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Das große Aufräumen: Kriminalroman
Das große Aufräumen: Kriminalroman
Das große Aufräumen: Kriminalroman
eBook433 Seiten6 Stunden

Das große Aufräumen: Kriminalroman

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Über dieses E-Book

Mühsam arbeitet Maja sich aus ihrem Stimmungstief heraus und bringt ihre mangelhafte Organisation im Beruf genauso in Ordnung wie ihre abscheuliche Wohnung: Vier Zimmer, Eigentum – aber der Geschmack der letzten Mieter?
So einfach ist die Reorganisation aber nicht: In der Schule geht ihr eine zunehmend verwirrte und aggressive Kollegin auf die Nerven – nur gut, dass es mit Luise, Hilde und Katja auch nette und unterstützende Kolleginnen gibt! Und zu Hause beobachtet Frau Heusler von nebenan das Ausmisten und Renovieren mit Argusaugen. Darf dieses obskure Fräulein Körner das überhaupt? Hat die denn keinen Mann, der sie kontrolliert?
Im Gegenzug fragt sich Maja, wo eigentlich Herr Heusler steckt – und eines Abends klingelt ein netter junger Mann bei ihr, stellt sich als Peter Heusler vor und fragt, ob Maja wisse, wo sein Vater hingeraten sei.
Gemeinsam machen sie sich auf die Suche und finden Frau Heusler und ihre arroganten Freundinnen immer verdächtiger. Der Kripo geht es bald genauso…
SpracheDeutsch
Herausgeberepubli
Erscheinungsdatum13. Feb. 2016
ISBN9783737563987
Das große Aufräumen: Kriminalroman

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    Buchvorschau

    Das große Aufräumen - Elisa Scheer

    Montag, 07.11.2011

    Als erstes warf sie ihre Schultasche in die Ecke, dann schleuderte sie die Schuhe von den Füßen, tappte auf Strümpfen ins Wohnzimmer und warf sich aufs Sofa. Heulen hätte sie mögen!

    So ein Scheißtag aber auch - alles war schief gegangen.

    Die Achte hatte gemault, weil sie die Schulaufgabe noch nicht fertig hatte. Die hatte sie in der Woche vor den Herbstferien schreiben lassen, also waren die zwei Wochen noch lange nicht vorbei. Naja, lange – am Mittwoch war Termin. Das würde sie schon noch schaffen, die erste Aufgabe hatte sie ja schon fast durch.

    Der Kurs war dünn besucht und unlustig. Alle sagten, die neue Q 11 sei so ein fleißiger Jahrgang, nett und pflichtbewusst. Ihr war das noch nicht so wirklich aufgefallen. Und – Mist, sie hatte die Absenzen nicht aufgeschrieben. Das hatte sie sich doch extra vorgenommen! Ob die das einkalkulierten? Bei der Körner können wir schwänzen, die schreibt uns nicht auf? Und dann fragten sie immer wieder das Gleiche, weil sie nicht zugehört hatten - waren die bei anderen Kollegen genauso?

    Die beiden Geographiekurse waren jedenfalls nicht besser als der Mathekurs. Und das Seminar – das hatte sie sich auch nicht selbst ausgesucht, das hatte sie geerbt. Schon bei der Vorstellung hatte es geheißen: „Die Kollegin, die Megacities angeboten hat, hat leider eine Risikoschwangerschaft. Sie müssten das Seminar übernehmen." Sie hatte stumm und wenig begeistert genickt, sie wusste ja nicht einmal, wie man so ein Seminar aufziehen sollte. Das wusste sie jetzt eigentlich immer noch nicht so genau.

    Und ihre eigene siebte Klasse war heute mal wieder unausstehlich gewesen. Der ewige Hickhack zwischen Tina und Sophia in der letzten Reihe, Rafael, der dauernd laut rülpste, was die anderen Jungs zu Begeisterungsstürmen hinriss, Lukas und Nini, die dauernd krähten Versteh ich nicht!... furchtbar.

    Wie machten das die anderen? Vierundzwanzig Wochenstunden, das war ja nicht zu schaffen!

    Hatte sie jetzt schon einen Burnout? Kaum angefangen, schon fix und alle? Wieso wirkten die anderen so munter? Die hatten doch auch nicht weniger zu tun – eher mehr? Die schreckliche Wintrich zum Beispiel, die hatte immerhin zwanzig Stunden und war obendrein Mitarbeiterin in der Schulleitung. Oder die Suttner als Herrin der Oberstufe. Na, wahrscheinlich hatten die einfach schon mehr Übung.

    Und bestimmt eine tolle Putzfrau. Missmutig sah Maja sich um.

    Scheußlich. Sie wohnte jetzt seit neun Wochen hier, und die Wohnung war einfach entsetzlich. Die Lage ging, ein Stück hinter der Uni, sie konnte sogar zu Fuß zur Schule gehen.

    Was hatte sie denn auch erwartet?

    Onkel Karl-Heinz hatte die Wohnung neu gekauft, irgendwann in den Achtzigern. Dann war er gestorben, Mama hatte die Bude geerbt und sie vermietet. Immerhin hatten diese superordentlichen Spießer das senffarbene Bad weiß kacheln lassen. Wenigstens etwas.

