Sein kleiner Lieblingspatient: Mami 2038 – Familienroman
Von Anna Sonngarten
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Der Rettungswagen raste mit Blaulicht die nächtlichen Straßen entlang. Sobald er auf eine Kreuzung zusteuerte, ertönte das Martinshorn. Ein gellendes Geräusch, das die junge Mutter zusammenfahren ließ. Sie hielt die kleine kalte Hand ihres Sohnes und verfolgte mit versteinerter Mine das hektische Treiben des Notarztes. Plötzlich griff er zum Funkgerät und sah zu ihr herüber. »Wir sind gleich da.« Sie wußte nicht, wen er damit beruhigen wollte, sich selbst oder sie. Dann sprach er in das Rauschen des Funkgerätes hinein. »Ich bringe in wenigen Minuten ein Kind mit akuter Laryngitis. Die Zyanose ist trotz Maskenbeatmung und intravenöser Steroidgabe noch nicht rückläufig, aber ich schaffe es nicht, das Kind zu intubieren. Der Oberarzt muß kommen, sofort, sonst…« Er hielt inne, denn in diesem Augenblick spürte er den brennenden Blick der jungen Frau auf sich. Sie sagte kein Wort, sondern starrte den jungen Arzt nur ausdruckslos an. Natürlich hatte sie nicht jedes Wort verstanden, aber doch soviel, daß es für ihr Kind auf Messers Schneide stand. Aber dazu bedurfte es kaum medizinischer Kenntnisse. Sie mußte nur auf ihr Kind schauen, um zu wissen, was los war. Alexander war am ganzen Körper blau, eiskalt und atmete röchelnd trotz des Sauerstoffs, den er über eine Maske zugeführt bekam. Endlich hielt der Rettungswagen unter Blaulicht vor der Klink. Die Sanitäter sprangen heraus, und mit wenigen routinierten Handgriffen hatten sie die Trage herausgezogen. Im Laufschritt eilten sie Richtung Kinderintensivstation.
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Buchvorschau
Sein kleiner Lieblingspatient - Anna Sonngarten
Mami
– 2038 –
Sein kleiner Lieblingspatient
Alexander ist kein Sorgenkind mehr
Anna Sonngarten
Der Rettungswagen raste mit Blaulicht die nächtlichen Straßen entlang. Sobald er auf eine Kreuzung zusteuerte, ertönte das Martinshorn. Ein gellendes Geräusch, das die junge Mutter zusammenfahren ließ. Sie hielt die kleine kalte Hand ihres Sohnes und verfolgte mit versteinerter Mine das hektische Treiben des Notarztes. Plötzlich griff er zum Funkgerät und sah zu ihr herüber.
»Wir sind gleich da.« Sie wußte nicht, wen er damit beruhigen wollte, sich selbst oder sie. Dann sprach er in das Rauschen des Funkgerätes hinein.
»Ich bringe in wenigen Minuten ein Kind mit akuter Laryngitis. Die Zyanose ist trotz Maskenbeatmung und intravenöser Steroidgabe noch nicht rückläufig, aber ich schaffe es nicht, das Kind zu intubieren. Der Oberarzt muß kommen, sofort, sonst…«
Er hielt inne, denn in diesem Augenblick spürte er den brennenden Blick der jungen Frau auf sich. Sie sagte kein Wort, sondern starrte den jungen Arzt nur ausdruckslos an. Natürlich hatte sie nicht jedes Wort verstanden, aber doch soviel, daß es für ihr Kind auf Messers Schneide stand. Aber dazu bedurfte es kaum medizinischer Kenntnisse. Sie mußte nur auf ihr Kind schauen, um zu wissen, was los war. Alexander war am ganzen Körper blau, eiskalt und atmete röchelnd trotz des Sauerstoffs, den er über eine Maske zugeführt bekam. Endlich hielt der Rettungswagen unter Blaulicht vor der Klink. Die Sanitäter sprangen heraus, und mit wenigen routinierten Handgriffen hatten sie die Trage herausgezogen. Im Laufschritt eilten sie Richtung Kinderintensivstation. Inga von Dillenburgh stolperte ihnen hinterher. Doch dann wurde sie von einer schweren Glastür auf der »Eintritt verboten« stand, zu-rückgehalten. Inga war nicht leicht einzuschüchtern, und so wollte sie nach einigen Sekunden der Irritation das Verbotsschild ignorieren und zu ihrem Kind eilen. Eine Krankenschwester kam ihr zuvor.
