Aus Steiners Welt
Von Georg Rejam
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Über dieses E-Book
Management-Professor Robert Steiner muss ein altes Versprechen einlösen. In Jugendtagen hat er mit seinen beiden besten Freunden Biene und Oskar einen Schwur abgelegt. Alle drei wollten sie einen Roman schreiben, der nichts weniger als die Welt verändert.
Biene und Oskar haben ihr Buch längst geschrieben. Nur Steiner hat das Projekt bisher vor sich hergeschoben. Doch plötzlich taucht die geheimnisvolle Julie auf, die seine gutbürgerliche Existenz ins Wanken bringt. Sie bietet ihm an, gemeinsam mit ihm an dem Roman zu arbeiten. Welche Rolle Biene und Oskar dabei spielen und was es mit Julies plötzlichem Verschwinden auf sich hat, weiß Steiner aber nicht ...
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Buchvorschau
Aus Steiners Welt - Georg Rejam
AUS STEINERS WELT
GEORG REJAM
AUS STEINERS WELT
Roman
Lektorat: Teresa Profanter
Umschlagbild: Nikola Stevanović
Satz: Daniela Seiler
Hergestellt in der EU
Georg Rejam: Aus Steiners Welt
Literaturgruppe Textmotor
Gedruckt mit freundlicher Unterstützung von:
MA 7 – Kulturabteilung der Stadt Wien
Alle Rechte vorbehalten
© HOLLITZER Verlag, Wien 2017
www.hollitzer.at
eBook ISBN 978-3-99012-365-2
Für T. Babsi
Hello Marry Lou
© Welt-Raum, Michael L. Majer 2015
INHALT
Prolog
Ein ärgerliches Angebot
In zwanzig Minuten um die Welt
Schöne neue rosa Welt
Auf der Suche nach der verlorenen Nacht
Roberto sucht Julie
Warten auf Julie
Die Rückkehr des Management-Professors
Der Mann ohne Entscheidungen
Verwirrungen des Herzens
Große Versprechungen
Der Allerlängste Tag
Es ist Zeit für einen verdammt guten Roman
Im Schatten des Schreibens
Mein Reich, meine kleine Welt
Der große Gelehrte
Eine Weihnachtsgeschichte
Das weite Land der Zukunft
Die unglaubliche Leichtigkeit des Seins
BLUE – The Beginning
Die Vermessung einer Figur
Steiner hinter den Spiegeln
Hunderte Minuten Einsamkeit
Silvester der anderen Art: Teil 1
Silvester der anderen Art: Teil 2
Silvester der anderen Art: Teil 3
Das Ende einer Nicht-Affäre
Vom Winde verdreht
Die Leiden des nicht so jungen Steiner
Der Tod in Neustift
Die helle Seite des Mondes
Das Land der Dreiecke
Lokalwechsel
Kein Scherz
Statt eines Epilogs
PROLOG
Declaration for Freedom, Love and Peace
Die drei hier Unterzeichneten wollen ihr Leben lang folgenden Werten treu bleiben, diese mit all ihrer Kraft verteidigen und weitertragen:
Lerne dich selbst zu lieben.
Respektiere deinen Nächsten wie dich selbst.
Kämpfe gegen Gewalt und Ungerechtigkeit.
Wir, das Triumvirat Novum, die Dreifaltigkeit des Aufbruchs, die Heilige Allianz der Freiheit, wollen darüber hinaus jeweils einen Roman schreiben, der die Welt verändern soll.
Auf daß die Welt eine Bessere werde!
Biene
Oskar
Steiner
1978
EIN ÄRGERLICHES ANGEBOT
„Du hast es versprochen …" Oskar lehnte sich an den Kamin, ein Glas Whisky in der linken Hand.
„Vor hundert Jahren. Das ist längst verjährt", antwortete Steiner knapp. Ihm war unangenehm heiß in seinem dicken Wintermantel, den er partout nicht hatte ausziehen wollen. Der Hemdkragen kratzte ihn, er war wohl auch eine Spur zu eng geworden. Den obersten Knopf wollte er nicht öffnen, noch nicht. Erst nach dem offiziellen Teil des Abends.
„Aber wir haben es uns geschworen", ließ Oskar nicht locker.
