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Wenn die Tage ihre Farbe verlieren - Band 2: Die späteren Jahre
Wenn die Tage ihre Farbe verlieren - Band 2: Die späteren Jahre
Wenn die Tage ihre Farbe verlieren - Band 2: Die späteren Jahre
eBook496 Seiten6 Stunden

Wenn die Tage ihre Farbe verlieren - Band 2: Die späteren Jahre

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Über dieses E-Book

Der erste gemeinsame Urlaub lässt die Strapazen der vergangenen Monate vergessen.
Die Restarbeiten am neuen Haus werden
in Angriff genommen.
Jetzt können sich Ina und Bodo mit der Familienplanung beschäftigen.
Alles läuft nach Plan - und in Erwartung des ersten Kindes kann das Glück nicht vollkommener sein.
Doch dann wird Ina krank - schleichend und unerwartet.
Und an diesem Schicksalsschlag scheint plötzlich alles zu zerbrechen [...]
SpracheDeutsch
Herausgeberepubli
Erscheinungsdatum20. Mai 2017
ISBN9783745037784
Wenn die Tage ihre Farbe verlieren - Band 2: Die späteren Jahre
Autor

Bodo Gölnitz

Bodo Gölnitz, Jahrgang 1955, lebt in einer Kleinstadt Schleswig-Holsteins. 37 Jahre war er für einen großen Chemiekonzern als Anwendungstechniker tätig - weltweit in über 40 Ländern. Bodo Gölnitz ist seit 2010 Witwer und Vater zweier erwachsener Kinder.

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    Buchvorschau

    Wenn die Tage ihre Farbe verlieren - Band 2 - Bodo Gölnitz

    Impressum

    © 2017  Bodo Gölnitz

    Druck und Verlag: epubli GmbH, Berlin

    www.epubli.de

    ISBN (eBook-Ausgabe - Band 1) 978-3-7450-3777-7

    ISBN (eBook-Ausgabe - Band 2) 978-3-7450-3778-4

    ISBN (Print-Ausgabe - Band 1)   978-3-7450-3773-9

    ISBN (Print-Ausgabe - Band 2)   978-3-7450-3774-6

    ePubli

    Printed in Germany

    Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek

    Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar.

    Wir alle müssen uns gelegentlich fragen,

    was geworden wäre,

    wenn Dinge völlig anders gelaufen wären.

    Ein willkürlich eingeschlagener Weg,

    ein überblättertes Kapitel

    oder eine flüchtige Begegnung.

    Alles hätte sich völlig anders entwickelt.

    Kapitel 43:   Das Einstiegspaket

    Wir waren wieder zuhause und knackig braun. Gerade in den letzen Tagen des Urlaubs hatten wir uns alles gegeben. Um unsere Körperbräune ans Limit zu bringen, hatten wir uns sogar mit Olivenöl ohne Sonnenschutzfaktor eingerieben. Leider hielt die Farbe im norddeutschen Klima nur drei Wochen, obwohl nun auch hier die Sonne schien und wir uns viel draußen aufhielten. Das Grundstück sollte schließlich fertig werden.

    Vor unserem Tunesien-Urlaub waren wir in unser neues Haus eingezogen. Ein aufregendes halbes Jahr harter Arbeit lag hinter uns. Nun hatte ich inmitten der Rasenfläche den versprochenen Baum gepflanzt. Eine bereits relativ großgewachsene Linde.

    **********

    Es dauert keine sechs Wochen, als mir Ina eines Abends freudig mitteilte, dass sie annahm, schwanger zu sein. In der letzten Urlaubswoche hatte sie mit der Pille ausgesetzt und nun war ihre Regel bereits überfällig.

    »Wie bitte?«, fragte ich. »So schnell?« Ich war verblüfft.

    »Ich hab mir bereits einen Termin beim Frauenarzt geholt«, entgegnete sie. Und ihre Augen hatten diesen besonderen Glanz.

    Einige Tage später fuhr ich Ina nach Feierabend zu ihrem Arzt. Ich setzte sie vor der Praxis ab und ging noch in die Einkaufspassage, um irgendetwas zu besorgen.

    »Wenn Du hier fertig bist, komm in die Stadt. Wir treffen uns am alten Rathaus«, hatte ich zu ihr gesagt.

    »Okay. Länger als eine Stunde wird es wohl nicht dauern«, meinte sie.

