Betrogen um Mutterliebe: Sophienlust Extra 108 – Familienroman
Von Gert Rothberg
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Über dieses E-Book
In der Reihe Sophienlust Extra werden die schönsten Romane dieser wundervollen Erfolgsserie veröffentlicht. Warmherzig, zu Tränen rührend erzählt von der großen Schriftstellerin Patricia Vandenberg.
Riezlern im Kleinen Walsertal wurde von den Touristen sehr geschätzt. Die Einheimischen waren stolz auf ihre Heimat inmitten der grandiosen Bergwelt. Eine junge Frau aber begehrte sich jeden Tag von Neuem darüber auf, dass sie hier leben musste. Es war die achtundzwanzigjährige Ruth Fendt. Sie stammte aus Frankfurt und war durch ihre Ehe ins Kleine Walsertal verschlagen worden. Die schöne blonde Frau wollte nicht einsehen, dass sie hier leben musste. Sie hätte in München wohnen können, denn dort arbeitete ihr Mann als Staatsanwalt. Aber er war nicht dazu zu bewegen, sein Domizil in der Großstadt aufzuschlagen. Dr. Christian Fendt stammte aus Riezlern. Seine Eltern hatten hier einen Bauernhof gehabt, den inzwischen fremde Menschen bewirtschafteten. Denn der einzige Bruder von Dr. Fendt, der den Hof übernommen hatte, war im Winter beim Holzrücken tödlich verunglückt. Der junge Staatsanwalt hatte sich ein schmuckes Haus gebaut. Es stand etwas abseits auf einem Hang und wurde von vielen bewundert. Am Freitagnachmittag kam Dr. Fendt nach Hause und blieb bis zum Montagmorgen. Oft nahm er auch während der Woche die Fahrt von München ins Kleine Walsertal auf sich, weil er jede Stunde, die er zu Hause sein konnte, schätzte. Es zog ihn immer zu seiner Frau und zu seinem fünfjährigen Töchterchen Annelie. Dr.
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Buchvorschau
Betrogen um Mutterliebe - Gert Rothberg
Sophienlust Extra
– 108 –
Betrogen um Mutterliebe
Unveröffentlichter Roman
Gert Rothberg
Riezlern im Kleinen Walsertal wurde von den Touristen sehr geschätzt. Die Einheimischen waren stolz auf ihre Heimat inmitten der grandiosen Bergwelt. Eine junge Frau aber begehrte sich jeden Tag von Neuem darüber auf, dass sie hier leben musste. Es war die achtundzwanzigjährige Ruth Fendt. Sie stammte aus Frankfurt und war durch ihre Ehe ins Kleine Walsertal verschlagen worden.
Die schöne blonde Frau wollte nicht einsehen, dass sie hier leben musste. Sie hätte in München wohnen können, denn dort arbeitete ihr Mann als Staatsanwalt.
Aber er war nicht dazu zu bewegen, sein Domizil in der Großstadt aufzuschlagen.
Dr. Christian Fendt stammte aus Riezlern. Seine Eltern hatten hier einen Bauernhof gehabt, den inzwischen fremde Menschen bewirtschafteten. Denn der einzige Bruder von Dr. Fendt, der den Hof übernommen hatte, war im Winter beim Holzrücken tödlich verunglückt.
Der junge Staatsanwalt hatte sich ein schmuckes Haus gebaut. Es stand etwas abseits auf einem Hang und wurde von vielen bewundert.
Am Freitagnachmittag kam Dr. Fendt nach Hause und blieb bis zum Montagmorgen. Oft nahm er auch während der Woche die Fahrt von München ins Kleine Walsertal auf sich, weil er jede Stunde, die er zu Hause sein konnte, schätzte. Es zog ihn immer zu seiner Frau und zu seinem fünfjährigen Töchterchen Annelie.
