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Eine schwierige Familie: Kriminalroman
Eine schwierige Familie: Kriminalroman
Eine schwierige Familie: Kriminalroman
eBook421 Seiten5 Stunden

Eine schwierige Familie: Kriminalroman

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Über dieses E-Book

Weil ihre kleine Schwester Fritzi ihren Germanistikdozenten Dr. von Raben verehrt, muss auch Sophie Rauch ihn und seine Familie kennen lernen. Leider gilt für die Geschwister Raben: Drei sind seltsam und unfreundlich, einer ist tot.
Damit finden die Rauch-Schwestern mitten in einer Mordermittlung wieder – und bei diesem einen Mord soll es nicht bleiben.
Wer hat etwas gegen die Rabens? Liegt es an ihren befremdlichen Persönlichkeiten oder an dem abgelegenen Stück Land, das sie bewohnen? Hat es mit den Bauplänen der Stadt zu tun oder möchte jemand sein eigenes Süppchen kochen – aber wer?
Sophie und Fritzi können sich all diesen Fragen nicht entziehen…
SpracheDeutsch
Herausgeberepubli
Erscheinungsdatum26. März 2016
ISBN9783737583329
Eine schwierige Familie: Kriminalroman

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    Buchvorschau

    Eine schwierige Familie - Elisa Scheer

    18. August 2014

    „Herrlich! Sophie lehnte sich ein wenig weiter auf dem knarrenden Biergartenstuhl zurück und schob die Sonnenbrille etwas höher. „Kann nicht immer Sommer sein?

    „Du magst doch jede Jahreszeit, spottete ihre Schwester und nahm einen ordentlichen Schluck Bier. „Ich hab dich schon von raschelndem Laub, knarzendem Schnee und diesem besonderen Hellgrün, wenn die Blätterknospen aufgehen, schwärmen hören.

    Sophie nahm die Brille wieder ab und feixte Fritzi an. „Stimmt ja auch. Jede Jahreszeit ist die Schönste.timmt ja auch. Jede Jahreszeit ist die Schönste.em Schnee und diesem besonderen Hellgrün, wenn die Blätter aufgeben höher edrüc

    „Du hast wirklich ein glückliches Naturell!" Fritzi klang fast ein bisschen neidisch, aber Sophie schob das darauf, dass sie eben erst zweiundzwanzig war. Mit zweiunddreißig war man wohl viel mehr mit sich im Reinen…

    Zugegeben, nicht jeder. Man konnte bis dahin schon so viele falsche Entscheidungen getroffen haben. Irgendwelche Idioten heiraten, unüberlegt Kinder kriegen, krank werden – obwohl, das machte man ja zumeist nicht absichtlich! – den verpassten Schulabschluss, die ungenutzten Talente oder das falsche Studienfach bereuen, sich verspekuliert oder einfach nie gespart haben… und dann gab es noch alle die, die gar nichts dafür konnten – nie Geld gehabt, gesundheitlich anfällig, im falschen Milieu geboren, ohne Entschlusskraft..

    Obwohl, konnte man da denn gar nicht raus, auch wenn man sich anstrengte? Sie kannte alle diese OECD-Studien auch, aber wenn sie an ihre Schulzeit zurückdachte…

    Gut, die Reiche-Idioten-Dichte war schon recht hoch gewesen, vor allem bei den Waldstettenern am Leo. Sie dachte alleine schon an diesen Mathematikkurs und gluckste.

    „Was ist? Willst du jetzt eine Breze?"

    Sophie kehrte in die Gegenwart zurück. „Was? Nein, du weißt doch… aber einen Emmentaler und einen Radi nehme ich gerne. Oder, wenn die diesen Salat haben, den sie manchmal machen – den am liebsten."

    Fritzi schenkte ihr einen leicht genervten Blick und steuerte die Buden in der Mitte des Biergartens an.

    Sophies Gedanken kehrten sofort zu diesem Mathekurs zurück - Leistungskurs auch noch! Leute hatten da drin gesessen – nett und doof, blöd und doof, nett und gescheit, die letzte Gruppe war eindeutig die kleinste gewesen. Aber bei denen gab es auch ein paar Leute, die nicht in dicken Villen wohnten, sondern zum Beispiel in der Einfachsiedlung am nördlichen Ortsrand, direkt an der Bundesstraße, die von Augsburg nach Ingolstadt (beides in weiter Ferne) führte.

    Und diese Einfachsiedlung aus den frühen Sechzigern war wirklich einfach, Ofenheizung, betonierte Höfe, kein Spielplatz, kein gar nichts… und alle aus dieser Siedlung hatten ein sehr anständiges Abitur gemacht, während die rich kids sich manchmal schon härter getan hatten, auch in den späteren Jahrgängen, bei denen sie manchmal Nachhilfe gegeben hatte. Diesem Florian zum Beispiel – gut, der arme Hund war schlicht und ergreifend strunzdumm gewesen, egal, wie viel Kohle sein Vater hatte.