    Ich erledigte meine Besorgungen und setzte mich dann am Altstädter Markt auf eine Bank, beobachtete das geschäftige Treiben, und wartete darauf, dass Ina kommt. Aber es wurde bereits dunkel, als sie mit einer Einkaufstüte in der Hand am ausgemachten Treffpunkt erschien. »Tut mir leid, ich war noch kurz in dem Kosmetikladen«, entschuldigte sie die Verspätung.

    »Na, und - was ist?«, fragte ich sofort.

    »Fehlalarm«, sagte Ina mit traurigem Blick.

    Ich nahm sie in die Arme. »Komm, davon geht die Welt nicht unter. Irgendwann klappt es schon.«

    Für mich war es nicht besonders tragisch, obwohl ich nicht bestreiten will, dass ich mich tief in meinem Inneren doch ein wenig gefreut hätte. Nur Ina tat mir sehr leid. Ich wusste doch, wie sehr sie sich wünschte schwanger zu sein. Dabei war sie davon bereits so überzeugt gewesen. Wie mies musste sie sich wohl jetzt fühlen.

    »Ist schon okay. Aber ich hatte mich nun mal so gefreut.« Ina nahm meine Hand und wir gingen zum Parkdeck, auf dem unser Wagen abgestellt war. Ich überlegte krampfhaft, wie ich sie aufmuntern könnte. Doch es fiel mir nichts auf die Schnelle ein. »Und jetzt?«, fragte ich.

    »Jetzt fahren wir noch schnell zu ALDI. Es sind noch einige Lebensmittel zu besorgen«, antwortete sie.

    Wir bezahlten am Parkautomaten und fuhren auf die Westtangente - eine größere Umgehungsstraße in unserer Heimatstadt.

    An der ersten Ampel sprang das Lichtzeichen auf Rot. Ich bremste den Wagen ab und hielt. Ina kramte in der Einkaufstüte, die sie auf ihren Knien abgestellt hatte. »Hier. Ich hab Dir was mitgebracht«, sagte sie und legte mir etwas auf den Schoß. Ich lenkte meinen Blick von der Ampel zu dem Päckchen, welches Ina mir auf die Beine gelegt hatte. Irritiert sah ich sie an. Sollte das jetzt ein Scherz sein? Wenn ja, dann war der aber ziemlich makaber. Auf meinen Beinen lag ein Paket mit der Aufschrift: »Für die jungen Eltern«. Ein Grundausstattungs-Set mit Einweg-Windeln und Trockenmilch für Säuglinge.

    Hinter mir hupten Autos, ... die Ampel stand auf Grün. Erschrocken fuhr ich an. »Was soll das denn?«, fragte ich verwirrt.

    Ina grinste. »Herzlichen Glückwunsch. Du wirst Papa. Ich bin in der achten Woche.«

    Völlig planlos fuhr ich bei der nächsten Möglichkeit rechts ran. Irgendjemand hupte wieder.

    »Was hast Du gesagt?«, ich war völlig konfus.

    »Du hast richtig gehört, Du wirst Papa«, lachte Ina, schlang die Arme um mich und gab mir einen Kuss. Ich war sprachlos. Da hatte ich mir noch vor Minuten das Gehirn zermartert, wie ich sie gefühlsmäßig wieder in die Spur bekommen könnte. Und Sie? Sie machte sich einen Spaß mit mir!

    Aber jetzt kribbelte es in mir. Ja, ich fühlte mich beschwingt. Ach Blödsinn, beschwingt ist der falsche Ausdruck - ich fühlte mich sensationell!! Wir sind schwanger! Ich werde Papa!!!

    Ich erinnere mich, dass ich feuchte Augen bekam. Und das mir, … wo ich doch eigentlich garnicht besonders scharf auf Nachwuchs gewesen war. Ich war unglaublich glücklich!!

    Wir fuhren Feinkost-Albrecht an und luden den Einkaufswagen voll. Was wir einkauften, bekam ich garnicht mit. Meine Miene hatte irgendwie einen Krampf. Ich denke, jeder der mich ansah, musste denken: »Was grinst dieser Kerl eigentlich die ganze Zeit so dämlich.«

    Und ich dachte unentwegt daran, wie es sich wohl anhören muss, … wenn so ein kleiner Knirps »Papa« zu mir sagt.

    Schnell legte ich noch zwei Gläser saure Gurken in den Einkaufswagen.

