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Ein Haus mit Vergangenheit: Kriminalroman
Ein Haus mit Vergangenheit: Kriminalroman
Ein Haus mit Vergangenheit: Kriminalroman
eBook495 Seiten7 Stunden

Ein Haus mit Vergangenheit: Kriminalroman

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Über dieses E-Book

Babsi und Simon entdecken als erstes Projekt für ihr junges Architekturbüro Lenz & Bauer eine schöne alte, aber recht sanierungsbedürftige Villa im Waldburgviertel. Babsi kauft sie kurzerhand für sich selbst und macht sich an die Arbeit, entdeckt dabei aber einige historische Dokumente, die in die Nazizeit zurückführen. Als sie daran geht, die Vergangenheit zu erforschen, trifft sie mit Max Wolf nicht nur einen Nachfahren der früheren Bewohner, sondern auch einige ehemalige Schulfreunde, die ihr als Historiker helfen, die Geschichte der Villa systematisch zu untersuchen. Je größer aber die Fortschritte, desto mehr werden Lenz & Bauer auch von merkwürdigen Anschlägen geplagt: Will da jemand die Aufdeckung alter Sünden verhindern oder ist einfach die Konkurrenz sauer? Außerdem kommen sich Babsi und Simon immer näher, obwohl Babsi das (aus guten Gründen, wie sie glaubt) eigentlich gar nicht will. Als die Gefahr am größten ist, müssen Max und Simon eingreifen - und dann ist alles klar...
SpracheDeutsch
Herausgeberepubli
Erscheinungsdatum18. Juli 2015
ISBN9783737552776
Ein Haus mit Vergangenheit: Kriminalroman

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    Buchvorschau

    Ein Haus mit Vergangenheit - Elisa Scheer

    1

    Als ich um die Ecke bog, blieb ich wie angewurzelt stehen. Das war´s. Das war´s eindeutig. Mein Traumhaus!

    Gut, nicht jedem hätte es gefallen. Der Zustand war zum Weinen, der Putz war zum großen Teil abgeblättert, die Stuckverzierungen waren zerbröckelt, die Dachrinnen hingen schief, das Dach selbst war höchstwahrscheinlich seit Jahren undicht, und im Erdgeschoss waren zwei Fenster eingeschlagen. Trotzdem: Es war ein Juwel, ein Juwel des Neubarock, ein richtiges kleines Herrenhaus in einem völlig verwilderten Garten.

    Ich stellte mir mit zusammengekniffenen Augen vor, wie es frisch – blassrosa? – gestrichen aussehen müsste, im Sonnenschein, statt grau gefleckt im Frühlingsnieselregen. Welch eine Reklame für Lenz und Bauer, wenn das unser Vorzeigeprojekt wäre!

    Ich stieß das schmiedeeiserne Gartentor vorsichtig auf und besah mir die Rostspuren auf meiner Hand, bevor ich sie an meinen zementfleckigen Jeans abwischte. Dann umrundete ich langsam das Haus. Auf der Rückseite hatte es eine halbrunde Terrasse und in den beiden Stockwerken darüber säulenverzierte Balkone. Die Vorderfront war zwischen den Fenstern mit Pilastern verziert, über den Fenstern fanden sich Reste von floral gefüllten Giebeln. Ziemlich ekklektisch, ein bisschen Klassizismus, ein bisschen früher Jugendstil? Das Erdgeschoss wies um die Haustür herum noch Spuren einer Rusticaverzierung auf; das war mit Zement und Sperrholzleisten schnell wieder ergänzt, vermerkte ich im Stillen.

    Aber war das Haus überhaupt zu verkaufen? Es stand keine Tafel dort, aber es gab auch keinerlei Hinweise, dass jemand schon mit einer Renovierung begonnen hatte. Und ein Abriss war wohl kaum möglich, da hätte das Städtische Amt für Denkmalschutz sicher noch ein Wort mitzureden... Ich wanderte weiter durch den verwilderten Garten und inspizierte die ins Holz geschossenen Sträucher und die nur noch schwach zu erkennenden Überreste der Blumenrabatten.

    „Sie, was machen Sie da eigentlich?"

    Ich erschrak, als ich die Stimme hörte und machte mich auf die Suche nach einer Stelle, von der aus ich das Nachbarhaus besser im Blick hatte, eine solide Villa aus den Dreißigern, ziemlich gut gepflegt. Aus einem Fenster im ersten Stock hing eine Frau in mittleren Jahren in einem wild gemusterten Putzkittel.  

    „Ich interessiere mich für das Haus, rief ich hinauf. „Wissen Sie, ob es zu verkaufen ist?

    „Was wollen Sie denn mit dieser Bruchbude?", kam es zurück.

    „Sanieren! Es hat wunderbare Proportionen!"

    „Das ist das alte Wiedemann-Haus, aber die olle Elise Wiedemann ist vor eineinhalb Jahren gestorben. Fragen Sie mal den Neffen, Horst Wiedemann, der wohnt um die Ecke, in der Rembrandtstraße. Aber wenn Sie gescheit sind, lassen Sie die Finger von der Bruchbude."

    „Danke schön, aber das kann ich nicht. Außerdem ist das mein Job, Altbausanierung."

    „Ach ja? Auch eine Art, sein Geld zu verdienen... Wie heißt Ihre Firma?"

    Lenz und Bauer. Ich bin Barbara Lenz. Ich werfe Ihnen eine Karte in den Briefkasten, Frau -?"

    „Schmiedinger. Machen Sie das. Aber ein paar hübsche Eigentumswohnungen wären bestimmt lohnender!"

    Ich musste lachen. „Lohnender schon – aber auch viel lauter für Sie, nicht?"

    Nun lachte sie auch, etwas widerwillig. „Kann sein. Na, viel Glück!"

    Das Fenster schlug wieder zu.

    Ich notierte mir die Informationen. Horst Wiedemann... Was Simon von der Hütte hielt? Eigentlich egal, ich wollte sie nicht für die Firma, sondern für mich kaufen. Damit war ich dann unser erster Kunde. Ziemlich albern, aber das Haus war unwiderstehlich. Nun, es war nicht anzunehmen, dass jemand mir das Haus sofort vor der Nase wegschnappen würde, also konnte ich auch ins Büro fahren und von dort aus telefonieren, wenn das Telefon schon ging.

