich weiß«, erwiderte ich frustriert. »Und er hat etwas von einem 36er Bus geredet, keine Ahnung. Vielleicht wohnt er in die Richtung.«

    Sie merkten, dass ich nicht darüber reden wollte, aber Jenny fuhr fort: »Na gut, ich schaue mir einfach auf der Webseite der Fotografen mal sein Foto an. Bahar meinte, jemand hat ein Foto von euch beiden geschossen. Ich hab den ja gar nicht gesehen, ich war ja so beschäftigt mit Ian ...« So waren wir wieder bei Jenny. Ich war dankbar für die Ablenkung, und mein Blick verlor sich aus dem Fenster.

    Zwei Tage später schickte Jenny mir einen Link zu den Fotos in einer Email.

    »Hey Sweety,

    hier ist der Link zu den Fotos! Es sind über achthundert!! Wir müssen uns unbedingt suchen. Halte Ausschau nach Ian und mir. Bussi, Jenny.«

    Damiano ... ich hatte weder etwas von ihm gehört, noch hatte ich ihn gesehen seit Quartier Latin, und ich fragte mich, ob ich wirklich die Fotos anschauen sollte. Es hatte doch eh keinen Sinn, ich hatte ja nicht mal seine Nummer. Den rätselhaften Hinweis hatte ich auch nicht befolgt. Wieso auch? Am Hainer Weg wohnten sicher viele Menschen. Da konnte ich ja ewig suchen.

    Bahar kam wenig später zum Englisch lernen vorbei, und nach einer halben Stunde Vokabeln wandten wir uns doch wieder Jennys E-Mail zu und stöberten durch die Fotos. Jenny und Ian waren schnell gefunden, doch als wir das Foto erreichten, auf dem Damiano und ich zu sehen sein sollten, standen wir beide vor einem Rätsel. Auf dem Foto war nur ich zu sehen. Keine Spur von Damiano. Verdutzt starrten wir auf das Foto. Es war klar, dass es das Foto mit Damiano sein musste, da mein Arm so komisch in der Luft hing, als wolle ich jemanden umarmen. »Das verstehe ich nicht ...«, sagte ich. »Wieso haben sie ihn rausgeschnitten?«

    Wir rätselten noch eine Weile weiter, und Bahar durchsuchte zur Sicherheit noch mal alle Fotos, bis sie schließlich aufschrie: »Oh je, oh je, Kathy. Vampire haben kein Spiegelbild!«

    »Was meinst du?«, fragte ich verwirrt.

    »Na ja, wenn sie kein Spiegelbild haben, dann gibt es sie bestimmt auch nicht auf Fotos!« Bahar kreischte mittlerweile. »Hat er sich irgendwie eigenartig benommen?« Ich wusste ja, dass sie abergläubisch ist, aber plötzlich machte sie mir fast ein wenig Angst.

    Ich versuchte, mich daran zu erinnern. Mir fallen nur einige Details an. Seine Geduld mit den Zähnen. Dass seine Familie schon seit Jahren in Frankfurt lebt. Seine altertümliche Art zu tanzen ... Ich schluckte. Bahar sah mich erwartungsvoll an, doch ich sagte nichts.

    »Wohin, hast du noch mal gesagt, fährt dieser Bus?«, fragte sie schließlich.

    »Richtung Hainer Weg, das ist alles, was ich weiß«, erwiderte ich ruhig.

    Bahar öffnete mit wenigen Klicks eine Suchmaschine auf meinem Computer und tippte geduldig etwas ein. Wenig später erschien der Busplan der Linie 36 auf meinem Bildschirm. Wir hielten die Luft an, als Bahar auf die drittletzte Station deutete: Südfriedhof.

    BennY Werthe

    Der Schutzvampir

    Schweißgebadet schreckte ich hoch, wieder so eine Nacht, wieder dieser Traum. Suchend tastete ich zum Einschaltknopf meiner Nachttischlampe und drücke ihn. Warmes Licht flutete den Raum, langsam setzte ich mich auf und griff zu der Wasserflasche, die ich mir abends bereitgestellt hatte. In kleinen Schlucken trank ich und versuchte, Schluck für Schluck den Albtraum fortzuspülen.

    Kopfschüttelnd fragte ich mich, woher diese Träume – insbesondere dieser – kamen.

    Ich mochte keine Horrorfilme und sah mir auch selten einen an. Manchmal sah ich mir einen solchen Film mit Mike an, doch von ihm war ich bereits ein halbes Jahr getrennt.

    Träge schweiften meine Gedanken zurück zu der Zeit, in der Mike und ich noch als Traumpaar gegolten hatten.

    Kurz vor unserem Schulabschluss kamen wir zusammen, über Jahre hinweg lief es harmonisch, und wir liebten uns wie am ersten Tag. Doch kaum hatten wir unsere erste gemeinsame Wohnung bezogen, änderte Mike sich schlagartig. Er wurde launisch, aufbrausend, und letztendlich hatte er sich komplett entfremdet.

    Ich hatte gekämpft, hatte gehofft, es wäre nur eine Phase, doch irgendwann war auch meine Kraft zu Ende, und wir beendeten es. Mikes kühle Reaktion werde ich nie vergessen. Er zuckte nur mit den Schultern, packte seinen Koffer und verschwand noch in der gleichen Stunde, ohne sich auch nur zu verabschieden.

    Geschockt über diese Reaktion und zutiefst traurig, meine große Liebe auf diesem Weg verloren zu haben, fuhr ich eine Woche zu meiner Mutter, die ein paar Hundert Kilometer entfernt auf einem kleinen Bauernhof wohnte.

    Als ich so in Gedanken versunken dasaß, immer noch zittrig und mit der Wasserflasche in der Hand, hörte ich plötzlich, wie ein kräftiger Wind in die Blätter der großen Eiche vor meinem Schlafzimmer fuhr. Kurz darauf folgte ein dumpfer Knall.

    Schreckensbleich schlich ich ans Fenster, schob den Vorhang ein Stück zur Seite und konnte meinen Augen nicht glauben.

    Zwischen den Blättern sah ich, durch den Vollmond hell erleuchtet, Mikes Gesicht unnatürlich blass hervorblitzen. Er trug einen schwarzen Anzug, darunter, wie es schien, ein schwarzes Shirt und das Einzige, was sich in der Farbe unterschied, war seine schneeweiße Krawatte. Ein Blick zu Boden beschleunigte meinen Puls noch mehr. Scheinbar war nicht nur Mike gekommen, um mich auszuspionieren, sondern noch jemand. Dieser trug ebenfalls einen Anzug, jedoch in sattem Rot mit schwarzer Krawatte, und bei genauerem Hinsehen konnte ich ihn als Tyler erkennen. Früher konnte Mike Tyler auf den Tod nicht ausstehen, doch scheinbar hatte sich mit seinem Wandel auch das verändert.

    Ein geräuschvolles Kratzen an der Schlafzimmertüre verriet mir, dass Mephisto, mein Kater, zu mir wollte. Ich öffnete ihm die Tür und wendete meine Blicke wieder dem Geschehen vor dem Fenster zu.

    Verwirrt sah ich noch einmal genauer hin, aber da war nichts. Keine Spur von Tyler, Mike, oder davon, dass jemand gerade noch im Baum gesessen hatte.

    Ich blickte zum Wecker und beschloss, noch ein paar Runden zu schlafen. Vielleicht hatte ich mir das alles in meiner Panik auch nur eingebildet.

    Als der Wecker

    Gefällt Ihnen die Vorschau?
    Seite 1 von 1