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Schöne Festtage: Roman
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eBook461 Seiten6 Stunden

Schöne Festtage: Roman

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Über dieses E-Book

Gut geplant, aber blöd gelaufen: Das Millenniums-Silvester soll auf einer romantischen Berghütte gefeiert werden, aber außer Nora und Tarek kommen alle zu spät und werden von einer Lawine ferngehalten. Nora und Tarek wiederum, drei Tage eingeschneit, können sich auf den ersten Blick nicht ausstehen... Nach der Befreiung ärgert Nora sich mit ihrem Job, ihrer Familie und ihrer Nachbarin herum, aber das größte Ärgernis bleibt Tarek, der ihr immer wieder über den Weg läuft, unwiderstehlich, aber ein Kotzbrocken: Sex ja, Frieden nein - und die Sache auf der Hütte ist auch nicht ohne Folgen geblieben...
Nora ist zickig, Tarek ist schnell beleidigt - mühsam suchen die beiden trotzdem nach einer gemeinsamen Basis und nach Noras drogensüchtiger Schwägerin; bis zum Happy End haben die beiden - und ihre zunehmend entnervten Freunde, unter anderem Marianne & Harald und Karen & Jens - noch eine Menge zu tun...
SpracheDeutsch
Herausgeberepubli
Erscheinungsdatum4. Juli 2015
ISBN9783737548007
Schöne Festtage: Roman

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    Buchvorschau

    Schöne Festtage - Elisa Scheer

    Das echte Millennium

    Eine Schnapsidee erster Güte war das - Silvester auf einer Hütte. Ich könnte jetzt gemütlich zu Hause sitzen und noch eineinhalb Tage machen, was ich will, und mich dann in aller Ruhe für eine wirklich schicke Silvesterparty aufstylen, dachte ich ärgerlich, als ich rechts ranfuhr und nach dem zerknitterten Zettel auf dem Beifahrersitz griff.

    Millennium auf der Finsterbachhütte

    Teilnehmer:        

    Marianne Zierer             Lebensmittel (vgl. Liste)

    Harald König                 Lebensmittel (vgl. Liste)

    Karen Korff                     2 Kästen Wasser; Kaminholz

    Jens Brandes                  Kaminholz; 2 Kästen Bier

    Silke Korff                        Lebensmittel (vgl. Liste)

    Robert Zöllner                Notfallrationen, Sekt für alle

    Nora v. Haydt               Kaffee, Tee, Kerzen, Spiele

    Tarek Bruckner              Benzinreserve, Raketen

    Michael Hollen              Batterien, Gaskocher

    Anne Scherer                Kuchen und Süßkram

    Jeder bringt seinen persönlichen Bedarf selbst mit!

    + Bettzeug, warme Sachen, evtl. Ski, Schneeketten, Taschenlampe, Handy (aufgeladen!!)!

    Ankunft  29.12.2000 ab ca. 15.00

    Anfahrt: Autobahn bis Eschenlohe, dann B2 bis Hellenbach, am Gasthof Post rechts nach Neufinsterbach, unmittelbar nach Neufinsterbach (Tankstelle!) scharf rechts den Berg hinauf, hinter den drei abgestorbenen Tannen links, nach 200 m kommt die Hütte. Parken vor dem Haus.

                                                                      Bis dann! Silke + Robert

    Alles schön klar, man konnte Silke nichts vorwerfen.

    Wo war ich hier eigentlich? Eben war ich doch noch auf der Autobahn gewesen - war das hier schon Hellenbach? Konnte fast nicht sein. Ich drehte den Zündschlüssel und fuhr weiter. Tolles Winterwetter – sanfter Regen und grüne Wiesen; gut, dass ich meine Ski zu Hause gelassen hatte. Da oben gab´s sicher ohnehin keinen Lift, und zum Klettern war ich wirklich zu faul.

    Halb zwei - ich war mal wieder viel zu früh dran. Da vorne kam wieder eine Ortschaft – ah ja, Hellenbach. Wo war nun hier die Post? Ich schaute mich eifrig um und bemerkte sie erst, als ich schon daran vorbeigebraust war. Kühnes Wendemanöver, gut, dass hier niemand auf der Straße war. An der Post bog ich nun links ab und gab wieder Gas. Hoffentlich waren die Ketten im Kofferraum, falls es weiter oben doch schneite – ich konnte mich nicht erinnern, das überprüft zu haben, aber dieses blöde Projekt mit den Marinelook-Strickjacken in der Bretagne hatte mich bis heute Vormittag auf Trab gehalten. Nun dürfte aber alles geregelt sein, überlegte ich mir, Fotograf, Models, Klamotten, Location, Hotel, Catering, Flug, Minibus... Hatte ich die Visagistin verständigt?

    Ich hielt wieder am Straßenrand und sah in meinen aufgequollenen Filofax. Doch, ich hatte es abgehakt. Also hatte ich wirklich alles geregelt. Ich war bloß froh, wenn ich nicht mehr für diese Termine verantwortlich war!

    Gut, dann auf zu diesem albernen Wochenende. Ach, lieber eine schicke Party... Ehrlicherweise musste ich aber zugeben, dass ich auf gar keine schicke Party eingeladen war. Und Silvester mit einem Pikkolo vor dem Fernseher – nein, das konnte ich in zwanzig Jahren immer noch machen. Und Familie? Marius und Liz waren sicher bei Freunden eingeladen, Michael war wahrscheinlich irgendwo bei ganz feinen Leuten zu Gast, meine Eltern gingen gerne früh ins Bett, wahrscheinlich direkt nach Dinner For One. Auch keine Alternative. Also hatte ich mich von Silke breitschlagen lassen.