    Leider hatten sie sich nicht an Onkel Karl-Heinz´ grausigen Tapeten gestört. Im Wohnzimmer zum Beispiel senfgelb, geprägt, schimmernd – unglaublich: Wer stellte so etwas her? Dazu passend goldgelber, stark abgenutzter Teppichboden.

    Und jetzt musste sie hier vegetieren. Zu allem Unglück das auch noch.

    In dieser goldenen Hölle. Fehlten bloß noch goldene Fronten in der Küche – aber die war einfach aus Kiefernholz.

    Sie schloss die Augen: am besten ein Schläfchen! Dann riss sie die Augen wieder auf. Nein, für so was hatte sie keine Zeit, sie war schließlich total im Stress.

    Die Schulaufgabe!

    Der Beitrag für die Fachsitzung!

    Die Aufstellung für die Wintrich!

    Der Unterricht für morgen!

    Klamotten für morgen!

    Ihre Haare, ihre Augenbrauen, ihre Haut, ihre Speckröllchen. Ihre Fingernägel. Ihr – überhaupt alles!

    Alles war Mist. Und sie war selbst schuld. Eindeutig.

    Sie stand auf und streckte sich. Halb sechs… hatte sie so lange in der Schule herumgehangen? Unlustig schlurfte sie ins Arbeitszimmer, wo sich auf dem Schreibtisch (den sie schon hatte, seitdem sie ins Gymnasium gekommen war, und das war jetzt siebzehn Jahre her) Papiere, Ordner, Mappen, Bücher, ihr Notenbüchlein und alles Mögliche andere türmte.

    Wie sollte man da denn arbeiten? Musste sie aber. Wo war jetzt die Schulaufgabe der 8 b?

    Sie setzte sich, nachdem sie zwei Mappen, eine Formelsammlung, eine leere Bäckertüte und zwei Kugelschreiber vom Schreibtischstuhl entfernt hatte. Gründlich suchen war angesagt!

    Sie stapelte alles einigermaßen stabil auf, warf die Bäckertüte (und mehrere weitere, die unter dem Krempel auftauchten) ins Altpapier und fand ganz unten schließlich die Schulaufgabe. Sogar mit Notenliste und halber Musterlösung – offenbar hatte sie mal ganz solide angefangen.

    Der Blick auf die Notenliste verriet ihr noch mehr: angefangen ja – aber offenbar schnell wieder aufgehört. Sie hatte gerade bei zehn Leutchen die erste Aufgabe geschafft.

    Also, weiter machen!

    Was hätten die gleich wieder rechnen sollen? Auf welche Rechenschritte wollte sie Punkte geben? Sie studierte die Musterlösung und begann dann, nach dem Rotstift zu graben. Ah, hier!

    Einer der Stapel neigte sich und fiel schließlich vom Tisch.

    Maja war schon halb aufgestanden, aber dann beschloss sie, erst einmal ordentlich zu korrigieren.

    Fünf weitere schaffte sie, dann machte sich tiefe Lustlosigkeit breit. Sie starrte einige Minuten in die Luft, dann stand sie doch auf und sammelte die heruntergefallenen Zettel wieder auf. Als sie sich, den Stapel in der Hand, wieder aufrichtete, erstarrte sie: Was war das denn – letzte Mahnung? Wieso hatte sie das zwar geöffnet, aber offensichtlich den Inhalt nicht zur Kenntnis genommen? Sollte sie das jetzt nicht schnell bezahlen?

    Aber dazu brauchte sie ihr Handy, überlegte sie, wegen der TANs. Und wo das nun wieder steckte… Nein, noch fünfmal Aufgabe eins! Was, schon Viertel nach sechs? Ihr Magen knurrte.

    Na, wenigstens zwei.

    Nach Nummer siebzehn stellte sie sich auf die Waage. Mit etwas Herumrutschen, stärkerer Belastung links und Luftanhalten kam sie auf 88,6 Kilo. Heftig. Sie benutzte die Toilette und versuchte es noch einmal. Immerhin waren das doch bestimmt, na, zweihundert Gramm Flüssigkeit gewesen? Jetzt wog sie exakt 89 Kilo. So ein Blödsinn aber auch. Und die braune Cordhose saß verdammt stramm. Im Spiegel fand sie sich furchtbar. Aber ihr Magen knurrte trotzdem.

    Na gut, noch zwei.

    Neunzehn. In der Küche fanden sich eine halbe Tüte Kartoffelchips, die eklige Sorte, die so penetrant nach künstlichem Käsearoma schmeckte, eine steinharte Semmel, die sie vergessen hatte einzufrieren (letzte Woche oder so), ein Joghurt von Mitte Oktober, zwei matschige Bananen, eine Tafel Schokolade, weiß mit Crisp (lecker fettig) und eine Tütensuppe. Spargel mit Croutons. Von 2008! Die musste ja dann schon mit umgezogen sein – und da war sie schon überaltert gewesen. Toll.

    Sie schüttete die Chips auf einen Teller und kehrte ins Arbeitszimmer zurück.

    Wieder zwei.

    Moment – hatte sie die Steigung vorhin bepunktet? Ja, hatte sie. Gut, jetzt waren es einundzwanzig. Noch sieben!