    Es funktionierte, aber sonst noch nichts. Glücklicherweise lagen noch alte Telefonbücher in der Ecke, denn Simon war es noch nicht gelungen, wenigstens einen der Rechner anzuschließen. Das sollte wohl auch besser der Netzwerktyp machen; die Telefonbuch-CD war im Moment jedenfalls so sinnvoll wie ein Pelzmantel in der Sahara.

    Ich verzog mich in mein künftiges Büro und setzte mich mit Telefon und Telefonbuch auf den Boden. Horst Wiedemann, tatsächlich. Ich notierte die Nummer und tippte sie dann ein.

    „Wiedemann! Eine recht barsche Stimme. Ich stellte mir einen dicklichen Mittfünfziger vor, infarktgefährdet und mit kräftigem Bluthochdruck. „Mein Name ist Barbara Lenz. Ich habe heute das Haus Galileistraße 9 gesehen und wollte fragen, ob es zu verkaufen ist?

    „V-v-verkaufen? Nun..."

    Damit hatte er wohl nicht mehr gerechnet? So leicht war eine denkmalgeschützte Ruine auch nicht loszuwerden. Ich grinste still vor mich hin, während ich förmlich spürte, wie sich die kleinen Rädchen in seinem Kopf fieberhaft drehten. Ich wartete. „Nun, fing er wieder an, „ich denke schon, ja. Aber ich bin nicht der einzige Erbe, ich muss das mit meinen Verwandten besprechen. Was hätten Sie sich denn so vorgestellt?

    Ich lachte vergnügt. „Das kann ich so noch nicht sagen. Zuerst müsste ich die Bausubstanz prüfen und den generellen Zustand. Das Haus ist doch denkmalgeschützt?"

    „Ja, gab er hörbar ungern zu, „aber nur außen.

    „Na, immerhin. Die Raumaufteilung ist ja heute wohl nicht mehr so leicht verwendbar, nicht?"

    Das konnte er nicht bestreiten. Ich gab ihm unsere Büroadresse und sämtliche Telefonnummern. Er versprach, sich morgen Vormittag wieder zu melden. Als ich aufgelegt hatte, rappelte ich mich wieder auf und schleppte Telefon und Buch wieder nach draußen, bevor ich mich auf die Suche machte. Ich fand Simon schließlich in seinem Büro - auf der Leiter, die Decke streichend.

    „Simon? Ich glaube, ich habe mein Traumhaus gefunden. Und wir werden es sanieren. Unser erster Auftrag!"

    Simon ließ fast die Rolle fallen. „Das heißt, du bezahlst dich selbst? Babsi, als Geschäftsfrau bist du echt zum Heulen."

    „Gar nicht!", verteidigte ich mich. „Wenn das Haus fertig ist, kann ich das Erdgeschoss an Lenz und Bauer vermieten. Das ist das totale Aushängeschild, du wirst schon sehen!"

    Simon grinste spöttisch auf mich herunter und ich starrte ihn wütend an, bis er sich geschlagen gab.

    „Na gut, wenn du dir jetzt mal Rolle und Farbeimer schnappst, schau ich mir nachher mit dir deinen Traum an. Oder hast du vergessen, dass morgen unsere Möbel kommen?"

    „Das ist ein Angebot", gab ich zu und faltete mir ein schickes Hütchen aus der Stadtteilzeitung, bevor ich Farbeimer und Rolle in mein künftiges Büro schleppte und dort begann, die Wände zu weißeln. Langweilig – interessante Schattierungen hätten mich schon gereizt, aber Putz frisch weiß überzumalen war nicht allzu spannend. Immerhin ging es recht schnell; als Simon mir die Leiter brachte, hatte ich schon drei Wände geschafft.

    „Mal du nur schön! Ich hole mal die Firmenschilder ab, ja?"

    Pfeifend verschwand er. Simon war als Kollege und jetzt als Geschäftspartner total in Ordnung, aber manchmal konnte er einen schon auf die Palme bringen. Entweder war er frech oder der klassische Bedenkenträger. Ich staunte immer noch, dass er sich meinem eher spontanen Entschluss, Berlin zu verlassen und hier in die Altbausanierung einzusteigen, so schnell angeschlossen hatte. Zörg hatte ja getobt – gleich zwei Partner auszahlen zu müssen! Über mich hatte er sich wohl weniger gewundert, ich war für impulsive Kehrtwendungen berüchtigt und hatte mir mein wachsendes Unbehagen an den Glaspalästen, mit denen wir Berlin manisch zupflasterten, deutlich anmerken lassen. Aber dass Simon, den doch immerhin eine Ehefrau in Berlin hielt, und der eher für seine Bedächtigkeit bekannt war, sich mir so schnell angeschlossen hatte?

    Während ich die turbulenten Szenen vor unserem Ausstieg aus Zörg & Friends (von Freunden war nicht mehr unbedingt die Rede, aber immerhin kaufte Zörg uns unsere Anteile zu einem ziemlich fairen Preis ab) im Geiste Revue passieren ließ, strich ich die Decke, bis mein rechter Arm ganz lahm war. Mit der linken Hand schaffte ich zwar noch den Rest, saute mich dabei aber gründlich ein. Gut, um das Sweatshirt und die Jeans war es wirklich nicht mehr schade, das war Baustellenkluft. Ich kletterte von der Leiter, schüttelte meine lahmen Arme aus und strich die letzte Wand an, dann schleifte ich die Farbe in den Flur und wischte das hässliche graue Linoleum gründlich auf, um die Farbspritzer zu entfernen.  Damit sah mein Zimmer ziemlich vorzeigbar aus, solange man nicht die schlecht gestrichenen Fenster anschaute. Aber ewig wollten wir hier nicht bleiben, wir hatten dieses Fünfziger-Jahre-Büro nur für ein Jahr gemietet. Immerhin war es billig, ziemlich billig wenigstens, lag günstig und hatte im Hof zwei Parkplätze, die wir mitgemietet hatten; auf einem stand der Kleintransporter, den wir noch beschriften lassen mussten. Meine Rostlaube parkte auf der Straße, zufällig war ein Platz frei gewesen.