    War Florian nicht letztes Jahr tödlich verunglückt? Und hatte sie sich nicht noch beim Zeitunglesen gedacht: Ferrari haben, aber zu dämlich zum Autofahren? Ganz schön herzlos, aber was konnte man für seine spontanen Kommentare; solange man die Zynismen nicht laut aussprach…

    Außerdem hatte sich hinterher ja herausgestellt, dass Florian nichts dafür gekonnt hatte, man hatte ihn von der Straße gedrängt.

    Fritzi kam zurück, unter dem Arm eine Riesenbreze, in der einen Hand eine Salatschüssel, in der anderen eine Maß Bier und zwischen den Zähnen ihren Geldbeutel. Sophie beeilte sich, ihr den Salat abzunehmen. Fritzi platzierte Maß und Breze auf dem Tisch und ließ sich aufatmend fallen.

    „Puh, ich hab echt gedacht, was mach ich, wenn mir einer den Geldbeutel aus den Zähnen reißt?"

    „Hosentasche?"

    „Sind bloß Fake. Das sind Jeggings. Nie wieder zieh ich die im Biergarten an! Aber weißt du, wen ich am Brotzeitstand getroffen hab?"

    „Sag´s mir, dann weiß ich´s", antwortete Sophie friedlich und mäßig interessiert und angelte sich Besteck aus dem Krug auf dem Tisch.

    „Den Raben!"

    „Den Raben…", wiederholte Sophie verständnislos. „Wer ist das? Ich schwanke zwischen Weißer Rabe und Horrorklassiker."

    „Dumme Nuss! Der Raben!"

    „Fritzi! Spielt der irgendwo mit, legt der irgendwo auf, ist er in den Charts oder was? Hab Mitleid mit einer alten Frau und klär mich auf!"

    „Der Raben macht ein echt geiles Seminar über das Drama vom Sturm und Drang bis zur Klassik."

    „Ach, ein Professor! Sag das doch gleich. Und warum führst du dich auf wie ein Groupie? Ich kann mich nicht erinnern, dass ich bei meinen Profs früher derartig in Anbetung verfallen wäre."

    „Jaja, früher – kurz nach dem Krieg, was? Soo alt bist du jetzt auch wieder nicht. Außerdem ist Raben noch kein Prof."

    Sophie lachte, eine Gabel Salat in der Schwebe. „Ach so! Ein niedlicher Assistent also? Dürfen die nicht bloß Einführungskurse geben? Bist du aus der Phase nicht längst raus?"

    „Nee, Assistent ist er auch nicht. Und niedlich – ich weiß nicht. Aber ein toller Lehrer, ehrlich. Den solltest du mal kennenlernen."

    „Wozu das denn? Ich hab mit Literaturgeschichte doch gar nicht so viel am Hut - Fritzi!!"

    Zu spät. Fritzi schlängelte sich schon zwischen den Tischen hindurch und verschwand hinter der großen Kastanie. Einen Moment lang erspähte Sophie noch ihr Gestikulieren, dann war gar nichts mehr zu sehen. Resigniert schob sie ihre leere Salatschüssel beiseite und trank einen Schluck Apfelschorle. Manchmal war Fritzi wirklich zu albern…

    Schließlich kam sie zurück, hinter sich einen Mann, der nicht direkt wie ein Rabe aussah. Eigentlich eher ganz normal. Groß, etwas füllig und – als er nahe genug herangekommen war – ziemlich müde.

    Sophie lächelte ihn an. „Ich entschuldige mich für mein Schwesterchen. Schleppt Sie hier einfach durch die Gegend…"

    „Du sollst nicht immer Schwesterchen sagen, maulte Fritzi, „ich bin nicht mehr zehn.

    „Ach, tatsächlich?"

    Sophie glaubte, ein leises Lächeln auf dem Gesicht von Fritzis Dozenten gesehen haben, und streckte ihm die Hand entgegen. „Sophie Rauch. Irgendwas hab ich falsch gemacht…"

    Er ergriff die Hand mit festem Griff. „Benedikt Raben. Grüß Gott. Nein, Sie haben nichts falsch gemacht, Ihre Schwester ist eine sehr gute Studentin und eine sehr nette junge Frau. Eben etwas impulsiv – das Vorrecht der Jugend, nicht wahr?"

    „Ein Gespräch wie unter Achtzigjährigen", schimpfte Fritzi und setzte sich wieder.

    „Du hast eben diese Wirkung auf deine Umgebung, kommentierte Sophie und lud Raben ein, sich zu setzen. Fritzi sprang wieder auf: „Wer will noch ein Bier? Oder was anderes?

    Niemand, aber Fritzi eilte trotzdem davon. Was sollte das nun wieder? Sophie sah ihr noch kopfschüttelnd nach, als Raben auflachte. „Jüngere Geschwister sind schon anstrengend, nicht?"

    „Wem sagen Sie das! Sie haben also auch das Vergnügen?"

    Er seufzte in komischer Verzweiflung. „Vier Stück!"

    „Oh. Beileid oder Glückwunsch? Wie alt?"

    „Eher Beileid. Zwischen fünfunddreißig und achtundzwanzig. Das klingt harmloser, als es ist, denn drei davon wohnen immer noch bei mir und stehen nicht wirklich auf eigenen Füßen. Wie ist das bei Ihnen?"

