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Über den Tod hinaus
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eBook227 Seiten3 Stunden

Über den Tod hinaus

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Über dieses E-Book

Nicht nur bei den Einwohnern des kleinen Residenzstädtchens ist Professor Berner, Direktor der Gemäldegalerie, sehr beliebt. Man schätzt ihn auch bei Hof. Sein fünfundzwanzigjähriges Jubiläum soll, wie es der Brauch ist, mit einem Porträt geehrt werden. Eine kleine Wette entspinnt sich aus der launigen Unterhaltung Berners mit dem Herzog, ob die Eitelkeit, ein Bild eines Verwandten in der Galerie hängen zu haben, die Familienliebe nicht immer in den Schatten stellt. Während des kleinen Disputs, ob Berners Familie nach seinem Tod sein Bild hängen lässt oder zu sich nach Hause holt, platzt Hofrat von Weiden mit der Nachricht, man habe den "alten Thomas" wieder gesehen. Über diese seit Jahrhunderten erzählte Spukgeschichte erschrickt Berner zutiefst, kündigt der "alte Thomas" doch seit jeher den Tod des aktuellen Direktors an. Voller Panik beginnt der Herzkranke, seine Dinge zu ordnen. Besonders am Herzen liegt ihm die Verlobung seiner Tochter Else mit dem Ingenieur Walter Zernikoff, auch wenn seine geliebte Frau dem zukünftigen Schwiegersohn misstrauisch begegnet. Als ihn die spukhafte Erscheinung überall verfolgt, erliegt der nervöse Mann einem Nervenfieber. Weil sich herausstellt, dass der Professor kurz vor seinem Tod die Hälfte seines Vermögens von der Bank abgehoben und er den letzten Abend mit Walter verbracht hatte, gerät dieser in den Augen seiner Schwiegermutter in Verdacht. Für Else will Walter beweisen, wer in Wirklichkeit schuldig ist am Tod ihres Vaters. Denn auch er hat das allerdings ziemlich lebendig wirkende Spukwesen an jenem Abend gesehen.Eine nicht standesgemäße Liebe, Neid auf Erfolg und Ansehen, Misstrauen und ein perfider Plan: halb Krimi, halb bezaubernde Liebesgeschichte, versteht der Roman von der ersten Seite an, mit Spannung zu unterhalten.-
SpracheDeutsch
HerausgeberSAGA Egmont
Erscheinungsdatum5. Juni 2016
ISBN9788711592281
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    Buchvorschau

    Über den Tod hinaus - Anny von Panhuys

    www.egmont.com

    Erstes Kapitel

    Über der kleinen Residenzstadt Schneiditz, des Herzogtums Schneiditz-Steiningen, dämmerte der Abend, ein leiser Wind strich durch die herbstlichen Parkbäume des herzoglichen Schlosses und mit feinem Rascheln fielen müde Blätter nieder. Das Schloß war glänzend erleuchtet und Wagen auf Wagen fuhr vor dem Portal vor. Der erste Hofball in der beginnenden Saison fand heute statt. Der erste Hofball! Nur derjenige, der selbst in einer kleinen Residenz lebt oder gelebt hat, kann die Bedeutung dieses Wortes voll und ganz erfassen. Und die Residenzler, die zur Gesellschaft zählen, waren sich der Wichtigkeit dieses Tages auch bewußt. Der erste Hofball! Die sommerliche Zeit mit ihren Reisen lag hinter einem, hinter einem lagen auch die leichtgeknüpften Bekanntschaften, die man so glücklich unüberlegt unterwegs macht und so unverpflichtet wieder lösen kann. Auf Reisen trifft man eben so allerlei Menschen, die man daheim nie kennen dürfte.

    Hofball! Da war man ganz unter sich. Irgendein paar neue Familien mochten ja wohl auftauchen, aber die gehörten dann zu den erstklassigen. —

    Im blauen Saal hatte sich allmählich eine vornehme Gesellschaft versammelt, man stand in Gruppen herum und erwartete den Eintritt der herzoglichen Familie. In einer Ecke, neben einem hohen Armstuhle, lehnte die Gräfin Wendel. Ihr silberweißes hochfrisiertes Lockenhaupt neigte sich mit leiser, zitternder Bewegung näher zur Oberforsträtin, Frau von Grolius, und ihre Stimme bebte vor Wonne, daß sie etwas Interessantes erzählen konnte.

