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Die echte und die falsche Doralies
Die echte und die falsche Doralies
Die echte und die falsche Doralies
eBook226 Seiten3 Stunden

Die echte und die falsche Doralies

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Über dieses E-Book

Der temperamentvollen Doralies, die ihren Vater manchmal zärtlich "Fritzchen" nennt, liegt damenhaftes Benehmen überhaupt nicht. So beschließt Fritz Wolfram, sein Töchterchen für drei Monate nach Berlin zu schicken. Im Haushalt des Justizrats von Stäbnitz würde sie schon ein paar Benimmregeln lernen. Für Doralies ist das die Katastrophe schlechthin. Sie kann jetzt nicht weg, wartet sie doch heimlich auf ihren geliebten Lutz, von dem ihr Vater nichts weiß. In ihrer Verzweiflung kommt sie auf eine ungewöhnliche Idee, die auch gleich in die Tat umgesetzt wird. Ihre Freundin Regina, die ihr so ähnlich sieht, soll an ihrer Stelle als falsche Doralies nach Berlin fahren. Sie selber versteckt sich bei "Hänschen" alias Haushälterin Frau Hensel, bis der Vater seine längere Reise antritt. Doch der erst so erfolgreiche Plan gerät aus den Fugen. Die sensible Regina leidet unter der Lüge gegenüber der so liebenswürdigen Familie Stäbnitz. Ihr schlechtes Gewissen und ein Gespräch des Justizrats mit seinem Adjutanten Peter Konstantin über das Lügen verleiten sie zu einer überstürzten Flucht. Zuhause ist Doralieses Abenteuer schnell aufgeflogen, nur den Namen ihrer verschwundenen Freundin nennt sie nicht. Regina aber hat Glück, als der alte Jurist Freese sie auf der Straße aufliest und ihr eine Stelle anbietet. Eines Tages sieht sie zu ihrem Schreck Peter Konstantin ins Büro kommen ...Herzerfrischend ist das Abenteuer einer geplanten Verwechslung, das zwei Freundinnen in die Tat umsetzen. Doch während die eine schnell auffliegt, aber so ihr Glück findet, lebt die andere mit einer Lüge weiter und trifft nur deshalb den Mann ihres Lebens!-
SpracheDeutsch
HerausgeberSAGA Egmont
Erscheinungsdatum5. Juni 2016
ISBN9788711592342
Die echte und die falsche Doralies

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    Buchvorschau

    Die echte und die falsche Doralies - Anny von Panhuys

    www.egmont.com

    Doralies Wolfram ging nachdenklich durch die Strassen der kleinen Stadt. Doralies kannte ganz Mooshausen, und ganz Mooshausen kannte sie. Auf ihren Vater, den berühmten Schriftsteller, waren die Mooshausener sogar sehr stolz. Er wohnte draussen vor der Stadt, im sogenannten Schlösschen.

    Plötzlich stand sie Regina Graven gegenüber, die eben um eine Ecke gebogen war. Die beiden Mädchen begrüssten sich herzlich. Sie waren ziemlich gleich gross und schlank, auch waren beide blond; aber das Blond Reginas schimmerte rotgolden. Ihr Gesicht hatte fast ein wenig strenge Linien, von griechischer Reinheit, die aber gemildert wurden durch die tiefblauen, etwas schwärmerisch blickenden Augen und den weichen, schön geschnittenen Mund. Die Mädchen reichten sich die Hände.

    Doralies fragte:

    „Hast du immer noch keine Arbeit gefunden, Gina?"

    Die Freundin schüttelte traurig mit dem Kopfe.

    „Ich werde auch keine finden! Hier nicht und wo anders, wo ich fremd bin, noch weniger. Vielleicht könnte ich noch eher in einer sehr grossen Stadt, wie Berlin, unterkriechen, aber es ist doch ein Risiko, so aufs Geratewohl dorthin zu reisen. Und dann die weite Fahrt; meine paar Groschen brauche ich selbst zu sehr."