    Nach jedem Exemplar aß sie eine Handvoll Chips und schüttelte sich. Wieso hatte sie nicht die mit Chili gekauft? Um halb acht war sie mit der ersten Aufgabe fertig - in dem Tempo schaffte sie das Ding bis Mittwoch nie.

    Wenn sie gewusst hätte, wie viel Stress so ein Lehrerdasein mit sich brachte… und dabei hieß es, Mathe und Geographie seien noch am harmlosesten!

    Mürrisch sah sie sich um. Das Arbeitszimmer war das reinste Chaos. Kunststück, wann hätte sie es denn herrichten sollen? Seit dem ersten Schultag war sie nur am Rödeln wie ein Hamster im Rad!

    Na, meistens jedenfalls. In den Ferien hatte sie sich erst einmal ordentlich ausschlafen müssen. Und gegen den Fernsehentzug ankämpfen. Und diese wüsten Krimis lesen, bei denen der Kommissar in jedem Band mit einer anderen Verdächtigen ins Bett stieg… war das nicht eigentlich verboten? Konnte ihr aber auch egal sein.

    Aber das Arbeitszimmer war einfach schrecklich. Onkel Karl-Heinz war offensichtlich farbenblind gewesen – beige Struktur mit braunen und grünen Schlieren, als hätte jemand Gemüsepampe an die Wände geschmiert!

    Davor stand ihr wackliges Regal aus München, dem der Umzug überhaupt nicht bekommen war. Ja, wenn sie das Stützkreuz wieder gefunden hätte! Die Fächer waren bis obenhin vollgestopft mit Ordnern, dem Krempel aus dem Referendariat, losen Zetteln, Schulbüchern, Stiften, CDs, USB-Sticks, diversen Krimis, die hier eigentlich nichts zu suchen hatten… und alles, was nicht mehr ins Regal gepasst hatte, türmte sich auf den beiden Umzugskisten daneben.

    Wahrscheinlich war in den Kisten lauter total wichtiges Zeug, aber wie sollte sie das feststellen? Wenn sie die Kisten auspackte, lag hier noch mehr herum und die Unordnung wurde bloß noch größer. Verdammt, es sah ja überall so aus! Im Kleiderschrank stapelten sich die Klamotten, von denen allerdings ein guter Teil teuflisch eng saß. Eigentlich trug sie immer die gleichen paar Sachen… Hatte die Wintrich sie heute etwas befremdet gemustert? Bloß weil sie dieses Sweatshirt zum dritten Mal getragen hatte? Hätte sie sich ein Schild umhängen sollen „Ich hab aber ein frisches T-Shirt drunter"?

    Die Wintrich nervte sowieso. Wie konnte man so perfekt sein? Bei fast einsachtzig wog die bestimmt bloß sechzig Kilo. Immer in Bleistiftröcken oder schmalen Hosen, immer in schicken Blazern, darunter bessere T-Shirts oder Blusen, immer in schönen geputzten Schuhen, immer ordentlich frisiert und dezent geschminkt… und die Schüler beteten sie an und hatten auch ein kleines bisschen Angst vor ihr – beneidenswert. Außerdem war die Frau kaum über dreißig und saß schon in der Schulleitung… ob die was mit dem Chef hatte?

    Aber da gab´s ja auch diesen Schönling, der sie freitags abholte und offenbar bei der Konkurrenz in Mönchberg arbeitete… nein. Sie konnte die Wintrich zwar so wenig leiden wie die Suttner oder die Herzberger (diese Bande von Streberinnen!), aber integer war sie bestimmt. Und mit dem Chef hatte keine was, für so etwas hatte sie eigentlich einen ganz guten Blick.

    Die Suttner hatte sie heute auch noch angeschnauzt. Bloß weil sie diese Liste nicht fristgerecht abgegeben hatte! Gut, sie hatte auch noch ein paar andere schwach angeredet – aber die hatten daraufhin betreten die Listen zutage gefördert und ihr in die Hand gedrückt – und sie selbst? Sie fand das blöde Ding eben nicht mehr, was sollte man denn da machen!

    „Himmel, sag´s halt gleich, dann kriegst du einfach eine neue! Glaubst du, Totstellen hilft? Ich hab auch schon was verloren, dann besorgt man sich das Ding eben nochmal!" Und dazu ein Blick, als sei Maja noch in der Unterstufe.

    Ganz Unrecht hatte sie da leider nicht.

    So konnte es nicht weiter gehen.

    Die einzige, die genauso hilflos strampelte wie sie, war Claudia Merz, die Neue mit Deutsch und Geschichte. Und über die hatten sich am Freitag die Herzberger und die Suttner in Majas Hörweite unterhalten und gesagt: „Die Frau ist nicht überlastet, die ist einfach miserabel organisiert."

    Traf das auf sie auch zu? Musste sie sich auch besser organisieren?

    Wahrscheinlich ja. Verdammt, jetzt war es zehn nach acht – und saß hier und tat sich ziellos leid. So wurde das doch nie was.

    Auf zur zweiten Aufgabe! Was hatte sie gewollt? Den Schnittpunkt der beiden Geraden. Ansatz, zwei Rechenschritte, Ergebnis, Punkt in der Skizze markieren – nein, in der Angabe gab es sechs Bewertungseinheiten, also drei Rechenschritte. Gut, dann los. Fünf Stück, danach einen Hauch Aufräumen!