    „Haben Sie‘s schon gehört, liebste Rätin, die Else Berner wird sich verloben."

    „Ah! kam es langgezogen zurück, „mit wem denn? Doch, was frage ich noch, setzte die kleine, dicke, viel zu eng geschnürte Oberforsträtin hinzu, „in Frage kommt doch wohl nur Baron Tomwitz, er war ja der Bevorzugteste bei Schön-Else."

    Die Gräfin schüttelte energisch das Haupt, so daß sich die weißen Locken ein wenig aneinander rieben, wie bewegliche Schneebälle sah das aus: „Vorbeigeraten, kluge Frau von Grolius!"

    „Wirklich! stieß die dicke Dame erstaunt hervor und zog die Augenbrauen hoch, „also ein anderer? Schön-Else hatte ja allerdings einen großen Hofstaat, schloß sie mit leichtem Spott.

    „Auch von diesem großen Hofstaat ist keiner in Frage gekommen. Doch ich will Ihre Neugier nicht auf die Folter spannen, also vernehmen Sie, Liebste, und staunen Sie, Else Berner wird sich mit einem schlichten Ingenieur verloben, der sich in irgendeiner Fabrikstellung befindet. In Nauheim hat sie ihn kennengelernt."

    „Ist es möglich", war alles, was Frau von Grolius hervorzubringen vermochte, die Neuigkeit hatte ihr ordentlich den Atem versetzt und ehe sie sich noch zu fassen vermochte, gab der Hofmarschall das Zeichen, daß der Hof erscheine.

    Der verwitwete Herzog, sowie der Erbprinz und seine junge Gemahlin, gefolgt von einigen Damen und Herren, traten in den blauen Saal. Männerrücken beugten sich tief, die Damen sanken im Hofknickse zusammen. —

    Der Herzog, sowie dessen Sohn und seine Schwiegertochter, sprachen leutselig mit den verschiedenen Anwesenden, der Landesherr winkte mit liebenswürdiger Gebärde einen hochgewachsenen älteren Herrn mit grauem Spitzbart zu sich heran. — Er streckte dem sich ehrerbietig Verneigenden die Hand entgegen: „Nun, Herr Professor, zurück von der Reise, haben Sie in München ein hübsches Stück für unsere Galerie kaufen können?" fragte er interessiert.

    Der Gefragte schüttelte den Kopf: „Leider nein, Hoheit, auf der Versteigerung wurden alle Gemälde bis zu unmöglichen Preisen heraufgetrieben."

    „Nu dann nicht, kam es gemütlich zurück und sich behaglich den weißen, buschigen Schnurrbart streichelnd, lachte der Regent: „Schließlich haben wir auch hübsche bunte Bilderchen genug. Ich bin damit zufrieden, unsere Residenzstadt auch, nur Ihnen, Professor Berner, dem hochverdienten Direktor unserer Galerie, sind die Wände noch immer zu kahl. Apropos, fuhr er fort, „wie weit ist‘s denn mit Ihrem Porträt, hat‘s Welschmann fertig? Sie wissen, in wenigen Tagen feiern Sie Ihr fünfundzwanzigstes Jubiläum, da muß das Bild hängen."

    „Mein Bild, Hoheit, ist fertig", entgegnete Professor Berner.

    „Gut, das freut mich. Sie sind ja nun bereits der vierte Direktor, der nach fünfundzwanzigjähriger Tätigkeit der Schneiditzer Bildergalerie sein Porträt überweist, wie es die alte, fast hundertfünfzig Jahre alte Urkunde von dem jeweiligen Direktor wünscht."

    „Ob aber mein Bild der Galerie verbleibt, wie die Bilder meiner Vorgänger, ist sehr die Frage", lächelte der Professor.

    „Wieso?" Des Herzogs Gesicht drückte Spannung aus.