»Entschuldigen Sie bitte, aber Sie können da im Augenblick nicht rein. Ich werde Sie zu einem Aufenthaltsraum begleiten, wo Sie warten können«, erklärte ihr die Schwester.
Inga wollte widersprechen, Sie wollte dagegen protestieren, in ein Wartezimmer verbannt zu werden, während ihr Kind ein Zimmer weiter um sein Leben rang. Doch ihre Stimme versagte, als sie zu sprechen begann, und ihrer Kehle entwich nur ein unbestimmter Klagelaut. Die Schwester nahm ihren Arm.
»Ich verstehe Sie, Frau…«
»Dillenburgh«, ergänzte Inga mit dünner Stimme.
»Frau Dillenburgh, ich verstehe Sie«, setzte die Krankenschwester von neuem an. »Aber da drinnen wird alles versucht, um das Leben ihres Kindes zu retten. Sie können da im Augenblick nicht helfen.« Die Schwester hatte ruhig und bestimmt gesprochen. Inga wußte, daß sie recht hatte, und ließ sich widerstandslos in den Aufenthaltsraum begleiten. Die Schwester bot ihr noch etwas zu trinken an und ließ sie dann allein. Natürlich hat jetzt niemand Zeit, mir zur Seite zu stehen, dachte Inga. Doch ihr fiel kein anderer Moment ihres Lebens ein, in dem sie sich so einsam und verlassen gefühlt hatte, wie gerade in diesem schrecklichen Augenblick. Noch nicht einmal, als Gunnar gestorben war. Sie lehnte den Kopf an die rückwärtige Wand und versuchte ihre Konzentration auf Alexander zu lenken, als könne allein die Kraft ihrer Liebe ihr Kind retten.
Später hätte sie nicht zu sagen gewußt, wie lange sie so gewartet hatte. Doch plötzlich ging die Tür auf, und ein Mann im weißen Arztkittel kam geradewegs auf sie zu. Inga schrak zusammen, und mit allen Sinnen versuchte sie in Sekundenschnelle zu erfassen, was auf dem Gesicht des Arztes zu lesen war. Sein Ausdruck war ernst aber als er ihr die Hand reichte, fuhr ein kleines Lächeln über sein Gesicht. Da wußte Inga, daß ihr Junge lebte, noch bevor Dr. Jürgen Erdmann zu sprechen begann.
»Sie dürfen aufatmen. Ihrem Jungen geht es den Umständen entsprechend gut. Allerdings wird er ein paar Tage bei uns bleiben müssen. Ach, entschuldigen Sie bitte. Ich habe mich noch nicht vorgestellt. Ich bin der leitende Oberarzt der Kinderklinik. Erdmann.«
»Von Dillenburgh«, erwiderte Inga. »Wann kann ich zu ihm?«
»Sofort, wenn Sie möchten. Allerdings ist er noch intubiert und schläft. Sie werden nicht mit ihm sprechen können.«
»Was heißt das, ›intubiert‹?«
»Ihr Junge leidet unter einer supraglottischen Laryngitis. Man nennt das auch Croup. Das heißt, es kommt zu einer ödematösen Schleimhautschwellung im Bereich der Stimmritze im Kehlkopf. Daher die akute lebensbedrohliche Atemnot. Wir konnten einen Schlauch, also einen sogenannten Tubus, durch die Stimmritze in die Trachea, das heißt in die Luftröhre, schieben. Über diesen Schlauch wird ihr Kind jetzt beatmet. Wenn die Schwellung im Bereich der Stimmritze wieder abgeklungen ist, können wir den Schlauch wieder entfernen. Das wird vielleicht schon morgen der Fall sein. Hatte ihr Sohn schon einmal einen Croup-Anfall?«
»Nein.«
»Ich frage, weil diese Komplikationen zu Rezidiven neigt. Das heißt die Symptome können jederzeit wieder auftreten. Aber meistens hört es im Alter von sieben Jahren wieder auf.«
»Das ist ja beruhigend. Alexander wird nächste Woche sieben«, sagte Inga lakonisch, und Dr. Jürgen Erdmann wurde bewußt, daß er die junge Frau mit seinen medizinischen Ausführungen vielleicht im Augenblick überforderte. Sicher wollte sie jetzt einfach nur zu ihrem Kind. Er lächelte schuldbewußt.