    Die fünf gingen so schnell, dass Maja gleich noch zwei anhängte. Prima, das erste Viertel! Und jetzt?

    Sie brauchte eine anständige Regalwand, aber nicht heute. Und weiß gestrichene Wände, aber nicht heute. Sie sah sich sinnend um. Die einzige tadellose Stellfläche war das tiefe Fensterbrett aus hellbraunem Travertin. Tief genug, um die Fenster zu kippen und trotzdem Bücher in zwei Reihen davor aufzustapeln.

    Also klappte sie die erste Kiste auf und guckte hinein. Ach – weitere Schulbücher? Sie nahm sie heraus und sortierte sie nach „total unwichtig und „weniger wichtig in zwei Stapel hintereinander. Danach mehrere Ordner – die Protokolle von Schulrecht, Schulpsychologie und Staatsbürgerkunde, zweimal Uni-Vorlesungen, dreimal Uni-Übungen… das war wirklich etwas für die zweite Reihe! Sie stellte die Ordner an der gegenüberliegenden leeren Wand nebeneinander auf, holte alle anderen Ordner aus dem überquellenden Regal und platzierte sie daneben - und faltete schließlich die leere Kiste zusammen und warf sie in den Flur. Sah schon etwas besser aus, fand sie. Sie hatte riesige Lust, jetzt weiter zu machen, aber die Schulaufgabe war dringender.

    Okay, die nächsten sieben!

    Die dauerten auch nur eine Viertelstunde – jetzt war es neun. Sie öffnete die nächste Kiste und stöhnte auf. Kopien! Die Kopien für die erste und die zweite Zulassungsarbeit! Brauchte sie das denn jemals wieder? Sie hatte gar keine Lust, den Mist durchzusehen, ob davon noch irgendwas verwendbar war.

    Bestimmt nicht. Beide Themen hatten mit dem aktuellen Lehrplan eher wenig zu tun – und wenn sie wirklich einmal darüber stolpern würde, dann hatte sie ja immer noch die Arbeiten selbst. Sie fand einen geeigneten Korb, zog die Heftstreifen aus den Kopien und legte alles umgekehrt in den Korb: Schmierpapier bis 2020! Unter den Stapeln förderte sie mehrere Dosen zutage, in denen es klapperte.

    Ach nein – Büroklammern, ein abgebrochenes Lineal, Stifte, Kugelschreiberminen, Patronen (aber zu welchem Füller sollten die denn passen?), Buntstifte, die sachte vor sich hin bröselten… Sie kippte fast alles in den Müll und trug die Dosen in die Küche – bei Gelegenheit gehörten sie in die Spülmaschine.

    Die leere Kiste kam zur ersten in den Flur.

    Halb zehn.

    Nummer 15 bis 21 – viertel vor zehn.

    Danach reichte es ihr. Sie lief noch einmal alle Zimmer ab – Wohnzimmer: Chaos, Arbeitszimmer: Chaos mit einer winzigen Schneise darin, Schlafzimmer: bäh. Viertes Zimmer: Gerümpel – und keine Ahnung, was das einmal werden sollte. Die Küche sah grausig aus, das Bad war nicht viel besser. Und geputzt hatte sie schon länger nicht mehr, man sah´s.

    Sie zog sich aus, kniff sich missmutig in den Hüftspeck und die Bauchfalten, beschloss, sich erst morgen früh zu wiegen, schrubbte sich das Gesicht, putzte die Zähne, cremte sich ein – warum hatte sie eigentlich so viele angebrochene Cremetuben und –töpfchen? – und schlüpfte in ein nicht wirklich frisches Nachthemd. Morgen musste sie dringend auch mal Wäsche waschen. Morgen hatte sie aber bis Viertel nach vier Unterricht, fiel ihr ein, als sie das Licht ausknipste. Da kam sie auch wieder zu nichts. Und was wollte sie morgen im Unterricht machen? Mathe 10, Mathe 7, Geo 12, Seminar Geo. Da hatte sie diesen Basistext über die Charakteristika einer Megacity, damit waren die Teilnehmerinnen beschäftigt. Immerhin – aber eng wurde es morgen bestimmt wieder. Verdammter Mist.

    Dienstag, 08.11.2011

    Wenigstens war sie einigermaßen rechtzeitig aufgestanden, lobte sie sich selbst am nächsten Morgen. Sie konnte duschen, die zweite Aufgabe fertig korrigieren, zwei Tüten voller Müll stopfen – sie hätte sogar frühstücken können, wenn etwas Verlockendes im Haus gewesen wäre.

    Und sie hatte daran gedacht, sich im richtigen Moment auf die Waage zu stellen. Das allerdings hatte ihr die Laune gleich wieder verdorben: Achtundachtzig Kilo – bei 1.76! Eindeutig zu viel. Aber das hätte sie sich auch so denken können, wenn sie an ihre kneifenden Klamotten dachte.

    Was dürfte sie denn wiegen, überlegte sie, während sie die richtigen Mappen und Bücher in ihre Tasche packte. Halt, Geld und Schulschlüssel auch. Und Handy.