    „Nun, Hoheit, es heißt doch auch in der Urkunde, daß die Familie nach dem Tode des auf dem Bilde Dargestellten das Recht hätte, das Porträt für sich zurückzufordern", erklärte der Galeriedirektor.

    „Ja, ja, stimmt, nickte der hohe Herr, „aber davon macht doch die Familie keinen Gebrauch, dazu ist jede zu eitel. Das Bild eines Familienmitgliedes, das in der Landesgalerie hängt, repräsentiert doch ganz anders, als eins über dem Sofa im Salon.

    „Das gebe ich zu, Hoheit, erfolgte die schnelle Antwort, „die meisten Familien mögen allerdings so denken, sonst hingen meine drei Vorgänger, die gleich mir fünfundzwanzig Dienstjahre aufzuweisen hatten, nicht in der Galerie, aber meine Familie empfindet darin anders, davon bin ich überzeugt.

    „Immer langsam, lieber Berner, ich traue der Familieneitelkeit nicht allzuviel zu", der Herzog machte eine abwehrende Bewegung.

    „Sollte ich sterben, Hoheit, so werden meine Frau und meine Tochter sicher mein Bild für sich beanspruchen", kam es fest aus dem Munde des Professors.

    „Das wäre schade — für unsere Galerie", lachte der alte Herr und wandte sich einigen, in der Nähe stehenden, älteren Offizieren zu. —

    Dieses Gespräch mit dem Herzog ging Berner während des ganzen Abends nicht aus dem Kopf, die Worte: „ich traue der Familieneitelkeit nicht, ließen ihm keine Ruhe, und während sich im blauen Saale die Jugend nach den Klängen des ausgezeichneten Orchesters im Tanze drehte, während es sich die älteren Herren im gelben Zimmer nebenan bei einer guten Flasche und dito Zigarre bequem gemacht hatten und die Ballmütter dem Tanze zusahen und dabei ein bißchen „klatschten, saß Professor Berner in einem Durchgangsraum, halb hinter einer Portiere versteckt. Allerlei ging ihm durch den Sinn, er mußte mit sich allein sein.

    Er war ein sehr nervöser Mann, ein Herzleiden, das ihn in den letzten Jahren quälte, hatte seinen Nerven sehr zugesetzt, er nahm die harmlosesten Dinge oft so bitter ernst. So mußte er jetzt immerfort daran denken, was der Herzog gesagt hatte. Er hing mit geradezu schwärmerischer Liebe an Frau und Tochter und deshalb kränkte es ihn schon, daß jemand denken konnte, die beiden würden nach seinem Tode sein Bild aus der Galerie nicht zurückfordern. Denn sein Porträt war vorzüglich ausgefallen, der Maler Welschmann hatte sich selbst übertroffen. Und dieses Bild, das ihn wiedergab, wie er wirklich aussah, dieses Bild sollte seine Familie im steifen kahlen Direktorenzimmer hängen lassen — aus Eitelkeit! Direktorenzimmer wurde der Raum der Schneiditzer Galerie genannt, in dem die drei Porträts seiner Amtsvorgänger hingen und in Kürze auch das seine. Lange. würde es nicht dableiben, nein, das wußte er genau. Sein Tod würde wohl nicht mehr fern sein — sein Herz plagte ihn doch allzusehr —, dann holten Frau und Tochter sein Bild zurück in die freundliche Villa in der Alleestraße, wo die hohen Ahornbäume im Sommer ihre grünen dichten Zweige hinüberlehnen bis auf das Dach seines Hauses.

    Ein Straußscher Walzer erklang vom blauen Saale her. Berner erhob sich langsam und den schmalen Gang durchschreitend, trat er in die Saaltür, um einen Augenblick dem Tanze zuzusehen. Eben flog seine blonde Tochter am Arme des Barons Tomwitz vorüber. Der hübsche Leutnant machte ein so vergnügtes Gesicht und lachte mit dem jungen Mädchen. Er wußte ja noch nicht, daß für seine Liebe keine Hoffnung mehr bestand. Woher sollte er das wissen, was wohl noch keiner in der Residenz wußte, daß sich die vielbegehrte Else Berner in dem lieblichen Nauheim mit einem einfachen Ingenieur versprochen.

