Wenn die Liebe nicht wär
Von Anny von Panhuys
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Buchvorschau
Wenn die Liebe nicht wär - Anny von Panhuys
Anny von Panhuys
Wenn die Liebe nicht wär
Saga
Wenn die Liebe nicht wär
Coverbild/Illustration: Shutterstock
Copyright © 1920, 2020 Anny von Panhuys und SAGA Egmont
All rights reserved
ISBN: 9788726629439
1. Ebook-Auflage, 2020
Format: EPUB 3.0
Dieses Buch ist urheberrechtlich geschützt. Kopieren für gewerbliche und öffentliche Zwecke ist nur mit Zustimmung von SAGA Egmont gestattet.
SAGA Egmont www.saga-books.com und Lindhardt og Ringhof www.lrforlag.dk
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Der ganze westliche Himmel schwamm in Gluten. Wie mit Blut überrieselten die Strahlen der scheidenden Sonne die vor kurzem noch weissrosigen Wölkchen und wandelten sie zu schimmernden Purpurdecken. Gleich einem weichen Gespinst aus Altgoldfäden hingen die Strahlen nieder und drängten sich durch die schmalen Kirchenfenster, deren kleine Quadrate mit Heiligen in bunten, wallenden Gewändern gemalt waren. Das ergab ein wirres, schönes Farbenspiel.
Prinzessin Christine huschte durch die breite, eisenbeschlagene Kapellentür und ging auf den Fussspitzen den Mittelgang bis zum Altar hinauf. Die Sonnenfädchen verfingen sich in dem reichen, mattblonden Haargelock und verzauberten es, ein Kopfschmuck aus lichtem Golde zierte jetzt die kleine, schmale Prinzessin.
Es war, als ahne sie, wie wunderschön sie in diesem Augenblicke aussah, denn ein Lächeln hing sich um ihren Mund und blieb dort, wie der Nachklang eines lieben Wortes, liegen.
Prinzessin Christine trat an das Gestühl zur Linken und schob sich in eine hochlehnige Bank, die nur zwei Plätze aufwies. Darin sass die blonde, zierliche Prinzessin wie verloren, und der feine Kopf drückte sich gegen die Rückwand der Bank, deren wuchtige, schwerfällige Schnitzerei sich um ein Wappen wand. Ein Kreuz, eine Reiterpistole und zwei Lilien.
Das war das Wappen der Fürsten Ittenhausen-Sirrenbach. Das Wappen wiederholte sich an der Kanzel und auf den Steinplatten des Fussbodens um den Altar herum.
Unter den Steinplatten befand sich die Familiengruft, und sie lagen alle da unten, die dem Geschlechte Ittenhausen-Sirrenbach angehört hatten, bis auf die Frau, durch die ehedem die Lilien in das Wappen gekommen. — —
Prinzessin Christine war eine Träumernatur und sann gern über Zeiten nach, deren Schritte längst verweht waren, sie grübelte Dingen nach, deren einstige Wirklichkeiten in der raschen Geschäftigkeit unserer Tage wie Sagen anmuteten. Aus der Geschwätzigkeit und dem Klatsch des Ittenhausener Schlosses rettete sich Prinzessin Christine gern — wie auf eine Oase in der Wüste — in Vergangenheiten, die sie nicht kannte, aber deren Odem sie noch zu spüren meinte, sie fand da so vieles, über das sie nachgrübeln konnte. —
Drüben an der Wand lockte die Sonne ganze Strahlenbündel aus einem mit einem breiten Holzrahmen eingefassten Bilde. Ein Märtyrer, ungeschickt und doch liebevoll auf Elfenbein gemalt, war von einem kunstvoll geflochtenen Kranze von Golddrähten eingeschlossen, an deren hochgebogenen Enden grüne und rote Steine wie Blätter von scharfem Frühlingsgrün und dicke schwere Blutstropfen sassen. Das Kunstwerk hatten einst die geschickten Hände der Klosterfrau Theresia, durch welche die Lilien in das Familienwappen gekommen, in einem Kloster am Rhein, in dem sie die letzten zehn Jahre ihres Lebens zugebracht, angefertigt. Die Klosterfrau Theresia war, ehe sie die Stille der Zelle und den Rosenkranzgürtel erkor, eine Gräfin Ittenhausen-Sirrenbach gewesen — den Fürstentitel erhielten die Ittenhausen erst später — und hatte, da sie sich nach dem Tode ihres Gemahls nicht mit den beiden Söhnen verstand, Namen und Heimat aufgegeben. In dem rheinischen Kloster sollte sie ruhen. Aber da das Kloster schon seit über hundert Jahren seinem eigentlichen Zwecke nicht mehr diente, wusste heute niemand mehr, wo die Klosterfrau Theresia ihre letzte Stätte gefunden. —
Prinzessin Christine hob lauschend den Kopf, die schwere Tür hatte etwas geknarrt. Die Prinzessin wandte sich leicht zur Seite und mit einer kleinen Sorgenfalte zwischen den schmalgestrichenen Brauen sah sie dem sehr mageren, in seiner Haltung leicht vornüber geneigten Herrn entgegen, der langsam den Gang heraufkam. Eine sehr gepflegte Hand hob sich Christine schon von weitem wie grüssend entgegen, und ein paar kostbare Ringe blitzten auf.