    Wo blieb eigentlich Simon? Konnte es so schwer sein, ein Fassadenschild und ein paar Türschilder abzuholen, wenn der Schilderladen nur zwei Ecken weiter war? Wahrscheinlich trödelte er herum. Ich beschloss, feurige Kohlen auf sein Haupt zu sammeln, und wischte sein Büro auch feucht auf. Dann tat ich noch ein Übriges und strich ganz tugendhaft auch noch die Toilette und die einzige freie Wand in der kleinen, hässlichen Teeküche. Immerhin, eine Kaffeemaschine hatte Simon heute Morgen mitgebracht. Nur an Kaffee und Becher hatte er leider nicht gedacht. Männer... Aber man musste den guten Willen schon mal loben. Ich hätte ja schnell einkaufen gehen können, aber Simon hatte keinen Schlüssel mitgenommen, also räumte ich noch ein bisschen herum und wartete, bis er wiederkam.

    Na endlich!

    „Mussten die erst noch gemalt werden?"

    „So ungefähr. Das große für die Fassade war noch nicht fertig. Guck, wie findest du sie?"

    Ich nickte zufrieden. „Ordentlich. Am besten geben wir das große gleich dem Hausmeister und bringen die anderen schnell selbst an. Wenn du das machst, kaufe ich schnell ein paar Sachen ein. Geht der Kühlschrank eigentlich?"

    Simon zuckte die Schultern.

    Kopfschüttelnd schaute ich in den Kühlschrank. Wenn man ihn einschaltete, brannte immerhin das Licht – aber versifft war er, und das nicht zu knapp. Ich setzte im Geiste einen Brutalreiniger und Topfkratzer auf die Liste und eilte davon.

    Als ich vom Billigmarkt zurückkam, war der Hausmeister schon an der speckbraunen Hauswand zugange.

    Lenz & Bauer Architekten Altbausanierung Ensemblegestaltung  - sah wirklich gut aus, wenn auch nicht gerade an dieser grauenvollen Fassade. Ich putzte die Küche durch, ließ Kaffee durchlaufen, warf den Kühlschrank an, nachdem ich ihn gründlich ausgewischt hatte, räumte meine Einkäufe hinein und stellte eine Schale Äpfel auf die Arbeitsplatte. Nun fehlte nur noch das künftige Sekretariat. Übermorgen sollte die Dame anfangen, die Simon im Alleingang engagiert hatte; ich hatte währenddessen meine Verbindungen zu einschlägigen Handwerksbetrieben aufgefrischt, denn schließlich hatte ich in dieser Stadt studiert, gejobbt und Praktika gemacht. Gestrichen waren die Wände schon, Simon hatte sogar schon die Tür beschriftet, also musste ich nur noch den Boden putzen. Zufrieden sahen wir uns am späten Nachmittag um, sobald wir unseren Renovierkram in die Abstellkammer geschleift hatten.

    „Prima. Wann kommt das Zeug morgen?"

    Simon zuckte die Achseln. „Der Kopierer und die Möbel, denke ich, am Vormittag. Der Netzwerkheini hat gesagt, um zwei. Die Lieferung vom Büroartikelmarkt am Nachmittag. Genaueres weiß ich auch nicht. Jetzt bin ich aber ziemlich geschafft. Was machst du heute noch?"

    „Dir das Haus zeigen, duschen, was essen. Und du?"

    Er zuckte die Schultern. „Haus anschauen, duschen, was essen. Also, fahren wir!"

    Wir nahmen meinen Wagen, denn Simon hatte seinen gerade so schön auf dem Hof geparkt. Er wohnte ohnehin irgendwo ganz in der Nähe des Büros, in einer Pension, bis er etwas Besseres fand.

    In der Galileistraße stellten wir den Wagen direkt vor dem Haus ab und schlichen uns in den dämmerigen Garten.

    „Hm. Das Haus ist faszinierend, da muss ich dir Recht geben. Er betrachtete die Fassadenaufteilung und die Proportionen. „Aber der Zustand ist wirklich scheiße. Wie kann man ein solches Juwel nur so verkommen lassen?

    „Das dürfte andererseits den Preis drücken", gab ich zu bedenken.

    Simon tastete die Wand ab, die nach Westen zeigte. Sehr schlau, dass hier die Terrasse und die Balkone waren. „Fühl mal!"

    Ich legte die Hand auf das Mauerwerk und wartete einen Moment.

    „Feucht. Was erwartest du bei einer Westwand? Kann man alles trocken legen, ich hab schon bei einem Ferienjob gelernt, wie man mit einem Bautrockner umgeht. Wie schätzt du die Bausubstanz insgesamt ein?"

    „Von außen?"

    „Ja, gut, du hast ja Recht. Aber so auf den ersten Blick?"

    „Geht offenbar noch. Wie lange steht das Haus leer?"

    „Eineinhalb Jahre. Aber ob die alte Dame vorher anständig geheizt hat?"

    „Was willst du dafür zahlen?"

    Ich verzog das Gesicht. „Wenn innen keine allzu bösen Überraschungen warten – eine halbe Million? Das Grundstück ist das Dreifache wert, aber das Haus kann eben nicht weg."

    Simon pfiff durch die Zähne. „Und wenn sie es mit einem warmen Abriss probieren? Ich wäre ja schon stark in Versuchung, wenn ich das Ding geerbt hätte."

    „Ich auch", musste ich gestehen.

    „Deine Schätzung ist realistisch, meinte er dann, „aber Dach, Heizung, Leitungen, Böden, feuchte Wände, Fenster, Fassadenschmuck – alles ist hin, mindestens zweihundert kostet dich die Sanierung, ohne größere Umbauten.

