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Ulla mischt sich ein
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eBook237 Seiten3 Stunden

Ulla mischt sich ein

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Über dieses E-Book

"Es ist besser, ein guter Handwerker zu sein als ein mittelmäßiger Anwalt", so Ulla Uttens Stimme der Vernunft, die jedoch einfach kein Gehör finden will ... Im "Haus zu den Lilien" in Frankfurt am Main wohnt die einst hochangesehene Uhrmacherfamilie Jost, in der sich seit vielen Generationen Talent und Beruf vom Vater auf den Sohn vererben. Auch Christian, der jüngste Spross, hat diese Begabung in ganz ungewöhnlichem Maß geerbt, doch die verblendete Eitelkeit der Mutter verleitet ihn dazu, statt den elterlichen Betrieb zu übernehmen, lieber Rechtswissenschaft zu studieren. Christians Jugendfreundin Ulla Utten, ein liebes und engagiertes Mädchen, führt einen unentwegten Kampf mit ihm, um ihn seinem eigentlichen Beruf zuzuführen. Als Christian nun Gefahr läuft, in einer Welt unter die Räder zu kommen, die seinem eigentlichen Wesen so sehr fremd ist, mischt sich Ulla energisch ein und öffnet ihm nach vielen Irrungen und Wirrungen über seinen falschen Umgang die Augen. Aber auch gegenüber der so aufopferungsvollen Jugendfreundin fällt es Christian schließlich wie Schuppen von den Augen ... Ein Roman einmal nicht über den Aufstieg zum Ruhm und den Griff nach den Sternen, sondern über das Maßhalten und die Besinnung auf das Machbare und die eigenen Grenzen. Einer von Anny von Panhuys reifsten Romanen.-
SpracheDeutsch
HerausgeberSAGA Egmont
Erscheinungsdatum26. Mai 2016
ISBN9788711570289
Ulla mischt sich ein

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    Buchvorschau

    Ulla mischt sich ein - Anny von Panhuys

    www.egmont.com

    Erstes Kapitel

    In einer der ältesten Gassen der einstigen freien Reichsstadt Frankfurt am Main, unfern des Domes, steht ein Haus, das, von Wind und Wetter der Jahrhunderte schief geworden, sich wie scheu zwischen die vielleicht ein wenig jüngeren Nachbarn einschiebt, so, als wünsche es, nicht beachtet zu werden. Und doch fällt es in der ganzen Gasse am meisten auf, das alte „Haus zu den Lilien".

    Oft stehen Fremde, die den Stadtteil Alt-Frankfurt besuchen, vor dem Hause zu den Lilien und bewundern es, besonders, weil es sich eine eigentümliche Vornehmheit bewahrt hat aus jenen fernen Tagen, da es noch der Patrizierfamilie von der Lilie gehörte, die es um das Jahr 1600 herum erbauen liess.

    Von einem Herrn von der Lilie, dem letzten dieser Linie des alten Geschlechtes, kaufte es Anfang des achtzehnten Jahrhunderts der junge Uhrmacher Gottfried Jost; und von da an blieb das Haus, über dessen Eingangstür ein schon vielfach ausgebessertes Wappen mit zwei Lilien in Stein gehauen war, Eigentum seiner Nachkommen.

    Ein ganzer Stamm von Uhrmachern ging aus dem alten Hause hervor, und sie waren alle tüchtig und erfolgreich gewesen; einer davon, der Grossvater des jetzigen Besitzers, sogar berühmt. Von weit und breit kam man zu Christian Jost, Fürstlichkeiten gehörten zu seinen Kunden, und es verstand sich in der Mitte des vorigen Jahrhunderts ganz von selbst, dass alle vornehmen Frankfurter ihre Uhren im Hause zu den Lilien kauften oder ausbessern liessen. Angesehen war Christian Jost, und sein Geschäft, sein Heim, seine Familie umgab die Gediegenheit reicher Bürger.

