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Natti
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eBook171 Seiten2 Stunden

Natti

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Über dieses E-Book

Natti steckt in der Klemme. Mitten in der Pubertät kommen viele Fragen auf, die niemand wirklich beantworten oder erklären kann. Menschen passen sich anderen Menschen an, verändern sich, verlieren sich selbst. Auch Natti stellt sich Fragen, vor allem wenn sie mit Danny zusammen ist: Bin ich das wirklich? Benehme ich mich wirklich so? Passt das zu mir? Oder tue ich nur so, weil ich weiß, dass ich so sein sollte?.- Spannendes Buch über einen Teenager auf der Suche nach sich selbst.
SpracheDeutsch
HerausgeberSAGA Egmont
Erscheinungsdatum13. Nov. 2015
ISBN9788711463734
Natti

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    Buchvorschau

    Natti - Camilla Gripe

    Saga

    1

    Ostern stand vor der Tür, die Osterzweige mit ihren bunten Federn leuchteten in den Schaufenstern und wollten so gar nicht zu dem Schneematsch draußen auf den Straßen passen.

    In einer Boutique in Gamla Stan, der historischen Altstadt von Stockholm, verpackte die Ladeninhaberin Annette eine purpurfarbene Abendbluse in Seidenpapier.

    »Handwäsche, nur dreißig Grad«, sagte sie zu der Kundin. »Und tropfnaß aufhängen.«

    Ihre Hände flatterten um den glänzenden Stoff, sorgfältig, aber routiniert. Ihre Augen wanderten zu dem kleinen grauen Viereck aus Licht, das durch die Oberlichte der Tür hereindrang. Dann senkte sich ihr Blick und folgte den nassen Spuren, die von der Tür an den Ladentisch führten, wo die pelzbekleidete Kundin stand, eine jugendlich aufgemachte Dame mittleren Alters in modischen italienischen Stiefeln. Vermutlich eigene Unternehmerin, wie sie selbst. Inhaberin eines Frisiersalons. Oder möglicherweise Zahnärztin. Der Preis der Bluse hatte sie jedenfalls nicht abgeschreckt.

    Annettes Vermutungen über den Beruf der Kundin waren genauso automatisch und routiniert wie ihr Umgang mit den Kleidern. Daß man die Kundschaft einschätzen lernte, gehörte zum Beruf.

    »Ist das ein Wetter! Man kann kaum glauben, daß bald April ist«, bemerkte die Dame.

    »Nein, die Leute trauen sich ja kaum aus dem Haus«, sagte Annette mit einem kleinen Seufzer.

    Während der letzten Tage waren die Kunden nur spärlich hereingetröpfelt. Trotz Ostern.

    Aber jetzt läutete die Ladenglocke, und eine kleine graue Gestalt schlüpfte herein. Die Dame im Pelz nahm ihre Tüte und nickte zum Abschied. Sie verließ die Boutique mit einem raschen abschätzenden Blick auf die Gestalt an der Tür und einem vielsagenden Kopfschütteln in Annettes Richtung. Dieser Neuankömmling würde wohl kaum besonders einträglich fürs Geschäft sein, schien das ausdrücken zu wollen.

    Das Mädchen, denn es war ein Mädchen, stand mit hochgezogenen Schultern neben einem der Kleiderständer. Die schwarzumrandeten Augen blickten düster auf den Ladentisch, von der nassen Jacke tropfte Schneewasser auf ein Paar Wildlederstiefel hinab, die den Kampf ums Dasein schon längst aufgegeben hatten. Über dem weißen Gesicht spreizten sich die traurigen Überreste einer ehemals »starken« Frisur. Die ganze Gestalt strahlte Verlassenheit aus, wie eine entlaufene, halbverwilderte Katze. Sie hatte die Hände tief in die Taschen der unförmigen Jacke gerammt.

    »Natti!« rief Annette und runzelte bekümmert die Augenbrauen.