    „Damit rechne ich. Da bleibt doch für die Firma auch was hängen. Stell dir vor, wenn sich das Erdgeschoss eignet, wäre das doch ein tolles Büro für uns. Ich mache uns auch eine günstige Miete. Und oben könnte ich selbst wohnen."

    „Man könnte wahrscheinlich sogar zwei Wohnungen daraus machen, überlegte Simon, „das müssen doch gut zweihundert Quadratmeter pro Etage sein?

    „So etwa. Ich bin mal gespannt, was dieser Wiedemann morgen sagt. Hältst du das Ganze nun für eine gute Idee, so im Prinzip?"

    Simon antwortete nicht. Ich fragte aber nicht weiter, so gut kannte ich ihn mittlerweile schon: Er dachte eben gründlich nach. Schließlich kam er zu einem Ergebnis. „Ja. Im Prinzip schon. Aber wir müssen mehr Projekte durchziehen, du kannst dich dann nicht nur mit deinem Haus befassen, ist das klar?"

    „Wofür hältst du mich!" Ich war ehrlich entrüstet.

    „So, und jetzt will ich heim und duschen", stellte er fest. Ich schnupperte vorsichtig. Ja, er hatte es nötig. Ich auch, wenn ich ehrlich war. Farbe, Zement, Schweiß und die Zwiebeln auf dem Vormittagshamburger. Gut, dass wir nicht öffentliche Verkehrsmittel benutzen mussten, man hätte uns pikierte Blicke zugeworfen. Ich fuhr ihn zurück zum Büro.

    „Also, dann sehen wir uns morgen im Büro – um acht", legte Simon fest und schlug mir auf die Schulter.

    „Okay, bis morgen dann!"

    Er stieg aus und ich wendete und fuhr nach Henting, wo ich wie eine kleine Versagerin bei meiner Mutter im Keller untergekrochen war. Mama sah das locker – ich eigentlich auch, aber meine Schwester Conny rümpfte darüber die Nase. Sollte sie doch! Das große Zimmer, in dem einst Papas Eisenbahn untergebracht war, erfüllte alle meine Bedürfnisse, daneben war ein behelfsmäßiges Duschbad, mein spärlicher Besitz hatte seinen Platz gefunden und Mama hatte sich nach einigen Tagen damit abgefunden, dass ich dort zwar wohnte, aber kam und ging, wie ich wollte, und auch fast nie bei ihr aß. Tatsächlich hatte außer Conny – und natürlich meinem Berliner Chef und Partner – bis jetzt niemand herumgezickt. Ich erinnerte mich noch an den Besuch bei ihr am Karfreitag.

    Sie bewohnte mit ihrer Familie ein eher seltsames Haus in Zolling, etwa zehn Minuten von Mama entfernt. Das Haus war eine unglückselige Mischung aus alpenländischem Baustil – geschnitzte Balkone, Holzverkleidungen – und Futurismus, der sich in den übergroßen Fensterfronten und den eigenartigen Vorsprüngen und Erkern ausdrückte. Riesig groß, man sollte es teilen und ein Zweifamilienhaus daraus machen, überlegte ich mir. Wenn sie eine Hälfte verkauften, wären sie auch ihre Schulden los.

    Wir brachten einen Kuchen mit, und Conny schien sich zunächst über unseren Besuch zu freuen. Sie bat uns herein und nötigte uns, auf den froschgrünen Samtsofas Platz zu nehmen. Seit meinem letzten Besuch hatten sie einen Teil des Wohnzimmers mit terracottafarbenen Kacheln ausgelegt, was ich kalt und ungemütlich fand.

    Meine Nichten drückten sich im Hintergrund herum, offenbar hin und her gerissen zwischen der Abneigung gegen öde Familientreffen und der Neugierde auf die missratene Tante, die sie so selten zu sehen kriegten.

    „Kommt doch mal näher!", rief ich ihnen zu, und sie näherten sich zögernd.

    Celine sah heiß aus, das Haar blauschwarz gefärbt, der nackte Nabel gepierct, das Gesicht totenbleich, die Jeans eng auf der Hüfte sitzend und ab dem Knie weit ausgestellt, was ihr ein sehr x-beiniges Aussehen gab. Na gut, wenn ihr das gefiel? Claire hatte noch ihre normale braune Haarfarbe, war etwas pummelig und trug ein T-Shirt mit einem Foto von *NSYNC darauf. Warum nicht?

    Ich begrüßte beide freundlich und enttäuschte sie offenbar, weil ich nicht an ihrem Outfit herummeckerte. Das übernahm Conny, die schnell zu ihrer alten Form zurückzufinden schien. „Müsst ihr so entsetzlich herumlaufen? Könnt ihr euch nicht wenigstens, wenn wir Besuch haben, anständig anziehen? Schlimm genug, dass Tante Babsi so wenig Wert auf ihr Äußeres legt!"

    „Conny, lass das, entgegnete ich ärgerlich. „Deine Töchter haben doch offensichtlich ihre coolsten Sachen an und ich bin fast frei von Zementspuren. Mehr ist von mir eben nicht zu erwarten, du weißt doch, dass ich auf Baustellen zu leben pflege. Und ihr zwei – wehe, ihr sagt Tante zu mir! Ich heiße Babsi, und basta!

    Ein zaghaftes Lächeln belohnte mich dafür, und Claire setzte sich sogar zu uns. Allerdings schien ihr der Kuchen wichtiger zu sein als Oma und Tante. Celine lehnte mit misstrauischem Blick an der eichenen Anrichte, in der Conny, wie ich sie einschätzte, wahrscheinlich Stapel von perfekt gemangelten Tischdecken und Damastservietten aufbewahrte. Während Conny Mamas Ratschläge zur Haushaltsführung leicht gereizt abwehrte, vertraute Claire mir alles über ihre favorisierten Popgruppen, ihre Liebe zu Leonardo di Caprio und ihren Ärger in der Schule an. Das verführte schließlich auch Celine dazu, sich am Gespräch zu beteiligen, und wenn sie nur ihrer Schwester widersprach, wenn es darum ging, welche Lehrer echt doof oder eigentlich richtig cool waren.

    „In welcher Klasse bist du denn jetzt?"