    Maximaler BMI 25, mal 1.76 zum Quadrat… 77,44 - auch ganz schön viel. Und mit 20? 61,95. Ja, das hörte sich schon besser an. Puh, Sechsundzwanzig Kilo Übergewicht! Heftig.

    Nichts mehr essen. Aber dann gab es den Jo-Jo-Effekt. Diäten klappten ja doch nie. Wie machten das diese perfekten Weiber – Wintrich, Suttner, Herzberger? Die hatten alle Modelmaße, aber magersüchtig sahen sie auch nicht aus. Sie musste mal beobachten, was die so futterten.

    Sie schulterte ihre Tasche, packte die beiden Mülltüten und den Schlüssel und verließ die Wohnung. Im Hof entsorgte sie die Tüten und trabte dann zur Schule. Zehn Minuten, das war eigentlich ideal. Nah genug für kurze Wege – aber weit genug entfernt, dass keine Schüler in der Nachbarschaft wohnten. Das lag wohl einfach an der Gegend – typisch für Studenten und vielleicht noch Berufsanfänger, aber wer Kinder bekam und es sich leisten konnte, zog hinaus nach Leiching, Mönchberg oder Zolling, wer sich nichts leisten konnte, versuchte es mit Selling, wo es mehr Grün gab und größere Wohnungen, wenn dort auch eine fast schon beklemmende Fünfziger-Jahre-Atmosphäre herrschte, wie sie gehört hatte. Irgendwann musste sie sich die Gegend dort mal anschauen. Irgendwann, ja.

    In den nächsten Sommerferien?

    Dann kam sie vielleicht mal zum Verschnaufen.

    Jedenfalls war die Maria-del-Pilar-Straße zwar nicht besonders schön, aber ruhig. Die Häuser waren meist brutal sanierte Altbauten mit einteiligen Fenstern, scheußlichen Haustüren und von Stuck befreiten Fassaden, die früher einmal riesigen Hinterhöfe wiesen jetzt meist ein Hinterhaus auf wie das, in dem sie wohnte – in den Achtzigern neu in den Hof gepflanzt. Nachverdichtung nannte man das wohl. Immerhin hatte man in dieser Zeit die meisten Vorderhäuser wenigstens mal frisch gestrichen – quietschbunt. Das Vorderhaus von Nummer 7 war himbeerrosa, das Nebenhaus pistaziengrün. Wie ein Eisbecher.

    Zitronengelb, vanillebeige – Straßenkreuzung.

    Der Gedanke an Eis ließ ihren Magen knurren und erinnerte sie daran, dass sie noch nicht gefrühstückt hatte. Also betrat sie an der übernächsten Ecke den Bäckerladen und kaufte sich zwei Croissants, eine Käsebreze und ein kleines Cola. Das musste bis vier eben reichen.

    Na, und wenn nicht, musste sie halt schauen, was es in der Mensa gab. Wozu hatte sie in der 7. und 8. Stunde denn frei? Sie reihte sich, in der Schule angekommen, in die Schlange vor dem Kopierer ein.

    Mist, der Text fürs Seminar hatte einen großen Fettfleck von der Käsebrezentüte – hoffentlich sah man das auf den Kopien nicht so deutlich!

    Bevor sie an der Reihe war, kam die Suttner ins Lehrerzimmer, hängte etwas an das Brett für die Oberstufe, erinnerte die Dubois daran, dass sie für den Französisch-Konversationskurs noch eine Lehrplanskizze abgeben musste, und registrierte dann Majas Anwesenheit.

    „Ah, guten Morgen, Frau Körner. Alles klar?"

    „Ja, danke – warum?", entgegnete Maja vorsichtig.

    „Ich hab einen Anschlag auf Sie vor", bekannte die Suttner. Maja legte misstrauisch den Kopf schief.

    „Heute ist die Geschichte/Sozialkundeklausur für die Q 12. Mir ist für die vierte Stunde eine Aufsicht ausgefallen – könnten Sie? Nur aufpassen, am Ende einsammeln und Geschichte der Frau Herzberger ins Fach legen und Sozialkunde dem Herrn Hemmerle."

    Maja nickte. „Lässt sich wohl nicht vermeiden."

    Die Suttner lächelte. „Vielen Dank! Frau Merz, könnten Sie bitte auch, in der Dritten? Herr Hemmerle hat ja auch selbst einen Kurs in Geschichte und Sozialkunde und ist heute ebenfalls krank."

    „Muss das ausgerechnet ich sein?", maulte die Merz.

    „Ich habe keine große Auswahl, entgegnete die Suttner nicht ohne Schärfe. „Alle anderen haben entweder Unterricht, sind schon als Vertretungen verplant oder hätten dann sieben Stunden ohne Pause. Das ist eine Zumutung.

    „Ich hab heute auch schon drei Stunden und wollte in der Dritten was besorgen, murrte die Merz. „Krieg ich das wenigstens bezahlt?

    Maja staunte über diese Frechheit.

    „Natürlich nicht. Frau Merz, ich habe die Zustimmung des Vertretungsplaners und Sie waren in diesem Schuljahr noch nie als Vertretung eingesetzt. Also weise ich Sie an, diese Aufsicht wahrzunehmen."

    „Und wenn nicht?"

    Die Suttner, die schon gehen wollte, fuhr herum. „Das würde ich Ihnen nicht empfehlen – Sie möchten doch eines Tages auf Lebenszeit verbeamtet werden, oder? Arbeitsverweigerung macht sich da ganz, ganz schlecht."