    »Tag«, erwiderte die Angesprochene.

    Eine kleine, weiße Hand tauchte aus der Jackentasche auf und begann nervös an den aufgehängten Kleidern herumzuzupfen. Ihre Fingernägel waren mit schwarzem Nagellack dekoriert, der teilweise bereits wieder abblätterte.

    Annette erschauerte.

    »Du siehst fürchterlich aus!« sagte sie.

    »Weiß ich selbst«, kam die mürrische Antwort.

    »Was hast du eigentlich getrieben, Natti? Gestern abend habe ich immer wieder angerufen, aber es war entweder besetzt, oder niemand hat sich gemeldet.«

    »Ach, nichts Besonderes. Hab nur ein paar Kumpel dagehabt ...«

    Annette seufzte ein weiteres Mal und begann, Seidenkordeln an einem Haken neben dem Ladentisch aufzuhängen. Die Falte zwischen ihren Augenbrauen war schärfer geworden. Die Kordeln wanden sich wie dünne bunte Schlangen zwischen ihren gepflegten Fingern.

    »Also, im Ernst, Natti, wäre es nicht doch besser, wenn du für diese Zeit zu mir herausziehen würdest? Du scheinst jemanden zu brauchen, der nach dir schaut! Papa ist erst seit drei Tagen verreist, aber du siehst aus, als wärst du seit einem halben Jahr herumvagabundiert!«

    »Na und! Nur weil ich keine Zeit gehabt hab, mich zu kämmen. Und bei diesem Sauwetter sieht doch eh kein Mensch ordentlich aus! Nein, ich hab keine Lust, jeden Tag so weit in die Stadt reinzufahren. Da draußen bei dir kenn ich keinen Menschen. Und ich bleib ja sowieso nur noch eine Woche allein. Übrigens, was für ein Tag ist heute eigentlich?«

    »Mittwoch. Morgen ist Gründonnerstag.«

    »Oh, schon Mittwoch!«

    Nattis Stimme überschlug sich. Die schwarzumrandeten Augen füllten sich mit Entsetzen.

    »Aber Natti! Um was geht es denn? Was ist mit dir los?«

    »Ach was, mit mir ist nichts los ... das heißt ... ich ...«

    Die halbverwilderte Katze begann nach Rückzugsmöglichkeiten zu suchen. Sie bewegte sich langsam auf die Tür zu. Der einladenden Menschenhand war vielleicht doch nicht so recht zu trauen.

    »So, jetzt raus mit der Sprache! Irgendwas ist los, das sieht ja ein blindes Huhn! Du wolltest doch etwas ganz Bestimmtes von mir?«

    Natti machte wieder ein paar zögernde Schritte auf den Ladentisch zu. Die Schultern schossen in die Höhe, auf die Ohren zu, die Hände verkrochen sich wieder in den Taschen. Verteidigungshaltung.

    »Also, ich würde dringend etwas Kohle brauchen ... nur geliehen, meine ich ... es ...«

    »Ach? Komisch! Hat Papa dir denn nichts gegeben, bevor er und Kerstin abgereist sind? Er ist doch sonst alles andere als knauserig.«

    Annette stützte sich mit fragendem Gesicht auf den Ladentisch. »Er hat’s irgendwie vergessen. Da kam so viel anderes dazwischen. Kerstin hat Migräne bekommen und so, du weißt schon ...«

    Annettes lange Fingernägel klopften irritiert auf den Ladentisch. »Vergessen! Soll das etwa heißen, daß er vergessen hat, dir Geld zu geben, bevor sie abgereist sind?«

    Das Mädchen wand sich vor Unbehagen und warf einen sehnsüchtigen Blick auf die Tür.