    „Achte. Ich will ja nächstes Jahr Italienisch nehmen, aber Mama sagt, ich muss Französisch lernen."

    „Ach ja? Warum, Conny?"

    „Französisch ist eine Weltsprache, das muss ein gebildeter Mensch können."

    „Weltsprache..., überlegte ich, „naja! Wo spricht man denn schon noch Französisch, außer in Frankreich und in Westafrika? Die Sprache der EU ist in erster Linie Englisch. In Berlin hätte ich Russisch nützlicher gefunden als Französisch, obwohl es natürlich eine schöne Sprache ist. Italienisch finde ich aber genauso gut. Spanisch wäre echt eine Weltsprache, denk nur an ganz Südamerika!

    „Wann kommt sie denn da schon hin!, blaffte Conny, aber sie schien nur halbherzig zu zanken. „Und wann kommt sie in den Senegal?, schoss ich zurück, und sie musste tatsächlich lachen. „Und im Urlaub ist Italienisch doch viel sinnvoller, Frankreich ist ja so teuer, warf Mama ein. „Ach? Aber du fährst doch morgen nach Paris?, wandte Conny ein. „Doch nur drei Tage! Und Paris muss einfach sein!", verteidigte Mama sich.

    „In Italien könnte man nach Rom fahren, nach Florenz, nach Venedig, nach Mailand, nach Neapel – eine Stadt schöner als die andere..." Celines Augen funkelten.

    „Und in Italienisch krieg ich die Korff, die ist echt gut drauf. Französisch macht sicher wieder der Brandes, und der mag mich nicht."

    „Ich finde ihn nett. Er lacht so lustig, wenn man einen Schmarrn sagt, verteidigte Claire ihn, „außerdem hängen die doch eh zusammen, die haben doch was miteinander!

    „Claire!", tadelte Conny.

    „Stimmt aber, das ist denen gar nicht peinlich", warf Celine ein.

    „Zustände sind das!" Conny schüttelte den Kopf.

    „Warum?, fragte ich harmlos. „Die meisten Leute lernen sich doch am Arbeitsplatz kennen. Hast du Horst nicht auch - ?

    „Das ist doch was ganz anderes!, wehrte Conny gereizt ab. „Mama, noch Kaffee?

    „Danke, meine Liebe!" Mama hielt ihre Tasse hoch.

    „Und, Babsi, was willst du hier nun machen? Hast du schon einen Job in Aussicht? Du willst ja Mama wohl nicht länger als notwendig auf der Tasche liegen, nicht?"

    „Wie kommst du darauf? Ich liege ihr doch nicht auf der Tasche, ich hause nur momentan im Eisenbahnzimmer."

    „Wie dem auch sei – soll ich Horst mal fragen, ob es in seiner Firma für dich irgendwas zu tun gibt?"

    „Und was sollte das sein? Ich bin Architektin, nicht Sekretärin!" Conny konnte einen rasend machen.

    „Nun, zu Beginn wirst du wohl nehmen müssen, was du kriegen kannst. Ich glaube nicht, dass man in deiner Situation so wählerisch sein kann."

    „In meiner Situation? Ich stellte meine Tasse klirrend hin. „Wärst du so nett, mir zu erklären, wie meine Situation aussieht?

    Sie lächelte mich nachsichtig an. „Nun, offensichtlich hast du deinen Job in Berlin verloren, und sicher ist dort sonst noch einiges schief gelaufen, sonst wärst du doch wohl kaum mit eingezogenem Schwanz - Celine lachte dreckig, und ich musste auch kurz grinsen – „nach Hause zurückgekrochen. In deinem Alter noch bei Mama zu hausen – ist das nicht ein Eingeständnis von Schwäche? Und privat hast du ja wohl auch wenig zu bieten, oder?

    „Conny, du bist so doof wie eh und je!"

    „Also, du musst mich nicht vor meinen Kindern und in meinem eigenen Haus beleidigen!"

    „Ich beleidige dich nicht, ich stelle nur eine Tatsache fest. Erstens: Ich habe meinen Job nicht verloren, ich habe die Partnerschaft aufgelöst, weil ich etwas anderes machen möchte. Zweitens: Ich bin nicht arm, im Gegenteil, aber ich stecke das Geld in mein neues, eigenes Büro und nicht in albernen Privatkram. Drittens: Was sollte ich privat bieten? Wollt ihr eine Show sehen? Habt ihr keinen Fernseher?"

    „Was soll das denn für ein Büro sein? Conny schnaubte verächtlich. „Altbausanierung. Am Dienstag kommt mein neuer Partner, und dann geht es richtig zur Sache. Wart´s nur ab!

    „Na, ob das was wird?"

    „Ich find das geil", mischte Celine sich ein.

    „Danke schön! Hier gibt es wunderbare Häuser, und hier sind sie nicht so arge Spekulationsobjekte wie in Berlin. Ich glaube, ich werde viel Spaß haben."

    „Spaß?"

    „Sicher. Der Beruf soll doch auch Spaß machen. Gut, nicht täglich, aber wenn man keine Freude an seiner Arbeit hat, kann man es doch gleich lassen. Was machst du eigentlich gerade? Deine Kinder sind ja eindeutig aus dem Gröbsten raus. Damit hatte ich den Krieg ins feindliche Lager getragen und konnte mich genüsslich zurücklehnen. „Ich? Ich kümmere mich um den Haushalt!

    „Macht dir das Spaß?"

    „Spaß? Das ist eben meine Aufgabe! Ich kenne meine Pflichten."

    „Du bist immer noch die gleiche alte Puritanerin wie früher. Sei doch einmal ehrlich zu dir!"

    Mama mischte sich hastig ein, bevor wir handgreiflich werden konnten, und lenkte das Gespräch auf harmlosere Themen. Conny verlor ihre latent defensive Haltung aber den ganzen Nachmittag über nicht.

    „Wo ist Horst eigentlich?"

    „Arbeitet", entgegnete Conny knapp.

    „Am Karfreitag?" Gut, dass Mama diese ungläubige Bemerkung gemacht hatte, und nicht ich!