    „Vergleichsweise entspannt. Fritzi ist zwar gelegentlich noch etwas teeniehaft unterwegs, aber sie ist ja auch erst zweiundzwanzig. Und wohnen tut sie nicht bei mir, sondern in einer WG an der Uni. Ich selbst habe der Uni-Gegend schon länger den Rücken gekehrt."

    „Haben Sie sie großgezogen?"

    „Bitte? Nein, nein. Unsere Eltern sind nach Wien gezogen, vor drei Jahren, seitdem passe ich ein bisschen auf sie auf, mehr nicht. Wie ist das bei Ihnen?"

    Er seufzte wieder und wirkte wirklich ganz schön müde, fand Sophie. Regelrecht erschöpft. „Unsere Eltern sind schon vor Jahren gestorben – da waren die Kinder zwischen fünfundzwanzig und achtzehn. Und irgendwie ist es mir nicht gelungen, sie auf eigene Füße zu stellen."

    Fritzi kam zurück, mit einer weiteren, sehr salzigen Riesenbreze und einer Eiswaffel. Sophie schauderte: „Das willst du alles noch essen? Wird dir nicht langsam schlecht?"

    „Das ist doch nicht für mich!" Fritzi war entrüstet und reichte die Breze mit großer Geste ihrem verehrten Dozenten.

    Der bedankte sich erfreut und Sophie versuchte, ihn nicht kritisch zu mustern, denn er sah nicht nur ziemlich müde aus, sondern durchaus auch etwas übergewichtig. Eine versalzene Breze zum Bier war da eigentlich nicht ganz das Richtige – aber der Mann war erwachsen und sie hatte sich da nicht einzumischen.

    Raben riss ein Stück von der Breze ab und aß, von Fritzi mit mütterlich-beifälligem Blick bedacht. Er lächelte beiden Schwestern etwas schwächlich zu und fragte: „Was machen Sie beruflich – Frau Rauch?"

    „Ich bin Unternehmensberaterin", antwortete Sophie, fest davon überzeugt, dass er sich mit Ekel abwenden würde. Hatten die Geisteswissenschaftler nicht alle ein etwas gespanntes Verhältnis zu wirtschaftlichen Überlegungen?

    „Interessant, war die unerwartete Antwort. „Und was tun Sie da zur Zeit? Oder ist so etwas geheim?

    „Ach nein – solange ich keine Namen nenne? Im Moment geht es um einen nicht unbedeutenden Einzelhändler, der wegen der Internet-Konkurrenz kurz vor der Pleite steht. Wir erarbeiten für ihn ein Konzept, wie er ebenfalls am Internet partizipieren kann, und strukturieren seinen Betrieb so um, dass sein Personal effektiver arbeitet. Wir denken, wir können den Laden retten."

    „Das klingt sehr erfreulich, lobte Raben. „Man denkt ja immer, Unternehmensberater seien herzlose Geldzähler, aber da sieht man wieder, wie falsch solche vorschnellen Urteile sind… Sind Sie selbstständig oder arbeiten Sie bei einer Firma?

    „Nein, selbstständig möchte ich gar nicht sein. Ich arbeite bei Restorff Consulting. Sehr angenehmes Betriebsklima."

    „Restorff?, überlegte Raben. „Restorff? Den Namen kenne ich doch? Ist er nicht mit Melanie Seeger verheiratet, der Kriminalschriftstellerin?

    „Ja, das stimmt. Sie lesen Kriminalromane? Nicht nur hochwertige Literatur?"

    Raben lachte kurz auf. „Halten Sie diese Unterscheidung für sinnvoll? Es gibt Kriminalromane, die hohe Literatur sind!"

    „Poe, warf Fritzi ein, die sich offenbar vernachlässigt fühlte. „Und Schiller.

    Verbrecher aus verlorener Ehre, nickte Raben, „sehr gut, Friederike. Aber natürlich hat die deutsche Literatur da leider nicht die gleiche glorreiche Tradition wie die angelsächsische.

    „Dorothy Sayers, murmelte Sophie, „Agatha Christie. Conan Doyle.

    „Sherlock Holmes!, krähte Fritzi. „Die Filme sind absolut geil! Sophie, kennst du den, wo dieser süße Schauspieler bloß ein Laken anhat und so in den Buckingham Palace geschleppt wird, und dann fällt das Laken runter?

    Sophie verdrehte die Augen zum Himmel. „Fritzi, wie alt bist du? Dreizehn?"

    Raben amüsierte sich sichtlich. „Jugendliche Begeisterungsfähigkeit! Wenn meine Geschwister davon etwas hätten, wäre ich nur zu froh. Übrigens habe ich zu Hause neben interessanten Dramenausgaben aus dem 18. Jahrhundert auch eine Erstausgabe von Dorothy Sayers´ „Strong Poison. Nicht unbedingt sehr wertvoll, aber doch sehr sehenswert… Würden Sie sie gerne einmal sehen?