    Doralies gab ihr einen freundschaftlichen kleinen Stoss:

    „Aber Gina! Wozu bin ich denn deine Freundin? Wenn du Geld brauchst, bin ich zuständig! Hundert Mark Spargeld habe ich liegen, und wenn’s nötig ist, gibt nur Vater immer etwas."

    Regina wehrte sich:

    „Nein, Doralies! Geld nehme ich nicht von dir! Ein Weilchen geht es ja auch noch. Aber es ist schrecklich, von morgens bis abends beschäftigungslos zu sein. Die Arbeit bei Justizrat Dörfler hat mir dazu noch Freude gemacht. Er hat mich auch ungern entlassen; aber schliesslich — seine Nichte steht ihm näher als ich. Sie hat auch Maschinenschreiben und all das gelernt, was so ’n Bürowurm, wie unsereins, braucht."

    Die beiden Mädchen gingen nebeneinander her, bogen in die Promenade ein, den Wall, wie dieser Weg aus längst vergangener Festungszeit des Städtchens hiess. Arm in Arm spazierten sie dahin, und die kleinen Füsse schritten wie auf einem Teppich, über das dürre Laub der Ahornblätter, die von den Bäumen gefallen. Manchmal raschelte es aus dem Naturteppich leise auf, und das klang wie verhaltenes Seufzen.

    Doralies erzählte von den Arbeitslosen und der vielen Not. Regina Graven meinte:

    „Hübsch von dir, die Sympathie mit den Arbeitslosen. Aber eigentlich geht es dich doch nichts an."

    Doralies zuckte mit den Achseln:

    „Wenn sich jeder bloss um das kümmern wollte, was ihn ganz persönlich anginge, sähe es traurig aus auf der Welt. Dann geschähe nichts Gutes und nichts Grosses mehr. Tue nicht so klein, Gina! Bist ja auch ein anständiges Weibsbild; bloss ein bisschen verängstigt durch deine Notlage jetzt — durch Sorge vor der Zukunft. Ein Jammer, dass unsere Väter sich zuletzt so spinnefeind gewesen, was bei Vater und auch etwas bei dir nachwirkt, sonst könntest du bei uns im Schlösschen wohnen."

    Die beiden Mädchen hatten gemeinsam das städtische Lyzeum besucht und, wenn auch Regina Graven zwei Jahre älter war, sich stets ausgezeichnet verstanden. Grosse Sympathie hatte die beiden zusammengeführt, und die ernstere Regina hatte immer guten Einfluss ausgeübt auf die stets zu Streichen aufgelegte, sehr verwöhnte, vorlaute Doralies Wolfram.

    Dann kam der böse Tag, an dem man Franz Graven, den Prokuristen der Mertenschen Fabrik, einsperrte wegen schwerer Unterschlagung. Alles sprach gegen ihn, und auch sein guter Freund Wolfram trat nicht für ihn ein. Frau Graven starb vor Aufregung an Herzschlag, das Kind, die dreizehnjährige Regina, kam zu Fremden in Pflege, und Franz Graven sass ein halbes Jahr lang im Zuchthaus, bis sich seine Unschuld herausstellte. Dann gab es eine böse Auseinandersetzung zwischen den ehemaligen Freunden vor Zeugen. Franz Graven verzieh es dem andern nie, dass er nicht zu ihm gehalten in seinen schwersten Stunden. Er starb sehr bald und unversöhnt mit Fritz Wolfram. Aber die beiden Mädchen hingen aneinander und hielten zusammen.

    Fritz Wolfram wusste es, aber mischte sich nicht ein; es drückte ihn zuweilen, Reginas Vater Unrecht getan zu haben, aber der hätte ihm seine allzu bitteren Wahrheiten nicht vor anderen sagen dürfen. Das hatte ihn gedemütigt, darüber empörte er sich noch jetzt, wenn er daran dachte.