    „Ja, auch am Karfreitag!" Conny war ja richtig patzig. Ich glaubte ihr kein Wort, Horst schien auf Abwegen zu sein. Warum verblüffte mich das nicht? Die Sache musste man im Auge behalten. Überhaupt, Conny wirkte genauso wenig glücklich wie vor einem Jahr bei meinem letzten Besuch, eher noch ein bisschen unglücklicher.

    Die beiden Mädchen prusteten abfällig und verschwanden in ihren Zimmern, und auch Mama und ich verabschiedeten uns taktvoll. Bei Gelegenheit musste ich mal herauskriegen, was bei Conny wirklich los war, so konnte das schließlich nicht bleiben, dachte ich mir auf der Heimfahrt. Gut, aber seitdem waren mehr als zwei Wochen ins Land gegangen und wir hatten es ganz schön weit gebracht. Und warum sollte ich nicht in Mamas Keller hausen, wenn es nichts kostete, Mama nicht störte und mir auch genügte? Mein Geld brauchte ich wirklich für die Firma.

    Am nächsten Morgen war ich schon um sieben im Büro, um ja keine Lieferung zu verpassen. Natürlich rührte sich bis acht Uhr gar nichts, und ich aß aus lauter Langeweile gleich drei von den Croissants, die ich für uns beide mitgebracht hatte, nachdem ich die Fotos, die ich in den letzten beiden Wochen von renovierbedürftigen und bereits perfekt sanierten Altbauten gemacht hatte, eingeklebt hatte. Das sollte uns inspirieren. Meine Sammlung von einschlägigen Bildbänden, die ich schon während des Studiums begonnen hatte, würde ebenfalls im Büro ihren Platz finden, sobald wir nur Regale hatten.

    Gegen acht kam Simon, der sich nun mit mir zusammen langweilen konnte. Wir putzten ziemlich sinnlos noch ein bisschen herum, polierten unsere Namensschilder und kochten noch einmal Kaffee.

    Endlich klingelte es. Kurz vor neun – die Büromöbel wurden hereinbugsiert. Wir hätten vielleicht doch nicht ganz so preiswert einkaufen sollen – die Möbel waren zwar schön und solide, aber der Aufbau war nicht inklusive. Wir konnten gerade mal schnell kontrollieren, ob die Lieferung stimmte und komplett war, dann hauten die beiden kräftigen Kerle auch schon wieder ab, und wir sahen uns resigniert an.

    „Hilft ja nun nichts", ermannte sich Simon schließlich und schleifte seinen Teil in sein Büro. Ich tat es ihm gleich und ging an die Arbeit. Das Mieseste war der Schreibtisch, deshalb machte ich um ihn erst einmal einen großen Bogen und baute stattdessen die beiden Regale auf. Mühsam war es auch, den Schubladenschrank in Übergröße (für Entwürfe und Pläne) in die Ecke zu schleifen.

    Schwitzend und lustlos ging ich zwischendurch gucken, wie weit Simon war. Ha, genauso! Um den Schreibtisch hatte er sich bis jetzt auch gedrückt. Grinsend verzog ich mich wieder und baute erst einmal das Gerüst auf, das ging ja noch. Den Kabelschacht montierte ich zuerst falsch, die Tischplatten ebenfalls, bis ich merkte, dass die abgerundeten Kanten nach vorne gehörten. Leise fluchend löste ich die Schrauben wieder und drehte alles um. So, sehr schön. Jetzt wackelte aber der Kabelschacht (tolles Wort für das windige Plastikrohr) wieder. Ich zog die Schrauben noch einmal nach und schob den Tisch dann an die richtige Stelle – Licht von links, Stecker neben den Kabelschacht. Nun noch die Ablage und die Schubladen. Die Schubladen musste man zusammenstecken und dabei so viel Kraft anwenden, dass sich meine Fingerspitzen hinterher ganz taub anfühlten. Ich war heilfroh, als ich endlich alle fertig und die Griffe festgeschraubt hatte. Rein in die Führung! Immerhin, der Schreibtisch sah ziemlich echt aus, wie er so da stand. Erleichtert riss ich die Verpackung von meinem Bürostuhl und stellte seine Höhe auf mich ein. Ja, so konnte man zur Not arbeiten. Licht fehlte noch, die Deckenstrahler waren zu diffus. Aber zunächst konnte man so leben. Was war denn in dem letzten Paket?

    Oh, eine Hängeregistratur, die unter den Computertisch gehörte! Na, das ging einigermaßen schnell. Ich rückte das Telefon zurecht und schob meine Bildbände und Fotoalben in eines der Regalfächer. Der Verpackungshaufen störte noch, also trug ich ihn schnell in den Hof. Mist, der Papiercontainer war schon fast voll. Immerhin war ich schneller als Simon gewesen – der konnte schauen, wo er seine Verpackungen hinschaffte.

    Simon begegnete mir im Treppenhaus, den Arm voller Pappe, Plastikfolie und Styroporformen, und grinste matt. Ich feixte selbstzufrieden, aber mein Hochgefühl verging mir schnell wieder, als ich die Pakete im Sekretariat sah. Das Gleiche noch einmal! Als ich gerade die Regale zusammenschraubte, klingelte es – der Kopierer wurde geliefert. Bis die beiden „Fachleute" den vorgesehenen Platz gebilligt, den Kopierer eingesteckt, mit Toner befüllt und getestet hatten (wenigstens war ein Paket Papier inbegriffen), war fast eine Stunde vergangen. Wir hatten fasziniert zugesehen, anstatt zu arbeiten, nur Simon verschwand zwischendurch kurz und bestellte eine Palette Kopierpapier, das hatten wir nämlich völlig vergessen.

    Als die beiden Herren verschwunden waren, sah Simon mich kläglich an. „Ich hab total Hunger. Aber nachher kommt der Netzwerkfritz, und da sollten wir schon zugucken. Und das blöde Sekretariat ist auch noch nicht fertig. Langsam macht das keinen Spaß mehr, finde ich."