    Als die Suttner gegangen war, murrte die Merz immer noch herum und ging allen damit auf die Nerven.

    „Mein Gott, sei froh, dass du nicht der Hemmerle bist!, fuhr die Herzberger sie schließlich vom Ende der Schlange her an. „Der hat nachher vier Sätze Klausuren zu korrigieren. Und ich übrigens auch. Scheiß-Sozialkunde. Frau Körner, vielen Dank. Ich räume gleich mein Fach leer, damit Sie nachher mit meinem Packen keine Probleme haben.

    Maja lächelte ihr verlegen zu und klappte den Deckel des Kopierers auf. Der Fettfleck war grausam deutlich zu sehen, und die Herzberger schnupperte amüsiert. „Hm, riecht nahrhaft. Käsebreze vom Bäcker Bemmel, vermute ich."

    „Woher wissen Sie das?" Maja war verblüfft.

    „Der hat die besten. Kleiner Tipp: Brotzeit in eine Plastiktüte packen."

    „Katja, du bist ein Ökoschwein!", rief jemand von hinten.

    „Na, Jute hilft da nichts. Meinetwegen so eine Nylontragetasche aus dem Drogeriemarkt. Noch besser ist eine Brotzeitbox mit was selbst Geschmiertem. Der Bemmel hat zwar leckere Sachen, aber es hieß mal, er nimmt Analogkäse."

    „Iih, echt jetzt?", war die Merz sofort abgelenkt.

    „Keine Ahnung. Ein Gerücht eben." Maja kopierte fertig, stellte fest, dass der Fettfleck nur schwach sichtbar war und als Kopierfehler durchgehen konnte, und verzog sich mit ihrem Kram an ihren Platz. Zuerst Mathe 10 und Mathe 7. Die anderen Mappen stapelte sie auf ihrem Platz auf, die brauchte sie ja erst später.

    Die Wintrich saß an dem Platz, den sie manchmal okkupierte, obwohl sie ein eigenes Büro nebenan besaß, und schrieb in ihr affiges Zeitplanbuch. Also, wer so etwas schon brauchte… konnte die sich nichts merken?

    Die Merz setzte sich neben Maja. „Ich finde es total gemein, dass ich diese Aufsicht machen muss", fing sie wieder an.

    „Wer soll´s denn sonst machen?", fragte Maja.

    „Irgendwer anders halt. Mir doch egal."

    Das fand Maja auch nicht gerade sehr sozial. „Wer anders kann aber offenbar nicht. Hast du doch gehört."

    „Wieso schreiben die überhaupt so lange?"

    „Weil es zwei getrennte Klausuren sind, die laut KM aber gleichzeitig stattfinden müssen. So kommen da neunzig Minuten zusammen, erläuterte die Wintrich quer über die lange Tafel hinweg. „In der vierten Stunde sind im Allgemeinen die Lehrer eingesetzt, denen da der reguläre Q 12-Unterricht entfällt, in der dritten brauchen wir nur Aufsichten, wenn der reguläre Geschichtslehrer flachfällt. Wie eben bei Ihnen, Frau Merz.

    Die brummelte, unüberzeugt. Maja konnte sie einerseits verstehen, denn Claudia war auch so eine Chaotin wie sie selbst – kreatives Chaos, oder? – andererseits fand sie sie aber doof, denn sie hatte ganz offensichtlich das Hauptbestreben, so wenig wie möglich zu arbeiten.

    Die Wintrich warf Claudia einen misstrauischen Blick zu – verdächtigte sie sie, dann eben krank zu werden, um die Aufsicht nicht machen zu müssen?

    „Ich kenn die doch gar nicht!", jammerte Claudia jetzt.

    „Ist doch egal, fand Maja. „Wozu musst du sie kennen? Wenn du einen Spickfratz beim Namen nennen willst, guckst du halt, was er auf sein Blatt geschrieben hat. Oder gehst hin und fragst, ob er sofort abgeben möchte.

    „Wa-as?"

    „Stimmt, sagte die Wintrich. „Ach ja, Frau Körner – haben Sie sich schon Gedanken über den schulinternen Mathetest gemacht? Sie hatten die siebten Klassen übernommen, wenn ich mich recht erinnere?

    Mist.

    „Gedanken schon, log Maja also (hoffentlich einigermaßen überzeugend), „aber ich hab den Schmierzettel zu Hause und jetzt leider gar nichts präsent. Soll ich ihn morgen mal mitbringen? Die Wintrich lächelte. So sah sie richtig nett aus, fand Maja plötzlich. „Das wäre toll, danke."

    Ganz klasse, ärgerte sie sich hinterher. Sie musste heute die dämliche Schulaufgabe fertig machen, kam nicht vor halb fünf nach Hause und hatte jetzt noch diesen Test am Bein, über den sie sich dringend „Gedanken machen" sollte. Wann sollte man in diesem Beruf eigentlich mal schlafen? Oder Wäsche waschen, putzen, sich Regale kaufen, was essen oder Gott behüte einen Krimi lesen? Oder bloß Nachrichten gucken, wie es sich für einen braven Staatsbeamten geziemte?