    Heute war davon nichts mehr zu spüren im Hause zu den Lilien. Man musste sich vielmehr sehr einrichten, um leidlich durchzukommen.

    Seit langer Zeit schon arbeitete Mathias Jost ohne Freude; gutzahlende Kundschaft kaufte in den Läden der Goethestrasse und Zeil, zu ihm verliefen sich nur noch Nachbarn und Leute, die annahmen, in dieser Gegend recht billig wegzukommen, Leute, die wegen jeder grösseren Ausbesserung schimpften und quengelten.

    In der langgestreckten Werkstatt hinter dem Laden sass Mathias Jost und untersuchte mit der Lupe, die er in das linke Auge geklemmt hatte, eine Damenuhr. Neben ihm arbeitete sein Gehilfe, Hans Weigand. Eine Wanduhr schlug sechsmal, andere Wanduhren folgten, der tiefe Ton einer Standuhr mischte sich ein. Alle grossen Uhren in Laden und Werkstatt beteiligten sich an dem Konzert.

    Mit einem hörbaren Ruck schob Hans Weigand seinen Stuhl zurück und sang vergnügt:

    „Jetzt ich heim zu Frauchen lauf,

    bums vallera, ich freu mich drauf!"

    Hans Weigand war seit vier Wochen verheiratet und freute sich immer auf das Heimgehen.

    Als er fort war, liess Mathias Jost müde die Schultern sinken. Nun war er allein und brauchte sich nicht mehr zusammenzunehmen, sein Kopf schmerzte von dem angestrengten Sehen, die Augen brannten. Die armen Augen, vor denen es manchmal wie graue Spinnweben zitterte.

    Die Augen waren durch Überanstrengung allmählich schwach geworden. Mathias Jost seufzte — und er war doch noch gar nicht besonders alt mit seinen fünfundfünfzig Jahren.

    Es klopfte an der Tür, die vom Flur in die Werkstatt führte. Gleich darauf stand Ulla Utten auf der Schwelle, grüsste und fragte lächelnd: „Gibt’s viel zu tun, Uhrendoktorche? „Uhrendoktorche nannte ihn Ulla seit ihren Kindertagen. Acht Jahre war sie alt gewesen, als ihre Mutter in das kleine Hintergebäude des Hauses zu den Lilien gezogen war.

    Ihr Vater war seit zwanzig Jahren verschollen, aber Frau Luise Utten hoffte immer noch, er würde eines Tages wiederkehren.

    Ulla drückte die niedrige Tür ins Schloss. Niedrig waren Türen und Fenster, niedrig waren die Decken hier im Hause, aber die Wände so dick, dass alle Geräusche von draussen matt zu sein schienen.

    Als Mathias Jost seine Arbeit wieder aufnehmen wollte, sagte Ulla freundlich: „Lass das, Uhrendoktorche, ich habe ein Stündchen oder zwei Zeit, Mutter ist weggegangen, abliefern, sie arbeitet in letzter Zeit Jumper, und auf dem Rückwege besucht sie immer eine alte Freundin. Nirgends kann sie so ausgiebig vom Vater reden wie dort.

    Sie schob Mathias Jost einfach von seinem Arbeitsplatze weg, liess sich auf seinen Stuhl nieder und nahm die Damenuhr auf, mit der sich der Uhrmacher vor ihrem Kommen beschäftigt hatte.

    „Na, das ist ja ein ziemlich schwerer Fall, Bruch der Achse!" stellte sie nach einem Weilchen stummer Betrachtung fest und sah jetzt ganz fachmännisch aus. Ihr sehr regelmässiges, helles Gesicht neigte sich über die Tischplatte, und sie begann mit geübten Händen zu hantieren.

    Mathias Jost sank in den alten Armstuhl und seufzte ein wenig traurig und auch ein wenig wohlig.

