Razzia der Liebe - Thriller
Von Paul Rosenhayn
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Buchvorschau
Razzia der Liebe - Thriller - Paul Rosenhayn
Paul Rosenhayn
Razzia der Liebe - Thriller
Saga
Razzia der Liebe - Thriller
Coverbild/Illustration: Shutterstock
Copyright © 1922, 2020 Paul Rosenhayn und SAGA Egmont
All rights reserved
ISBN: 9788726629385
1. Ebook-Auflage, 2020
Format: EPUB 3.0
Dieses Buch ist urheberrechtlich geschützt. Kopieren für gewerbliche und öffentliche Zwecke ist nur mit Zustimmung von SAGA Egmont gestattet.
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I.
Frau Nikoline Lornsen hatte die Arme in die Hüften gestemmt. Das war ein Zeichen, dass keine irdische Macht imstande gewesen wäre, ihren Entschluss zu erschüttern.
„Also es bleibt dabei, Herr Ose. Heute abend ziehen Sie aus."
„ Aber wenn ich Ihnen sage . . ."
„ . . . und überhaupt — es ist ja lächerlich. Ich soll wohl mein gutes Geld noch hinter dem schlechten herwerfen? Es ist ein sehr feiner Herr, der auf das Zimmer reflektieret; er zahlt beinah das Doppelte von dem, was Sie mir — schuldig bleiben. Nee, Herr Ose, wenn ich auch nur eine alte dumme Witwe bin — was zu viel ist, ist zu viel. Es sind jetzt beinahe vierhundert Kronen, die Sie mir schuldig sind, und jeden Tag wird es mehr."
„ Frau Lornsen, Sie wissen doch, ich brauche bloss meine Erfindung . . ."
„Um Gottes willen hören Sie mir auf mit Ihrer Erfindung! Neulich war einer hier, der kaufte Alteisen — dem habe ich sie angeboten."
„ Sie sind wohl nicht ganz . . ."
„Meinen Sie, er hat sie genommen? Proste Mahlzeit — nicht mal dazu ist sie gut. Die ist ja innen hohl, hat er gesagt. Also kurz und gut: heute abend ziehen Sie aus. Leben Sie wohl, Herr Ose."
Damit schlug Frau Nikoline Lornsen die Tür hinter sich zu.
Jens Ose ging mit langsamen, gewissermassen schuldbewussten Schritten die Treppe hinunter. Er trat auf die schmale Fiolstraede hinaus, über der der warme Glanz des jungen Augustmorgens leuchtete, und seine Augen schweiften trübselig zu den Fenstern des vierten Stocks hinauf, in dem sein bescheidenes Zimmerchen lag. Frau Nikoline war nicht ganz im Unrecht, wenn sie ihm zürnte. Sie hatte es weiss Gott nicht reichlich. Aber Jens Ose war kein Zauberer: und wenn er sich auf den Kopf gestellt hätte — so würde nicht mehr auf das Trottoir gefallen sein als eine Krone und ein paar Örestücke.
Er trottete die Fiolstraede hinunter in der Richtung nach dem Aarboutevarden. Am Sofienweg wohnte doch Sigurd Larslund. Merkwürdig, diese ganze letzte Zeit war ihm Sigurd Larslund nicht eingefallen — und doch lag es so nahe, an ihn zu denken. Denn er war der beneidenswerte Sohn eines Millionärs . . .
Jens versank in andächtiges Sinnen, als er an ihn dachte. Seine Gedanken spannen sich spielerisch hinüber in die Welt der Millionen und in ein Leben, in dem es von Autos, schönen Frauen und Opernlogen nur so wimmelte.
Da war er schon auf dem Sofienweg.
Seltsam — an Larslunds Fenstern waren die Jalousien heruntergelassen.
Jens Ose hatte heute seinen schlechten Tag. Sigurd Larslund war verreist — irgendwohin — zum Vergnügen, mit einer Freundin. Nach dem Kontinent, meinte der reservierte englische Diener. Und schon stand Jens wieder auf dem Asphalt. Er zuckte die Achseln: abwarten, irgend etwas würde sich schon finden. Die Welt war gross und schön, und er war jung und gesund — lächerlich! Direkt frivol war es, hier zu verzagen. Und was tat’s schliesslich, wenn man mal eine Nacht ohne Bett war? Der Oersteds-Park hatte viele Bänke, und die Nächte waren warm!