»Okay, kommen Sie bitte mit mir.«
Inga folgte dem Arzt durch die Glastür in eine andere Welt.
»Hier liegt Ihr Sohn, Frau Dillenburgh«, sagte Dr. Erdmann, als er plötzlich vor einem Glaskasten anhielt. Inga starrte durch die Glaswand.
»Kann ich zu ihm?«
»Ja, sicher.«
Inga ging mit zittrigen Beinen zum Bett ihres Sohnes. Die Schwester stellte ihr rasch einen Stuhl neben das Bett, auf dem Inga dann sogleich Platz nahm.
»Na, mein Kleiner, was machst du für Sachen«, sagte sie mit brü-chiger Stimme, denn der Anblick, der sich der jungen Mutter bot, war nicht gerade ermutigend. Blaß und mit geschlossenen Augen lag er da. Verkabelt mit Drähten und Schläuchen, von denen Inga nicht im mindesten ahnte, wozu sie dienten.
»Was hat er denn da im Mund?« fragte sie. Verstört deutete auf etwas, das Alexander aus dem Mund ragte und hinter seinem Kopf wie ein Brille verschnürt war.
»Das ist der Tubus. Ein Schlauch, der in der Luftröhre liegt und über den ihr Sohn jetzt beatmet wird«, erklärte ihr die Krankenschwester. Inga nickte und starrte wieder in das kleine Gesichtchen ihres Kindes. Es schien offenbar, daß Sa-
scha von all dem, was um ihn herum passierte, nichts mitbekam. Inga seufzte hörbar und tastete nach der kleinen Hand, die ihr so vertraut war.
»Bevor Sie nach Hause fahren, würde ich noch gern Ihre Personalien aufnehmen«, hörte sie die Schwester plötzlich sagen.
»Mittlerweile habe ich zwar erfahren, daß ihr Sohn Alexander heißt und daß Sie ihn Sascha nennen, aber das reicht unserer Verwaltung nicht ganz.«
Inga lächelte flüchtig. »Natürlich. Es gibt doch bestimmt ein Formular, daß ich ausfüllen kann, nicht wahr?«
»Ja, so ist es. Ich kann Ihnen aber gern dabei helfen. Nach so einer Aufregung fällt einem manchmal nicht einmal mehr das eigene Geburtsdatum ein«, schlug die Krankenschwester vor. Inga lächelte wieder, denn sie war momentan dankbar für jedes freundliche Wort. Kurz darauf diktierte sie der Schwester alles Wissenswerte zu ihrer Person. Als sie nochmals in aller Deutlichkeit ihren Namen gesagt hatte, stutzte die Schwester.
»Von Dillenburgh?«
»Ja, genau.«
»Sind Sie mit dem von Dillenburgh verwandt?«
»Wen meinen Sie denn mit dem von Dillenburgh?« fragte Inga nach, obwohl sie eigentlich wußte, wen die Schwester meinte.
»Na, Sie wissen schon… der Industrielle, der vor wenigen Jahren gestorben ist. Dem gehörte doch fast die ganze Stadt… der ist bekannt wie ein bunter Hund…«, sagte die Schwester frei heraus, ohne sich viel Gedanken über ihre Wortwahl zu machen.
»Ich glaube, Sie sprechen von meinem verstorbenen Mann«, sagte Inga etwas kühler.
»Oh, darauf wäre ich jetzt nicht gekommen. Ich meine, er war doch schon alt…«, sagte die junge Krankenschwester und wurde sich plötzlich bewußt, daß sie jetzt einen Fauxpas begangen