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Motorcycle Memories
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eBook155 Seiten2 Stunden

Motorcycle Memories

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Über dieses E-Book

Es ist 1994. Carl besucht von Vancouver aus, wo einige seiner Verwandten leben, mit einem günstig erworbenen Motorrad, aber ohne Führerschein und einem riskant knappen Budget, die Vereinigten Staaten von Amerika. Während sich Carl mit Mühe durch den Nordwesten quält, fast von einer Klippe stürzt, ständig kurz vor der Pleite steht, auf ärztlichen Rat hin eine Augenklappe trägt und manchmal einfach nicht mehr weiter weiß, wird es langsam Sommer. Je weiter er nach Süden reist, um so mehr ist er sich im Zweifel darüber, ob seine Fahrt unter einem guten Stern steht. In San Francisco wird er zum Sex genötigt. Im Death Valley treibt in der Hunger ins Delirium. Aber während er sich weiter vorwärts schleppt, passiert im entscheidenden Moment immer das Richtige und der Sinn seiner Fahrt offenbart sich ihm in diesen wichtigen kleinen Augenblicken.
SpracheDeutsch
Herausgeberneobooks
Erscheinungsdatum17. Juli 2020
ISBN9783752908749
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    Buchvorschau

    Motorcycle Memories - Carl Bloem

    Vor der Abfahrt

    Wie so oft saß ich an der Bar. Ich mochte Bars. Das zwanglose Gespräch oder das stille Beobachten. Es tat sich immer etwas in Bars. Es ergaben sich Möglichkeiten. Oder Kinnhaken. Auf Zypern war ich einmal von der Wucht einer geraden Rechten vom Barhocker direkt auf eine Parkbank auf der gegenüberliegenden Straßenseite befördert worden. Der Schlag hatte wahrscheinlich nicht die Wucht, aber mir fehlt bis heute die Erinnerung für diesen Sprung von 75 Metern. Aber das ist eine andere Geschichte.

    Wir waren Downtown. Downtown Vancouver, British Columbia. Vor nicht einmal zwei Tagen war ich mit einem einfachen Flugticket in Kanada gelandet und besuchte zum ersten Mal meine Tante und ihre Familie in der neuen Welt. An diesem Abend waren meine Cousine, ein paar ihrer Freunde und ich in die Stadt gefahren, um uns zu amüsieren. Die Bar, die wir als Erstes betraten, war groß, modern, hell eingerichtet und nahezu antiseptisch sauber. Wir machten es uns in einer Sitzgruppe gemütlich und plauderten ein wenig. Ich beobachtete das Service-Personal dabei, wie sie über den blitzblanken Boden hetzten und fragte mich, wann der Kellner, der uns vor zehn Minuten zum ersten Mal bemerkt hatte, sich zu einem Besuch an unseren Tisch hinreißen lassen würde. Irgendwann, nachdem ich bereits aufgegeben hatte, kam er dann tatsächlich, aber weder bei der einzelnen Frage noch nach der kompletten Bestellung, ließ er ein Lächeln sehen. Er notierte stumpf die einzelnen Getränke und schob wieder ab. Das Service-Konzept war möglicherweise auf das klinische Interieur abgestimmt, dachte ich. Die Drinks ließen wir uns trotzdem schmecken.

    Die Bar füllte sich immer mehr und die Geräuschkulisse hob an. Nach ein paar Runden bekam meine Cousine Schlagseite und kuschelte sich an ihren Freund. Die Gespräche der Freunde wurden immer persönlicher und da ich die Gruppe nicht kannte, verzog ich mich an die Theke, um in Ruhe ein paar Getränke zu ordern, bevor es möglicherweise weiter ging. Der Barmann war deutlich fixer, als die Kollegen an den Tischen und es blieb ihm neben der Arbeit immer noch ein wenig Zeit zum Plaudern.