Steiner verdrehte die Augen, sein Blick schweifte über die Bilder an der Wand. Er konnte sich an kein einziges erinnern. Wieder einmal bewunderte er Oskars Schaffenskraft. „Das war nach zehn Bier und sieben Joints. Aber wie auch immer, ich muss jetzt gehen. Gib mir den Schlüssel und ich kümmere mich um dein Atelier, wie sonst auch." Steiner sah demonstrativ auf seine roségoldene Da Vinci Automatic.
„Überleg es dir. Du kannst hier in Ruhe deinen Roman schreiben, bist ungestört. Glaub mir, es wird dir gut tun."
Steiner zupfte an seinem kurzen Kinnbart. „Ich muss los." Er umarmte Oskar hastig, dann verließ er fluchtartig das Atelier und steckte den Schlüssel verärgert in seine rechte Manteltasche. Draußen vor der Tür hielt er inne und sah nach oben. Dicke Flocken fielen zu Boden. Es hatte sich bereits eine solide Schneedecke gebildet. Das war so nicht geplant, murmelte Steiner, und seine Stimmung wurde noch düsterer. Der pulvrige Schnee blieb an seiner schwarzen Anzughose haften. Die besten Voraussetzungen für ein Verkehrschaos. Ein neuerlicher Blick auf seine Uhr. Das wird knapp. Es dauert sicher ewig, bis ein Taxi kommt. Bis zum nächsten Standplatz beim Türkenschanzplatz ist es mir zu weit. Plötzlich hörte er ein Brummen hinter sich, und als er sich umdrehte, bog ein roter Bus der Linie 40A, das Dach mit einer Schneemütze beladen, gerade um die Ecke.
Steiner rutschte auf seinem Sitz hin und her. Blickte alle drei Sekunden auf die Uhr. Es gab keinen Fahrscheinautomaten und der Fahrer hatte seinen 50-Euroschein nicht wechseln können oder es höchstwahrscheinlich gar nicht gewollt. Die Auskunft des Buschauffeurs, er könne ruhig bis zur U-Bahn mitfahren und dort einen Fahrschein kaufen, beruhigte ihn nicht. Er hatte es auch unterlassen dem Fahrer zu erklären, dass sein Ziel mit der Endstation des Busses ident war und er nicht beabsichtigte, mit irgendeiner U-Bahn weiterzufahren. Er fühlte sich nicht wohl dabei, etwas zu tun, was nicht korrekt war. Und das Nicht-Begleichen des Beförderungstarifs, welcher rechtsstaatlich legitimiert festgesetzt worden war, fiel eindeutig in die Kategorie: Nicht o. k. In seiner Position und Öffentlichkeitspräsenz konnte er sich das einfach nicht erlauben. Nicht auszudenken, wenn ein Kontrolleur käme und ihn ein Passagier bei der Diskussion über einen fehlenden Fahrschein beobachten würde. Auch wenn der Fahrer bestätigen könnte, dass er bis zur nächsten U-Bahn dispensiert sei, weil eben kein Wechselgeld parat war. Auch dann, wenn sich alles in Wohlgefallen auflöste, ein negativer Beigeschmack bliebe ja doch zurück. Jedenfalls bestünde das Risiko, jemand könnte darüber berichten, dass sie den Herrn Professor beim Schwarzfahren erwischt hätten. Oder dass der Leiter der Trias-Consulting sich keinen Fahrschein leisten könne. Nein, das wäre ihm höchst unangenehm. Und wenn der Fahrer sogar vergessen hätte, dass er bei ihm einen Fahrschein lösen wollte? Wenn dieser seine Aussage einfach abstreiten würde. Nicht auszudenken. Ein Skandal und eine Schädigung seines Rufes.
Steiner dachte an das Gespräch mit Oskar zurück und Ärger stieg in ihm hoch. Gleich darauf ärgerte er sich, dass er sich ärgerte. Er musste eine Lösung finden. Ein für alle Mal Schluss machen mit dieser abstrusen Erwartungshaltung, die ihn nun schon seit mehr als dreißig Jahren verfolgte. Er würde diesen verdammten Roman nicht schreiben. Keine Zeit. Keine Lust. Er mochte Oskar, er mochte ihn wirklich sehr. Aber vorhin war er ihm ziemlich auf die Nerven gegangen. Nun tat es ihm ein wenig leid, dass er so schroff zu ihm gewesen war. Oskar war wie ein kleiner Bruder für ihn. Er würde seine Sorgen niemals nachvollziehen können. Ihm wäre es komplett egal, beim Schwarzfahren erwischt zu werden. Er würde ganz spontan eine kreative Ausrede erfinden, hätte kein Problem damit, im Rampenlicht zu stehen. Und von wegen Rufschädigung. Für einen Künstler wie ihn waren alle Meldungen gute Meldungen, Hauptsache, man redet, schreibt oder berichtet über ihn. Hauptsache, man ist im Gespräch. Steiner war die Geschichte aus dem vergangenen Jahr noch gut in Erinnerung, als Oskar einen Disput mit der Polizei wegen des Konsums von Marihuana in der Öffentlichkeit gehabt hatte. Es war im Rahmen einer Open-Air-Vernissage und -Lesung über „Nachhaltige Society" gewesen. Die kleine Provokation, vom Rednerpult aus einem Joint zu huldigen, hatte Oskar sogar eine kurzzeitige Verhaftung eingebracht.