    „Wem sagst du das! Komm, du bestellst uns zwei Pizza, für mich Marinara und einen Liter Diet Coke, und ich mache den Schreibtisch fertig, ja? Es ist erst Viertel nach eins, vielleicht schaffen wir das alles ja auch noch vorher!" Simon ging brav telefonieren. Der zweite Schreibtisch ging schon viel schneller, ich hatte offenbar aus meinen Fehlern gelernt. Dafür machte ich jetzt neue – die Schubladengriffe zuerst anzuschrauben, war keine so gute Idee, weil man genau auf diese Stelle drücken musste, damit die Seitenteile richtig einrasteten.

    Wenigstens war der große Stahlschrank schon zusammengebaut! Zu zweit zerrten wir ihn ächzend und stöhnend in eine Ecke, wo er auf Schreibwaren und Kopierpapier warten konnte.

    Als die Frau vom Computerservice kam – kein Fritz also, eine Fritzin -, hatten wir das Sekretariat halbwegs fertig. Sie baute alle Rechner und Drucker auf, vernetzte sie miteinander, richtete einen Rechner als Server ein und sorgte für den Internetanschluss und die E-Mail-Adressen für jeden Mitarbeiter. Wir passten auf wie die Schießhunde, verstanden aber nur die Hälfte. Selber würden wir nur zurechtkommen, solange es keine Probleme gab.

    „Und wenn Sie eine eigene website einrichten wollen, melden Sie sich. Ich kenne da eine sehr fähige junge Agentur...", bot sie uns noch an, als sie unter dem letzten Schreibtisch hervorgekrabbelt kam und ihren Schraubenzieher wieder verstaut hatte. Na, das dauerte noch ein bisschen. Womit sollten wir im Moment auch werben?

    Wir spielten unsere Programme, Bürosoftware, Etikettendruckerei, Zeichenprogramme und Spezialsoftware für Entwürfe und Simulationen auf, dazu ein paar harmlose Spiele, solange wir noch nicht in der Arbeit erstickten.

    Kaum waren wir wieder alleine, klingelte mein Telefon.

    „Ach, Herr Wiedemann!"

    „Ja. Verzeihung, dass ich erst jetzt anrufe, aber ich musste meine Miterben erst noch erreichen. Würden Sie das Haus gerne einmal ausführlich besichtigen? Auch von innen?"

    „Sicherlich. Ich muss doch den Zustand überprüfen!"

    „Wäre es Ihnen heute Abend Recht?"

    „Nein, wehrte ich ab – Strategie! -, „lieber morgen Nachmittag. Ich möchte ja etwas sehen, nicht?

    „Gut, dann morgen um vier?"

    „Ausgezeichnet. Ich bringe einen Sachverständigen mit." Ich zwinkerte Simon zu, der eine Augenbraue hob.

    „Äh – ja, natürlich. Bis morgen also." Er legte auf; ich tat es ihm gleich und rieb mir die Hände.

    „Warum nicht heute?"

    „So scharf darauf will ich auch nicht wirken. Wenn ich bis morgen warte, spare ich vielleicht ein bisschen Geld. Lieber stecke ich es in die Sanierung und damit in die Firma."

    Simon nickte billigend. „Weißt du, was ich morgen früh mache?"

    „Die neue Sekretärin einweisen?", schlug ich vor.

    „Nein, das kannst du machen. Ich stelle mich beim Denkmalschutz vor, bitte um eine Kopie ihrer Richtlinien und schleime mich ganz allgemein dort ein. Kann doch nie schaden, vielleicht verschaffen sie uns sogar mal einen Kunden?"

    Die Idee war gar nicht schlecht, fand ich. Als die Lieferung von der Büroartikelfirma kam, räumten wir alles ein, zum größten Teil in den Blechschrank, einige Ordner aber in unsere Regale, damit sie nicht ganz so leer aussahen. Dann musterten wir alles zufrieden, schalteten den Anrufbeantworter ein und gingen nach Hause. Ich wenigstens. Was Simon machte, wusste ich nicht. Wahrscheinlich mit seiner Frau telefonieren, wie es sich schließlich gehörte.

    Eine lange Liste kam zusammen, als ich mir überlegte, worauf ich bei der Hausbesichtigung achten sollte und was alles negativ war und den Preis drücken konnte. Am liebsten wäre ich unter fünfhundert geblieben, aber angesichts des Grundstückswertes war das wohl illusorisch. Im schlimmsten Fall könnte man das Haus, wenn es perfekt saniert wäre, auch als Firmensitz verkaufen. Nur – ich wollte es behalten, als unseren Firmensitz. Wie viel konnte ich maximal investieren?

    Nach dem Kapital für unsere Firma hatte ich noch achthundert übrig – mein Anteil an Zörg & Friends war dank des Baubooms in Berlin ganz hübsch etwas wert gewesen -, aber ich brauchte auch eine private Reserve und musste tatsächlich mit mindestens zweihundert für die Sanierung rechnen. Ein Kredit wäre vielleicht hilfreich, im Notfall. Aber keinesfalls mehr als hunderttausend, nahm ich mir streng vor.

    Doris Knaur, die Sekretärin, die Simon eingestellt hatte und der ich nun alles zeigen durfte, während er im Städtischen Amt für Denkmalschutz eine Schleimspur legte, machte einen ganz ordentlichen Eindruck. Sie war etwas jünger als wir, hatte einige Jahre Berufserfahrung, behauptete, mit allen verwendeten Programmen umgehen zu können – mit Ausnahme der Design-Software, was auch niemand von ihr erwartet hätte. Sie sah sich suchend im Sekretariat um: „Wo ist denn Ihr Chef?"

    „Herr Bauer? Das ist nicht mein Chef, sondern mein Partner."

    „Oh."

    Das klang ja regelrecht enttäuscht, ich musste sie schnell beruhigen.

    „Geschäftlich, meine ich. Sie haben ja das Schild gesehen, Lenz & Bauer, nicht?"