    Neufinsterbach war wirklich eine Weltstadt: Ein Getränkemarkt (geschlossen), ein Edeka (geschlossen), ein BayWa-Schuppen, eine Postbus-Haltestelle, etwa zehn Höfe, starker Mistgeruch, nasse Straßen – ach, und die Tankstelle! Gut, tanken konnte nicht schaden. Ich fuhr hinein und sah mich um. Als ich den Tankdeckel abgeschraubt hatte und die Füllpistole hineinhielt, kam nichts. Seltsam... Auch die Spritpreise auf der großen Tafel waren verdächtig niedrig. Achselzuckend hängte ich die Pistole wieder auf und sah mich ratlos um. Ein Trecker ratterte vorbei. „Sie, Fräulein!"

    „Ja?" Der Junge auf dem Traktor grinste breit.

    „Da kenna´s lang warten, da is scho seit Jahren zu!"

    „Danke, auf die Idee bin ich auch gerade gekommen."

    Er fuhr grüßend weiter. Ärgerlich stieg ich wieder ins Auto. Musste ich mich hier vor den Eingeborenen zum Idioten machen? Bloß gut, dass der Sprit auch so noch reichte. Und wo ging es jetzt weiter? Scharf rechts, den Berg hinauf, nach drei abgestorbenen Tannen gucken... Der Nieselregen ging tatsächlich in dünnen matschigen Schnee über. Klasse Wetter, wirklich. Zu Hause hatte ich ein breites Sofa, könnte das gemütlich sein, jetzt darauf zu lümmeln und vielleicht den Krimi zu lesen, den ich gestern Abend angefangen hatte – Mist, warum hatte ich ihn nicht eingepackt? Auf dem Nachttisch vergessen...

    Meine Laune sank weiter. Ich tuckerte den zunehmend verschneiten Berg hinauf, ärgerte mich über das trübe Wetter und sah jede Menge abgestorbener Tannen, nur nie drei beieinander. Dieser Wald gab optisch auch nichts her, da konnte man ja zum Öko werden! Da, drei auf einem Haufen. Und dahinter ging es links weiter. Abbiegen oder wenden und –zack- zurück nach Hause? Nein, so feige war ich nun auch nicht, rief ich mich zur Ordnung und bog ab. An den Scheibenwischern vorbei spähte ich neugierig nach vorne. Da, eine Holzhütte, tatsächlich eine Hütte. Ich hatte ja mehr auf so etwas wie ein Jagdhaus gehofft. Gott sei Dank, es ging an der Seite noch weiter. Und es war immer noch erst zwei Uhr. Zu früh... Ob ich die erste war?

    Ich fuhr am Haus vorbei an die Vorderseite und parkte. Ein Auto stand schon da, ein affiger Jeep. Typisch!! Nummer aus der Stadt, aber Kuhfänger. Was schubste man damit beiseite? Kinderwagen? Rollstuhlfahrer? Einkaufswagen auf dem Supermarktparkplatz? Fühlte man sich dann wie John Wayne oder ein Großwildjäger? Konnte nur ein Idiot sein, beschloss ich und lud mein Gepäck aus – Koffer, Vorrätekorb, Tasche.

    Ich schulterte meine Habseligkeiten, ließ die Fernbedienung piepsen und stapfte durch den leichten Schneefall zur Tür. Wahrscheinlich war ohnehin alles versperrt und der Großwildjäger trieb sich irgendwo draußen herum. Nein, die Tür war offen. Ich schob sie vorsichtig auf und linste in den dämmerigen Raum.

    „Hallo? Ist da jemand?"

    „Sieht man doch", knurrte es und ich trat ein und stellte mein Gepäck ab. Die Stimme war von rechts gekommen, vom Kamin. Davor hockte jemand. Ich sah zunächst nur ein Flanellhemd im Stil von Al Borland und einen rotbraunen Pferdeschwanz.

    Ein Vokuhila, das hatte mir gerade noch gefehlt. Wahrscheinlich hatte er vorne einen gewaltigen Bierbauch und redete ununterbrochen davon, was er mit seiner Tausender Kawasaki alles versägt hatte. Hoffentlich kamen bald zivilisiertere Leute! Wenn er sich mal umdrehte, könnte ich feststellen, ob er auch mit dem passenden Oliba ausgerüstet war, vielleicht im Dschingis-Khan-Stil? Die Safari-Schüssel draußen passte jedenfalls perfekt zu ihm.

    „Servus", sagte er geistesabwesend und stocherte im kärglich flackernden Feuer herum, ohne sich zu mir umzudrehen.

    „Servus, antwortete ich originell und schloss die Haustür. Es wurde sofort ziemlich finster. Also kramte ich zwei Kerzen aus meinem Korb, knallte sie auf den Tisch und zündete sie an. Viel nützte das auch nicht, aber immerhin bemerkte der Großwildjäger, dass ich mich um die Atmosphäre bemüht hatte. Er stand freihändig auf und drehte sich um. Kein Bierbauch. Mit ausgestreckter Hand kam er auf mich zu. „Tarek Bruckner.

    Ich erwiderte den Händedruck. „Nora Haydt. Wo kann ich denn meinen Kram hinschaffen? Sonst fallen wir im Dunklen noch drüber."

    Er sah mich missmutig an. „Das Feuer wird schon noch, keine Sorge."

    „Das hatte ich doch gar nicht gemeint!" Ein Seelchen auch noch?

    „Trotzdem wüsste ich gerne, wohin ich mein Gepäck schaffen kann."

    „Den Gang hinter, das linke Zimmer ist für die Mädels, das rechte für die Buben."