    Sie waren ja einmal Schulfreunde gewesen — Franz Graven und er. Aber er war früh in die Welt hinausgefahren, ein bisschen Vermögen hatte ihn frei gemacht, sein Leben so zu gestalten, wie es ihm gefiel. Die ganze Welt hatte er bereist, sich in Amerika mit einer reichen, exzentrischen Frau verheiratet, die sich in seiner Heimat, nachdem er sich hier das sogenannte Schlösschen gekauft, gar nicht wohl gefühlt und ihm schliesslich davongelaufen war. Er war damals durch seine vielgelesenen Bücher schon ein reicher und unabhängiger Mann geworden. Die Frau hatte ihm in der Ehe zu viele Stunden vergällt durch ihre Launen, zu viele Arbeitsstunden zerstört; er jammerte ihr nicht nach, als sie wieder heimgefahren nach Amerika. Die Hauptsache war, sie hatte das Kind nicht mitgenommen. Leichtfertig war sie und oberflächlich, ohne jede seelische Tiefe, stellte er fest, sonst hätte sie das Kind, das damals erst drei Jahre alt war, nicht im Stiche gelassen. Manchmal dachte er an May wie an einen kurzen Traum, der aufregend gewesen wie ein Alpdruck; im übrigen war er ein gesunder und optimistischer Mensch, der nichts allzu schwer nahm. Manchmal war er auch ein bisschen verträumt und phantastisch, aber das kam seinen Arbeiten zugute.

    Er hatte dann lange nichts mehr von seiner Frau gehört, nur im Anfang hatte sie ihm geschrieben:

    „Ich werde Dich nie mehr stören, denn wir passen nicht zueinander, aber ich werde auch nicht mehr heiraten. Scheidung ist in meinen Augen verwerflich. Es gefällt mir nicht, eine geschiedene Frau zu sein. Ich will auch die Gattin des berühmten Wolfram bleiben."

    Bald darauf erfuhr er ihren Tod. Ein Herzschlag — mitten im Tanz — hatte ihr ruheloses Leben jäh beendet.

    Er dachte nicht daran, seinem Mädelchen eine Stiefmutter zu geben. Er wollte es selbst erziehen. Und das Resultat war ein etwas eigenwilliges, zu allerlei impulsiven Handlungen bereites Mädel. Er lachte nur, wenn man ihm irgendeinen Streich von Doralies erzählte, und seine Wirtschafterin, die schon im Hause gewesen, als Doralies geboren wurde, lachte mit ihm.

    Berta Hensel, von Doralies „Hänschen" genannt, war ganz vernarrt in Doralies, und wer ein Wort gegen Doralies zu äussern wagte, hatte es mit ihr verdorben. —

    Doralies kam, nachdem sie noch allerlei Umwege mit Regina gemacht, nach Hause. Es war höchste Zeit. Man wartete schon auf sie mit dem Mittagessen. Frau Hensel nahm sie unten in der kleinen Eingangshalle gleich in Empfang. Sie warnte:

    „Dein Vater ist schlechter Laune, Doralies! Er fragt schon immerzu nach dir! Sie blinzelte pfiffig. „Hast wohl wieder mal was ausgefressen — nicht wahr?

    Doralies schüttelte mit dem Kopfe, dass die bis zu den Schultern reichenden Locken nur so flogen.

    „Ich? Bewahre, Hänschen! Was du aber auch immer gleich von mir denkst."

    Sie nahm die Treppenstufen mit ein paar langen Sätzen.

    Frau Hensel rief ihr nach:

    „Wo willst du denn hin, Doralies? Dein Vater wartet ja schon unten im Esszimmer auf dich!"

    „Ach so, Hänschen!" Mit einem Schwung sass Doralies auf dem Geländer und rutschte mit erschreckender Schnelligkeit und verblüffender Sicherheit darauf hinunter, landete dicht vor Frau Hensel, gab ihr einen kleinen Klaps und verschwand dann hinter eine der nächsten Türen.