    „Mädelche, wenn ich dich nicht hätte! Fremdes, liebes Mädelche, ich hab’ dich gern, als wärst du mein eigenes Kind. Immer hilfst du mir, immer stehst du mir bei. Ich könnte ja keinen zweiten Gehilfen bezahlen, soviel bringt’s Geschäft nicht ein! Es ginge wohl, wenn Christian nicht studierte. Das kostet auf die Dauer viel Geld. Er braucht Anzüge, er muss dieses und jenes mitmachen und will nicht zurückstehen, wenn sein Freund, den er sich auf der Universität angeschafft hat, sich etwas leistet."

    Ulla fuhr mit der Rechten glättend über ihr Haar, das in leicht gewellten Scheiteln die gerade Stirn umrahmte und im Licht der niedrigen, grünbeschirmten kleinen Arbeitslampe hellgolden leuchtete. Es gab in Wahrheit nichts zu glätten an dem Haar, Ulla hatte nur allerlei Gedanken wegschieben wollen, die plötzlich hinter ihrer Stirn aufgesprungen waren und Neigung zeigten, sich in Worte umzuformen und sich zu melden.

    Aber Mathias Jost tat ihr leid. Christian war sein einziger Sohn, er hing mit grosser Liebe an ihm. Ab und zu sagte er dem Sohne ja auch ein wenig die Wahrheit, aber niemals so gründlich, wie er es wohl hätte tun müssen, denn Christian war auf einen falschen Weg geraten. Sie sah es, sie fühlte es, sie wusste es und litt darunter, weil sie ihn liebhatte. Das wusste sie auch, aber er wusste es nicht, und es würde ihm wahrscheinlich auch höchst gleichgültig sein, wenn er es erführe, wie ihm alles gleichgültig war, was sie anging.

    Er mochte sie nicht leiden, seit sie ihm ein paarmal, wenn auch in mildester Form, erklärt hatte, es wäre besser, er gäbe sein Studium auf und würde Uhrmacher, wie sein Vater, Grossvater und deren Väter es gewesen waren.

    Sie mochte jetzt nicht daran denken, und während sie mit ihren spitzkuppigen, wie für Arbeiten der Feinmechanik geschaffenen Händen an dem Ührchen arbeitete, sagte sie: „Mutter wird nicht müde, auf den Vater zu warten, aber ich meine, einer, der vor zwanzig Jahren weggegangen ist und seitdem nichts mehr von sich hat hören lassen, von dem keine Spur zurückgeblieben, der kommt nicht wieder."

    Mathias Jost sass mit geschlossenen Lidern da. Ein solches Ausruhen tat seinen Augen gut. Er lächelte traurig und stimmte ihr bei: „Nein, Kind, der kommt nicht wieder! Das Lächeln schwand, der schmale Gelehrtenkopf drückte sich an die hohe Sessellehne, und leise sagte Mathias Jost: „Ich weiss es noch wie heute, das, was vor zwanzig Jahren solches Aufsehen in der ganzen Stadt hervorrief. Der junge Wirt Utten, da drüben aus der Wirtschaft ‚Zum Hühnchen‘ war urplötzlich verschwunden, auf eine Weise verschwunden wie einer, dem ein Geist eine Tarnkappe aufgesetzt und ihn dann, unsichtbar für jedes menschliche Auge, entführt hat.

    Ulla arbeitete ruhig weiter. Sie hatte das schon allzuoft gehört, ihre Wimpern blieben trocken, ihre Hände zitterten nicht, aber ihr Herz tat immer wieder weh, wenn sie daran erinnert wurde, wie seltsam der Vater sich aus dem Leben der Mutter fortgestohlen, sie mit ihr, dem damals einjährigen Kinde, in einem mit Hypotheken überlasteten alten Hause dieser Gaffe zurücklassend.