    »Vergessen nicht direkt, aber ... Also, sie haben zuwenig im Haus gehabt, und dann bekam sie Migräne, und da hat’s nicht mehr für die Bank gereicht. Aber wenn du nichts ... Also, ich wollte es ja sowieso bloß leihen ...«

    »Sind sie ohne Geld abgereist? Wie eigenartig! Wieviel hast du denn jetzt?«

    Halber Rückzug. Die Hand auf dem Türgriff.

    »Fünfzig ungefähr ... Ach was, vergiß es, Mama! Es wird auch so gehen ...«

    Hinter Natti ging die Tür auf. Sie sprang rasch zur Seite, um drei Damen Platz zu machen. Dabei verspritzte sie ein wenig Schmelzwasser, wie ein nasser Hund, und die Damen brachten sich rasch in Sicherheit.

    »Komm gleich nach dem Lunch zurück«, sagte Annette bestimmt. »Dann geh ich rasch auf die Bank. Das hier müssen wir klären!«

    2

    Aus Nattis Tagebuch

    Ausgaben vor der Katastrophe:

    933 – 811 = 122 kr

    Also habe ich noch ca. 100 Kronen, wenn ich meinen Kaffee hier bezahlt habe.

    Neue Ausgaben:

    Micke muß den Hunderter zurückzahlen! Vielleicht kann Nalle was für die Vase rausrücken, die er kaputtgemacht hat. Sonst kann ich nur hoffen, daß sie es möglichst lang nicht entdekken. Was hat er auch im Schrank zu suchen gehabt? Die Vase als Raumfahrthelm zu benützen, das ist doch echt beknackt! Diese Susi, die Micke mitgebracht hatte, die müßte eigentlich für die sauteure Teppichwäsche blechen. Aber das kann ich natürlich gleich wieder vergessen, da ist nichts zu holen, das sind echt zähe Typen!

    Wenn ich von Mama 500 kriege, habe ich 600. Und wenn Nalle, Micke und Susi mit 200 rausrücken (was nicht viel ist), habe ich 800. Also bestenfalls 75 Piepen minus. Klasse! Echt Spitze!

    Pech, daß ich nicht gesehen habe, wer die Stereoanlage kaputtgemacht hat. Freiwillig gibt das natürlich niemand zu. Aber Micke hat gesagt, er kennt einen Typ, der so was kann. Wenn er das nicht nur so dahergequatscht hat. So einfach daran herumfummeln, das kann ja jeder, und hinterher ist die Anlage dann endgültig im Eimer. Auf diese angeblich so »technischen« Typen kann man sich nicht immer verlassen. Manchmal bleiben erstaunlich viele Schräubchen übrig, wenn sie was auseinandergenommen und dann stundenlang wieder zusammengebastelt haben.

    Mama war in »Untersuchungslaune«! Das ist schlecht! 500 ist die äußerste Grenze, mehr läßt sie sich nicht abknöpfen. Wenn sie streikt, kann ich gleich ohne Rückfahrkarte zu ihr rausziehen.

    3

    Natti klappte ihr rosa Tagebuch zu und steckte es zusammen mit dem Stift in ihre Umhängetasche. Dann sammelte sie die vielen kleinen Quittungen und Zettel ein, die sie auf dem Tisch verstreut hatte, und stopfte sie in den Geldbeutel, bis er prall und wohlhabend aussah. Doch ach, wie der Schein trog!

    Sie trank noch das letzte Schlückchen Kaffee, das inzwischen kalt geworden war, und genehmigte sich einen letzten Zuckerwürfel gegen den bitteren Geschmack.

    Natti war der einzige Gast in dem kleinen Lokal, das mit sieben runden Tischen mit rot-weiß karierten Tischdecken und einer Bartheke ausgestattet war. Ein dunkelhäutiger Mann ging pfeifend umher und wischte die Tische ab. Irgendwo im Hintergrund hämmerte Discomusik aus einer unsichtbaren Stereoanlage.

    Der Mann blieb vor Nattis Tisch stehen.

    »Mehr Kaffee?«

    Natti schüttelte den Kopf.

