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Mit den Waffen eines Kavaliers
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eBook237 Seiten3 Stunden

Mit den Waffen eines Kavaliers

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Über dieses E-Book

Ein unerhörtes Risiko: Verwegen steigt Laura bei Philip Rathbone ein, dem Gläubiger ihrer Familie. Mit vorgehaltener Pistole will sie ihn erpressen! Doch sie überrascht ihn im Bad, und der Anblick des schönen nackten Mannes bringt die Waffe in ihrer Hand zum Beben …

SpracheDeutsch
HerausgeberCORA Verlag
Erscheinungsdatum1. Mai 2021
ISBN9783751506717
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    Buchvorschau

    Mit den Waffen eines Kavaliers - Georgie Lee

    IMPRESSUM

    Mit den Waffen eines Kavaliers erscheint in der Verlagsgruppe HarperCollins Deutschland GmbH, Hamburg

    © 2015 by Georgie Reinstein

    Originaltitel: „A Debt Paid In Marriage"

    erschienen bei: Harlequin Enterprises, Toronto

    Published by arrangement with HARLEQUIN ENTERPRISES II B.V./S.àr.l.

    Deutsche Erstausgabe in der Reihe HISTORICAL SAISON, Band 38 (6) 2016

    Übersetzung: Vera Möbius

    Umschlagsmotive: GettyImages_sandr2002

    Veröffentlicht im ePub Format in 05/2021

    E-Book-Produktion: GGP Media GmbH, Pößneck

    ISBN 9783751506717

    Alle Rechte, einschließlich das des vollständigen oder auszugsweisen Nachdrucks in jeglicher Form, sind vorbehalten.

    CORA-Romane dürfen nicht verliehen oder zum gewerbsmäßigen Umtausch verwendet werden. Sämtliche Personen dieser Ausgabe sind frei erfunden. Ähnlichkeiten mit lebenden oder verstorbenen Personen sind rein zufällig.

    Weitere Roman-Reihen im CORA Verlag:

    BACCARA, BIANCA, JULIA, ROMANA, HISTORICAL, TIFFANY

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    1. KAPITEL

    London, Frühling 1817

    Was machen Sie hier?" Mr. Rathbone musterte Laura durch die Dampfwolken, die aus einem kupfernen Badezuber emporstiegen. Aus seinem nassen dunkelbraunen Haar lief ein Tropfen über sein Gesicht und fiel ins Wasser.

    Laura nahm den Finger vom Abzug der Pistole, weil sie fürchtete, sie könnte versehentlich eine Kugel in die Brust des Mannes feuern. Natürlich wollte sie ihn nicht töten, nur erschrecken und zwingen, wenigstens einen Teil der Ware zurückzugeben, die er konfisziert hatte. Aber nach dem harten Glanz in Mr. Rathbones tiefblauen Augen zu schließen, ließ er sich nicht so leicht Angst einjagen.

    „Nun?", fragte er, und sie zuckte erschrocken zusammen.

    Als sie durch die offene Terrassentür ins Haus geschlichen war, hatte sie erwartet, ihn im Arbeitsraum an seinem Schreibtisch anzutreffen, wo er einen Haufen Münzen zählen würde, oder was immer sonst ein Geldverleiher am späten Abend tat. Stattdessen badete er in seinem Schlafzimmer. Nur ein bisschen Seifenwasser verhüllte den unteren Teil seines Körpers und schützte ihre Tugend. Was Laura in den kalten, armseligen Räumen, die sie mit ihrer Mutter und ihrem Onkel Robert bewohnte, für einen verheißungsvollen Plan gehalten hatte, erschien ihr jetzt absurd und verwerflich.

    Trotzdem straffte sie die Schultern und bot ihren ganzen Mut auf. Jenseits dieses warmen Zimmers voller Dampf lagen nur bittere Armut und drohender Ruin. Deshalb hatte sie keine Wahl, sie musste ihren Plan ausführen. „Geben Sie mir wenigstens einen Teil der Ware, die Sie meinem Onkel weggenommen haben."

    Der Geldverleiher hob seine Arme aus dem Seifenwasser, das Wellen schlug und kurzfristig einen flachen Bauch enthüllte. Dann stützte er sich auf den Rand des Zubers, und Laura sah kräftige Hände, wie jene der Lieferanten, die Stoffballen von einem Karren gehievt und in den Laden ihres Vaters getragen hatten. Aber Mr. Rathbone hatte glatte Hände ohne Schwielen – die Hände eines Gentlemans. Diesen Eindruck störte nur eine schon älter wirkende rote Narbe über einem Knöchel.

