Der Flammen-Kreisel
Von Paul Rosenhayn
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Buchvorschau
Der Flammen-Kreisel - Paul Rosenhayn
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Der Flammen-Kreisel
Der Expreßzug Madrid-Paris, auf dessen Wagendächern noch der Staub der Pyrenäen lag, donnerte über die Weichen des Vorstadtbahnhofs.
In schmetternden Schlägen warfen die Wände des kleinen Stationsgebäudes das Geräusch der rollenden Räder zurück.
Das Dunkel nahm den Zug auf. Rechts und links der Schienen dehnte sich tiefer Wald; taktmäßig huschte das Licht der Waggons an den Baumstämmen vorüber.
Der Mann, der langsam die Böschung heraufkroch, legte das Ohr lauschend auf den Schotter des Bahndamms. Er wandte den Kopf und spähte nach Süden; dort hinten, im Dunst der Ferne, tauchten zwei Lichter auf. Er schwang sich hastig über die Ginsterbüsche und rannte wie einer, der verfolgt wird, quer hinüber zum Stellwerk.
Grünes Licht blinkte ihm entgegen: Freie Fahrt.
Ein Geräusch kam aus dem Dunkel. Er duckte sich lautlos. Deutlich ging durch die Stille der rhythmische Klang, der rollend vor dem Expreßzug einherlief.
Er kroch hinüber. Dort war das Rad, das den Mast des Vorsignals bediente.
Der Himmel jenseits des Waldes schimmerte rötlich: im Widerschein der Lichter von Paris. Schon trat die funkelnde Spitze des Eiffelturms aus dem Nebel hervor.
Plötzlich zerriß ein gellender Pfiff der Lokomotive die Stille. Gleich darauf kreischten die Bremsen. Das helle metallische Klingen der Räder ging in ein dunkles Rollen über — Puffer stießen dumpf zusammen: der Zug stand. Auf freier Strecke.
Fenster öffneten sich geräuschvoll. Neugierige blickten in die Dunkelheit hinaus. Die Schaffner eilten an den Wagen entlang — der Lokomotive zu. Der Führer beugte sich weit aus seinem Stand. Er wies mit der Hand nach vorn. Dort, beim Kilometerstein 32,5, stand das Signal auf Halt!
In hastigem Lauf erschien der Wärter der Blockstation. Er rief dem Zugführer etwas zu, was dieser nicht verstand; der Wärter winkte. Die beiden gingen eilig und verstört zur Lokomotive.
„Das Signal muß von fremder Hand gezogen worden sein!"
Der Lokomotivführer schüttelte den Kopf.
„Kann man bei euch so einfach die Streckensignale stellen, Papa Benoit? Ohne daß ein Mensch es merkt? Ich glaube, wir werden alt, Papa Benoit!"
Der Zugführer nahm brummend das Notizbuch, schrieb ein paar Worte hinein. Pierre Loubet, der Hilfsschaffner, drückte dem Streckenwärter den Bleistift in die Hand; nicht ohne Widerstreben setzte Papa Benoit seinen Namen unter die Meldung. — —
Der Hilfsschaffner Pierre Loubet kehrte in sein Dienstabteil zurück. Er hörte das Zischen des Dampfes, der, wie in der Freude der neugewonnenen Freiheit, den Ventilen entströmte. Die Lichter draußen glitten vorüber. Der Zug hatte sich wieder in Bewegung gesetzt.
Loubet schlug fröstelnd den Kragen seines Mantels hoch. Er steckte die kurze Holzpfeife in den Mund; sie war kalt. Er zog ein Streichholz und drückte sich in die Ecke seines hölzernen Sitzes. Mißmutig entzündete er das Hölzchen an der Stiefelsohle.
Noch eine halbe Stunde; dann war man in Paris. Dann war der Dienst zu Ende. Er freute sich auf sein warmes Bett.
Er setzte paffend die Pfeife in Brand und warf das Zündholz auf die Strohmatte. Ein paar glühende Ascheteilchen fielen in den trockenen Staub. In einer Masche des Geflechts glühte ein Funke auf. Loubet blickte zur Seite, ohne des kleinen Brandherdes gewahr zu werden, zum Fenster hinaus. Aber dann stieg ihm der beizende Rauch in die Nase, und er wandte unruhig den Kopf.
Plötzlich bemerkte er zu seinem Erstaunen eine Hand, die unter dem Sitz hervorkam. Sie tastete sich sorgsam nach dem glimmenden Fleckchen und löschte behutsam das kleine Feuer aus.
Pierre Loubet beugte sich vornüber und blickte unter die Bank, auf der er saß. Dort lag zusammengekauert ein Mann.
„Kommen Sie hervor", sagte der Schaffner barsch.
Der Aufgeforderte zwängte sich aus seiner unbequemen Lage hervor. Er richtete sich ächzend auf. Sein Überzieher, aus dem die geflickten grauen Hosen lugten, war unsauber, die ganze Erscheinung hatte etwas unsäglich zerlumptes.
„Wie kommen Sie hierher?"
Der Landstreicher rümpfte die Nase. „Hören Sie mal, lieber Freund: Sie rauchen aber einen scheußlichen Knaster!"
Loubet setzte sein finsterstes Beamtengesicht auf.
„Ich frage Sie noch einmal: wie kommen Sie hierher?"
„Das ist ziemlich einfach, antwortete der Fremde. „Der Zug hielt — und ich stieg ein.