    Nach ein paar Minuten gesellte sich ein anderer Gast zu uns und stieg direkt mit ins Gespräch ein. Er hieß David, kam gelegentlich in diese Bar, kannte den Mann am Zapfhahn, verstand sich aufs Trinken und war ein ausgezeichneter Gesprächspartner.

    Ich lud ihn auf ein Bier ein und nach einer Weile belangloser Plauderei fragte mich David:

    „Was willst du eigentlich hier machen?

    „Wollte mich ein wenig umsehen. Mal runter nach Kalifornien vielleicht, entgegnete ich. Und wie?" fragte er.

    „Keine Ahnung. Mit dem Bus", vermute ich.

    Er lachte. Das war das Dümmste, was er je gehört hatte.

    „Keiner fährt mit dem Bus, wenn er was erleben will", sagte er und schüttelte den Kopf, alte Frauen und Kinder fahren mit dem Bus .Er prostete mir zu und zwinkerte.

    „Ich hab's verstanden, aber welche Alternativen habe ich? Ein Auto ist zu teuer", stellte ich fest.

    „Fahr Motorrad", sagte er kurz.

    „Würde ich gern. Ich habe aber nur einen 80er Führerschein!"

    „Achtzig, was?, grunzte er verdutzt. Was heißt das?"

    „Das heißt, dass ich nur Mopeds bis 80 ccm fahren darf", fügte ich lakonisch hinzu.

    „Zeig mir mal deinen Führerschein", bat er.

    Ich gab ihm das rosa Faltblatt, das ich 1987 so stolz in Empfang genommen hatte und wartete, was er dazu zu sagen hatte.

    „Was ist denn das?, lächelte er, Und was bedeuten diese ganzen Stempel und ausgestanzten Stellen? Steht das hier auch irgendwo auf Englisch?"

    „Stempel heißt, das darfst du. Loch heißt, du darfst nicht. Vorne steht nur Driving License auf Englisch drauf. Das war's." Er grinste.

    „Hier gibt es keinen Menschen, der deutsch spricht, geschweige denn, deutsch lesen kann. Du kannst also Motorrad fahren?" fragte er spitz.

    „Klar. Kann ich. Das Prinzip ist ja immer gleich, ob jetzt mit 80 oder 800 Kubik", raunte ich.

    „Genau, bemerkte er knapp. Мein Vetter hat zufällig einen Hobel in der Scheune, den er loswerden will. Interesse?"

    Was für eine Frage. Ich war in der Falle. Voll angefixt. Tausende Bilder spukten sofort durch meinen Kopf. Ich saß fest. War voll geleimt.

    „Schreib mir mal deine Telefonnummer auf. Ich melde mich morgen", sagte ich, zahlte die Drinks und ging zurück zu meinen Leuten, die sich bereits im Aufbruch befanden. Wir fuhren noch auf eine Party, aber ich war abgelenkt und als wir endlich zu Hause waren, lag ich mit offenen Augen im Bett und fand zuerst keinen Schlaf.

    David's Vetter Will lebte etwas außerhalb von Maple Ridge, was nicht allzu weit vom Haus meines Onkels entfernt war. Meine Tante hatte mir ihren Wagen geliehen und ich wackelte mit viel zu weichen Stoßdämpfern über eine ausgewachsene Buckelpiste zum Gehöft des Verkäufers. Als ich meinem Onkel Rudi beim Frühstück eröffnete hatte, dass ich erwog, mit einem Motorrad seine Wahlheimat zu erkunden, war er nicht gerade begeistert gewesen. Er wusste zwar, dass ich fahren konnte, war sich aber auch darüber im Klaren, dass ich keinen gültigen Führerschein besaß. Ich beschrieb ihm in glühenden Worten, wie optimal die Wahl des Motorrades sei, wie preiswert die Fortbewegung im Vergleich zu anderen war, wie lange ich nun schon mein Moped fuhr und so weiter und so fort. Nach etwa fünfzehn Minuten winkte er ab.

    „Also gut, sagte er, aber erzähl es ja nicht deiner Tante, dass du keinen Führerschein hast."