Dr. Christian Fendt war jetzt achtunddreißig Jahre alt. Er hatte die Hoffnung, bald eine Stelle auf einem der Gerichte der umliegenden größeren Orte zu bekommen. In den sechs Jahren seiner Ehe hatte er sich immer bemüht, seiner Frau Abwechslung zu bieten, weil er sehr bald erkannt hatte, wie unzufrieden sie war. Sie ließ sich jedoch nicht gern daran erinnern, wie schnell sie bereit gewesen war, ihm hierher zu folgen. Die Zeit des Verliebtseins war für Ruth schnell vorbei gewesen. Sie hatte sich das Leben an der Seite eines gutsituierten Mannes ganz anders vorgestellt. Dass auch das Gehalt eines Staatsanwaltes eingeteilt werden musste, wollte sie nicht einsehen. Sie kaufte das, wonach sie gerade Verlangen hatte, und murrte trotzdem, dass sie sich so wenig leisten könne. Außerdem vermisste sie die Gelegenheit, im Mittelpunkt großer Gesellschaften zu stehen. Den Bekanntenkreis ihres Mannes ignorierte sie. Es gab hier niemanden, mit dem sie Kontakt bekommen hatte. Aber das lag nur an ihr. Sehr überheblich stufte sie die Menschen hier als zu ländlich in ihren Ansichten und in ihrem Auftreten ein. Oft machte sie sich auch über ihren Mann lustig und mokierte sich darüber, dass er der Sohn eines Bauern war.
Doch das empfand Christian Fendt nicht als Kränkung. Er machte nirgends einen Hehl daraus, dass er auf einem bescheidenen Hof aufgewachsen war. Aber immer erinnerte er sich daran, welche Opfer seine Eltern gebracht hatten, um seinen Wunsch, Jura zu studieren, erfüllen zu können.
Am meisten hatte die kleine Annelie unter der Unzufriedenheit von Ruth Fendt zu leiden. Auch sie fühlte sich in Riezlern wohl und hatte hier gute Freunde. Aber auch diese gefielen ihrer Mutter nicht.
Das zeigte sich auch an diesem Tag, als die blonde, meistens sehr lebhafte Annelie aufgeregt zum gegenüberliegenden Hang winkte.
»Ich bitte dich, lass das bleiben, Annelie«, sagte Ruth Fendt gereizt, »sonst kommt dieser Bauernjunge wieder zu uns herüber.«
»Aber Daniel soll doch zu mir kommen, Mutti«, erwiderte Annelie. »Deshalb winke ich ja. Er war schon zwei Tage nicht mehr hier und nur deshalb, weil er jetzt einen Freund hat.« Die dunklen Augen des Mädchens wurden traurig. »Dabei hat mir Frau Moser versprochen, dass Daniel jeden Tag eine Stunde zu mir kommen kann, wenn er seine Arbeit getan hat.«
Jetzt lief die Kleine ein Stück durch den Garten. Sie blieb auf einem Platz stehen, von dem aus sie besser zu dem geduckten Bauernhof gegenüber sehen konnte. »Siehst du den Jungen, Mutti?«, rief sie zurück. »Das ist Henrik. Er tobt mit Daniels Hund herum. Jetzt hole ich mir auch meinen Florian. Er ist heute so faul und schläft den ganzen Tag.«
Als Annelie ins Haus laufen wollte, hielt die Mutter sie fest. »Aber treibe es nicht zu toll mit Florian. Es macht mich krank, wenn er so laut bellt.«
Annelie brauchte nicht ins Haus zu gehen. Gerade kam ein grauweißer zotteliger Terrier durch die offen stehende Terrassentür gelaufen. Er sprang gleich an Annelie hoch.
»Er hat gehört, dass wir von ihm reden«, sagte Annelie stolz. Wieder sah sie zu dem Hof hinüber. »Mutti, Florian muss aber laut bellen, damit man es auf dem Moserhof hört. Daniel soll wissen, dass ich ja noch meinen Florian habe, wenn er nicht zu mir kommt.«
»Du hast Sorgen«, sagte Ruth ohne jedes Verständnis für das gekränkte Kind.
Auf einmal klang von drüben der laute Ruf »Annelie!« herüber.
»Das ist Daniel. Er steht neben seinem neuen Freund.« Annelie zupfte vor Aufregung an ihrem roten Kleidchen. »Mutti, Daniel hat mich doch nicht vergessen.«
»Hallo, Annelie, wir kommen!«, schrie der Junge von drüben nun. Er stand mitten auf dem Hof und fuchtelte mit den Händen. Um ihn herum sprang ein Schäferhund.
Annelie formte die Hände zu einem Trichter vor dem Mund und trompetete zurück: »Ja, kommt schnell!«
»Hast du mich gefragt, ob ich das auch erlaube?«, fragte Ruth. Ihr feines schmales Gesicht hatte sich unwillig gerötet, ihre blauen Augen sahen Annelie sehr ärgerlich an. »Aber, Mutti«, sagte Annelie zerknirscht, »ich will doch nicht den ganzen Tag allein sein.«
»Das bin ich auch. Oder kümmert sich hier jemand um mich?« Ruth ließ sich in einen Korbsessel auf der kleinen Terrasse fallen.