    „Herzlichen Dank", flötete ich und schleppte meinen Kram dorthin. Fünf Betten, ein kleines Bad, ein wackliger Schrank. Ein Fach und exakt zwei Kleiderbügel müssten mir zustehen, berechnete ich und packte aus. Eiskalt war es in dieser Schlafkammer! Dann wusch ich mir das Gesicht. Müde sah ich aus, stellte ich fest, als ich meine Haare mit dem samtüberzogenen Gummiband wieder zum Pferdeschwanz bändigte. Meine Augen wirkten ganz dunkel, obwohl sie eigentlich normal grau waren. Und am Kinn bekam ich einen Pickel. Ich unterdrückte den Drang, daran herumzufummeln, puderte mich ein bisschen und schleppte die Tasche und den Korb wieder in den Gemeinschaftsraum, wo das Feuer nun ganz hübsch prasselte. Viel wärmer oder heller wurde es dadurch allerdings nicht, mein Strickzeug oder meine Notizen musste ich also gar nicht erst auspacken.

    Ich sah mir diesen Tarek kritisch an, der am Kamin stand und mit der Stiefelspitze ein Holzscheit tiefer ins Feuer schob. Doch kein Vokuhila, er hatte die Haare einfach zurückgebunden. Und kein Bart. Sein Blick war irgendwo zwischen gleichgültig und abfällig. Auch egal.

    „Ist an den Fensterläden etwas kaputt? Sonst könnten wir sie aufmachen und es wäre nicht ganz so finster..."

    „Probieren Sie´s!"

    Aha, er wollte also gesiezt werden?

    Mit den Dingern war sicher etwas nicht in Ordnung, überlegte ich mir, als ich nach einem misstrauischen Blick auf ihn begann, an den Riegeln herumzudrücken. Sie waren recht schwergängig, aber schließlich bekam ich einen auf, was mich einen Fingernagel kostete, stieß die Läden auseinander, hakte sie draußen fest und schloss das Fenster wieder. „Ist doch besser, oder?"

    „Wie Sie meinen."

    „Wenn Sie so auf die Dunkelheit stehen, dann machen Sie das Fenster halt wieder zu, murrte ich und sah verärgert hinaus. Immer noch Schneefall! „Nein, schon gut.

    Ich setzte mich an den großen Tisch und packte meinen Skizzenblock und die Stifte aus, um ein paar Entwürfe zu konzipieren. Was sollte ich schließlich sonst tun? Artikel schreiben?

    Tarek stocherte noch ein bisschen im Feuer herum, dann verließ er den Raum, offenbar wollte er auf seinem Bett ein bisschen schmollen, weil ihm gleich der erste Gast so wenig gefiel. Gut, dann hatte ich wenigstens Ruhe! In meiner Tasche fand ich das kleine Kofferradio. Ich stellte ein bisschen daran herum und fand schließlich einen Verkehrsfunksender.

    Hochinteressant – Staus zwischen Nürnberg und Würzburg, salbungsvolle Worte des zuständigen Erzbischofs zum bevorstehenden neuen Jahrtausend, der Wetterbericht. Ergiebiger Schneefall sei zu erwarten. Gelogen wie immer, dachte ich mürrisch, der Wetterbericht stimmte doch nie. Für so viele Fehler möchte ich auch einmal so gut verdienen, überlegte ich mir nicht zum ersten Mal und strichelte einen Halsausschnitt.

    Vielleicht Zöpfe nur an den Schultern? Alles andere glatt, eine cognacfarbene Seidenmischung? Ich nahm ein neues Blatt und berechnete die Strickschrift. Im April wollte Pour Elle wirklich elegante Pullover zeigen, und ich hatte sie zu entwerfen. Wo war denn der Taschenrechner? Etwa Nadelstärke drei, überlegte ich, sonst würde die ganze Sache zu klobig. Für Größe 38 – wie viele Maschen müsste ich anschlagen? Ich kramte weiter in meiner Tasche herum, bis ich die Größentabellen und meine Sammlung von Banderolen gefunden hatte. Da, eine Dreier! 32 Maschen ergaben zehn Zentimeter... Ich kritzelte mit Bleistift Zahlen an den Rand des Entwurfs. „Was treiben Sie denn da?"

    „Ich entwerfe einen Pullover. Sieht man das nicht?"

    „Wozu?"

    „Das ist unter anderem mein Job. Ich arbeite bei Pour Elle."

    „Ist das ein Klamottenladen?"

    „Nein, eine Frauenzeitschrift. Silke arbeitet auch da, aber sie ist bei LifeStyle und ich unter anderem bei Mode und Handarbeiten. Im April wollen wir vier elegante Pullover zum Selbermachen vorstellen. Das ist der erste. Und so lange noch niemand da ist, kann ich die Zeit doch nutzen. Sein glasiger Blick, der mir seine Langeweile signalisiert hatte, verwandelte sich bei meinen letzten Worten in pures Gift. „Niemand da? Herzlichen Dank!

    „Na, Sie waren doch bis eben irgendwo anders. Und ich habe überhaupt nicht das Gefühl, dass Sie sich mit mir unterhalten wollen."

    „Wie Sie meinen."

    Er verzog sich in die allerentfernteste Ecke und nahm sein Handy heraus. Einige Piepstöne, dann schaltete er ab und fluchte. „Kein Netz?", fragte ich teilnehmend und fast überhaupt nicht süffisant.

    „Akku leer."

    „Oh." Jetzt konnte ich mir den Spott nicht ganz verkneifen.

    „Sie können meins nehmen. Ich hab den Akku aufgeladen."

    „Danke." Er freute sich nicht wirklich.