    Aus dem Gedanken heraus erwiderte sie: „Es gibt keine Geister, die Tarnkappen für die Menschen bereithalten und sie entführen. Vater hat nicht mehr ein noch aus gewusst in dem Schuldendurcheinander, in dem er steckte, und hat alles sorgfältig für seine Flucht vorbereitet, sein Verantwortlichkeitsgefühl aber hat er in den Main geworfen. Vielleicht gräbt er heute in einer fernen Ecke Amerikas nach Gold, vielleicht hat er es auch zu etwas gebracht und längst vergessen, dass es hier in Deutschland noch Pflichten für ihn gibt, dass er Mutter und mich im Stich gelassen, vielleicht ist er aber schon längst irgendwo gestorben. Die Welt ist ja so gross, wie kann man wissen, wo er sein Grab gefunden in der grossen Welt. Sie atmete bedrückt. „Mutter tut mir leid, sie glaubt nicht an seinen Tod und behauptet, er würde heimkehren und sie und mich dann mit Reichtümern überschütten.

    Mathias Jost öffnete seine Augen, stille, graue, nachdenkliche Augen.

    „Ich meine, Ulla, den Glauben an die Wiederkehr deines Vaters muss mau ihr lassen, der hält sie aufrecht und macht ihr alles leichter. Sie wartet immer auf ihn, das strafft ihre Lebensgeister. Sie hat sich ein eigenes Geschichtchen über sein Verschwinden zusammenphantasiert, daraus holt sie sich ständig Mut und Frische. Sie hat deinen Vater sehr geliebt, und anscheinend er sie auch; hier in unserer Gasse nannte man die beiden nur die Turteltauben. Unfassbar und unbegreiflich bleibt deshalb deines Vaters geheimnisvolle Flucht. Aber er wusste wohl kaum, was er tat, die Schulden drückten ihn zu sehr, er hatte Grundstück und Wirtschaft tiefverschuldet vom Vater übernommen. Er hüstelte. „Das war in der damaligen Zeit wohl so, dass man zugrunde gehen musste, wenn man als ein Überbleibsel längst vergangener Tage in den alten Gassen hocken blieb, wo Licht und Luft sich nicht wohlfühlen. Aus Tradition hält man dann wohl am Alten, Gewohnten fest, ehrt damit die Vorfahren und wird allmählich selbst eine Art Vorfahre, verliert schliesslich Mut und Unternehmungslust. So alte Gassen haben es in sich! Die wissen festzuhalten! Mit weichen Armen, wie es scheint, und eigentlich sind sie doch eiserne Schraubstöcke. Man wühlt sich wie in behagliche Kissen hinein, in die immer dämmerige Luft der Enge unserer kleinen Häuser, ist davon immer ein wenig benommen und erschlafft. Nur Junge und zugleich Starke, Begabte, finden hier wieder heraus, aber die dürfen ruhig hierbleiben, wenn sie mögen, die verstauben auch hier nicht, die können es auch hier, oder richtiger von hier aus, zu etwas bringen. Aber Menschen wie ich werden grau und alt vor der Zeit — — — und ihr Geschäft mit ihnen, Männer wie dein Vater, die nehmen sogar Reissaus und laufen gleich so weit, dass sie nie mehr gesehen werden.

    Ullas grosse blaue Augen blickten ihn an.

    „Uhrendoktorche, ich vermag mir gar nicht vorzustellen, dass du in einem anderen Heim als im Hause zu den Lilien wohnen könntest, das schräg gegenüber dem Haus mit der Wirtschaft ‚Zum Hühnchen‘ steht, in dem ich geboren worden bin. Sie lächelte. „Ich liebe unsere alte Gasse, in der so viele Häuser von altersher Namen führen, aber ich sehne mich zuweilen doch danach, anderswo zu wohnen.

    Sie arbeitete schon wieder eifrig weiter.

    „Manchmal male ich mir aus, wie schön es sein müsste, in hohen Zimmern zu leben und einen Balkon vor den Fenstern zu haben. Die Fenster müssten auf Bäume, vielleicht auf Gärten hinausgehen, und nachts könnte ich den Himmel mit seinen Sternen sehen, von dem man hier, weil die Häuser der anderen Seite zu nahe sind, immer nur schmale Streifen erhascht. Ich male mir weiter aus, in der Wohnung wäre immer frische, gute Luft. Sie verstummte. „Ich schilderte als Ideal die Wohnung von Justizrat Hermann, Uhrendoktorche.