    Seine Else, sein Sonnenkind, hatte sich entschieden, und er würde ihr kein Hindernis in den Weg legen, wie es seine Frau noch immer versuchte, der ein Baron von Tomwitz als Freier für die schöne Tochter begehrenswerter erschien. Ein Ingenieur Zernikow wollte ihr nicht recht behagen. Aber sie würde sich wohl damit abfinden müssen, er lächelte leicht, denn Else hatte seinen eigensinnigen Kopf geerbt. Da, jetzt kam sie noch einmal an ihm vorbeigewirbelt, ihre Augen fanden ihn und grüßten ihn. Herrgott, wie schön das Mädel war! Voll stolzer Vaterfreude sah er den Davontanzenden nach. Sein Mädel, sein Liebling, die sollte einmal recht, recht glücklich werden, das war sein heißester Wunsch.

    Hofrat von Weiden klopfte ihm auf die Schulter: „Na, Professor, sehen Sie auch ein bißchen dem Herumgehüpfe zu? Glückliche Jugend! seufzte er mit einem Blick auf die Tanzenden und dann seinen Arm leicht unter den Berners schiebend, setzte er hinzu: „Kommen Sie mit, wollen ein wenig die Büfette plündern, ich habe ‘nen Mordshunger.

    Nachdem man sich an einem der kleinen Tische neben den riesigen Büfetten niedergelassen, winkte der Hofrat einen der Lakaien heran und gab ihm eine Bestellung auf. Bald standen einige appetitliche Brötchen und ein paar Glas Sekt vor den Herren.

    „Sagen Sie, Professor, fürchten Sie sich nicht ein bißchen vor all den Ehrungen, die in wenigen Tagen über Sie hereinbrechen werden", meinte Herr von Weiden behaglich kauend.

    „Man muß es eben ertragen", gab der andere freundlich zurück.

    „Die Stunde geht auch durch den schlimmsten Tag, zitierte der Hofrat lachend, „nicht wahr, so denken Sie?

    „Ungefähr so, bestätigte der Professor. Einige andere Herren traten herzu und man redete über allerlei. Plötzlich sagte der Hofrat unvermittelt: „Wissen Sie übrigens schon, daß man den alten Thomas wieder am Eingang zur Galerie gesehen haben will?

    „Was?" Professor Berners Gesicht veränderte sich jäh, als zeige sich ihm ein Medusenhaupt, so starrte er den Sprecher an.

    „Aber Professorchen, wie sehen Sie denn aus! Hofrat von Weiden blickte verwundert: „Sie werden doch nicht etwa solche Ammenmärchen glauben.

    „Ammenmärchen! Sie haben recht", lachte der Professor, aber es klang seltsam erzwungen. Was war‘s nur, was ihm bei den Worten des Hofrats plötzlich fast den Atem geraubt hatte, auch sein Herzklopfen setzte schmerzhaft ein.

    „Was heißt das, man will den alten Thomas wieder am Eingang zur Galerie gesehen haben?" fragte einer der Herren.

    Der Hofrat zog die Augenbrauen hoch: „An dieser Frage merkt man, daß Sie erst seit kurzem bei uns leben, Herr von Pettow, denn unsere Residenzler wissen alle, wer der alte Thomas ist."

    „Darf man es, wenn man recht schön bittet, nicht auch erfahren? sagte der mit dem Namen „von Pettow Angesprochene.

    „Warum nicht? Ich wenigstens wüßte keinen Hinderungsgrund", war die Erwiderung.

    Der Professor erhob sich: „Ich will einmal nach Gattin und Tochter sehen, mich entschuldigen die Herren wohl gütigst, wenn ich keine Lust verspüre, mein eigenes Todesurteil mitanzuhören." Wieder lachte er gezwungen und fort war er.

    „Sein eigenes Todesurteil?" sagte Herr von Pettow in gedehnter Frage und machte ein kurioses Gesicht, als ob er an dem Verstand des Fortgegangenen zweifelte.