Minister Reichsfreiherr von Sorkum lächelte mit zu unnatürlich jungen, zu unnatürlich weissen Zähnen.
Er war inzwischen ganz nahe gekommen.
„Immer findet man Prinzessin in der Kapelle," flüsterte der alte Herr dem jungen Mädchen zu, und ihr die Rechte bietend, nahm er neben ihr Platz.
„Guten Tag, Onkel Exzellenz," die schönen, blauen Mädchenaugen ruhten wie fragend auf dem feinen, rosigen Altmännergesicht, in dem der winzige, kohlrabenschwarz gefärbte Schnurrbart wie angeklebt sass.
Der alte Herr zuckte die Achseln.
„Hier ist nicht der rechte Ort, Ihnen Näheres zu erklären, Prinzesschen, aber Ihr Papa rief mich noch just zur rechten Zeit, das möge Ihnen vorerst genügen."
„Just zur rechten Zeit, sprachen die Mädchenlippen nach. „Gottlob, dann lässt sich also alles wieder ins rechte Geleise bringen.
Es klang wie eine Frage.
„Ich hoffe, Prinzesschen, flüsterte es zurück, „immerhin handelt es sich um grosse Summen, die der Vater schuldet, doch es muss sich Rat finden. Aber wir wollen in irgendeinem Zimmer darüber reden, Christine,
ging die Flüsterstimme weiter, „der Ort hier eignet sich, wie gesagt, nicht zu einer so weltlichen Unterhaltung."
Die schmale Prinzessin erhob sich und die Lackstiefel des alten Hofmannes knarrten leise, da er neben ihr den Kapellenraum des Schlosses verliess.
Im sogenannten grünen Zimmer setzten sich beide nieder, und der Minister erklärte in leicht gedämpftem Tone:
„Ihr Papa hat Sie ja eingeweiht, dass seine Finanzen arg zerrüttet sind, und ich habe mich ordentlich mit ihm über die Lage der Dinge ausgesprochen. Auch ist bereits — und das ist wie ein förmliches Wunder — ein Mittel gefunden, alle Schwierigkeiten zu benehmen —, und zwar ist das in Ihre Hand gegeben."
Das letzte ward fast am leisesten, aber so stark betont hervorgebracht, dass es sich über die anderen Worte erhob.
„Weiss Papa, dass Sie jetzt mit mir über seine Angelegenheiten reden?" fragte Prinzessin Christine wie in scheuer Befangenheit.
„Natürlich, nickte der alte Herr, „auf Sie kommt es doch bei der ganzen Geschichte an.
Nach einer kleinen Pause stand er auf, verbeugte sich tief und sagte mit weicher, verschleierter Diplomatenstimme:
„Ich habe die Ehre, im Namen meines Herrn, Seiner Hoheit des Herzogs von Langenbruch, um die Hand der Prinzessin Christine zu bitten."
Die Prinzessin ward rot und blass, während es sich stossweise über ihre Lippen quälte:
„Das ist doch wohl nur ein Scherz, Onkel Exzellenz."