    Harter Abend.

    Aber eigentlich hatte sie ja auch noch drei Freistunden – zwei, sieben, acht. Vielleicht ging da ja was. Wenigstens so weit, dass sie den Mist zu Hause bloß noch zu tippen brauchte? Jetzt war aber erst einmal Unterricht angesagt.

    Sie betrat das Klassenzimmer so schwungvoll, dass die Schüler sie ganz erschrocken ansahen. „Schreiben wir ein Ex??"

    „Was? Nein, wieso?"

    „Sie schauen heute so energisch…"

    Maja grinste in die Runde. „Tut mir Leid. Aber bestimmt bald mal, versprochen!"

    „Och, machte Tom in der ersten Reihe, „muss eigentlich nicht sein. Machen Sie sich bloß keinen Stress.

    „Für euch tu ich das doch gerne, gab Maja zurück. „So, und wie sind die Hausaufgaben gelaufen?

    Allgemeines Gejammer und jede Menge blöde Ausreden. Sie notierte sich heute tatsächlich, wer schon wieder nichts gemacht hatte, und besprach dann mit den paar Leuten, die tatsächlich die Nullstellen der Parabeln bestimmt hatten, die Lösungen. Es folgten die Wiederholung von Scheitelform und des Satzes von Viëta. Sie wollte gerade noch auf Funktionen der dritten Potenz eingehen, als es läutete. Also gab sie rasch noch einige Aufgaben zur Scheitelform auf und wünschte einen schönen Tag.

    Komisch, dachte sie auf dem Weg ins Lehrerzimmer, heute war es viel besser gelaufen. Warum bloß? War das das Negativbeispiel von Claudia Merz? So ein Jammerlappen wollte sie wirklich nicht sein – überfordert mit drei Stunden!

    Vielleicht war´s das wirklich. Das Lächeln der Wintrich konnte ja wohl kaum so eine Wirkung haben, oder?

    An ihrem Platz angekommen, schlug sie das Mathebuch der siebten auf und suchte sich die Hauptkapitel aus. Aufgaben dazu waren schnell gefunden, dazu noch ein paar Details zum Grundwissen aus der Sechsten – Prozente und Brüche. Bis es zur kleinen Pause läutete, hatte sie einen ganz praktikablen Entwurf geschafft und war ausgesprochen zufrieden mit sich. Warum war sie nicht immer so effizient?

    In der dritten Stunde hatte sie Sprechstunde, aber glücklicherweise kam niemand – sie hatte nämlich die Mappe mit den aktuellen Notenlisten zu Hause vergessen. Das musste auch besser werden!

    Immerhin verlief die Klausuraufsicht so reibungslos wie die Stunde im Geo-Kurs der Q 12 – abgesehen davon, dass der Kurs recht geschrumpft wirkte. Maja schrieb sich diejenigen auf, die fehlten: Vermutlich mussten sie sich im Café gegenüber von der G/Sk-Klausur erholen. Ihrem finsteren Blick begegneten die paar Anwesenden mit heiter-ausdruckloser Miene.

    So, jetzt wieder zwei Freistunden! Maja wühlte in ihrer Tasche herum, förderte die beiden Croissants zutage, aß sie auf, woraufhin sie ihr wie ein Stein im Magen lagen, und kramte weiter. Ach – ein USB-Stick? Was war denn eigentlich drauf? Nebenan war auch einer der Computerarbeitsplätze frei, also fuhr sie den Rechner hoch und steckte den Stick ein.

    Lauter Mist. Und nichts aufgeräumt!

    Sie verbrachte eine Viertelstunde damit, einige Ordner einzurichten, die brauchbaren Dateien dahin zu verschieben und den Rest zu löschen, dann tippte sie den Entwurf für den schulinternen Jahrgangsstufentest, las ihn Korrektur, druckte ihn zweimal aus, speicherte ab und loggte sich wieder aus.

    Heute war sie richtig gut, fand sie.

    Ein Exemplar steckte sie in eine ihrer Mappen (hoffentlich konnte sie sich merken, in welche!), das andere in das Fach der Wintrich. Zu Hause konnte sie ihr das Ding ja auch noch als E-Mail-Anhang schicken. So merkte doch keiner, dass sie überhaupt erst heute damit angefangen hatte?

    Jetzt hatte sie immer noch eine Stunde Zeit – was tun? Megacities, fiel ihr ein. Sie lochte die Fettfleckkopien und überlegte dann, was sie noch tun konnte. Vielleicht reichte der Text nicht die ganze Zeit, dann konnten die Seminarleute doch vielleicht im Internet recherchieren. War denn ein Computerraum frei?

    Als sie im Hauptraum nachsah, kam ihr Wintrichs Schätzchen entgegen, ein bildschöner Mann, so schön, dass sie ihm mit offenem Mund entgegenstarrte.

    „Hallo, sagte der vergnügt, „ist Luise hier irgendwo?

    „Luise?, echote Maja dümmlich. „Keine Ahnung, tut mir Leid. Ist sie nicht in ihrem Büro?

    „Ach, ich schau schnell selbst nach, danke."

    Er trat an den großen Stundenplan und Maja ärgerte sich über sich selbst. Wie konnte man so tölpelhaft sein! Ich hab eine Wassermelone getragen, murmelte sie vor sich hin. „Was?", fragte die Suttner, die neben ihr aufgetaucht war.