    Wieder Piepstöne, wieder brach er in der Mitte ab. Dann starrte er auf das Display.

    „Jetzt find schon was, du Mistding!"

    „So können Sie mit ihrem eigenen Handy reden! Was ist denn jetzt wieder?"

    Er schaltete aus und warf es mir zu. „Kein Netz. Funkloch oder so."

    „Unsinn, Sie müssen etwas falsch gemacht haben. Ich versuch´s nochmal." Mein Handy fand immer ein Netz!

    Ich wartete, aber tatsächlich, keine Netzkennung, weder D 1 noch A 1 – dafür waren wir schließlich nahe genug an der Grenze. Was war das für eine unzivilisierte Gegend – gab´s hier keine Sendemasten?

    „Scheiße." Ich packte das Telefon wieder weg.

    „Hatte ich also Recht?" Der Kerl grinste!

    „Ja, tatsächlich. Gottverlassene Gegend hier. Scheißnatur!"

    „Stadtpflanze!"

    „In der Stadt hätte ich Licht, mein Zeichenbrett, meinen Computer, Musik, Wärme, Telefonverbindungen und meine Ruhe!"

    Türenknallend verschwand er wieder. Heute war ich gut in letzten Sätzen, schon zwei Treffer, aber das ließ sich sicher noch steigern. Zufrieden rechnete ich weiter. Strickbündchen am Kragen oder eine Satineinfassung? Kein Satin, wenn ich schon das Muster hatte, beschloss ich. Ich riss den ersten Entwurf ab und verstaute ihn in der großen Mappe. Was nun? Viertel vor vier, es war draußen schon ziemlich dämmerig. Wieso kamen denn die anderen nicht? Ich trat vor die Tür, um nach der zu erwartenden Kolonne von Autos Ausschau zu halten.

    Nichts, stattdessen tatsächlich kräftiger Schneefall und in der Ferne leises Donnergrollen. Wintergewitter oder kleinere Lawinen? Schwer zu entscheiden... Wenn die anderen nicht bald kamen, war es nicht mehr ganz ungefährlich, hier heraufzufahren.

    Klasse Tag, wirklich! Ein Windstoß trieb mir die dicken Flocken ins Gesicht, und ich machte, dass ich wieder ins Haus kam. Ich hatte die Tür kaum verrammelt, als Tarek wieder hereinkam. Im Bubenschlafsaal war´s wohl zu langweilig? Zu kalt auf jeden Fall - wie ich heute Nacht schlafen sollte, war mir auch noch nicht ganz klar. Am besten in voller Montur!

    Ich drehte am Radio herum und bekam tatsächlich wieder den Sender von vorhin. Hoher Nachrichtenwert – sie erzählten, es schneie allenthalben im südlichen Bayern. Ach was! Die ersten Lawinen wurden gemeldet, der Sturm hatte einige Bäume entwurzelt, am Rhein wurde ein Millennium-Hochwasser befürchtet. War das nicht jedes Jahr so? Die sollten lieber sagen, wo die Bäume umgestürzt waren – doch nicht die toten Tannen hinter Neufinsterbach?

    „Was haben wir eigentlich zu essen da?", fragte ich Tarek.

    Er zuckte die Achseln. „Ich habe nur Benzin, Silvesterraketen und vier Tüten Kartoffelchips dabei. Für das richtige Essen waren andere eingeteilt."

    „Ich habe dreißig Müsliriegel und zwei Pakete Sesamknäcke, ansonsten Kerzen, einen Sack Teelichte, Kaffee, Tee und Spielkarten. Ach ja, und Trivial Pursuit."

    „Na, für heute Abend dürfte das reichen."

    „Hoffentlich muss es auch nur für heute Abend reichen, gab ich zu bedenken. „Wie meinen Sie das?

    „Haben Sie in letzter Zeit mal rausgeschaut?"

    „Wieso? Er schritt zur Tür und öffnete sie. Der Wind riss sie ihm sofort aus der Hand, und eine Menge Schnee wehte herein, bis er sie wieder eingefangen und zugedrückt hatte. „Schöne Scheiße! Der totale Sturm.

    „Und ich hoffe, diese gelegentlichen Donnerschläge sind nicht die kleinen Lawinen, von denen das Radio berichtet hat."

    „Lassen Sie es eingeschaltet, vielleicht sagen sie uns noch etwas Genaueres."

    „Scheißspiel, murrte ich. „Da erlebt man einmal eine Jahrtausendwende und hängt dann auf dieser gottverlassenen Hütte fest. Ich stand auf und füllte einen Topf mit Wasser. Glücklicherweise arbeitete der Herd noch!

    „Was wird das?"

    „Kaffee. Sie auch?"

    „Danke, ja."

    Tolles Geschirr hatten sie hier. Gruß aus Mittenwald oder ein Namensbecher – Reginald. Was für ein Name! Milch gab´s keine, Zucker fand ich, aber er schien etwas alt zu sein - besser der Zucker als der Kaffee.

    Ich stellte Tarek den Reginald-Becher hin und nahm mir selbst das Souvenir. Er trank misstrauisch. Sah ich aus, als könnte ich keinen Kaffee kochen? „Nicht schlecht", fand er dann und stellte die Tasse ab.

    „Und was essen wir dazu?" Er schaute mich an, als sei ich für das Essen zuständig. War ich hier die Hausfrau? Ich war ja nicht einmal wirklich freiwillig hier! Also zuckte ich die Achseln.

    „Kartoffelchips, Müsliriegel und Knäckebrot, nehme ich an. Sonst haben wir ja nichts..."