    Frau Hensel lächelte ihr zärtlich mütterlich nach. Sie war Witwe, und ihr einziges Töchterchen war ganz jung gestorben; nun bildete sie sich manchmal ein: so wie Doralies sähe vielleicht ihr Mädelchen aus, das jetzt auch gerade neunzehn Jahre alt wäre.


    Fritz Wolfram ging ein bisschen nervös im Esszimmer, in dem bereits gedeckt war, auf und ab. Er war etwas über Mittelgrösse, schlank und dunkelhaarig. Seine Augen waren schwarz, sein Gesicht hatte die ausgeprägten Züge eines Schauspielers. Er war äusserlich das, was man einen interessanten Mann nennt.

    Als Doralies eintrat, hielt er in seinem Hin- und Herwandern inne, begann ohne Umschweife:

    „Du hast mich wieder eine geschlagene Stunde warten lassen! Du weisst doch, wie ungehörig das ist!? Du willst dich durchaus nicht in die Ordnung fügen. Ich habe das Gefühl, als wäre es gut für dich, wenn du für einige Zeit unter die Leitung einer Frau gehörtest, die dir durch Beispiele klar macht, was man tun darf und was nicht."

    Es klopfte.

    Frau Hensel erschien, gefolgt von dem Mädchen; beide trugen Tabletts mit Speisen.

    Fritz Wolfram bestimmte:

    „Wollen zunächst essen. Später werde ich dir erklären, für was ich mich deinetwegen entschieden habe."

    Doralies war ziemlich lustig während der Mahlzeit. Ihr verschlug nichts so leicht den Appetit. Was ihr der Vater gesagt hatte, störte sie wenig. Alle paar Wochen erklärte er ihr, sie gehöre einige Zeit unter die Leitung einer Frau, die ihr durch Beispiele klarmache, was man als junge Dame tun dürfe. Darauf gab sie längst gar nichts mehr.

    Ihr Vater aber war während der Mahlzeit ziemlich einsilbig und schien nachzudenken.

    Nach Tisch sagte er:

    „Jetzt komm, bitte, mit in mein Zimmer. Ich habe eingehend mit dir zu reden."

    Sie lachte:

    „Ach, Fritzchen, das hat wohl Zeit. Ich möchte ..."

    „Was du jetzt möchtest, interessiert mich gar nicht, Doralies. Du kommst jetzt erst mit in mein Zimmer. Im übrigen sollst du mich nicht ‚Fritzchen‘ nennen. Ich mag es nicht."

    „Du hast es sehr gern! gab sie zurück. „Aber du bist schlechter Laune! Eine Laus ist dir über die Leber gelaufen, und die Laus bin ich!

    Er zwang sein Lachen zurück.

    „Komm! Ich habe nicht viel Zeit!"

    Er ging voran, sie folgte und murmelte:

    „Du bist heute wirklich komisch, Fritzchen!"

    Er hörte es — aber er schwieg.

    Das Arbeitszimmer des berühmten Romanschriftstellers war eine Weltausstellung im kleinen. Er hatte auf seinen weiten Reisen, die vor seiner Heirat lagen, von überall, wo er gewesen, etwas mitgebracht. Aus Palästina und Kairo, aus Bombay und Kalkutta, aus Java und Griechenland, aus Italien und Spanien. Immer hatte er Fernenweh gehabt, bis er die blonde Frau genommen. Da wurde er sesshaft. Und wenn sie ihn auch bald verlassen und er seitdem heimisch geblieben und heimattreu, barg doch das Arbeitszimmer alle Sehnsüchte seiner jungen Jahre. Wenn er hier schrieb, fiel sein Blick auf alle die Andenken, und das beschwingte seine Phantasie.

    Doralies nahm an einem Tischchen Platz, spielte nachlässig mit einem dolchartigen Messer, das der Vater einst aus Toledo heimgebracht. Sie fragte:

    „Was gibt’s nun, Vati?"

    Er nahm auch Platz.