    Hastig wich Laura zurück, denn sie befürchtete plötzlich, er würde aus dem Wasser springen und sich auf sie stürzen. Aber er fragte nur: „Und wer ist Ihr Onkel?"

    Laura schluckte. Gewiss, auf diese Information kam es an. „Robert Townsend."

    „Ah, der spielsüchtige Tuchhändler, bemerkte er. „Vor sechs Monaten kam er zu mir. Er brauchte einen Kredit, um beträchtliche Schulden in Mrs. Topps Salon zu begleichen – einem der vielen Etablissements, die er zu besuchen pflegt. Als Sicherheit für das Darlehen bot er mir den Warenbestand der Tuchhandlung an. Da er das Geld nicht zurückzahlte, holte ich mir die Stoffballen, so wie es mir unserem Vertrag zufolge zustand.

    Unter Lauras Füßen schien der Boden zu schwanken. Onkel Robert hatte das ganze Geschäft vor die Hunde gehen lassen. Schon früher hatte er einige Waren aus dem Lager gestohlen, einen Seidenballen oder eine Rolle Quasten, und verkauft, um seine Spielsucht zu finanzieren. Nur vereinzelte Einbußen – und jetzt war alles verloren …

    Nein, das durfte nicht geschehen – nachdem sie so viel getan hatte, um das Geschäft nach dem Tod ihres Vaters zu erhalten. Von heißem Zorn erfasst, umklammerte sie die Pistole ihres Onkels etwas fester. „Das glaube ich Ihnen nicht. Wie Männer Ihres Schlags vorgehen, weiß ich. Skrupellos nutzen sie die Notlage verzweifelter Menschen mit Wucherzinsen aus, bis sie Ihnen ihr gesamtes Eigentum in den gierigen Rachen werfen müssen."

    Mr. Rathbones Augen verengten sich. Was die Pistole und das Überraschungsmoment nicht bewirkt hatten, erzielte die Abwertung seines Charakters: eine Reaktion. „Wenn Sie einen Beweis brauchen – den werde ich Ihnen vorlegen." Auf den Rand des Badezubers gestützt, erhob er sich.

    „Sir!", japste Laura und taumelte rückwärts, bis ihre Hüfte gegen eine Tischkante stieß. Aus irgendeinem Grund konnte sie ihren Blick nicht von den Tropfen losreißen, die über seinem schlanken Körper rannen, über den muskulösen flachen Bauch. Immerhin vermied sie es, noch weiter nach unten zu spähen.

    Triefend stieg er aus dem Zuber auf ein Handtuch, das am Boden lag. Über einem Sessel hing ein seidener brauner Morgenmantel. Den zog er nicht an, wie sie es erwartet hatte. Stattdessen ging er an ihr vorbei. Dabei beachtete er weder Laura noch die drohende Pistole. Ebenso wenig schien es ihn zu interessieren, dass er splitternackt war und nasse Fußspuren auf dem Holzboden und danach auf einem Teppich hinterließ. Er trat hinter einen kleinen Schreibtisch nahe den Fenstern, gegenüber einem Vierpfostenbett mit kostbaren bestickten Vorhängen. Im Licht einer Öllampe auf der Tischplatte öffnete er eine Schublade.

    „Da ist der Vertrag, den ich mit Ihrem Onkel abgeschlossen habe", erklärte Mr. Rathbone und kam hinter dem Schreibtisch hervor, ein Papier in der Hand.

    Mühsam zwang sie sich, seinen Blick zu erwidern und ihm zu folgen. „Würden Sie sich bitte ankleiden?"

    „Das ist mein Haus, in das Sie eingedrungen sind, um mich zu bedrohen, und in dem ich mich so verhalte, wie es mir gefällt. Er hielt ihr das Papier hin. „Nun, hier haben Sie den Beweis, den Sie verlangen.

    Am linken Rand des Dokuments las sie die Liste der Summen, die Onkel Robert seinen Gläubigern schuldete. Daneben standen die Namen Mrs. Topps und andere, die Laura nur teilweise kannte. Einige hatte sie Gesprächen im Flur des baufälligen Hauses entnommen, in dem sie wohnte. Unterhalb der Vertragsbedingungen prangten die Unterschriften ihres Onkels, Mr. Rathbones und eines Zeugen, eines Mr. Justin Connor.