    „Also trockenes Knäcke brauche ich nicht so dringend. Ich schlage vor, erst einen Müsliriegel mit genügend Kaffee, um den Magen etwas zu füllen, dann verputzen wir eine Tüte Chips. Knäcke ist wohl mehr fürs Frühstück..."

    „Ja, mit Butter und Honig, murrte ich. „Wenn die anderen nicht zum Frühstück mit allem anderen brav auf der Matte stehen, gibt es Prügel.

    „Dabei helfe ich Ihnen!" Wenn er grinste, sah er so übel auch nicht aus.

    „Spielen Sie Rommé?"

    „Gotteswillen! Können Sie Schafkopfen?"

    „Zu zweit?" Ich zog die Augenbrauen hoch. Er ärgerte sich offenbar über seine eigene Dummheit. Sehr gut, wieder ein Treffer! „Ich kenne eine gemeine Variante von Rommé, wir nennen es aus unerfindlichen Gründen Malaiisches Poker. Soll ich´s Ihnen zeigen?"

    „Na gut." Er aß seinen Müsliriegel auf und holte einen großen Suppenteller für die Chips. Ich schenkte noch einmal Kaffee nach.

    „Also, das Grundprinzip entspricht Rommé, aber es ist vorgeschrieben, mit welchen Kombinationen man herauskommt. Erst zwei Sets, das sind drei gleiche, dann ein Set und einen Run, also vier zusammenhängende Karten der gleichen Farbe, dann zwei Sets, ein Run, als nächstes zwei Run, ein Set und so weiter, ich schreibe es auf. Wer es nicht schafft, muss es in der nächsten Runde nochmal probieren. Einmal war der erste schon durch, und ich bin immer noch bei zwei Sets/ein Run festgesessen..."

    „Wir können es ja versuchen..." Überschäumende Begeisterung war das nicht gerade.

    „Wenn Sie einen besseren Vorschlag haben – ich bin ganz Ohr!", sagte ich nicht ohne Schärfe in der Stimme.

    „Leider nicht. Also, packen wir´s an."

    Ich schrieb eine Punkteliste und mischte. „Sie mischen wie ein Mädchen!"

    „Ich bin ein Mädchen!"

    „Nicht mehr ganz..."

    „Sie haben wohl lange keinen Kaffeetopf mehr an den Kopf gekriegt?"

    Er grinste. „Geben Sie her, ich mische richtig!"

    Er teilte die Karten in zwei Häufchen, bog sie zurück und ließ sie ineinander schnalzen. Das sah wirklich cooler aus, aber das konnte ich schlecht zugeben. „Das ruiniert auf die Dauer die Karten."

    „Ja, und bei den hohen Kartenpreisen heutzutage... Wie viele jeder?"

    „Sie zwölf, ich dreizehn."

    „Wieso kriegen Sie eine mehr?", fragte er neidisch.

    „Ich komme raus, weil Sie gegeben haben. Und ich darf keine vom Haufen nehmen, Sie dann aber schon."

    Er teilte aus und machte ein Gesicht, als fühle er sich betrogen. Er wollte doch schließlich unbedingt machomäßig mischen! Ich nahm meine Karten auf und grinste in den Fächer hinein. Sollte er ruhig glauben, ich könnte sofort Schluss machen! Dabei hatte ich einen furchtbaren Mist bekommen: Alles Sortieren machte aus diesen Karten keine Sets. Er nahm eine Karte, sortierte sie ein, lächelte erfreut und legte dann genau diese Karte wieder ab. Haha! Ich konnte die nächsten beiden Karten wenigstens brauchen und knallte dann zwei magere Sets auf den Tisch. Wenigstens war ich draußen! Nur noch sechs Karten in der Hand...

    Als ich nur noch zwei Karten hatte, fiel mir etwas ein. „Ach ja, wenn Sie nur noch eine Karte in der Hand halten, müssen Sie sagen Letzte Karte, sonst kriegen Sie fünf neue."

    „Ratte! Warum sagen Sie das nicht gleich?"

    „Sie haben doch eh noch alle Karten in der Hand!"

    Ich legte den Herzkönig zu den übrigen Königen, rief „Letzte Karte! und warf sie ab. „Ätsch!

    „Saublödes Spiel", murrte er.

    „Schlechter Verlierer?"

    „Oh nein, warten Sie nur ab."

    Ich mischte nach seiner Methode und teilte aus. „Sie zwei Sets, ich ein Set, ein Run. Das ist schon mieser, also holen Sie mich vielleicht wieder ein." So lief es leider nicht für ihn – ich konnte fast sofort herauskommen und machte Schluss, als er gerade erst zwei Sets hingelegt hatte. Er schnaubte.

    „Immerhin, Sie haben die erste Hürde genommen!"

    „Sie reden wie eine Lehrerin zu einem besonders begriffsstutzigen Schüler. Dass du wenigstens deinen Namen richtig geschrieben hast, ist ja auch schon was! Seien Sie doch nicht so herablassend!"

    „Lehrerin! Mein letzter Wunsch. Obwohl, die vielen Ferien..."

    Er schnaubte wieder. „Das ist auch so ein populärer Irrtum. Lehrer haben im Sommer sechs Wochen Ferien, zur Hauptsaison. Der Rest sind keine Ferien, nur unterrichtsfreie Zeit!"

    „Ja, ja. Das sagt Karen auch immer. Wer´s glaubt. Pfingsten ist doch immer die schönste Zeit im Jahr, und da gibt es zwei Wochen Ferien!"

    „Sicher. Und Abiturkorrekturen, Schulaufgaben, Projektplanung für den letzten Abschnitt, Jahresbericht, Schüleraustausch und mit etwas Pech noch Schullandheim für die Unterstufe. Tolle Ferien!"