    Sophie wollte schon ausweichend antworten, aber dann fiel ihr der intensive Blick Rabens auf: Er wollte wirklich, dass sie sich diese Erstausgabe ansah… egal, sie hatte ja sonst nichts vor, und Fritzi strahlte bei dem Gedanken, das Haus des verehrten Lehrers von innen zu sehen.

    „Gerne, sagte sie also mehr höflich als ehrlich, „das klingt tatsächlich interessant.

    „Au ja! Was haben Sie denn da für Dramenausgaben?"

    „Eine ganze Menge seltener Texte aus dem 18. und 19. Jahrhundert, auch Triviales, zum Teil mit recht merkwürdigen Abbildungen; Sie dürfen sich gerne einmal umschauen."

    „Dann machen wir das doch gleich, wenn alle ausgetrunken haben!", schlug Fritzi mit funkelnden Augen vor.

    „Fritzi!, mahnte Sophie leise. „Nicht so penetrant!

    „Entschuldigung, sagte Fritzi sofort. „Nerve ich Sie, Herr Dr. Raben?

    Der lachte wieder. „Aber nein! Ich habe es vorhin schon Ihrer Schwester gesagt, ich genieße diese Lebendigkeit. Kein Vergleich mit meinen Geschwistern. Er trank aus und schob seinen Krug weg. Fritzi sprang sofort auf. „Fertig? Dann aber los!

    Sie fuhren hinter Raben her, ziemlich lange. Sophie begann schon zu überlegen, wo zum Henker der Kerl eigentlich wohnte – zur Autobahn, dann nach Norden über die Leiß: Da war doch gar nichts mehr? Bloß noch Pampa…

    Nach der Brücke fuhren sie wieder nach rechts und an einem großen unbebauten Grundstück vorbei. Dann kam eher naturbelassenes Land mit verwilderten Sträuchern und ins Kraut geschossenen Bäumen, sie passierten ein Tor, an dessen Flügeln etliche Latten fehlten, und kurvten eine längere Auffahrt entlang.

    „Hat der ein Schloss oder was?", wunderte sich Sophie.

    „Warum nicht? Immerhin ist er von Stand, wie man in der Aufklärung sagte", antwortete Fritzi stolz.

    „Was meinst du damit?"

    „Dass er von Adel ist! Du weißt aber auch gar nichts, Sophie!"

    „Ich lebe eben im Hier und Jetzt, schoss Sophie zurück und bremste ab, weil Raben vor einem großen, ältlichen Haus stehengeblieben war. „Du kannst dafür keinen Internetauftritt so gestalten, dass eine Firma wieder lebensfähig wird. Und, ist er ein Graf oder sowas?

    „Nö", gab Fritzi ärgerlich zu. „Bloß ein von."

    „Wahnsinn!, spottete Sophie. „Echt ein Grund, auszuflippen.

    „Du bist doof", fauchte Fritzi und stieg aus. Sophie folgte ihr und sah sich um. Das Haus hatte es dringend nötig, fand sie. Bestimmt fünfzig Jahre hatte hier niemand mehr etwas gemacht – von den Fensterrahmen blätterte die Farbe ab, die Rankgitter neben der Haustür waren rostig, an der Fassade sah man die Wasserspuren.

    Während Sophie im Geiste zu einem Eimer Farbe griff, war Fritzi hingerissen. „Wie alt ist das Haus denn?"

    Raben seufzte. „Ziemlich alt, was? Und schlecht in Schuss. Aber direkt historisch ist es auch nicht. Etwas farbloser Jugendstil… 1909 haben es meine Urgroßeltern gebaut, anstelle eines anderen, das abgebrannt ist."

    „Ich finde es toll, beharrte Fritzi. „Ich wohne ja auch in einem Altbau, hinter der Uni, aber so schön ist das Haus nicht – und ich habe auch bloß ein WG-Zimmer. Sophie ist da ja so richtig prosaisch, die wohnt in einem weißen Würfel.

    „Vorsicht, Schätzelchen, warnte Sophie, „das nennt man Bauhaus-Stil. Auch wenn 2009 nicht direkt Original-Bauhaus ist.

    „Genau hundert Jahre Unterschied", stellte Raben fest. „Manchmal hätte ich auch gerne etwas Neueres. Mit einer richtigen Heizung, dichten Fenstern und einem kleinen Garten…"

    Er wollte die Haustür aufschließen und stellte fest, dass sie nur eingeklinkt war. Seufzend stieß er sie auf. „Alle wissen doch, dass sie abschließen sollen! Das ist hier eine verflixt einsame Gegend…"

    „Ach, Sie haben hier auch eine WG? Cool, Herr Doktor!", war Fritzi sofort begeistert.

    Raben verzog das Gesicht. „Nicht wirklich, Friederike. Drei meiner Geschwister wohnen immer noch hier."

    „Echt? Wie alt sind die denn?"

    Raben betete die Zahlen wieder her, und Fritzi wunderte sich lautstark: „Was! Aber die sind doch längst erwachsen? Find ich strange…"

    „Fritzi!", mahnte Sophie leise.