    Und auf die rechte Seite des Papiers war ein Blatt geheftet, bei dessen Anblick Laura erneut zusammenzuckte – das von ihr selbst verfasste Verzeichnis des Warenbestandes, mit Anmerkungen versehen. „Woher haben Sie diese Liste, Sir?"

    „Ihr Onkel gab sie mir, als er zu mir kam und das Darlehen aufnahm."

    „Die habe ich geschrieben – das war mein Plan, die Tuchhandlung zu retten."

    „Eine sehr aufschlussreiche Liste. Das darin aufgeführte Inventar, das den Kredit sichern sollte, war der Grund, aus dem ich Ihrem Onkel die beträchtliche Summe aushändigte. Hätte er das Geld nicht verspielt, wäre der Plan sicher aufgegangen. Mr. Rathbone warf das Dokument auf den Schreibtisch. „Sind Sie jetzt zufrieden?

    „Ja", flüsterte sie. Und wir sind ruiniert …

    „Gut, also brauchen Sie das nicht mehr." Er packte den Pistolenlauf und entwand ihr den hölzernen Griff.

    „Nein!" Unbewaffnet fühlte sie sich fast genauso nackt wie er.

    „Da die Pistole unsachgemäß geladen wurde, hätte sie Ihnen nichts genützt. Er zog das Steinschloss vom Hammer und warf die unbrauchbare Waffe neben den Vertrag auf den Schreibtisch. „Hätten sie abgedrückt, wäre Ihr hübsches Gesicht explodiert.

    Verzweifelt starrte sie die unnütze Pistole an. So sinnlos wie ihre Hoffnungen und törichten Pläne … Der missglückte Versuch, ihre Mutter und sich selbst zu retten, würde sie gewiss hinter Gitter bringen. Wie soll Mama ohne mich überleben? Was wird Onkel Robert ihr antun? „Hätten Sie mich bloß feuern und meinem Leben ein Ende bereiten lassen, Sir!"

    Mr. Rathbone ging wieder an ihr vorbei und kehrte in den Bereich des Raums zurück, in dem sich der Zuber befand. Dort schlüpfte er in den Morgenmantel und verknotete den Gürtel, um seine Blöße zu bedecken. „Dann hätten Sie meinen Teppich ruiniert."

    Nur kurzfristig hatte sie der Anblick seines nackten, von dunkler Seide umschmeichelten Körpers verwirrt, bevor ihre Empörung aufflammte. „Sie denken wohl nur ans Geld!"

    „Nun, ich bin ein Geschäftsmann, Miss Townsend. Zu mir kommen Männer, die ein Unternehmen gründen wollen und finanzielle Sicherheit brauchen, außerdem Leute, die ihre Betriebe vor dem Ruin bewahren möchten. Ich biete ihnen Geld an, das sie mir mit Zinsen zurückzahlen. Wenn sie das versäumen, so wie Ihr Onkel, ersetze ich meine Verluste, indem ich ihr Eigentum beschlagnahme und verkaufe. Erstens muss ich für eine Familie sorgen, zweitens für den Lebensunterhalt meiner Angestellten. Ich bin kein Wohltäter."

    „Das verstehe ich, murmelte sie verlegen. Ihr Zorn war verflogen. Jetzt revidierte sie ihr Urteil über Mr. Rathbones Charakter, und sie hoffte, die Großmut, die er seiner Familie und den Angestellten entgegenbrachte, würde auch einer unbesonnenen jungen Dame zugutekommen. „Bitte, Sir, verzeihen Sie, dass ich in Ihre Privatsphäre eingedrungen bin und Ihren guten Namen verunglimpft habe. Bevor ich mich zu dieser Konfrontation entschloss, kannte ich nicht alle Fakten. Und ich war wohl nicht – bei klarem Verstand. Sie versuchte zu lächeln, den Eindruck eines etwas albernen Mädchens zu erwecken. Damit vermochte sie den harten Zug um Mr. Rathbones Mund nicht zu mildern.

    „Spielen Sie nicht die Närrin, das steht einer so einfallsreichen Frau nicht zu Gesicht."

    Lauras Lächeln erstarb, ihre Hoffnung nicht. „Dann erlauben Sie mir einen Vorschlag, der Ihren Geschäftssinn vielleicht anspricht."

    Schweigend hob er die Brauen.