    „Der Lehrer wird geboren, jammert und stirbt", kommentierte ich und schob die Karten zusammen.

    „Wo haben Sie denn diesen dummen Satz her?"

    „Karen."

    „Die darf das, sie ist selbst Lehrerin. Sie dürfen das nicht. Er mischte gemächlich. „Wer sagt das?, schnappte ich.

    „Ich." Er grinste mich frech an und teilte aus. Ich überlegte kurz, ob ich noch mit den Beamtenpensionen anfangen sollte. Lieber nicht, dann brach er womöglich das Spiel ab – und zum Schreiben und Skizzieren war es mittlerweile wirklich zu dunkel. Drei Kerzen und das flackernde Kaminfeuer, das gab eine gemütliche, aber wenig detailfreundliche Atmosphäre. Also schwieg ich und nahm meine Karten auf. Nicht übel – zwei Sets hatte ich schon auf der Hand, und mit einer Kreuz Zehn wäre auch der Run komplett. Er steckte seine Karten um und ich legte eine Herz Zwei ab.

    Die konnte er schon einmal nicht brauchen. Die Karte aus dem Stapel offenbar auch nicht, er warf sie verächtlich ab. Ich zog als nächstes tatsächlich die Kreuz Zehn und legte auf. Zwei Karten blieben mir.

    Tarek warf mir einen nervösen Blick zu und nahm eine Karte. Wieder nichts.

    Ich zog eine Herz Dame, legte sie zu den übrigen Karten, warf eine ab und verkündete Letzte Karte.

    „Das dient auch nur dazu, die anderen Spieler nervös zu machen", murmelte er.

    Ich kicherte. „Und es wirkt, wie man sieht!"

    Seine nächste Karte war offenbar nützlicher, er legte ein Set und einen Run auf und einiges bei meinen Sammlungen an. „Letzte Karte!"

    „Ein echtes Duell, sagte ich und nahm mir langsam die nächste Karte. Sie passte zu seinem Set. Ich ordnete sie dort ein, schwenkte die verbliebene Karo Vier, verkündete „Letzte Karte! und legte sie ab.

    Wieder gewonnen! Er warf mir einen missmutigen Blick zu. Ich sammelte die Karten ein und begann zu mischen.

    „Was machen Sie eigentlich beruflich?", fragte ich dann während des Austeilens.

    „Ist das nicht klar geworden?"

    „Warum?" Ich knallte den Stoß in die Mitte und platzierte die oberste Karte aufgedeckt daneben.

    „Nach dieser Feriendebatte? Ich bin Lehrer."

    „Tatsächlich? So sehen Sie gar nicht aus", antwortete ich geistesabwesend, weil ich glaubte, schon zwei Runs auf der Hand zu haben. Nein, doch nicht, die Acht war Pik und nicht Kreuz, schade.

    Er seufzte entnervt. „Können Sie nicht einmal erst denken und dann reden? Wie sieht denn ein Lehrer aus?"

    Unverschämter Kerl! „Unsere hatten eher kurze, graue Haare und ein Aussehen, als ruhe die ganze Last der Welt auf ihren Schultern."

    „Haben Sie Karen auch schon gesagt, dass sie nicht wie eine Lehrerin aussieht?"

    „Nein. So fesselnd fanden wir das Thema nicht. Woher kennen Sie Karen?"

    „Schalten Sie doch mal Ihr Hirn ein", antwortete er gereizt.

    „Reden Sie nicht mit mir, als sei ich ein minderbemittelter Schüler!"

    „Dann benehmen Sie sich nicht so. Außerdem rede ich mit Schülern nicht so. Aber Sie – Sie haben doch Abitur, oder? Dann könnten Sie doch etwas intelligenter auftreten."

    Ich warf meine Karten auf den Tisch. „Diese Frechheiten habe ich nicht nötig. Gute Nacht!"

    Türenknallend verschwand ich in der Mädelkammer, wo ich beim Ausziehen möglichst viel Lärm verursachte und kräftig gegen die Betten trat. Dabei schlug ich mir den großen Zeh an und humpelte noch angefressener in das winzige Bad. Kaltes Wasser, toll. Aber das waren eben die Freuden des Hüttenlebens. Hatte ich das notwendig gehabt?

    Fröstelnd lag ich im Bett, weder meine Bettdecke noch mein bodenlanges Flanellhemd schützten mich vor der Kälte. Und dieser blöde Hund da draußen. Unverschämter Lümmel, respektloser Affe, Steißtrommler, rachitischer... Über meiner Wut schlief ich schließlich ein.

    Als ich aufwachte, war es wieder hell, einigermaßen. Und noch kälter, sofern das überhaupt noch möglich war. Ich brauchte eine halbe Stunde, bis ich mich aufraffen konnte, unter der Decke, die noch etwas Restwärme verbreitete, hervorzukriechen. Zitternd rannte ich ins Bad und wusch mich zähneklappernd mit dem eiskalten Wasser, putzte mir die Zähne, wobei ich alle Plomben spürte, zog mich dann so warm an, wie ich konnte – Thermojeans, dicke Socken, Stiefel, T-Shirt, Fleecehemd, Strickpulli – und bürstete meine Haare, bevor ich mir einen Zopf flocht. Gegen die Kälte noch eine Nährcreme ins Gesicht. Ob ich glänzte, war mir egal, aber geplatzte Äderchen brauchte ich nicht.