    »Du nur büffeln! Viel büffeln – viel Kaffee! Kaffee gut für Kopf. Besonders sehr guter Espresso!«

    Plötzlich hatte Natti eine Idee.

    »Wie wär’s, könnte ich über Ostern vielleicht hier bei Ihnen jobben? Spülen, Tische abwischen, bedienen und so?«

    Da begann der Mann zu lachen. Das war ihr peinlich. Sie wußte, daß ihr Aussehen sie nicht gerade für einen Job empfahl. Aber deswegen gleich ausgelacht zu werden – das war doch wohl der Gipfel!

    Eigentlich müßte sie jetzt aufstehen und einfach gehen, aber sie fühlte sich wie gelähmt und brachte nicht einmal eine spöttische Bemerkung über die Lippen.

    Als der Mann fertiggelacht hatte, verschwand er hinter der Theke, und Natti stand endlich auf. Doch kaum hatte sie einen Schritt getan, war der Mann schon wieder da, mit einer Tasse dampfendem Espresso, die er auf ihren Platz stellte. Er räumte die alte Tasse weg und deutete mit einer Geste auf ihren Stuhl. Zögernd setzte sie sich wieder hin.

    »Ich wollte doch nichts ...«

    »Ed lädt ein! Nicht gehen, ohne richtigen Espresso zu probieren!«

    Komisch! Zuerst lachte er sie aus, und dann spendierte er einen Espresso! Da blieb ihr wohl nichts anderes übrig, als es dankend anzunehmen. Sie nahm reichlich Zucker in die kleine Tasse und ließ ein paar Würfel in der Jackentasche verschwinden. Schließlich hatte sie magere Zeiten vor sich.

    Der Mann namens Ed mußte sich um zwei neue Gäste kümmern. Natti nahm eine Zeitung vom Nachbarstuhl und las von einem zwölfjährigen Jungen, der eine Million im Lotto gewonnen hatte. So verschieden verteilt das Schicksal seine Gunst ... Bald war es an der Zeit, zu Annette zu gehen.

    Beim Gespräch mit ihrer Mutter würde sie ihre Zunge hüten müssen. Sonst kämen bohrende Fragen und Extrakontrollen auf sie zu. Wenn Annette zum Beispiel Papa fragen würde, warum er Natti kein Geld gegeben hatte – das würde eine schöne Bescherung geben! Aber andererseits hatte Natti auch keine Lust, das Problem Teppichreinigung mit Annette zu diskutieren, das würde nämlich garantiert nur dazu führen, daß nach ihr »geschaut« würde.

    Vielleicht sollte sie einfach zugeben, daß sie das Geld verpulvert hatte. Bestimmt würde Annette Verständnis dafür haben, daß man manchmal neue Kleider brauchte. Allerdings würde sie natürlich sauer sein, weil Natti die Kleider nicht bei ihr gekauft hatte, wo es doch Rabatt und obendrein gute Ratschläge gab. Die neuen Gäste ließen sich knusprige Hörnchen mit Käse und Schinken schmecken. Natti schaute rasch weg. In den nächsten Tagen würde sie es sich abgewöhnen müssen, an Essen zu denken. Zu Hause war kaum noch etwas Eßbares übrig. Ihre Gäste waren wie ein Heuschreckenschwarm über alles hergefallen. Knäckebrot und ein paar Gläser Marmelade, mehr war bestimmt nicht da. An die Kühltruhe brauchte sie gar nicht zu denken. Die darin eingefrorenen Gerichte hätte man ja kochen müssen, um sie essen zu können! Und jetzt so kurz vor den Osterferien fiel auch das Essen in der Schule aus.

    Ach ja! Die Schule. Heute hätte sie eigentlich dort erscheinen müssen, morgen war auch noch Unterricht, aber momentan hatte sie dafür einfach keine Zeit. Wenn ihre Mutter Fragen stellte, würde sie sich eben eine Ausrede einfallen

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