    „Zu den konfiszierten Waren gehört ein dicker Ballen besonders schön gewobener Baumwolle, die aus Ägypten stammt, fuhr sie fort. „Fast transparent, ließe sie sich wie die indische verarbeiten, aber deutlich günstiger. Ich kenne Madame Pillet, eine fashionable Modistin, und möchte sie ersuchen, diesen Stoff ihren distinguierten Kundinnen zu zeigen. Wenn er ihnen gefällt, würde er ein paar hundert Pfund einbringen. Mit dem Profit könnte ich noch mehr von der Sorte bestellen und die Schulden bei Ihnen in Raten begleichen.

    Ohne nachzudenken, schüttelte er den Kopf. „Das ist unmöglich, weil die Waren verkauft werden, um Mr. Townsends Schulden zu decken. Den Stoff, den Sie meinen, habe ich nicht mehr."

    „Aber Sie wissen, wer ihn jetzt besitzt. Wenn Sie ihn zurückkaufen …"

    „Nein."

    „Also lassen Sie meine Mutter und mich verhungern!", platzte Laura heraus, als ihre letzte Hoffnung schwand.

    Weder Mitgefühl noch Bedauern änderten Mr. Rathbones kalte Miene. „Gewiss, Ihre Idee ist nicht übel. Trotzdem würde sie scheitern. Falls transparente Baumwolle in Mode kommt, werden finanzkräftige Geschäftsleute mit besseren Kontakten die Sorte in rauen Mengen ordern, bevor Sie mit Ihren begrenzten Mitteln an das nötige Material herankämen. Der überschwemmte Markt würde die Preise bald senken. Zudem will ich mein Geld nicht auf die modischen Launen der Hautevolee setzen. Das sollten Sie auch nicht riskieren."

    „Und was müsste ich tun? Auf Onkel Robert kann ich mich nicht verlassen. Alles hat er Mama und mir genommen – das Geschäft meines Vaters, den Rest unseres Geldes … Bald wird er einfach verschwinden. Was soll dann aus uns werden?"

    „Haben Sie noch andere Verwandte?"

    „Nein."

    „Auch keine Freunde?"

    „Die hat Onkel Robert verscheucht, weil er sich Geld von ihnen borgte und nie zurückzahlte. Nach einem tiefen Atemzug fügte Laura hinzu: „Was ich heute Abend tat, war dumm. Das weiß ich. Natürlich wollte ich Sie nicht verletzen, Sir, und nur die Ware zurückbekommen – denn ich kann den Verlust unseres Geschäfts nicht ertragen. Jahrelang musste mein Vater hart arbeiten, um es aufzubauen. Und mein Onkel hat es in einem knappen Jahr verspielt.

    Philip Rathbone hätte Miss Townsend übersehen, wäre sie ihm auf der Straße begegnet.

    Aber als er sie über einen Pistolenlauf hinweg gemustert hatte, war ihm der besondere Glanz in ihren großen haselnussbraunen Augen sofort aufgefallen – ein Ausdruck, der innere Kraft und Entschlossenheit bekundete. Dieses Licht konnten die Schatten unter den hohen Wangenknochen nicht trüben. In weichen Wellen fiel rostrotes Haar auf ihre Schultern. Ein abgetragenes Kleid hing lose an ihrer viel zu dünnen Gestalt.

    Miss Townsend war wachsbleich. Wie seine Frau vor ihrem Tod … Aber während ein schlimmes Leiden Arabellas Gesicht den rosigen Schimmer geraubt hatte, wurde die fahle Blässe dieser jungen Frau von Hungersnot und Seelenqual erzeugt.

    „In der Geschäftswelt sollte man Fakten und Emotionen trennen, empfahl er ihr. „Sonst würde eins dem anderen schaden.

    „Daran werde ich denken, wenn ich verhungere", fauchte sie.

    „Sie werden nicht verhungern. Dafür sind Sie zu klug und zu stark. Philip holte die Waffe von seinem Schreibtisch, hielt sie ihr hin, und sie griff danach. „Danke für einen interessanten Abend, Miss Townsend.

    „Lassen Sie mich entkommen?" Neue Hoffnung rötete ihre eingefallenen Wangen.

    „Wäre es Ihnen lieber, ich würde den Constable rufen und Sie verhaften lassen?"

    „Nein."

    „Dann gehen Sie", forderte er sie auf und wies zur Tür.

    In wehendem fadenscheinigem Bombasin war sie verschwunden.

    „Halt! Stehen bleiben!", erklang Justins Stimme in der Eingangshalle, ehe die Hintertür krachend gegen die Wand prallte und die knarrende Gartenpforte Miss Townsends gelungene Flucht verriet.

    Wenig später stürmte Justin mit gezückter Pistole ins Schlafzimmer. „Alles in Ordnung?"