Die hellen Signale der Autos umschwirrten ihn, Strassenbahnen rasten vorüber — das Gewühl der Kjöbmagergade nahm ihn auf. Er sog mit Behagen den Klang des Lebens ein, der ihm hundertfältig aus dem eilfertigen Schritt der Menschen, aus den lockenden Auslagen der Kaufhäuser entgegenströmte — und im Nu war der letzte Rest seiner schwermütigen Stimmung in ein Nichts aufgelöst. Von dem Wäschehändler hier zur Linken, der die feinsten Oberhemden und die märchenhaftesten Krawatten von ganz Dänemark führte und den diese herrlichen Dinge mit Recht längst zum Millionär gemacht hatten, von dem erzählte man sich, dass er noch vor zehn Jahren ein armer Schlucker gewesen sei, den man eines Nachts ganz gegen seinen Willen aus dem Sortedamsee gezogen hatte. Und dort drüben — der Besitzer des Lichtspieltheaters hatte noch vor gar nicht allzulanger Zeit auf dem Raadhuspladsen gestanden: zwei Oere die laufende Maus! Und er — Jens Ose? War er nicht der glückliche Schöpfer einer der genialsten Erfindungen die je und je die Welt revolutioniert hatten? Freilich — sie wollten zunächst nicht an seine Erfindung glauben, alle diese blöden Menschen. Aber war es nicht jeder grossen Idee so ergangen? Galilei — Kolumbus — Volta? Hatte nicht sogar in unserer allerjüngsten Zeit ein Auer seine Erfindung wieder und wieder vergeblich angeboten — bis ein Aussenseiter kam, der ihm ihre Ausführung ermöglichte und dadurch das Gasglühlicht schuf? Es würde schon werden!
Er wurde in seinen Gedankengängen ganz plötzlich unterbrochen. Denn was gibt es Wichtigeres auf der Welt, wenn man achtundzwanzig Jahre alt ist, als ein entzückendes Mädchen?
Wenn Jens Ose später in vertrautem Kreise von diesem Tage sprach, so nannte er ihn nie anders als den Wendepunkt seines Lebens. Erst allmählich — gewissermassen aus einer über den Dingen liegenden Perspektive heraus, hat er die seltsame Konstellation der Dinge erfasst, die zusammenkommen mussten, wie die einzelnen Teile eines feinen Schlüssels, der jenes Tor öffnete. Hinter diesem Tor aber blinkten in reinem Sonnenlicht die Stufen der goldenen Treppe, auf die Jens Ose zögernd und ungläubig den Fuss setzte . . .
Sie stand vor einer Kunsthandlung und sah andächtig und bewundernd die neuen Zeichnungen von Clarence Underwood an. Jens trat fast auf den Zehenspitzen neben sie, und während er scheinbar furchtbar interessiert an ihr vorbeisah, dahin, wo ein entsetzliches ausgeschnittenes Holzbild in einem runden Rahmen prangte, blickte er mit heimlichem Entzücken verstohlen in ihr Gesicht. Einen Augenblick schien es ihm, als ob langsam ein leises Lächeln in ihre Züge trete. Dann aber wieder sagte er sich, dass dieses Lächeln, selbst wenn es keine Täuschung gewesen wäre, bestimmt nicht ihm gegolten haben konnte. Denn sie hatte ihn sicher überhaupt nicht bemerkt. Sie war von mittlerer Grösse, schlank und brünett, mit einem wundervollen weichen Profil und einer Haartracht, die bestimmt nicht dänisch war.
Jens Ose kam zu der Überzeugung, dass es nicht schicklich gewesen wäre, wenn er noch länger auf das Holzbild gestarrt hätte. Und fast als ob sie seine Absicht erraten hätte, wandte sie sich just im selben Moment herum, so als ob sie sich zum Weitergehen anschicke. Und plötzlich traf ihn ihr Blick. Nicht erstaunt oder verwirrt, wie durch die unvermutete Anwesenheit eines Zweiten, sondern so — er sagte es sich mit ungläubigem Entzücken — als ob sie ihn schon längst gesehen hatte. Sozusagen als ob sie mit seiner Nähe rechne. Sie ging nach dem Kongens Nytorv zu. Und wenn es sein Leben gekostet hätte — er wäre ihr gefolgt.