    Der Hofrat zuckte die Achseln: „Hätte ich gewußt, daß der gute Professor ein Ammenmärchen tragisch nimmt, hätte ich geschwiegen, doch nun ist‘s egal. Also hören Sie die Geschichte vom alten Thomas. Er lehnte sich bequem in seinen Stuhl zurück. „Der erste Schneiditzer Galeriedirektor hieß Baron Thomas, er soll mit dem damaligen Herzog die Urkunde aufgesetzt haben, die verlangt, daß der jeweilige Direktor nach fünfundzwanzigjähriger Dienstzeit sein Porträt zu stiften habe, das aber nach dem Tode des Direktors von der Familie desselben beansprucht werden kann. Drei Direktoren hängen jetzt in der Galerie, die fünfundzwanzig Jahre in ihrer Stellung erreicht haben. Den Anfang mit seinem Bild machte Baron Thomas selbst. Sein Bild zeigt ein liebes, altes, faltiges Männergesicht, in zopfgeschmückter Puderperücke, und nun geht hier die Sage, einige Tage vorher, ehe der derzeitige Direktor stirbt, würde der alte Thomas am Eingang zur Galerie gesehen, so, wie er auf seinem Bilde dargestellt ist. Jetzt will man ihn wieder gesehen haben, also — er schwieg.

    „Also wäre jetzt an den Professor die Reihe gekommen, zu sterben", vollendete einer der Herren.

    Pettow schüttelte den Kopf: „Ein Ammen märchen, gewiß, nicht mehr, aber ich, Herr Hofrat, hätte dem Professor nicht erzählt, daß der alte Thomas wieder spuken soll."

    „Ich bitte Sie, warum nicht, wehrte sich der Hofrat, „er ist doch kein bleichsüchtiger Backfisch.

    „Das allerdings nicht, aber ein nervöser, herzleidender Mann."

    Der Hofrat zuckte nachlässig die Achseln, als hielte er es nicht der Mühe wert, darauf etwas zu erwidern. —

    Der Professor hatte inzwischen seine Frau aufgesucht. Es war nicht so leicht, ihrer habhaft zu werden. Er fand sie in ein lebhaftes Gespräch mit einigen bekannten Damen vertieft, und sie schaute verwundert auf, als ihr Mann plötzlich vor ihr stand. „Laß dich nicht stören, liebste Magda, lächelte er, „ich will dir nur sagen, daß ich jetzt nach Hause gehe, mich quält mein Kopfweh wieder so arg, daß ich mich gerne bald zur Ruhe begeben möchte. Du brauchst dich aber meinetwegen nicht zu sorgen, fuhr er fort, „bleib du nur mit Else noch hier, der Wagen holt euch ja zur bestimmten Zeit ab."

    „Armer Alex, du tust mir sehr leid, Frau Magda Berners schönes Gesicht blickte ihn voll Teilnahme an, „aber wenn du jetzt fort willst, müßtest du ja zu Fuß heimkehren und es ist doch schon ziemlich spät.

    „Auf dem Schloßplatz stehen heute sicher ein paar Taxis, aber ich will gar nicht fahren, das Zufußgehen wird für mich besser sein, denke ich, gab er zurück, „übrigens ist ja das Wetter wundervoll, und frische Luft ist für meine Kopfschmerzen ein gutes Linderungsmittel. Von Else will ich mich lieber gar nicht verabschieden, um ihr nicht vielleicht die Tanzfreude zu vergällen.

    Seine Frau nickte: „Das ist recht, Alex, man soll der Jugend ihr Vergnügen nicht stören, sie reichte ihm die Hand: „Ich wünsche dir vor allem gute Besserung.

    Als sich der Professor in der Garderobe Hut und Mantel geben ließ, stürzte plötzlich Hofrat von Weiden mit flüchtigem Gruß an ihm vorüber und den Paletot über den Arm nehmend, eilte er hinaus.

    „Man meint, beim Herrn Hofrat tät‘s brennen", flüsterte ein Diener seinem neben ihm stehenden Kollegen zu.