    Raben grinste etwas bitter. „Warum? Sie hat ja Recht. Die drei sind strange – Sie werden sie bestimmt gleich kennenlernen. Er schnupperte prüfend. „Und eine von ihnen bestimmt auch riechen…

    Sophie zog unwillkürlich auch die Luft ein. „Katzen, oder?"

    „Viele! Conny ist die reinste Catlady."

    „Aber Katzen sind doch total süß!, verwahrte sich Fritzi sofort. „Ui, da ist ja eine!

    Sie bückte sich, um die kleine schwarze Katze mit dem weißen Näschen und den weißen Pfoten zu streicheln, aber die fauchte, galoppierte davon und verschwand in den Tiefen des Hauses.

    „Die sind wohl alle nicht sehr anschmiegsam, warnte Raben, wenn auch etwas spät. Fritzi erhob sich enttäuscht. „Schade. Ich mag Katzen. Ich hätte auch gern eine, aber in der WG haben zwei Leute eine Allergie. Sophie, magst du nicht -?

    Sophie verdrehte die Augen. „Das arme Tier! Ich bin so wenig zu Hause – das müssten dann ja mindestens zwei sein, und das ist mir dann doch zu viel."

    „Kann ich verstehen, fand Raben. „Aber Conny hat nicht zwei – im Moment sind es sieben, glaube ich. Oder acht?

    „Hui", machte Sophie, die sich für das Thema nur in begrenztem Maße interessierte und Katzen auch nur mäßig faszinierend fand. Sie hatte überhaupt ein gestörtes Verhältnis zur Natur, überlegte sie kurz – keine Tiere, keine Pflanzen, keine Wanderungen…

    „Kommen Sie doch weiter", bat Raben da, und sie folgte ihm mit Fritzi in ein riesiges Wohnzimmer, in dem es noch stärker nach Katzen roch. Kein Wunder, zwischen den abgewohnten, aber bequem aussehenden Sofas standen doch tatsächlich mehrere Katzenklos herum, die man, fand Sophie, vielleicht einmal reinigen sollte. Auf einigen niedrigen Tischen, die im Stil (soweit überhaupt sichtbar) alle nicht zusammenpassten, lagen Spielmäuse, Stoffpüppchen, Zeitschriften, Papiere, viele ziemlich überreife Äpfel, eine Fernbedienung, ein Fernsehprogramm und mehrere DVD- und CD-Hüllen. Außerdem sah und roch man einen überquellenden Aschenbecher und mehrere halbleere Kaffeebecher.

    Raben drehte sich um und ertappte Sophie bei einem unwillkürlichen Naserümpfen. Er seufzte entschuldigend. „Ich weiß – alle benutzen dieses Zimmer, und keiner räumt hier jemals etwas auf. Ich habe auch nicht immer Zeit dazu. Bitte, kommen Sie weiter, wir gehen in mein Arbeitszimmer. Da sieht es wenigstens so aus, wie ich es mir vorstelle. Leider praktisch nur da."

    Vom Wohnzimmer führte ein Gang weiter, und dort holte er seinen Schlüsselbund heraus und schloss eine Tür mit mehreren Schlössern auf. Er lächelte Sophie und Fritzi etwas trübsinnig an. „Meine Geschwister finden es gemein, dass sie hier nicht reindürfen. Sie würden gerne meinen Rechner benutzen und meine Bücher verkaufen, um Katzenfutter oder Schlimmeres zu finanzieren."

    „Schlimmeres?" Fritzi machte große Augen.

    „Ludwig ist ein Junkie", war die knappe Antwort, dann stieß Raben die Tür auf und bat seine Gäste herein.

    Dieses Zimmer gefiel Sophie deutlich besser: Kamin, zwei bequeme Sofas, ein Lesesessel mit uralter Stehlampe, ein riesiger unordentlicher Schreibtisch (wäre es unhöflich, Herrn von Raben ein Büchlein zu Schreibtisch- und Dokumente-Management zukommen zu lassen? Leider ja, überlegte Sophie) und an zwei Wänden Regale voller alter, ganz alter und neuer Bücher und Broschüren. Ein Schränkchen gab es auch, aus dem Raben nun drei Gläser und eine Flasche holte.

    „Ein kleiner Sherry?"

    Fritzi nahm an, Sophie lehnte ab. „Ich muss ja noch fahren…"

    „Aber ein kleines Gläschen?"

    Sophie lächelte – wie sie hoffte, etwas stählern. Wie lächelte man eigentlich stählern?

    „Danke. Ich bin eine große Befürworterin von null Komma null Promille."

    „Auch im Biergarten?"

    „Klar. Wasser – und wenn ich so tun muss als ob, dann Apfelschorle, aber das süße Gschlamps mag ich eigentlich nicht besonders. Aber trinken Sie und Fritzi ruhig, ich fahre Fritzi nachher sowieso heim."

    Fritzi war ans Fenster getreten und schaute hinaus. „Toller Garten… sind das Apfelbäume?"

    „Und Kirschen. Mögen Sie sich welche pflücken? Wir haben wahre Massen, und niemand hat Lust, sie einzukochen."