    „Im Leben nicht, jubelte ich. Ach, und könntest du mir vielleicht noch 180$ für die Versicherung vorstrecken, wenn ich den Hobel kaufe?"

    Eine paar Stunden später stand ich vor der Maschine. Es war eine Honda CB 400 Hawk. Das Teil war schwarz, hatte einen roten und einen goldenen Streifen auf dem Tank, zwei Außenspiegel, einen Sturzbügel am Motor und so eine gepolsterte Heulsusenstange am Ende der Sitzbank. Das Monstrum deckte sich nicht mal annähernd mit meinen romantischen Tagträumen letzter Nacht. Aber so gar nicht.

    „Willste mal ne Runde drehen?", fragte Will.

    „Klar", sagte ich.

    Als ich mit dem Prügel ohne Helm die famose Schlaglochpiste entlang bretterte, verlor der Anblick seinen Schrecken. Der Wind griff nach meinem Haar und ich fühlte in mir die Euphorie mit zunehmender Drehzahl ansteigen. Der Weg schüttelte mich ordentlich durch. Die Felder, die an mir vorbei eilten, wiegten sich im Wind und die Maisonne sowie das Adrenalin wärmten mich wie ein samtener Mantel.

    „600$? Vergiss es", antwortete ich Will, als wir beide vor der Scheune in die Verhandlung einstiegen.

    Will musterte mich und wog ab. Mein Gesicht war wie ein Stein. Der Hobel hatte so viele Spinnweben angesammelt, dass ich gelassen in die Verhandlung einsteigen konnte. Als Nächstes versuchte er, mir den ganzen Rotz wie den zweiten Spiegel und die Sissybar als Extras zu verkaufen.

    „Das ist das Erste, was ich von dem Moped runterschraube. Kannst du gleich hier behalten, entgegnete ich. Мach mir mal einen vernünftigen Preis, nicht diesen Touristenquatsch."

    Er tänzelte, kaute auf seiner Unterlippe herum und brachte halb fragend eine 500 heraus.

    Ich sah den Haufen Eisen, wieder als das, was es war. Ein Albtraum aus Dreck und Schmiere. Ich schüttelte den Kopf.

    „Entschuldige, dass ich deine Zeit in Anspruch genommen habe, aber ich dachte David hätte zu dir gesagt, dass ich höchstens 300 anlegen kann."

    „Sorry", legte ich nach, schaute auf den Boden und schob ein bisschen Dreck mit der Fußspitze hin und her. David war nicht da und Will wurde langsam nervös. Sein Kopf drehte sich hilfesuchend nach rechts und links und sah aus wie ein Wetterhahn an einem stürmischen Tag.

    „300 300 300", wiederholte er wie ein Mantra. Als ließe sich damit irgendetwas beschwören. Aber er kam nicht weiter und ich merkte, wie er auf der Stelle trat. Er brauchte einen kleinen Schubs.

    „Hör zu, sagte ich nach einer längeren Pause, mein Onkel hat mir heute morgen noch 50 Dollar zugesteckt, damit ich mir neue Kleidung kaufe, aber ich finde meinen Kram eigentlich völlig in Ordnung.

    Ich drehte mich im Kreis, als würde ich versuchen, ihm meine zerbeulte Jeans anzudrehen und grinste blöde.

    „Also, klärte ich, 50 bringe ich. Deal?"

    Und er fiel. Ich hatte nun ein Motorrad und bereits die Hälfte meines gesamten Geldes auf den Kopf gehauen. Ich fühlte mich großartig.

    Während ich mit dem Wagen meiner Tante den kleinen Weg zurück eierte, überlegte ich angestrengt, wo ich jetzt noch den ganzen nebensächlichen Kram wie Helm, Handschuhe, Jacke, Zelt und Schlafsack herbekam, ohne meine restlichen Mücken zu verbraten, kam aber zu keinem zufriedenstellenden Ergebnis.