    „Ja." Philip war auf den Stuhl hinter seinem Schreibtisch gesunken und rieb sich das Kinn. Irgendwie hatte Miss Townsend etwas in ihm geweckt. Weder Mitleid noch Lust, obwohl er sie hübsch fand.

    Nein, es war Neugier. Wie bei seiner ersten Begegnung mit Arabella, die ihm neben ihrem Vater, Dr. Hale, am Schreibtisch gegenübergesessen hatte … Unfähig, sich auf die Pläne des Arztes für eine kleine medizinische Hochschule zu konzentrieren, hatte Philip nur das Mädchen beachtet. Mit dieser Schule hatte der Doktor schließlich einen Fehlschlag erlitten und nicht nur sein eigenes Geld verloren, sondern auch Philips.

    Seither hatte Philip seine geschäftlichen Entscheidungen nie wieder von Gefühlen leiten lassen.

    „So galant behandelst du eine Einbrecherin, die dich bedroht hat?"

    „Keine Sekunde lang war sie gefährlich." Philip krümmte seinen Ringfinger. Noch immer vermisste er den schlichten Ehering, den er zusammen mit seiner Frau begraben hatte. Nein, so wie bei seiner ersten Begegnung mit ihr war es nicht gewesen. Niemals würde er etwas empfinden, das seiner Liebe zu Arabella gleichkäme.

    „Du siehst ziemlich übel aus", meinte Justin und steckte die Waffe in das Halfter unter seinem Gehrock.

    „Weil ich einen anstrengender Tag hinter mir habe", entgegnete Philip seufzend.

    Nach diversen geschäftlichen Problemen war er mit häuslichen Schwierigkeiten konfrontiert worden. Seine Schwester Jane hatte seine Geduld erneut auf die Probe gestellt und ein weiteres teures, für eine Dreizehnjährige unpassendes Kleid verlangt. Als er ihr eine Kürzung ihres Taschengelds angedroht hatte, hatte sie ihn angeschrien und war davonmarschiert. Dann hatte Mrs. Marston, die Nanny seines Sohnes Thomas, ihm erklärt, sie werde nach Bath ziehen und ihren Enkel betreuen. Nur einen Monat hatte Philip Zeit, um eine neue Kinderfrau einzustellen. Da Jane zu jung war, konnte sie solche Pflichten nicht übernehmen. Und Mrs. Palmer, seiner tüchtigen Haushälterin, durfte er nicht zumuten, für seine Schwester und seinen Sohn zu sorgen und gleichzeitig auch noch eine Nanny zu suchen.

    Was er brauchte, war eine Ehefrau, die sich um all diese häuslichen Belange kümmerte.

    Justin rückte einen Stuhl von der Wand vor den Schreibtisch und setzte sich. „Wer war diese Frau?"

    „Robert Townsends Nichte, erwiderte Philip und strich durch sein feuchtes, gewelltes Haar. „Sie wollte die beschlagnahmten Sicherheiten für den abgelaufenen Kredit zurückhaben.

    „Wollen sie das nicht alle? Ich habe zwei zusätzliche Wachtposten engagiert, die passen im Lagerhaus auf die Ware des Tuchhändlers auf, bis du sämtliche Ballen verkaufen kannst."

    „Das besprechen wir morgen", murmelte Philip, in Gedanken ganz woanders.

    „Warum nicht jetzt?"

    Philip musterte seinen alten Freund und Geschäftspartner. Bei der Hochzeit und später, bei Arabellas Begräbnis, hatte Justin ihm zur Seite gestanden …

    Unwillkürlich ballte Philip eine Hand. Verdammt, seine Frau müsste das gemeinsame Kind großziehen und den Haushalt versorgen. Nun bezahlte er Angestellte, die das erledigten. Diese unhaltbare Situation würde er ändern.

    Sein Vater hatte ihm beigebracht, einen Klienten innerhalb weniger Sekunden einzuschätzen. Genauso hatte Philip auch Miss Townsend taxiert und – trotz ihrer lächerlichen Drohung mit der Pistole – nützliche Qualitäten in ihr entdeckt.

    Gewiss, reiner Wahnsinn, dachte er. Natürlich sollte er Miss Townsend mitsamt ihrer Mutter in sein Wohlfahrtsinstitut Halcyon House schicken und beide vergessen, statt mit dem Plan, der in seinem Geist Gestalt annahm, noch mehr Zeit zu verschwenden. Arabella hatte er mit seinem Herzen gewählt, ihre schwache Konstitution ignoriert und gehofft,

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