    Langsam trat Berner aus dem Schlosse. Dunkel lag der große Schloßpark, in der Ferne verklang Wagenrollen. Jedenfalls saß der Hofrat in diesem Wagen, mußte der Professor denken. Der hatte es wahrhaftig allzueilig gehabt und dabei fiel ihm dessen Bemerkung ein, daß man den alten Thomas wieder am Eingang zur Galerie gesehen haben wollte. Das alte Märchen tauchte wieder auf. — Wahrscheinlich, es war lachhaft und doch, — nein, er vermochte nicht darüber zu lachen und es war jedenfalls taktlos von Weiden, derartiges in seiner Gegenwart zu erwähnen. — Natürlich, dem Hofrat konnte es schon angenehm sein, wenn die Sage vom alten Thomas recht hatte, dann wurde ja der gutbezahlte Posten des Galeriedirektors frei für den Maler Hans Welschmann, des Hofrats ein wenig leichtlebigen Schwiegersohn, der sich schon vor einem Jahre mit Erfolg darum beworben hatte. Damals, vor einem Jahre, bekundete er selbst einmal die Absicht, zurückzutreten, er fühlte sich in jener Zeit sehr leidend und den Anforderungen seiner Stellung nicht recht gewachsen. Aber dann, als sich sein Leiden besserte, blieb er doch; Frau und Tochter überredeten ihn wieder und auch der Herzog tat das möglichste, seinen bewährten Professor Berner festzuhalten.

    Ruhig und gemessen wanderte der Professor durch die nächtlich stillen Residenzstraßen, die frische Luft wehte mit kühlem Hauch um sein entblößtes Haupt. Den Hut trug er in der Hand und dumpf hallten seine Schritte auf dem Pflaster wider. Jetzt bog er aus der Marktstraße in die Alleestraße ein. An der Ecke, wo die beiden Straßen zusammenliefen, erhob sich, gleich einem riesigen Steinkasten, die Galerie. Wie eine breite, dunkle Mauer stand das unförmige Gebäude da. Über dem rechten Giebel lief, wie ein helles Wasser, ein lichter Streif, der Mond stand in seiner leuchtenden vollen Pracht am Himmel. —

    Der Professor verlangsamte seinen Gang und gedankenlos sahen seine Augen auf den mächtigen massiven Bau, ganz gedankenlos. Immer näher kam er ihm und dabei fielen ihm wider Willen die Worte des Hofrats ein: „Wissen Sie übrigens schon, daß man den alten Thomas wieder am Eingang zur Galerie gesehen haben will?" Als senkten die Gedanken seine Augen, so blickte der Professor starr auf den Eingang zur Galerie und — Himmel, wachte oder äffte ihn ein böser Traum! — da stand, mitten in der breiten altmodischen Tür, eine kleine, dürre, gebeugte Gestalt in Wadenstrümpfen und langschwänzigem Rock. Zitternd schob sich der helle Streif des Mondlichtes ein wenig vor, und deutlich vermochte der fieberhaft erregte Mann ein schmales verrunzeltes Gesicht erkennen in Zopfperücke und Dreispitz.

    Ganz still stand die unheimliche Erscheinung, keine Bewegung verriet, daß Leben in ihr war. Ein Schauer durchrann des Professors Glieder und wie festgebannt hafteten seine Füße am Boden. Er griff sich mit der Hand nach der Stirn, denn er konnte und konnte doch nicht glauben, daß es Wirklichkeit war, was er da vor sich erblickte. Eine Ausgeburt seiner erregten Phantasie war‘s und nichts weiter. Er schloß einen Moment die Augen, um sie gleich darauf wieder voll und ganz zu öffnen. Doch immer noch stand die Gestalt, in der alten verschollenen Tracht, am Eingang zur Galerie. Der Professor spürte verstärktes Herzklopfen und plötzlich stürzte er in atemloser Hast davon, und ohne daß er es eigentlich selbst wollte, gleichsam der Macht eines fremden, stärkeren Willens gehorchend, blieb er noch einmal stehen und wandte den

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