    „Ich habe mich entschlossen — weil ich es für notwendig halte —, dich für ein Vierteljahr fortzuschicken, und zwar zu einem guten Bekannten nach Berlin, damit du ein bisschen Benehmen lernst. Ich selbst verstehe es anscheinend nicht, dir das beizubringen. Du weisst, ich kenne in Berlin eine Dame, mit der ich hier in Mooshausen als Kind gespielt, doch hat sie keine Verwandten mehr hier. Vor zehn Jahren war ich zuletzt bei ihr in Berlin. Sie besuchte mich vor sechs Jahren hier. Seitdem stehen wir in gelegentlichem, freundschaftlichem Briefwechsel. Sie schwärmt für meine Romane und fragte schon mehrmals an, ob sie nichts für dich tun könnte, und ob du nicht ein Weilchen bei ihr leben möchtest. Ich bin überzeugt, sie nimmt dich mit offenen Armen — wie eine Tochter — auf. Da sie selbst kinderlos ist ..."

    Er konnte nicht weitersprechen. Doralies war so lebhaft aufgesprungen, dass der kleine Tisch schwankte und das Dolchmesser mit hartem Schlag auf den Teppich fiel. Sie hob es auf und behielt es in der Hand.

    „Ich fahre nicht nach Berlin zu Frau von Stäbnitz! Was soll ich denn da? Ich verspüre gar kein Verlangen danach, mich erziehen zu lassen. Ich bleibe hier bei dir! Ich will nicht fort von dir!"

    Er war einen Augenblick gerührt und beinah bereit, nachzugeben; doch schon im nächsten Moment sagte er sich, dass er jetzt nicht schwach werden durfte. Doralies brauchte frauliche Erziehung. Ihr ganzes Wesen war zu burschikos. Unter dem Einfluss der liebenswürdigen, weltgewandten Frau von Stäbnitz würden sich die Ecken und Kanten ihres Wesens abschleifen. Der Gatte von Edda Stäbnitz war einer der bekanntesten Anwälte Berlins, der schon in vielen schweren und ungewöhnlichen Kriminalfällen als glänzender Verteidiger gerühmt worden war. In ganz jungen Jahren war zwischen Edda Stäbnitz und Fritz Wolfram nicht nur Kinderfreundschaft, sondern so etwas wie Liebe gewesen, so eine erste, etwas sentimentale Liebe, für die auch das leiseste Wort zu rauh ist. Dann zogen Eddas Eltern nach Berlin, die seinen starben; er folgte dem lockenden Ruf in die weite Welt. Da zerfloss das hauchfeine Gespinst, das beinah wie Liebe ausgesehen; es war nicht lebensfähig gewesen, und es blieb als festes Gewebe die Freundschaft. Die hielt, auch wenn man sich nicht sah.

    Doralies wiederholte, weil ihr Vater zu lange schwieg:

    „Ich bleibe hier! Ich will nicht fort von dir!"

    Fritz Wolfram machte eine beschwichtigende Bewegung mit der Hand.

    „Nicht so stürmisch, Wildling! Du musst dich in die Trennung finden. Vorausgesetzt, Frau von Stäbnitz will dich bei sich aufnehmen, was ich aber kaum bezweifle. Uebrigens bleibe ich auch nicht hier. Ich wollte schon lange mal wieder ein bisschen in die Welt hinaus und beabsichtige, gleich nach dir aufzubrechen. Nach Afrika hinüber. In Tanger wohnt ein lieber Freund von mir. Ich will dort Studien machen für meinen neuen Roman. Ich schreibe noch heute an Frau von Stäbnitz und bitte um telegraphische Antwort. Triff immer deine Vorbereitungen, und wenn du noch etwas nötig hast, dann sage es, dann wird es angeschafft. Was dir nicht sehr nötig fehlt, kauft dir Frau von Stäbnitz in Berlin."

    Doralies schluchzte auf:

    „Das kann doch nicht dein Ernst sein, Vati! Ich will doch nicht weg! Und ich kann auch nicht weg!"