»Du könntest auch Freundinnen haben, Mutti, aber du magst die Frauen hier ja nicht. Daniels Mutti fragt jedes Mal, warum du nicht mitgekommen bist. Ich glaube, sie würde sich auch die Zeit nehmen, mit dir Kaffee zu trinken.«
Ruth schob die Träger ihres leichten Sommerkleides zurück und machte ein sehr entrüstetes Gesicht. »Du bist von deinem Vater schon ganz verdorben. Er würde mir am liebsten auch zumuten, mit einer Bäuerin Freundschaft zu schließen.«
»Frau Moser ist ganz lieb, Mutti. Sie mag mich auch. Und Herr Moser hat mich schon oft nach Hause gebracht, wenn ich Angst hatte, weil es schon dunkel wurde.« Während Annelie sprach, schielte sie zu dem Hang hinüber. Die beiden Jungen waren inzwischen mit dem Schäferhund verschwunden. Hoffentlich sind sie schon auf dem Weg zwischen den hohen Sträuchern, dachte Annelie. Dann dauert es nicht mehr lange, bis sie den Hang hier zum Haus heraufkommen. Vielleicht schickt Mutti sie doch nicht weg, wenn sie erst hier sind.
Jetzt begann Florian so laut zu bellen, dass sich Ruth die Ohren zuhielt. Dann rannte er wie die wilde Jagd davon. Gleich darauf tauchte der Schäferhund Lipus auf. Nun wusste Annelie, dass Daniel nicht mehr lange auf sich warten lassen würde. Vorsichtshalber wollte sie ihm entgegenlaufen. Dann konnte sich die Mutter nicht mehr über diesen Besuch aufregen.
Ruth griff jetzt gelangweilt nach einem Modejournal, das sie am Tag zuvor aus Oberstdorf mitgebracht hatte. Dort kaufte sie meistens ein. Aber selbst die modernen Geschäfte des großen Kurortes sagten ihr nicht zu. Mit ihren Gedanken war sie auch bei ihren Einkäufen immer in der Großstadt. Sie sehnte sich danach, in Boutiquen wühlen zu können, um das zu finden, was ihrer Meinung nach als Letzter Schrei zu einer jungen Frau gehörte.
Auch das Modejournal verbitterte sie jetzt. Alles, was ihr darin gefiel, konnte sie hier doch nicht tragen. Dazu fehlten ihr die Gelegenheiten. Oder was würde Christian sagen, wenn sie hier im Haus so herumlaufen würde, wie sie es sich wünschte? In raffinierten glitzernden Hausanzügen, in Kaminkleidern mit orientalischem Einschlag? Nein, Christian konnte nicht verstehen, dass eine Frau mit allen Mitteln ihre Schönheit unterstreichen musste. Er behauptete, sie gefalle ihm immer. »Wahrscheinlich könnte ich auch in Sack und Asche gehen«, sagte Ruth ingrimmig vor sich hin, ohne zu überlegen, dass ihr Mann sie sehr lieben musste, wenn er ihr sogar noch das Kompliment machte, dass sie ihm immer gefalle.
Jetzt kam Annelie mit Daniel und dessen Freund Henrik auf die Terrasse zu. Alle drei sahen etwas verschüchtert aus. Die beiden Hunde scheuchten sie zurück.
Daraus machten sich der große Lipus und der kleine Florian jedoch nicht viel. Sie spielten außerhalb des Zaunes.
Daniel Moser war sechs Jahre alt. Er war ein mittelblonder, etwas schmächtiger Junge, der eine abgewetzte Lederhose und ein buntkariertes Hemd trug. Etwas verlegen gab er Ruth die Hand. Dann zeigte er auf den Jungen neben sich. »Das ist Henrik, Frau Fendt. Seine Mutti und er wohnen bei uns. Aber am Sonntagabend fahren sie schon wieder weg.«
Henrik, dem Daniel wohl unterwegs eingetrichtert hatte, dass er sich hier sehr zurückhaltend benehmen müsse, um nicht wieder weggeschickt zu werden, sagte jetzt etwas verschüchtert: »Ja, ich heiße Henrik von Schoenecker und komme aus