„Haben Sie etwa das Signal auf Halt gestellt?"
Der andere zuckte die Achseln.
„Was tun Sie hier?" Loubet ärgerte sich selbst über seine dumme Frage. Seine Stimme klang scharf und drohend, aber sein strenger Ton schien keinen nennenswerten Eindruck auf den andern zu machen.
Wieder stand das harmlose Lächeln in dem Gesicht des Fremden.
„Mein Gott — ich überlegte gerade, ob es nicht vorteilhafter wäre, einen weichen Platz im Schlafwagen zu belegen als hier unter der Bank zu kauern. Könnten Sie mir vielleicht noch ein Bett anweisen, lieber Freund?"
Er legte dem Schaffner die Hand auf die Schulter.
Dem schwoll die Zornesader. „Lassen Sie die Unverschämtheiten!. Und dann, während sich sein Gesicht, vielleicht im Diensteifer, vielleicht vor Zorn, rötete, setzte er eifrig hinzu: „Ich werde Sie dem Zugführer melden.
Der Landstreicher setzte sich achselzuckend auf die Bank. Langsam zog er die Hose über die Knie, als fürchte er die Bügelfalte zu beschädigen. Dann schlug er, vielleicht unabsichtlich, den Mantel beiseite …
Der Schaffner starrte ihn an. Diese grauen Drillichbeinkleider — diese plumpen benagelten Schuhe …?
„Mensch! schrie der Schaffner auf. „Sie — Sie sind ja ein Sträfling! Ein entlaufener Gefangener . .!
Angstvoll wich er zur Tür zurück.
Aber der Fremde hob beschwichtigend die Hand.
„Sie sind sehr scharfsichtig, Kamerad. Loubet zuckte bei der vertraulichen Anrede zusammen. „Verdammt scharfsinnig! Es ist richtig: Sie haben den Nagel auf den Kopf getroffen, ich bin wirklich ein Sträfling. Ich bin entlaufen. Und ich werde verfolgt. Und Sie, Kamerad — Sie sind ein Schaffner. Nicht wahr? Nun also. Jeder hat seinen Beruf. Nur schade, daß der Ihre Sie anständig ernährt, was ich von dem meinigen nicht behaupten kann. Also, warum wollen wir uns gegenseitig das Leben schwer machen?
„Was wünschen Sie von mir?" murmelte der Hilfsschaffner, ein wenig unsicherer werdend, wütend über seine eigene Hilflosigkeit, über das Mitleid, das in ihm aufstieg — und doch unfähig, sich zu einem rücksichtslosen Entschluß aufzuraffen.
„Wollen Sie eine Zigarette?" fragte der Sträfling.
Loubet zuckte die Achseln, was der andere für eine Bejahung halten mochte, denn er faßte in die Tasche.
Der Schaffner sah erstaunt auf das blitzende Etui, das der Landstreicher zog.
„Das ist ja Gold …, stammelte er. „Gold …
Der Strolch nickte. „Freilich. Und die Zigaretten sind echt ägyptischer Tabak. Stück Ein Franc."
„Beute?" flüsterte Loubet atemlos.
Der andere lachte. „Nein. Persönliches Eigentum. Aber dann, plötzlich ernst werdend, sah er dem Hilfsschaffner ins Gesicht. „Wir wollen von Geschäften reden. Ich brauche nämlich Ihre Hilfe.
Der Marconiboy lief durch die Gänge des Waggons und öffnete einen Spalt breit die Coupétüren.
„Der Herr Baron van Emmerinck! Der Herr Baron van Emmerinck!"
Das Rattern der Räder erstickte fast die helle Knabenstimme.
Der Boy klopfte an ein Schlafcoupé.
„Was gibt es?" kam eine verdrossene Frage von innen.
„Herr Baron van Emmerinck?"
„Ja, zum Teufel!"
„Bitte zum Telephon! Ein Anruf aus Amsterdam!"
Die Tür rollte zurück. Ein Herr im Pyjama erschien.
„Im Dritten Wagen bitte, mein Herr. Ich werde mir erlauben, Sie zu führen."
Der Reisende warf einen schnellen Blick in den Korridor. Kein Fahrgast hielt sich im Gang auf. Er knöpfte die Schnüre seines Pyjamas zu und folgte ärgerlich dem Boy, der trinkgeldwitternd vor ihm herstapfte.
Fast in dem gleichen Augenblick, da die Tür der drahtlosen Kabine hinter dem telephonierenden Baron ins Schloß rollte, fast in diesem selben Augenblick geschah es, daß zwei Männer, zwei einfach aber robust aussehende Männer mit breiten Schultern und mit ruhigen ein wenig eckigen Bewegungen sich von ihren Sitzen erhoben und einen Rundgang durch die Abteile des Zuges Madrid-Paris begannen. Sie öffneten die Türen, tippten an ihre Hüte, blickten spähend hinein, schlossen die Türen wieder. Wechselten ein paar Worte miteinander und gingen weiter.
In jenem Waggon des Zuges indessen, in dem die Schlafcoupés Erster Klasse lagen, war ein Mann, der dem allmählichen Näherkommen der beiden Herren nicht ohne Besorgnis entgegenzusehen schien. Er trug einen grauen nicht sehr sauberen stark geflickten Mantel und darunter einen grauen Sträflingsanzug. Sein Blick fiel auf die Tür