    **********

    Ohne uns dessen im Moment bewusst zu sein - an diesem Tag änderte sich unser Leben schlagartig. Alles, was wir machten oder planten, hatte nun indirekt mit der freudigen Erwartung auf unser erstes Kind zu tun.

    Wie damals, als wir vorhatten zu heiraten, riefen wir Inas Eltern und meine Mutter an und luden sie am Wochenende zu Kaffee und Kuchen ein. Nur diesmal machten wir keine Andeutungen.

    Als wir gemütlich im Wohnzimmer zusammensaßen und erzählten, dass Ina schwanger sei, war die Freude natürlich groß. Schwiegermutter bemerkte jedoch: »So etwas hatten wir uns schon gedacht.« Und Mutti sagte freudig bewegt: »Wenn Dein Vater das noch erleben könnte.«

    Das war auch mein Gedanke als Ina mir mitgeteilt hatte, dass ich selbst Vater werden würde. Und es schmerzte. In solchen Momenten fehlte Vati mir sehr.

    Am liebsten hätten wir es der ganzen Welt mitgeteilt. Auch unsere Freunde und Bekannten erfuhren natürlich sehr schnell von unserem Glück. Als ich Axel in seiner Wohnung informierte, sagte er mit breitem Grinsen: »Da hast Du ja Glück gehabt, dass Du mal gerade so an der »Ochsen-Hochzeit« vorbeigeschlittert bist.«

    Die Ochsen-Hochzeit ist der 5. Hochzeitstag. Jedoch nur, wenn man an dem Tage noch kinderlos war. Dann hängten die Freunde einen Kranz mit der Zahl 5 an die Tür und als Dekoration dienten hohle Hühnereier, manchmal sogar einen Rinderkopf.

    Nächstes Jahr im August hätte man mir wahrscheinlich so ein Teil an die Tür gebaumelt - da war ich mir sicher, aber unser Kind sollte nun ja bereits zwischen Ende April und Anfang Mai geboren sein.

    »Dann lass uns mal auf die Leistungsfähigkeit Deiner Lenden anstoßen!« Axel holte irgendetwas Hochprozentiges aus dem Schrank. »Nicht lang schnacken, Kopf in Nacken.«

    Ina machte genauso weiter wie vor der Schwangerschaft, obwohl ich sie immer wieder auf ihren Zustand hinwies. Zum Beispiel nicht mehr so schwer zu heben, wenn wir auf dem Grundstück Steine schleppten. Oder das Brennholz, welches wir für unseren Wintervorrat spalteten.

    »Schwangerschaft ist doch keine Krankheit«, wimmelte sie meine Bedenken locker ab.

    Ich begann mir Gedanken über die Gestaltung und Einrichtung des Kinderzimmers zu machen. Am liebsten hätte ich bereits Möbel gekauft. Doch Ina sagte immer, es wäre noch zu früh. Und dass es Unglück bringen würde ein Kinderzimmer einzurichten, wenn das Kind noch nicht da war.

    Aber an den Wochenenden sahen wir uns in den Geschäften schon mal um, was man so brauchen würde, wenn der Nachwuchs kommt. Wir hatten dann immer ein kleines Notizbuch dabei, in das wir eintrugen, was man gerne hätte - oder haben müsste.

    Kinderbetten, Wickelkommoden, Kinderwagen. Wir schrieben die Preise dahinter und stellten fest, dass alle diese Dinge enorme Summen verschlingen würden. Uns blieb nichts anderes übrig als einiges zu streichen, oder uns preisgünstigere Alternativen auszudenken. Alleine die Säuglingsbekleidung war sauteuer. Natürlich würden wir vieles von Freunden und Bekannten bekommen - einige hatten noch Babysachen zuhause liegen, aus denen ihre Kinder herausgewachsen waren. Aber Ina und ich hatten auch unseren eigenen Geschmack und gewisse Vorstellungen. Die Babyabteilungen in den Kaufhäusern hatten so viele schöne Dinge im Angebot. Wir konnten uns manchmal nicht sattsehen an Stramplern, Jäckchen, Mützchen und Söckchen.

    Den ersten Kinderwagen wollte Mutti uns spendieren. Und eine Bekannte hatte ein wenig benutztes Kinderbettchen für uns aufgehoben. Aber eine Wickelkommode und einen Schrank würden wir uns noch kaufen müssen.