    Er nickte und fragte: „Wie bist du zufrieden beim Justizrat, Ulla?"

    „Ach, zufrieden bin ich schon. Er ist sehr gerecht, der Justizrat, und verlangt nichts Unmögliches, aber arbeiten muss ich tüchtig, schenken tut er einem nichts. Sie liess die Finger sekundenlang ruhen. „Ein ganz prachtvoller Mensch ist Justizrat Hermann, und deshalb ist er auch so gesucht. Wenn der seine Klienten anguckt, dann wagen sie kein Beschönigen und kein Vertuschen und Schwindeln, der holt aus jedem heraus, was in ihm ist, der schaut durch die Menschen hindurch wie durch gläserne Wände. Er ist ein Fanatiker seines Berufes, kein Rechtsverdreher, der aus Recht Unrecht und aus Unrecht Recht macht. Wenn der einen Angeklagten verteidigt, dann verstummt der Staatsanwalt und sieht alles so wie er. Trotz seines stark ausgesprochenen Gerechtigkeitsgefühls besitzt der Justizrat aber unendlich viel Menschenliebe, und mit der geht er an die bösesten Dinge heran und mildert sie vom rein menschlichen Standpunkt aus. Handelt es sich jedoch um Unverzeihliches, dann wird der Verteidiger zum Ankläger. Ihre Augen blitzten. „So wie Justizrat Hermann muss ein guter Anwalt sein, denke ich mir. Oder richtiger, so sollte jeder Anwalt sein. Aber viele Menschen ergreifen den verantwortlichen Beruf, wie sie jeden anderen Beruf ergreifen würden. Es fehlt die Begabung dafür, und man braucht nicht nur zum Künstler Begabung, das ist eine ganz falsche Ansicht."

    Mathias Jost erwiderte langsam: „Du siehst das richtig an; aber nicht jeder sieht es so, Christian auch nicht. Meine Frau hat ihm von jeher eingeredet, er müsse Rechtsanwalt werden. In ihrer Familie gab’s einmal einen Anwalt, die ganze Familie war stolz auf den akademisch gebildeten Herrn, und als er schon längst gestorben war, schwebte sein Geist immer noch wie etwas Strahlendes über dem Namen aller, die so hiessen wie er. Christian kannte deshalb kein anderes Ziel, als auch so einer zu werden wie jener ferne Onkel, der, nebenbei bemerkt, nichts weiter gewesen ist als ein ganz kleiner Durchschnittsanwalt. Als meine Frau starb, hatte sich Christian schon vollkommen festgelegt, da konnte ich ihm nicht mehr abreden, da durfte ich ihn nicht mehr mahnen: Lass deinen Plan fallen, mein Junge, du wirst wahrscheinlich doch kein besonderer Anwalt werden, aber ganz gewiss ein ganz besonderer Uhrmacher, denn deine Begabung für alles Feinmechanische ist ungewöhnlich."

    Er faltete die Hände. Es war wie eine Gebärde der Ergebung.

    „Ich habe schon oft solche Worte auf der Zunge gehabt, und es wäre vielleicht noch gar nicht zu spät, denn besser ist’s wohl, einen Fehler spät erkennen als niemals. Ich habe oft sagen wollen: Lass Universität Universität sein und werde, was ich bin und was die Jostens vor uns gewesen, du hast das Zeug dazu, den alten, einstmals so klangvollen Alt-Frankfurter Uhrmachernamen wieder voll und ganz zu Ehren zu bringen. Aber dann schluckte ich alles hinunter und schwieg."