    Als ich in Pitt Meadows das Haus meiner Tante erreichte, war bereits Essenszeit. Zumindest das Problem konnte ich kurzfristig in den Griff kriegen. Mein Magen hatte schon während der gesamten Rückfahrt mit dem quietschenden Stoßdämpfer um die Wette gebellt. Es war Samstag und die komplette Familie war da. Es gab Fleisch vom Grill, Salat und Brot. Da es von allem reichlich gab, war mein Magen kurzfristig beruhigt.

    Nach Rücksprache mit meinem Onkel eröffnete ich den Anwesenden meine Reisepläne und wies gleich am Anfang auf das Problem mangelnder Ausrüstung für die Fahrt hin. In den nächsten zwei Stunden wurde fleißig telefoniert und in den darauf folgenden drei Tagen fand sich allerhand Ausrüstung für die Fahrt im Hause meines Onkels und meiner Tante ein. Es war der Wahnsinn. Soviel Pioniergeist und Hilfsbereitschaft verschlug mir die Sprache. Jeder, der kam und etwas vorbei brachte, fragte mich neugierig nach meinen Plänen, bezeugte Hilfsbereitschaft beim Start und gab ein paar Ratschläge für das Leben auf der Straße dazu. Auf meine Frage, wann die jeweiligen Verleiher ihre Stücke wieder zu haben wünschten, wurde mir nur lapidar entgegnet:

    Wenn du wieder da bist. Gute Fahrt und viel Spaß

    Es war der Hammer. Ich bekam ein Zelt, einen Schlafsack, einen Kocher, diverse Kleinteile für die Essenszubereitung, Werkzeug, einen Australian Duster und einen Tankrucksack. Dazu kaufte ich mir in einem Gebrauchtwarenladen einen ausgemusterten Helm des Seattle Police Department, eine verspiegelte Sonnenbrille und ein paar hellbraune Lederhandschuhe. Ich war fertig. Es konnte losgehen. Aber wohin? Wo wollte ich eigentlich hin?

    Es war ein Mittwoch, als ich mich auf den Weg machte. Die Wolken, denen ich Richtung Westen entgegen fuhr, waren monströs. Ich fuhr auf der 7, überquerte den Pitt kurz bevor er mit dem Fraser River zusammenstieß, vorbei an Coquitlam und Port Moody Richtung Vancouver. Ich fuhr durch die Stadt. Ich hatte es nicht eilig.

    Nachdem ich das Nummernschild besorgt und das Moped abgeholt hatte, hatte ich mich erst einmal mit meiner neuen Reisebekanntschaft vertraut gemacht. Das Motorrad lief verlässlich. Der windgekühlte Motor bot wenig Überraschungen beim Punch, aber das Baujahr konnte bereits einen elektrischen Starter vorweisen. Die Trommelbremsen taten ihren Job und durch den hohen Lenker war die Sitzposition für mich erträglich, obwohl ich aber auch weniger Gefühl für die Straße hatte.

    Ich legte einen hohen Gang ein und fuhr mit mäßiger Drehzahl zwischen dem Berg, auf dem die Universität lag und dem Südufer des Burrard Inlet durch, folgte dann der Hastings weiter Richtung Westen, durchquerte letztlich den Stanley Park und verließ das Gewirr der Straßen über die Lions Gate Bridge, von der Douglas Coupland in ein oder zwei Jahren schreiben sollte, sie sei wie aus flüssigem Zucker gesponnen. Vielleicht hatte er es aber auch bereits geschrieben und es lag irgendwo in seiner Schublade herum und wartete mit den anderen Geschichten darauf, endlich von Harper Collins in New York verlegt zu werden.

    Ich hatte Glück. Zwei der drei Spuren waren für die Pendler stadtauswärts freigegeben. Ich spürte das Salz mit einem leichten Kribbeln auf meiner Haut und kniff die Augen etwas zusammen, als ich den Gashahn langsam drehte und die Maschine mit einem verbindlichen Zug nach vorne strebte. Es war 1994 und es wurde bald Sommer.

    Der Zyklop

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