    Klasse hatte ich das gemacht, wirklich. Der Takt eines Nilpferdes. Im Klartext hatte ich gesagt:

    a) Du bist zu doof, dich an den Namen der Firma zu erinnern, für die du arbeitest.

    b) Du hast dich in einen deiner Chefs verguckt und lässt dir das auch noch raushängen.

    Kein Wunder, dass sie rot wurde!

    „Ja, natürlich", murmelte sie und zog geschäftig die Schubladen ihres Schreibtischs auf, in denen außer jungfräulichem Bürobedarf nichts zu finden war.

    „Also, machen Sie sich erst einmal mit allem vertraut. Hier sind die Rechnungen, die bis jetzt aufgelaufen sind. Am besten buchen Sie sie, veranlassen die Zahlungen – an das Skonto denken Sie natürlich? – und geben dann uns drei in die Personaldatei ein. Ach, die müssen Sie noch einrichten, die üblichen Daten, auch wegen der Gehälter, nicht?"

    „Kein Problem."

    Offenbar war sie froh, etwas zu tun zu haben. Im Moment war es ohnehin noch wenig genug.

    Als Simon zurückkam, strahlte sie aber doch auf.

    Also, so schön fand ich ihn ja nun nicht.

    Er bekam rapide eine Glatze, stellte ich fest, als ich geistesabwesend auf seinen Kopf starrte, der über den praktisch leeren Aktenschrank gebeugt war, aber immerhin war er nicht so doof, lange Strähnen darüber zu kämmen. Nein, er hatte seine ziemlich hellen Haare einfach so kurz wie möglich geschoren, so dass die dünnen Stellen kaum auffielen. Wie ich auch trug er Jeans, Hemden oder Sweatshirts und einen uralten, verbeulten Blazer, alles mit Zementflecken verziert, dazu meistens staubige, lehmverschmierte Schuhe. Wenn er der Knaur gefiel... Oder sollte ich sie darauf hinweisen, dass er verheiratet war? Wozu, dachte ich mir dann, sie musste ja schon wegen der Einkommensteuer seinen Familienstand erfassen. Und wenn ihr das egal war, konnte sie von mir aus gerne seine Adresse auswendig lernen und jeden Abend vor seinem Zimmerchen schmachten. Ich konnte nur hoffen, dass er nicht darauf einging, sonst brauchten wir bald eine neue Sekretärin! Er gab ihr seine persönlichen Daten, die sie mit viel mehr Eifer aufnahm als zuvor meine. Mittendrin verließ ich das Zimmer, um meine frisch gebastelte Mängelliste zu holen. Simon kam mir bald hinterher. „Willst du nicht wissen, wie es auf dem Amt war?"

    „Doch, klar, erzähl schon."

    „Also, zwei sind für uns zuständig, eine Silvia Plattner und ein Jochen Robl. Die teilen wir uns am besten auf. Dieser Jochen scheint auf mich nicht so zu stehen, aber sie sind beide recht nett. Und von einigen dieser Objekte, die du auf deinen Streifzügen gefunden hast, haben sie uns den Eigentümer rausgesucht. Weißt du noch, die Jugendstilfassade mit dem MacDonald´s unten drin? Und der Haltestellenpavillon, den die Stadtwerke dummerweise verscheuert haben?"

    „Ist ja toll. Gib mir die Adressen, ich trag sie gleich bei den passenden Fotos ein!" Ich griff schon nach dem Fotoordner und übertrug alle Daten von Simons zerknittertem Zettel.

    Die Jugendstilfassade... Sie war herzbewegend schön, das war mir schon beim ersten Blick aufgefallen, als ich unmittelbar nach meiner Ankunft, die Kamera in der Hand und Gier im Herzen, durch die Straßen der City und des Univiertels getrabt war. Das Haus hinter der Fassade war ganz offensichtlich nicht mehr original, man hatte, wie mir die Inspektion der Rückseite und des seitlichen Eingangs verriet, das Haus offenbar in den späten Siebzigern entkernt und dann recht ungeschickt modernisiert. Wenigstens den Hauseingang sollte man wieder in Jugendstil verwandeln!

    Außerdem war die Fassade einheitlich creme gestrichen, ohne die vielen floralen Ornamente durch Zierfarben hervorzuheben. Dabei wusste man doch, dass eine solche Fassade im Original immer bunt gewesen war, vielleicht sogar mit vergoldeten Details. Creme war im Prinzip nicht schlecht, man sollte die Verzierungen in satten, dunklen Farben halten, moosgrün, dunkelblau, weinrot, etwas gold... Ob man den Eigentümer mit einem Hinweis auf den Fassadenpreis der Stadt ködern konnte? Und mit den Zuschüssen, die er bekäme? Und eine wirklich perfekte Fassade fände vielleicht Eingang in kunsthistorisch angelegte Reiseführer – damit würde auch mehr Fast Food umgesetzt. Andererseits gehörte das Haus nicht MacDonalds, sondern einer Versicherung. Imageverbesserung!

    Ich notierte mir einige schmeichelnde Argumente und überlegte sogar, welche Versicherungen wir ohnehin abschließen mussten, Firmenhaftpflicht, Diebstahl, für die Villa alle Gebäudeversicherungen, Risikoleben für uns beide... das war mit Simon noch zu besprechen. Gut, dass ich ein großes Zeitplanbuch auf dem Tisch liegen hatte!

    Nach der Mittagspause zog sich Simon in sein Büro zurück und begann, die Eigentümer des Haltestellenpavillons zu bezirzen – eine Kette von Blumenläden. Dieser betreffende Laden würde in einem renovierten Schmuckstück zum absoluten Blickfang werden... Etwa so hatte er mir seine Taktik beim Essen dargelegt. Ob er wohl damit Erfolg hatte?

    Als er später aus seinem Büro schaute, grinste er triumphierend. „Sie wollen einen Kostenvoranschlag. Natürlich kostenlos."

    „Natürlich. Dafür können wir ja auch schlecht etwas verlangen. Wann schaust du den Pavillon an?"

    „Morgen um drei. Du kommst bitte mit. Bis wir mehr Sicherheit haben, sollten wir das gemeinsam machen. Und Fotos brauchen wir auch."

    „Klar." Ich hatte

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