    »Weißt du was, ich hab da eine Idee«, sagte ich eines Abends zu Ina, als ich mal wieder überlegte, wie ich das Kinderzimmer optimal und kostengünstig einrichten könnte, »Den Schrank bau ich selbst. Den montiere ich in der schrägen Wand. Da passt sowieso kein gekaufter rein. Und den Wickeltisch integriere ich gleich in meine Konstruktion. Das bekomm ich hin.«

    Ich zeichnete meine Vorstellung auf ein Blatt Papier und überschlug die Kosten für das benötigte Holz.

    Es war jetzt Anfang Dezember 1988 und Inas Bauch wölbte sich bereits. Doch ihr ging es gut. Schwangerschaftsbeschwerden hatte sie keine. Auch Heißhunger auf die sauren Gurken verspürte sie nicht. Nur auf Eiscreme war sie des Öfteren scharf.

    Der Winter hatte relativ früh eingesetzt und Ina tobte mit unserem Hund draußen im Schnee. Sie lief voraus und Nora jagte hinterher. Ina war voller Lebensfreude. Unsere Nachbarin Lisbeth schimpfte mit ihr, als sie aus dem Küchenfenster sah, wie Ina im Schnee ausrutschte. »Ina, um Gotteswillen! Du bist schwanger. Das kannst Du doch nicht machen!«

    Aber Ina lachte nur und brachte wieder den Spruch, dass Schwangerschaft doch keine Krankheit sei.

    So allmählich konnte ich es einfach nicht abwarten. Während Ina Tapeten für das Kinderzimmer aussuchte, besorgte ich Holz und fing an, meinen Plan von dem Schrank in die Tat umzusetzen. Es funktionierte. Der Schrank mit integriertem Wickelplatz wurde genau so, wie ich es auf Papier gezeichnet hatte.

    In einigen Monaten sollte es soweit sein. Also begannen wir nun doch zu tapezieren und zu streichen. Dort wo das Bett stehen sollte, malte ich, mit Liebe und bunten Wandfarben, ein großes Bild - einen Babysaurier, der aus seinem Ei schlüpfte. Vor einem zerklüfteten Berg, umgeben von Schlingpflanzen. Diese Szene hatte ich in einem der Kinderbücher gesehen, von denen bereits einige im Regal standen.

    Wir hielten das Zimmer größtenteils in Blau. Komischerweise waren wir überzeugt, dass es ein Junge werden würde.

    Am Anfang der Schwangerschaft war ich einmal mit beim Frauenarzt gewesen, als er eine Ultraschalluntersuchung durchführte. Damals hatten wir gesagt, dass es uns egal sei, ob es ein Junge oder ein Mädchen wäre. Hauptsache gesund!

    Der Arzt hatte daher keine Aussage zu dem Geschlecht des Embryos gemacht. Es interessierte uns auch wirklich nicht. Aber es gab unweigerlich Momente, in denen wir gewisse Ängste spürten - ob mit dem Kind alles in Ordnung sei.

    »Ein ganz natürlicher Vorgang«, meinte der Frauenarzt. Aber er könne uns beruhigen. Das Baby würde sich völlig komplikationsfrei entwickeln.

    Als Inas Bauch bereits ordentliche Ausmaße annahm, rief sie mich oft zu sich. »Komm schnell! Es boxt wieder!«

    Ich legte meine Hände auf ihren Bauch. Und wenn ich die Bewegungen spürte, durchfuhr mich ein Gefühl von Wärme und es kribbelte in meinem Nacken.

    Manchmal legte ich mein Gesicht dorthin, wo ich Bewegungen ertastete, … dann sagte ich: »Hallo, hörst Du mich? Hier ist Dein Papa.« Und manchmal sang ich mit meinem Kopf auf Inas Bauch:

    »La Le Lu, nur der Mann im Mond schaut zu.

    Wenn die kleinen Kinder schlafen, dann schlaf auch Du.«

    Und wenn ich sang, bildete ich mir oft ein, die Bewegungen würden kurz aufhören. »Ich glaube, mein Sohn hört mich« sagte ich dann zu Ina.

    Natürlich fingen wir auch an, uns Gedanken um den zukünftigen Namen unseres Kindes zu machen. Das war garnicht so einfach. Wir legten Listen an, konnten uns aber trotzdem nicht festlegen. Irgendwie erzielten wir keine Einigung.