Mit schnellen graziösen Schritten ging sie über den Fahrdamm. Ein paar Droschkenchauffeure setzten sich in Positur. Das machte ihn merkwürdig stolz — er wunderte sich selbst darüber. Aber dann wusste er’s: das war eine Bestätigung seines guten Geschmacks. Eine junge Lady!
Sie ging am Königlichen Theater vorüber in der Richtung nach dem Neuhafen. Am Südportal blieb sie stehen. Sie studierte eifrig den Zettel, der dort hinter dem kleinen Gitter hing. Dann, mit einer kaum merklichen Bewegung, wandte sie den Kopf und blickte zu ihm hinüber. Etwas Heisses schoss ihm ins Gesicht — aber dann plötzlich war er sich klar, dass er sich geirrt haben musste. Oder doch nicht? Er nickte tiefsinnig. Das Arsenal einer Frau war eine komplizierte Angelegenheit!
Sie setzte ihren Weg fort. Aber als wenn ein gütiger Himmel ein Einsehen gehabt und den Beschluss gefasst hätte, dass Herrn Jens Ose an diesem Tage, der so traurig begonnen hatte, unbedingt und auf alle Fälle noch etwas Liebes passieren müsse: in diesem Augenblick kam ein Auto um die Ecke der Heibergstrasse — und die junge Dame wäre unfehlbar überfahren worden, wenn nicht Jens sie im rechten Augenblick zurückgerissen hätte. Das heisst: ganz so schlimm war es eigentlich nicht gewesen. Aber das konnte sie gar nicht so genau beurteilen, und Jens Ose hatte keinen Grund, sich darüber auszulassen. Kurz und gut — sie dankte ihrem Retter mit einem freundlichen Lächeln.
Sie war sicher keine Kopenhagenerin. Überhaupt wohl keine Dänin. Denn sie sprach mit einem leicht fremdländischen Akzent — angelsächsisch, wie es schien.
Sollte er das Glück dieser Minute leichtfertig aus seinen Fingern gleiten lassen? Das wäre eine Frivolität sondergleichen gewesen. Und ein Blick in das energische Gesicht der jungen Dame sagte ihm, dass sie ein solches Benehmen wahrscheinlich nicht einmal als Ritterlichkeit, sondern als Dummheit aufgefasst haben würde. Er stellte sich vor.
Sie lächelte wieder und neigte den Kopf, ohne aber ihren Namen zu nennen.
„Nicht wahr, fragte sie nach einer kleinen Weile, „ es geht hier nach Klampenborg?
„O nein, sagte er — wie wohl ihm heute das Schicksal wollte! — „ dort drüben durch die Bredgade führt der Weg. Aber ich nehme an, dass Sie die dänischen Strassenschilder gar nicht lesen können. Es wird das richtigste sein, wenn ich Sie führe.
„Es ist sehr liebenswürdig von Ihnen, mein Herr, antwortete sie mit einer weichen Mezzosopranstimme. „ Aber ich fürchte, Sie versäumen meinetwegen Ihre Geschäfte.
Er lachte herzlich. „Durchaus nicht, mein gnädiges Fräulein. Es trifft sich gut — ich bin heute vollkommen frei. Und wenn es Sie nicht geniert, so möchte ich Ihnen fast einen Vorschlag machen . . ."
„Bitte?" fragte sie ein ganz klein wenig streng.
„Ich meine, fuhr er zögernd fort, „natürlich, wenn es Ihnen nicht unangenehm ist — ich war sehr lange nicht in Klampenborg und könnte mich Ihnen dort vielleicht nützlich erweisen.
„ Das wird nicht nötig sein," sagte sie lächelnd, „denn ich wohne in Klampenborg und kenne dort jedes Haus. Aber ich habe nichts dagegen,