    Im Gemeinschaftsraum war niemand. Ich setzte erst einmal Kaffeewasser auf und sah mich dann um. Die Spielkarten lagen ordentlich aufgeschichtet auf dem Tisch, quer über dem Abrechnungsblock stand Beleidigte Leberwurst! und das Kaminfeuer war aus. Nun gut! Ich schnappte mir den Holzkorb und öffnete die Haustür. Der Schnee reichte mir bis zum halben Oberschenkel, aber die Sonne schien etwas kraftlos von einem blauweißen Himmel herab. Hinreißende Winterlandschaft!

    Direkt neben der Haustür stand eine Schneeschaufel. Ich setzte sie an und schob die Schneeverwehung beiseite, dann ging ich daran, einen Weg rund um das Haus freizulegen, damit ich zum Holzschuppen gelangen konnte, ohne meine wärmsten Hosen zu durchweichen. Der Schnee glitzerte in der Sonne und blendete mich, und ich geriet ganz schön ins Schwitzen. Zwischendurch sah ich auf die Uhr. Halb elf. Und immer noch niemand da. Noch einen Tag mit diesem Rüpel, und ich würde einen Mord begehen!

    Schließlich schaffte ich es, um die Ecke zu biegen und gelangte damit auf die Wetterseite. Es wurde ja schon wieder grau, der nächste Schneesturm schien im Anmarsch. Schnell legte ich einen Weg zum Schuppen frei, holte den Holzkorb und lud ihn voll. Dann kehrte ich eilig in die Hütte zurück, wo das Wasser schon empört blubberte. Ich goss den Kaffee auf und begann dann damit, ein Feuer im Kamin anzufachen. Als es leise zu knacken begann, stieß ich die Fensterläden auf, so dass es einigermaßen hell wurde, und schippte dann draußen noch ein bisschen weiter – wenigstens bis zu den Autos, die nur noch wie weiße Buckel in der Landschaft standen, kaum dass man die beiden noch voneinander unterscheiden konnte.

    Das war für heute genug Sport, fand ich. Und wenn wirklich schon der nächste Schnee im Anzug war, war die ganze Schipperei ohnehin für die Katz, aber zumindest hatte ich meine Aggressionen abreagiert und mich etwas warm gearbeitet.

    In der Hütte wurde es langsam wärmer, die Flammen im Kamin gewannen an Größe und Kraft und erfassten allmählich auch das Holz, nicht nur die Späne und die Zeitungsknäuel. Ich trank einen Schluck von meinem Kaffee, spülte dann den anderen Becher ab, nahm mir einen Müsliriegel und zwei Scheiben Knäckebrot und skizzierte den nächsten Pullover. Naturweißes Bändchengarn, grobe Netzstruktur, mit Süßwasserperlen bestickt, keine Ärmel, ein tiefer, schmaler V-Ausschnitt... Nein, das war Schwachsinn. Kein Ausschnitt. Die Form so neutral wie möglich... Ich kaute am Buntstift. Statt der Süßwasserperlen lieber Lederbändchen, in der gleichen Farbe? Musste man mit der Hand stricken, die Strickmaschine eignete sich besser für glatte, mehrfarbige Muster und weniger struppiges Garn...

    Das gefiel mir alles nicht!

    Lieber versuchte ich mich an einer Kolumne, Hüttenzauber aus Städtersicht... Ich kritzelte eine halbe Seite mit boshaften Anmerkungen voll, aber dann fiel mir schlagartig nichts mehr ein. Frustriert versuchte ich es noch einmal, aber ich merkte schnell, dass ich mich nur noch wiederholte.

    Ärgerlich schob ich meinen Filofax zur Seite und holte mir die Spielkarten, aus denen ich mir eine schöne große Harfe auf den Tisch legte. Dann war ich eine genussreiche halbe Stunde damit beschäftigt, darum zu kämpfen, dass die Patience aufging. Kurz vor zwölf... Ich schenkte mir noch einen Kaffee ein und schaute danach wieder einmal zur Tür hinaus. Der Schneefall hatte wieder eingesetzt, langsam und stetig, in feinen Flocken. Also war es noch etwas kälter geworden! Vielleicht funktionierte das Handy draußen besser?

    Ich trat wieder vor die Tür und wählte die Nummer von Silke. Nichts. Ich versuchte es noch einmal und wartete dieses Mal, bis das Handy ein Netz fand. Nichts, gar nichts. Hier schien wirklich ein Funkloch zu sein.

    Fröstelnd kehrte ich in die Hütte zurück, legte noch ein Scheit aufs Feuer und wärmte mir die klammen Finger. Was war mit diesem Tarek eigentlich los? Abgehauen war er nicht, höchstens zu Fuß. Seine Safarikiste stand immer noch eingeschneit vor der Tür. Er schlief ja ganz schön lange. Na gut – wer schlief, brauchte nichts zu essen, und die Vorräte waren knapp genug.

    Mir war langweilig. Hatte ich denn gar nichts zu lesen dabei? Oder gab es hier etwas? Ich suchte in den Regalen des großen Raumes herum und fand schließlich eine Klatschzeitschrift. Schlagzeile: Diana sagt die Wahrheit über ihre Ehe. Besser als nichts! Ich studierte sie so gründlich, wie ich noch nie ein derartiges Käseblatt studiert hatte, ich las sogar die Kochrezepte und das Horoskop für den Mai 1995. Gegen eins musste ich aber zugeben, dass auch dieses Heft seinen Zweck erfüllt hatte, nicht einmal die bärtigen Witze auf der Rückseite und die Werbung für praktische Polyesterröcke in Größe 56 hatte ich ausgelassen.

    Gepolter kündigte Tareks Auftritt an. Und draußen schneite es immer noch, mittlerweile noch heftiger, wie mir schien. Ich drehte am Radio herum, fand aber außer Knacken, Knattern und plötzlichem Aufjaulen nichts.