Der Bus berührte den Randstein und hielt in der Station Billrothstraße. Steiner bewunderte den Fahrer insgeheim, wie dieser das Fahrzeug elegant durch den immer stärker werdenden Schneefall steuerte. Und er war froh, dass er seinen fast neuen bei Oskars Atelier stehen gelassen hatte. Mercedes und Winter waren immer noch wie Katz’ und Hund, trotz aller Technik. Dem Busfahrer bereitete es sichtlich Freude, seine Erfahrung und sein Können zur Schau zu stellen. Wie der Kapitän eines Fährschiffs im Mittelmeer dockte er bei den Haltestellen an. Er schlitterte dabei jedes Mal die letzten Zentimeter und touchierte zart den Randstein, bis er den großen roten Dampfer zum Stehen brachte.
Steiner konnte sich einfach nicht auf das Thema des heutigen Abends konzentrieren: Kunst-Projekte, die bewegen. Immer noch bewegte ihn Oskar und ihr ruppiges Gespräch. Steiner schätzte sich selbst als liberalen und weltoffenen Menschen ein, aber Oskars jüngsten Lebenswandel konnte er gar nicht goutieren. In der kurzen Zeit, die er bei ihm verbracht hatte, hatte dieser zwei Joints geraucht und drei Gläser Whiskey geleert. Das war doch nicht normal, befand Steiner. Oskar hatte auch wieder mal Neil Young zitiert: It’s better to burn out, than to fade away. Er hatte Steiner nicht zum ersten Mal erklärt, dass er nicht wegen der Inspiration rauche oder trinke, sondern vielmehr Zerstreuung und die Unterbrechung seines Kreativitätsstromes benötige. Außerdem habe er sich entschieden im Hier und Jetzt zu leben. Da gäbe es keine Verpflichtungen, keine Verantwortung, kein Gestern und kein Morgen, sondern bloß den Moment. Ohne Frau und Kinder sei das natürlich einfach. So hatte nun eben jeder sein Leben. Damals mit Biene, na ja, da waren sie eben alle drei noch sehr jung gewesen. Jung, mit all den naiven Träumen und Hoffnungen. Oskar hatte sich das auf seine Weise erhalten.
Endstation Schottenring. Steiner schob den linken Ärmel seines dunklen Mantels ein wenig zurück und stellte fest, dass er noch sieben Minuten bis zur offiziellen Eröffnung hatte. Es ärgerte ihn, die Busfahrt nicht für die Vorbereitung seiner Rede genutzt zu haben.
IN ZWANZIG MINUTEN UM DIE WELT
Julie sah sich um und bewunderte die hohen, reich verzierten Räume, die Marmorsäulen und die vielen Spiegel. Sie kannte Wien von ihrem Auslandssemester, seither war sie oft mit ihrer Freundin Dany in dieser ehemaligen Kaiserstadt unterwegs gewesen. Meist in Beisln, Studentenlokalen, ab und zu auf Vernissagen. Die Wiener Börse hatte sie jedoch noch nie von innen gesehen. Im Moment war sie aber vor allem nervös, denn in weniger als zwanzig Minuten sollte ihr großer Auftritt stattfinden. Julie blickte in den Spiegel und gefiel sich in dem langen, schwarzen Kleid, das ihr Dany geborgt hatte. Sie hatten fast die selbe Größe und Figur. Ihre Freundin trug ein zum Verwechseln ähnliches Kleid, nur eine Nummer größer. Julie hatte sich erst geweigert, das Kleidungsstück von ihr anzuziehen, nicht weil sie mit getragener Kleidung Probleme gehabt hätte, sondern aus Angst, ihre beste Freundin unnötigerweise zu kompromittieren. Schließlich probierte sie es doch an und betonte, dass es sehr eng sei, sie es aber für einen Abend darin aushalten könne. Noch dazu habe sie gar nicht vor, allzu lange auf dieser Gala zu bleiben. Tatsächlich war ihr Größe sechsunddreißig sogar eine Spur zu weit, zumindest in diesem Schnitt. Aber das hatte sie gut verbergen können. Sie sah Dany von der Seite an, diese signalisierte ihr: Du-siehst-super-aus. Relax! Begleitet von einem aufmunternden Lächeln. Julie musste daran denken, dass ihr Kennenlernen vor einigen Jahren keinesfalls eine harmonische Annäherung gewesen war, sondern vielmehr ein Frontalzusammenstoß.