    „Wir könnten sie alle pflücken und der Tafel bringen", schlug Fritzi tatendurstig vor.

    „Gute Idee, fand Sophie. „Lass vielleicht der Familie noch ein paar übrig, ja?

    „Haben Sie sowas wie einen Korb?" Fritzi war nicht zu bremsen.

    „Ich hole einen!"

    Sophie lächelte in sich hinein: Die Küche wollte er ihnen wohl nicht mehr vorführen – wie mochte die wohl erst aussehen? Das Haus war ein Saustall erster Güte; eigentlich schade drum, man hätte etwas daraus machen können: große Räume, hohe Decken, sogar ein bisschen Stuck, abgewetzte Holzböden. Eigentlich ein schönes Ambiente, ohne den Siff und den Mief. Armer Kerl – aber warum hatte er auch seine Geschwister nicht im Griff?

    Raben kam mit zwei Weidenkörben zurück, in die er Küchenpapier gelegt hatte. „Friederike, sind die so recht?"

    Fritzi bedankte sich leicht verlegen und zog mit den Körben durch die Fenstertür ab, die Raben einladend geöffnet hatte. Er bat Sophie, sich zu setzen, und setzte sich ihr gegenüber. „Möchten Sie wirklich nichts trinken?"

    „Nein, danke. Ich bin wunschlos glücklich."

    „Nicht einmal ein Wasser?"

    „Im Moment nicht, danke." Der Kerl war penetrant!

    „Ist es, weil es hier so unordentlich ist?"

    „Es ist, weil ich Moment keinen Durst habe, antwortete Sophie leicht gereizt. „Das ist ein schönes Zimmer.

    „Finden Sie?"

    „Sonst hätte ich es nicht gesagt. Gute Proportionen – und genau so, wie man sich eine Gelehrtenstube vorstellt. Sie lächelte. „Ich könnte mir vorstellen, dass Fritzi von so etwas träumt – ein solches Arbeitszimmer, eine Professur, in Bibliotheken herumstöbern, unentdeckte Schätze heben, so etwas wie vergessene Romane, zu Unrecht verachtete Autoren… davon schwärmt sie mir oft vor.

    „Ja, Friederike ist die geborene Germanistin, stimmte Raben zu. „Ihnen liegt so etwas nicht so sehr?

    „Sie sollten mal mein Arbeitszimmer sehen", grinste Sophie breit.

    „Das würde ich gerne", war die prompte Antwort und Sophie war leicht verblüfft. Baggerte der sie hier etwa an? Sie war die ältere Schwester seiner vielversprechenden Studentin, mehr nicht – also was sollte das jetzt? Sie hatte schon den Mund geöffnet, um das Gespräch wieder auf eine sachlichere Ebene zurückzuführen, als von draußen Gekreisch ertönte.

    Sie sprang auf. „Fritzi! Da ist was passiert!"

    Von Raben gefolgt, rannte sie nach draußen, froh, dass sie keine High Heels trug, denn der ungepflegte Rasen war voller Maulwurfshügel und langrankiger Unkrautnester.

    „Fritzi, was ist los? Hast du dir den Fuß verknackst?"

    „Wäre bei diesen Scheißmaulwürfen kein Wunder", ertönte es hinter ihr.

    „N-nein… Fritzi war ganz bleich und zitterte. Sie stand unter einem Kirschbaum, neben sich die Körbe, einer schon fast halb gefüllt, und zeigte auf einen Strauch, der einige Meter entfernt war. „Da!

    Sophie spähte in die angegebene Richtung. „Da liegt ein Sack oder sowas. Vielleicht Laub?"

    „D-das ist kein Sack! Da liegt einer! Und ich g-glaube, der ist tot…"

    „W-was?" Offenbar war Fritzis Stottern ansteckend. Sophie schaute noch einmal genauer hin, aber Raben lief an ihr vorbei und auf das Gebüsch zu. Sophie sah ihn in die Knie gehen, etwas ungelenk, und die Leiche – jetzt konnte sie auch erkennen, dass das kein Laubsack war – umdrehen. Dann gab er einen gequälten Laut von sich, und Sophie eilte zu ihm, während Fritzi immer noch starr dastand und gar nicht merkte, dass sie eine Kirsche zwischen den Fingern zerdrückte und der Kirschsaft ihre Jeans bekleckerte.

    Raben sah zu Sophie auf. „Das ist Ludwig… Ludwig! Ludwig, was ist passiert?"

    „Ihr Bruder? O Gott…"

    Der Tote sah ziemlich friedlich aus, Verletzungen waren keine zu sehen, die Augen waren geschlossen. Sehr blass war er, und die Haut um die Lippen war etwas bläulich verfärbt.

    „Ich rufe den Rettungsdienst, ja?", kündigte sie an, registrierte das Nicken Rabens und tippte 112 ins Smartphone.

    „Haben Sie nicht gesagt, er hat ein – äh – Drogenproblem?, fragte sie etwas später, ratlos, was sie nun am besten sagen sollte. Raben sah zu ihr auf. „Ja, leider. Er hat sogar mal versucht, hier im Garten Gras anzubauen.