    Er trat auf sie zu, legte leicht und behutsam den Arm um ihre Schultern.

    „Wer wird so erregt sein über ganz harmlose Dinge?! Du hast den Blick ganz falsch eingestellt, Kind. Was ich wünsche, geschieht doch nur zu deinem Besten. Du musst einmal in andere Verhältnisse, wo du erkennst, dass, wenn du auch hier in Mooshausen wer bist, doch auch anderswo Menschen leben, damit du begreifen lernst: es darf nicht jeder tun, was ihm passt. Ich erinnere dich nur daran, wie du beim Sommerfest im Kasino alle jungen Leute, die beim Pfänderspiel nicht über die von dir zu hoch gespannte Schnur zu springen wagten, laut ‚Feige Bande!‘ tituliertest, und dem Kutscher Schnöderhahn, weil er seinen Wagen zu voll geladen, so dass ihn das Pferd nicht ziehen konnte, gleich die Peitsche weggerissen hattest und auf ihn losschlugst. Du sorgst seit Jahren für die Unterhaltung der Mooshausener Kaffeekränzchen und Stammtische. Jetzt soll da mal Schluss gemacht werden, mein liebes Kind. Ich habe zuviel geschrieben, mich in einer Beziehung nicht so um dich kümmern können, wie ich es hätte tun müssen, und das soll jetzt nachgeholt werden. Als feine, weltgewandte junge Dame wirst du nach einigen Monaten zurückkommen."

    Doralies entzog sich dem Vater.

    „Du bist herzlos! Ich will doch nicht weg! Sie stampfte mit dem Fuss auf: „Will, will, will nicht weg!

    Er wandte sich ab.

    „Du beweist durch dein Benehmen nur, wie richtig mein Entschluss ist. Geh jetzt, Doralies! Ich werde gleich an Frau von Stäbnitz schreiben."

    „Wirst ja sehen, was aus der Geschichte wird, wenn du so dickköpfig bleibst, Fritzchen!" platzte sie heraus, und dann verschwand sie, nachdem sie das Dolchmesser, das sie noch immer in der Hand gehalten, derb auf den Tisch geworfen.

    Der berühmte Mann sah ihr kopfschüttelnd nach und dachte, ob er Edda von Stäbnitz überhaupt zumuten durfte, sich mit der ungebändigten und unberechenbaren Doralies zu befassen. Ganz reibungslos würde das wohl kaum abgehen.

    Er nahm an seinem Schreibtisch Platz und stützte den Kopf in beide Hände. Vielleicht war es gescheiter, das Experiment zu unterlassen, Doralies hierzubehalten und selbst auch hierzubleiben. Aber nein, das wäre töricht; danach würde ihm Doralies erst recht auf der Nase herumtanzen. Darauf durfte er es nicht ankommen lassen, und ausserdem — die Afrikareise reizte ihn. Er war seit vielen Jahren nicht mehr sehr weit von seiner Heimat fort gewesen.

    Wie eine Vision stieg Algier vor ihm auf. Er glaubte Moscheen zu sehen, Palmen senkten tief die Wedel; in weichen Wüstensand versank sein Fuss. Er hatte nach langen Jahren wieder Fernenweh, und er musste es heilen, weit draussen in der Welt.

    Er liess die Hände sinken und stand auf, setzte sich an das Tischchen, das die Schreibmaschine trug, spannte einen Bogen ein und schrieb mehrere Seiten voll.

    Edda von Stäbnitz sollte genau wissen, was er von ihr wünschte, und deshalb musste er ihr Doralies auch vorher bis in die kleinste Charaktereinzelheit ganz ausführlich schildern.


    „Hänschen, komm schnell mit in meine Zimmer!"

    Doralies stand in der Küchentür und riss die gute Frau Hensel aus einer Instruktionsstunde, die sie dem kleinen Dienstmädchen gab, das sich nur tagsüber hier im Hause aufhielt. Willig

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