Es war Julies erste Vorlesung an der Uni Wien gewesen. Worum es genau gegangen war, konnte sie später nicht mehr sagen, irgendwas wie Die Kunst der Jahrhundertwende und die Bedeutung des Jugendstils in dieser Epoche. Jedenfalls ein endlos langer Titel. Sie hatte sich in der Unübersichtlichkeit der Hörsaalbezeichnungen verloren, war zu spät dran gewesen. Als sie die knarrende Tür des Audimax aufdrückte, blieb sie stehen und machte sich ein Bild von der Lage. Die Reihen waren dicht besetzt, einige Studierende saßen auf den Stufen, andere standen an die Wand gelehnt. Schließlich erspähte sie einen freien Platz in der dritten Reihe. Leise ging sie nach vorne und stand neben Dany, die ganz rechts außen saß. „Scusa, könntest du dich bitte verrutschen, sagte sie mit einem bemühten Lächeln. Später amüsierten sich die beiden noch öfter über diesen ersten Satz in ihrer Freundschaft. Dany war dann ihre damalige Reaktion immer ein wenig peinlich. „Das ist mein Platz, verstehst? Du kannst dich aber gerne daneben setzen. Wie heißt das Zauberwort?
Julie hatte sie verloren angesehen und gar nichts begriffen. Die beiden sahen einander einige Momente lang an. Für Julie war dies eine gefühlte Ewigkeit. Sie hatte den Eindruck, alle Blicke wären auf sie gerichtet, auf sie allein. Sie fühlte sich total fehl am Platz. In dieser kommunikativen Blockade hatte Dany schließlich „Wos is jetz? gezischt. Dann unterbrach der Professor seine Vorlesung, ein älterer Herr mit grauem Schnauzer im Nadelstreif. Höflich, aber bestimmt war dessen Aufforderung, endlich Platz zu nehmen. Julie lief rot an, und Dany machte schließlich Platz. Am Ende der Vorlesung, als Dany eilig dabei war, ihre Sachen zusammenzupacken, entschuldigte sich Julie nochmals für ihr Zuspätkommen. Sie erzählte Dany, dass sie aus Italien komme und sich hier noch nicht so gut auskenne. Das Eis war gebrochen. Dany liebte Italien und freundete sich schnell mit Julie an. Sie führte sie in ihren Freundeskreis ein und stellte sie auch bald ihrer Familie vor. Julie nahm diese Hilfe sehr gern an, und die Freundschaft mit Dany kam ihren Sprachkenntnissen zugute. Als das Semester sich dem Ende zuneigte, drängte Julie ihre neue Freundin zu einem Auslandssemester an ihrer Stamm-Uni in Verona, quasi als kulturelle Revanche. Dany stieg tatsächlich auf den Vorschlag ein, und im übernächsten Semester war es dann so weit. Die Zeit in Italien vertiefte ihre Freundschaft. Seither trafen sie einander einmal im Monat – entweder in Wien oder in Verona. Beide waren Single, hatten ähnliche Forschungsschwerpunkte und Interessen. Julie war sehr glücklich darüber, dass sie bei einem Forschungsprojekt über „Kulturelle Nachhaltigkeit
mitarbeiten konnte, für das Dany sie vorgeschlagen hatte. Somit waren ihr ein, vielleicht sogar zwei Semester in Wien und ausreichend Zeit für ihre Dissertation sicher. Die Teilnahme an der Preisverleihung für Kunst-Projekte, die bewegen war nur eine von unzähligen Aktionen, die Dany für ihre gemeinsame Wien-Zeit geplant und organisiert hatte. Wobei, genau genommen war Julie, zu Danys Überraschung, von ihrer eigenen Chefin höchstpersönlich eingeladen worden mitzukommen, und zwar