    „Aber von Cannabis stirbt mal doch eigentlich nicht, oder? Er müsste, wenn, etwas Härteres genommen haben."

    Seufzen. „Schaut ganz so aus, ja."

    „Hat er Einstiche?" Sophie kam sich selbst etwas kaltschnäuzig vor, aber vielleicht half es Raben ja sogar, wenn er etwas Sachliches zu bedenken hatte?

    Raben schob auch tatsächlich den schmutzigen T-Shirt-Ärmel hoch. Angesichts der Hämatome um die zahlreichen Einstiche entfuhr ihm ein „Scheiße… dass es so arg ist, ist mir gar nicht aufgefallen. Da hätte ich wirklich besser aufpassen müssen."

    „Ich glaube nicht, dass jemand, der schon so weit ist, noch groß beeinflussbar ist, versuchte Sophie zu trösten und hörte erleichtert in der Ferne ein Martinshorn. Auch Fritzi war aus ihrer Lähmung erwacht und trat näher. „Ist das sein Bruder?, flüsterte sie Sophie zu. Die nickte.

    „Scheiße… das ist bitter. Aber von den anderen scheint keiner da zu sein, oder?"

    Raben stand etwas mühsam wieder auf. Untrainiert und ein bisschen moppelig, dachte Sophie sich. Himmel, ein erwachsener Mensch, und ließ sich so gehen und so von seinen Geschwistern zumüllen… ob die anderen auch solche Problemkinder waren? Ein Suchtproblem in der Familie, das war schon heftig. Armer Hund…

    Das Martinshorn wurde lauter und erstarb schließlich jaulend. Fritzi rannte zum Garteneingang und lotste die Sanitäter und den Notarzt an die richtige Stelle.

    Nach einigen Minuten hektischen Bemühens sah der Notarzt auf und schüttelte den Kopf.

    „Was ist denn passiert?", fragte Sophie, denn Raben schien wie gelähmt.

    „Schwer zu sagen. Er schaut wie ein Junkie aus, aber ob´s der Goldene Schuss war… einen Totenschein stelle ich jedenfalls nicht aus. Tanja?"

    Eine Sanitäterin zog ihr Smartphone heraus und informierte die Polizei.

    „Kennen Sie den Toten?", fragte der Arzt Sophie, und die schubste jetzt doch Raben leicht an.

    „Mein Bruder, murmelte der nach einem kurzen Moment der Verwirrung. „Und ja, er hatte ein Drogenproblem. Aber was er da so genommen hat, weiß ich leider auch nicht.

    „Wie alt war er denn?"

    „Fünfunddreißig. Wie lange er schon harte Sachen konsumiert hat, weiß ich nicht, aber ich schätze mal, bestimmt zehn Jahre."

    „Ein Wunder, dass er´s dann überhaupt so lange gemacht hat, murmelte der Arzt und inspizierte das Gesicht des Toten mit einem kleinen Lämpchen. „Hmm, brummte er dann. „Tanja?"

    Tanja beugte sich ebenfalls über das tote Gesicht. „Komisch – so bläulich, nicht?"

    „Kann das auf eine Vergiftung hindeuten?", mischte Sophie sich ein.

    „Möglich. Möglich ist fast alles… Sind Sie vom Fach?"

    „Absolut nicht."

    „Ludwig, murmelte Raben. Sophie riss sich von der nüchternen Frage nach der Todesursache los und trat zu ihm. „Wollen Sie nicht lieber reingehen? Das ist vielleicht ein bisschen zu viel für Sie?

    Raben sah sie an, als erwache er aus einem bösen Traum. „Was? Äh – ja, vielleicht…"

    „Kommen Sie. Fritzi, wenn die Polizei kommt, sagst du ihnen, wir sind in Herrn Rabens Arbeitszimmer?"

    „J-ja… Ich bleibe eh lieber draußen. Mir – mir ist schlecht."

    Sophie blieb stehen. „Arg?"

    „Ein bisschen. Frische Luft reicht. Ich hab eben noch nie eine – äh."

    Sophie drückte kurz und aufmunternd Fritzis Schulter, staunte einen Moment lang wieder einmal darüber, wie jung und zerbrechlich sie sich anfühlte, und nahm dann den benommenen Raben am Ellbogen. „Kommen Sie mit."

    Im Arbeitszimmer drückte sie ihn sanft auf ein Sofa, schenkte ihm noch einen Sherry ein und reichte ihm das Glas. „Gegen den Schock."

    Er sah müde auf. „Alkohol?"

    „Tee mit viel Zucker ist nicht da. Und ich will Sie ja nicht abfüllen. Mehr als ein Gläschen gibt´s nicht."

    Er trank gehorsam. „Meinen Sie, er hat eine Überdosis erwischt?", fragte er dann, ohne Sophie anzusehen.

    „Ich weiß es nicht. Unwahrscheinlich ist es wohl nicht, aber ich kannte ihn schließlich nicht."

    „Ich auch nicht. Er seufzte. „Anscheinend weiß ich gar nichts über meine Geschwister.