Der alte Herr legte seine Rechte, an der die Nägel wie Perlmutter glänzten, auf die feingesältelte, gestärkte Hemdbrust.
„Mit solchen Dingen scherzt man nicht, dazu steht mir sowohl die Person meines Herzogs als auch Ihre Person viel zu hoch."
„Aber der Herzog kennt mich nicht, und ich kenne ihn ebenfalls nicht," sprach der Jungmädchenmund erregt.
Reichsfreiherr von Sorkum lächelte sein verschmitztestes Diplomatenlächeln.
„Der Herzog kauft keine Katze im Sack, er hat Sie bereits mehrmals gesehen und sich sogar ganz unrettbar verliebt in die hübscheste Prinzessin weit und breit."
„Dann müsste ich ihn doch auch kennen — —" antwortete das junge Mädchen kurz. Plötzlich blitzte es zornig in den Blauaugen auf.
„Ich bin keine xbeliebige Ware, die man einfach erwirbt, weil man sie zu besitzen wünscht, Onkel Exzellenz, und Sie als Vaters alter Jugendfreund müssten das doch wissen. Ihr Herzog hätte, wenn ihm etwas an mir liegt, lieber in eigener Person kommen sollen, anstatt so selbstverständlich anzunehmen, ich würde gleich ,Ja‘ und ,Amen‘ sagen, wenn er mir die Ehre antut. Wenn ich auch nur eine arme Prinzessin bin und er ein regierender Fürst ist, so bin ich doch zu stolz, ohne Liebe zu heiraten, und ich liebe ihn nicht. Nein, nein, nein, ich liebe ihn nicht!"
Minister von Sorkum machte grosse Augen.
„Aber, Prinzesschen, wie kann man sich nur so gehen lassen, gut, dass niemand ausser mir hier im Zimmer anwesend ist!"
Sieh mal einer an, er wusste gar nicht, dass die kleine Ittenhausen solch Temperament entwickeln konnte. War doch für gewöhnlich immer so sanft und still, die einzige Tochter vom lebenslustigen Wolfgang Ittenhausen. — Hm — und er kannte sie doch von klein an. Hatte sogar Pate bei ihr gestanden.
Die Prinzessin sank jetzt wie ermüdet auf ihren Stuhl zurück.
„Verzeihen Sie, Onkel Exzellenz, aber dass ich, damit Vaters Verpflichtungen geordnet werden können, einen ungeliebten Mann heiraten soll, das hat mich in Harnisch gebracht."
Der alte Herr schüttelte den Kopf.
„Mädelchen, Sie reden ohne Überlegung! Dinge, die einem im ersten Augenblick gar nicht einfallen, nach denen greift man, wenn man sich besonnen hat, oft mit Begeisterung. Hören Sie mir, bitte, zunächst einige Minuten lang ruhig zu und dann wollen wir weiter sehen."
Prinzessin Christine faltete die Hände lose im Schosse zusammen, und leise sagte sie nach einer winzigen Pause:
„Bitte, ich höre, Onkel Exzellenz."
Der alte Herr fuhr sich mit den sehr schmal verlaufenden Fingerspitzen über den weissen, dünnen Scheitel, liess die Hand dann wieder sinken, und seine Augen gerade auf dem Antlitz des Mädchens ruhen lassend, begann er zu sprechen. Halblaut, mit dem kleinen Bodensatz von Müdigkeit in der Stimme, den Prinzessin Christine schon von je an ihm kannte.
„Ihr Vater, Prinzesschen, ist mein bester Jugendfreund oder, um mich richtiger auszudrücken, da sein Titel hoch über dem meinen steht, ich bin der beste Freund Seiner Durchlaucht des Fürsten Wolfgang Ittenhausen. Schloss Ittenhausen und das Stammhaus meiner Familie, Gut Gerstingen, waren sich zu nahe, als dass sich nicht ein Verkehr ergeben hätte. Als kleine Jungen spielten und rauften wir miteinander, der Wolfgang und ich, wir besuchten gemeinsam das Maturum und bezogen gleichzeitig die Bonner Universität." In den tiefliegenden Augen des Sprechenden leuchtete