    „Ach, nichts", wehrte Maja unwirsch ab.

    „Hi, Christoph!, wandte sich die Suttner sofort wieder ab. „Luise ist beim Chef, aber sie kommt gleich.

    Lächelnd war er womöglich noch entzückender. Maja sah schnell nach, ob der Computerraum in der zehnten Stunde frei war – er war´s – und verschwand dann wieder im Rechnerraum. Die Wintrich hatte vielleicht ein Schwein… Aber sie sah ja auch auf ihre kalte Art gut aus und war ekelerregend perfekt. Dazu passte er auf jeden Fall.

    Wintrich, Suttner, Herzberger: Maja hasste sie alle drei – schön, schlank, erfolgreich, gut organisiert – die vergaßen nichts, die konnten alles, denen gehorchte jeder und der Chef fraß ihnen aus der Hand. Wahrscheinlich hatten sie zu Hause auch noch toll aufgeräumt, ihr Auto gewaschen und alle Klamotten gebügelt.

    An ihren Kleiderschrank wollte Maja lieber nicht denken – von ihrem zusammengebrochenen sechzehn Jahre alten Polo mal ganz zu schweigen. Der war überhaupt der Grund, warum sie es noch nicht zu neuen Möbeln gebracht hatte, fiel ihr ein. Und bevor sie Möbel oder gar ein Auto kaufen konnte, musste sie erst einmal ihr Konto inspizieren. Und bevor sie das tun konnte, musste sie erst einmal nachsehen, welche PIN sie fürs Online-Banking hatte.

    Schade, hier hätte sie prima ihre Bankgeschäfte erledigen können – wenn sie diese blöde PIN gewusst hätte! Sie war eben doch eine Chaotin…

    In Ermangelung einer besseren Tätigkeit packte sie ihre Tasche komplett aus, sammelte alle verknüllten Kassenzettel, Büroklammern und Staubflusen ein und kippte alles in den Papierkorb bzw. in den großen Büroklammerntopf auf dem Mitteltisch. Dann sah sie ihre Mappen durch und warf veraltete Kopien weg. Zufrieden packte sie danach die geringfügig schlankeren Mappen wieder ein, schraubte die Kappen auf die Folienstifte, erneuerte die Kreide in der kleinen Blechdose und wischte mit einem Taschentuch das verstaubte schwarze Nylon wieder blank.

    So, aufgeräumt war, gegessen hatte sie auch, der Computerraum war reserviert – was nun? Zum ersten Mal, seitdem sie im September diese Stelle angetreten hatte, empfand sie keine Hektik. Merkwürdiges Gefühl. Ob die anderen das auch kannten?

    Sie sah sich um. Die Wintrich verabschiedete sich gerade mit einem diskreten Küsschen von ihrem Prachtexemplar, die Suttner entfernte Anschläge vom Oberstufenbrett, die Herzberger trank Kaffee und las etwas – dem feuerrot/schwarzen Umschlag zufolge einen Krimi -, die Merz kämpfte mal wieder mit den Tränen, Liegnitzer eilte mit einigen Zetteln zum Kopierer, drei Referendare saßen an dem Tisch neben dem Rechnerraum und lachten halblaut miteinander und aus dem Rechnerraum selbst hörte man gedämpftes Klappern der Tastaturen. Arbeit ja, aber eigentlich eine recht entspannte Atmosphäre. Vielleicht lag das auch am Nachmittag… da war alles halb leer und eine merkwürdig gedämpfte Ruhe lag über der Schule.

    Viertel vor drei war es jetzt auch gleich. Sie schulterte ihre Tasche und machte sich auf in ihren Seminarraum.

    Immerhin waren sie fast alle da – nur Annika fehlte. Mal wieder! Maja machte sich eine entsprechende Notiz, wobei sie sich sehr effizient und wohl organisiert fühlte, und begann dann mit dem Text über die Megacities.

    Die Teilnehmer arbeiteten eifrig, zogen zur festgesetzten Zeit in den Computerraum um und recherchierten in Kleingruppen über diejenigen Megacities, die Maja ihnen empfohlen hatte. Eigentlich lief es doch sehr gut, fand Maja. Warum also etwas ändern? Oder hatte sich jetzt schon etwas geändert?

    Lief heute alles besser, nur weil sie diesen Testentwurf rechtzeitig abgegeben hatte? Oder fühlte sie sich heute einfach so etwas besser?

    Sie wanderte hinter den arbeitenden Schülern entlang, schaute ihnen über die Schulter, kommentierte gelegentlich, was sie sah, und vereinbarte schließlich, die Ergebnisse in der nächsten Sitzung auszuwerten.

    Im Lehrerzimmer herrschte gähnende Leere; Maja packte auch nur ihren Kram zusammen und machte, dass sie nach Hause kam.

    Die Unordnung in der Wohnung traf sie dann wieder wie ein Schlag ins Gesicht. Unglaublich, wie es hier aussah! Das passte ja besser zu dieser chaotischen Merz als zu ihr! Aber leider war es ihre Wohnung. Ihre eigene.

    Und da es eine Eigentumswohnung war, die ganz alleine ihr selbst gehörte, konnte sie

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