    Sophie setzte sich neben ihn. „Das sollten Sie nicht verallgemeinern. Schauen Sie, wenn – Ludwig? – ein Drogenproblem hatte, dann konnte er sich doch denken, dass Sie sich Sorgen machen und es nicht gutheißen können. Also hat er seine Probleme wahrscheinlich schon deshalb vor Ihnen verborgen."

    „Um mich nicht zu beunruhigen?"

    „Oder um sich Strafpredigten und ähnliches zu ersparen. Wie hat er das Zeug eigentlich finanziert?"

    „Das frage ich mich auch. Angeblich hat er studiert – mit fünfunddreißig noch kein Examen! – aber was er wirklich gemacht hat: keine Ahnung. Womöglich gedealt. Er sah sie gequält an. „Das wird ja immer schlimmer!

    Sophie wollte ihn ablenken und fragte nach den anderen. Er zuckte die Achseln. „Die Mädels - mei… Teresa ist verheiratet, die wohnt nicht hier, aber nicht weit weg. Sie schaut mit ihrer Kleinen öfter mal vorbei. Conny sammelt Katzen – eine haben Sie ja schon gesehen – und jobbt im Kratzbaum, um das Futter zu finanzieren. Im Urlaub hilft sie auf dem Gnadenhof hinter Eulenburg aus."

    „Eigentlich sehr nobel", lobte Sophie etwas unehrlich.

    „Ja, sicher – aber das klappt auch nur, solange sie hier gratis wohnt und isst und sich bei Bedarf den alten Kombi nehmen darf. Selbst ernähren könnte sie sich nicht."

    Sie wollte gerade nachfragen, was diese Conny denn gelernt oder studiert hatte, da klopfte es an die halb offene Fenstertür und sie sahen beide auf.

    Im Gegenlicht erkannte Sophie nur einen eher großen und eher schlanken Mann in Chinos und Tweedsakko.

    Raben machte eine müde Handbewegung und der Mann trat näher und zückte einen Ausweis. „Reuchlin, Kripo Leisenberg. Sie sind Dr. Benedikt von Raben?"

    Raben nickte schwächlich.

    „Und Ihnen gehört dieses Anwesen?"

    Erneutes Nicken.

    Eine junge Frau trat ein, zeigte ebenfalls einen Ausweis vor, setzte sich auf das andere Sofa und klappte ein Tablet auf, aus dem sie einen Metallstift herauszog.

    „Meine Kollegin Frau Kramer wird das Gespräch protokollieren", erläuterte Reuchlin das Offensichtliche und teilte seiner Assistentin (?) Name und Besitzverhältnisse mit.

    „Und Sie sind - ?", wandte er sich dann an Sophie.

    „Sophie Rauch. Meine jüngere Schwester Fritzi – Friederike – studiert bei Herrn von Raben. Wir haben ihn zufällig im Biergarten getroffen und Herr Doktor von Raben hat sich erboten, uns einige ältere Ausgaben von Kriminalromanen und Literatur des 18. Jahrhunderts zu zeigen. Sie wandte sich an ihren Nachbarn. „Es war doch 18. Jahrhundert?

    Raben nickte wieder. „Vor allem Empfindsamkeit."

    „Ja, fuhr Sophie dann fort, „und deshalb haben wir ihn hierher begleitet. Fritzi hat die Kirschbäume bewundert, unser Gastgeber hat ihr angeboten, den reichen Segen für die Leisenberger Tafel abzuernten, weil ihn hier eh keiner verbraucht – und dann haben wir Fritzi kreischen gehört, Ludwig von Raben gefunden und den Notarzt gerufen. Der wiederum fand die Todesursache unklar und hat Sie verständigen lassen.

    „Präzise zusammengefasst, lobte Reuchlin etwas mechanisch. „Sie sind auch Literaturwissenschaftlerin?

    „Gotteswillen! Ich bin Betriebswirtin, ich arbeite als Unternehmensberaterin und Effizienzcoach bei Restorff Consulting."

    Frau Kramer fluchte leise vor sich hin, anscheinend übertrug das Tablet die Handschrift nicht immer in sinnvollen Text. Sophie grinste kurz – so ging´s ihr auch immer, aber praktisch waren die Dinger doch…

    Eigentlich ein merkwürdiger Zufall – einmal brachte Raben jemanden mit nach Hause, und prompt fand er seinen toten Bruder. Wäre er alleine gewesen, wäre vielleicht alles viel schwieriger geworden…

    „Was hat Ihr Bruder denn so gemacht?", fuhr Reuchlin mit dem Gespräch fort.

    Raben zuckte die Achseln. „Langsam glaube ich, ich habe ihn gar nicht so gut gekannt. Eigentlich hat er studiert."

    „Mit - Reuchlin schaute in seine Unterlagen und zog ein ungläubiges Gesicht „- mit fünfunddreißig? Die Uni müsste ihn doch schon dreimal rausgeworfen haben?

    „Natürlich. Er hat mehrfach das Fach gewechselt. Erst war´s Geschichte und Politik, dann hat er daran das Interesse verloren – oder die ernsthafte Arbeit gescheut – und auf Volkswirtschaft umgesattelt.

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