    „Und das ist fast so etwas wie eine Schuld, die du auf dich geladen, Uhrendoktorche, sagte Ulla sehr ernst. „Mit der Begabung soll man rechnen; ich behaupte, Christian ist geradezu für die Uhrmacherei geboren. Der hat nichts weiter fachlich gelernt, als was er dir abgeguckt hat, und er spielt förmlich mit den winzigsten Teilchen einer Uhr herum. Er spricht über Dinge der Feinmechanik wie ein alter Fachmann auf dem Gebiet und löst spielend die schwierigsten derartigen Probleme. Als Anwalt wird er einmal einer derer sein, von denen mindestens vierzehn aufs Dutzend gehen, als Uhrmacher aber könnte er einen Teil der Glanzzeit seines Vorfahren zurückerobern, der Christian hiess wie er, und zu dem alle Vornehmen Frankfurts kamen und sogar Fürstlichkeiten von Mainz und Karlsruhe.

    Mathias Jost löste die gefalteten Hände.

    „Ach, Mädelche, das ist nun alles schon mal so, dagegen können wir nichts mehr tun. Und wenn es auf Begabung ankommt, dürftest du auch nicht als Tippmamsell im Anwaltsbüro sitzen, sondern müsstest einen ganz hervorragenden Platz in einer grossen Uhrmacherei einnehmen, in so einer, wie sie im Schwarzwald zu Hause sind. Hast mir ja auch bloss abgeguckt, was deine Finger nun so geschickt arbeiten, um mir in deiner knappen Freizeit zu helfen, damit ich meine immer so müden Augen schonen und die Kunden besser bedienen kann."

    Ulla Utten lachte froh und jung.

    „Ein Mädel als Uhrmacherin ist immer noch etwas Seltenes, und ich wollte doch möglichst bald selbst mein Brot verdienen, um Mutter zu entlasten. Die Handelsschule forderte keine besonders lange Lehrzeit. Ich freue mich, dir helfen zu dürfen, wenn der Gehilfe gegangen ist, ich tue es herzlich gern."

    Leise sagte Mathias Jost: „Schade, dass ihr beide, Christian und du, euch so schlecht versteht in den letzten Jahren. Früher war das doch anders."

    Ulla neigte sich tief über ihre Arbeit, und erst nach einem Weilchen gab sie zurück: „Ich bin ihm nicht mehr besonders angenehm, doch das schadet nichts, damit habe ich mich abgefunden; aber du und ich, wir bleiben immer gute Freunde, Uhrendoktorche."

    Er lächelte. „Ja, wir beide bleiben immer gute Freunde."

    Ulla wurde traurig. Sie hatte sich noch längst nicht damit abgefunden, dass alles zwischen Christian und ihr anders geworden war als früher. — — —

    Zweites Kapitel

    Jan van Straaten lachte. Er lachte so eigen. Ganz leise war das Lachen, es klang wie vom Winde aus irgendeiner Ferne hergeweht. Auch sein Sprechen war leise, es schien immer, als sage er etwas Besonderes, was nicht jeder hören sollte, auch wenn er nur vom Wetter redete.

    Christian Jost fragte: „Weshalb lachst du, Jan?"

    Sie gingen beide am Main entlang, unten im „Nizza". Das war ein tiefgelegener Promenadenteil dicht am Mainufer, den man so nannte, weil er besonders günstig zur Sonne lag und obendrein windgeschützt war. Hier hatten südliche Bäume eine Heimat gefunden, und vom Frühling bis zum Herbst blühten hier in Überfülle die herrlichsten, buntesten Blumen.

    Jetzt herrschte der Vorfrühling. Man schrieb den ersten März, Krokus und Schneeglöckchen sah man schon auf den gepflegten Beeten, alle Büsche und Bäume hatten dicke Knospen, vorwitzige Blättchen zeigten sich schon hier und da, Sonne hatte sie aus der Hülle gelockt.

    Jan van Straaten antwortete dem Frager nicht gleich, erst nach Minuten war seine leise Stimme da: „Ich lachte, weil du immer so geheimnisvoll mit deinem Zuhause tust, weil du mich noch niemals eingeladen hast, dich einmal zu besuchen. Ich glaube, du musst irgend etwas zu verbergen

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