    „Guten Morgen." Er trat an den Herd und schenkte sich Kaffee ein.

    „Guten Morgen." Nachdenklich betrachtete ich ihn, als er ohne Zeichen des Abscheus den bestenfalls lauwarmen Kaffee trank. Er war das einzige, was mich vor dem Tod durch Langeweile retten konnte. Vielleicht sollte ich mich mit letzten Sätzen etwas zurückhalten? Andererseits – was sollte man mit diesem Menschen tun, außer ihn zu ärgern? Das war doch gerade die Unterhaltung!

    „Sie schauen so gereizt?"

    „Mir ist langweilig", bekannte ich.

    „Ein Armutszeugnis", fand er lehrerhaft. Schon eher oberlehrerhaft!

    „Schlagen Sie mir was vor. Mein Buch habe ich leider zu Hause vergessen."

    „Entwerfen Sie etwas."

    „Hab ich schon, aber heute bin ich nicht kreativ."

    „Schaufeln Sie Schnee!"

    „Hab ich auch schon, aber um halb elf. Längst wieder zugeschneit. Jetzt sind Sie dran."

    „Können Sie Patiencen legen?"

    „Selbstverständlich!"

    „Ach, ich vergaß ja, die Dame ist von Adel. Und warum legen Euer Gnaden dann keine Patience?"

    „Weil ich das auch schon gemacht habe. Ist Ihnen eigentlich klar, dass es schon bald halb zwei ist? Ich glaube nicht, dass heute noch jemand kommt. Sollten wir nicht eher versuchen, wieder ins Tal zu gelangen?"

    Er zuckte die Achseln.

    „Probieren können wir´s, aber ich glaube, die Straße ist zu. Ein Vorschlag: Ich trinke dieses Spülwasser noch aus und esse einen Müsliriegel, und Sie suchen noch ein bisschen nach einem Sender, ja?"

    „Okay", seufzte ich und drehte weiter am Sendersuchlauf herum. da – war da nicht was?

    „Krzkrzkrck... heftige Schneefä...krz... pfft... insterbach... krz... tüüüüt... Warn..... krckkrck... winengefahr...krckkrck... pffft."

    „Tolle Meldungen. Anscheinend ging´s aber um die Finsterbacher Gegend. Mist!"

    Tarek schluckte den Rest seines Müsliriegels herunter und schlüpfte in seinen Anorak. Ich tat es ihm gleich und grabschte nach meinem Autoschlüssel. Er sah mich zweifelnd an. „Haben Sie Ketten?"

    „Logisch."

    „Allradantrieb?"

    „Nein. Ich fahre einen Golf. Sie natürlich, was?"

    „Sicher. Nehmen wir meinen. Wenn die Strecke frei ist, kommen wir sofort zurück, packen und hauen dann mit beiden Wagen ab, einverstanden?"

    Ich nickte. „Klingt vernünftig. Dann wollen wir Ihre Safarischüssel mal ausbuddeln."

    „Safarischüssel?"

    „Wozu braucht man in der Stadt Kuhfänger?"

    Er grinste spöttisch. „Damit schubse ich die Omas vom Zebrastreifen. Aber hier könnte man einen kleinen Baum vielleicht damit aus dem Weg schieben..."

    „Auch wieder wahr", brummte ich.

    Wir fegten den Schnee von seinem Wagen und legten die Scheiben frei. Dann klopften wir uns den Schnee von der Kleidung und stiegen ein. Als Tarek den Zündschlüssel drehte, rührte sich nichts. Unwillkürlich lächelte ich höhnisch, bis mir einfiel, dass es auch in meinem Interesse lag, wenn wir hier bald wegkamen. Er warf mir einen bösen Blick zu und versuchte es noch einmal. Diesmal erwachte der Motor stotternd zum Leben und Tarek wendete den Wagen in Richtung Straße. Dann hielt er wieder an. „Was ist jetzt?"

    „Ketten aufziehen. Was dachten Sie denn?"

    Als wir mit klammen Fingern die letzten Ketten befestigt hatten, konnten wir es versuchen. Die ersten dreißig Meter ging es recht gut. Vielleicht könnten wir schon in einer Stunde auf einer gemütlichen und Vertrauen erweckenden Bundesstraße dahinrollen? Oder, das höchste der Gefühle – auf einer schönen, geräumten Autobahn, ganz zivilisiert? Tarek bremste. Vor uns lag ein ziemlich mickriger Baum halb über der Straße. Mit den Kuhfängern war nichts, sie waren zu hoch angebracht. Also raus aus dem mittlerweile angewärmten und beschlagenen Wagen! Gemeinsam zerrten wir an den Ästen herum, bis sich der Baum soweit bewegt hatte, dass wir um ihn herumkurven konnten – halb auf dem Bankett. Weiter! Nach Neufinsterbach konnten es nur noch etwas mehr als hundertfünfzig Meter sein, oder?

    Erst als Tarek mich verächtlich ansah, merkte ich, dass ich das laut gesagt hatte. „Hundertfünfzig Meter bis zu der Stelle mit den drei toten Bäumen, meinen Sie wohl. Schon vergessen?"

    „Scheiße, ja!", murrte ich.

    Kurz vor dieser Abzweigung standen wir vor einer Schneemauer. Hier war also tatsächlich eine - wenn auch bescheidene - Lawine heruntergegangen. „Kreuzdonnerwetter noch mal!" Ich war so enttäuscht.

    „Haben Sie zufällig einen Spaten im Wagen?"

    „Das ist nicht Ihr Ernst!"

    „Mein voller Ernst!"

    „Ich hab sogar zwei ... Dann wollen wir mal!"

    Er reichte mir

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