    Bis zu dem Tag, als ich sagte: »Was hältst Du von Bastian?«

    Vor Jahren lief mal eine Serie im Fernsehen, die »Unser Bastian« hieß. Ina kannte die Folgen ebenfalls und hatte sich als Kind immer auf jede Fortsetzung gefreut. Endlich waren wir uns einig!

    Bei den Mädchennamen konnten wir uns recht schnell festlegen. Katharina sollte sie heißen. Aber es würde ja sowieso ein Junge werden, davon waren wir immer noch überzeugt.

    Kapitel 44:   Die Überwindung der Angst

    Mitte Dezember bekam ich urplötzlich und ohne besonderen Auslöser wieder heftige Rückenschmerzen. Sie waren nicht auszuhalten. Selbst meine Voltaren halfen nicht. Ich konnte weder liegen, sitzen, noch gehen. Ich lag im Bett und weinte vor Schmerzen!

    Ina fuhr mich zum Orthopäden. Die Schmerzspritzen, welche mir sonst Linderung verschafften, schlugen auch nicht mehr an.

    Zwei Tage vor Weihnachten bekam ich endlich einen Termin für die Computer-Tomografie. Das Ergebnis war erschreckend. Eine Bandscheibe im Lendenwirbelbereich war so kaputt, dass sie die Nerven in der Wirbelsäule quetschten. Es war ein Wunder, dass noch keine Lähmungserscheinungen in meinen Beinen aufgetreten waren.

    »Sie müssen sofort operiert werden. Ein falscher Schritt, und Sie landen im Rollstuhl«, war die dramatische Aussage meines Orthopäden. Er wollte mich sofort in die orthopädische Klinik, im Ostseebad Damp, überweisen. Aber ich weigerte mich. »Übermorgen ist Heiligabend. Da will ich zuhause sein.«

    »Gut«, sagte der Arzt, »ich kann Sie in gewissem Maße verstehen. Dann müssen Sie jedoch das Risiko selbst tragen. Ich besorge Ihnen aber einen Termin für den 2. Januar.«

    Ich war einverstanden. Aber noch nie war ich operiert worden. Ich hatte fürchterliche Ängste.

    Die Weihnachtstage vergingen und die Schmerzen waren immer noch da. Obwohl ich massenhaft Tabletten schluckte, hatte ich nur ganz kurze Phasen, in denen sie erträglich waren. Den ganzen Tag lag ich auf dem Sofa und quälte mich. Ich dachte daran, dass in einigen Monaten unser Kind zur Welt kommen würde. Wenn mein Zustand andauern sollte, könnte ich das Baby noch nicht einmal auf dem Arm halten. Dieser Gedanke machte mich zunehmend depressiv. Nein, das war kein Leben mehr!

    **********

    Am Morgen des 2. Januar 1989 hatte Ina meine Reisetasche gepackt. Während der einstündigen Fahrt zur Klinik sprach ich kaum ein Wort. Die Angst vor der Operation hatte mich regelrecht gelähmt. Was wäre, wenn die OP schief gehen würde. Ich hatte so viele negative Dinge gehört.

    Ina versuchte mir Mut zu machen. »Die Ärzte machen solche Operationen mehrmals täglich. Die haben mittlerweile Erfahrung und Routine bei Bandscheiben-Operationen. Es wird schon alles gutgehn.«

    Doch meine Angst konnte sie mir nicht nehmen.

    Im Krankenhaus wurden die Eingangsuntersuchungen durchgeführt. Merkwürdigerweise waren die Schmerzen etwas geringer geworden. Und der aufnehmende Arzt gab mir wieder etwas Hoffnung.

    »Wir werden Sie ersteinmal eine Woche beobachten. Auch wenn die CT-Aufnahmen nicht gut aussehen, heißt das noch lange nicht, dass wir Sie operieren müssen. Sie haben ja Gott sei Dank noch keine Ausfallerscheinungen in den Beinen. Wir warten noch etwas. Am Ende der Woche werden wir dann Belastungstests durchführen.«

    Ich atmete durch, denn ich war davon ausgegangen, dass ich bereits morgen unters Messer müsste. Nun hatte ich also Aufschub.

    »Und wie sehen solche Tests aus?«, fragte ich.

    »Wir hängen kleine Gewichte an Ihre Beine. Die werden Sie dann anheben müssen«, beantwortete der Arzt meine Frage.

    Tatsächlich gingen die Schmerzen phasenweise etwas zurück. Am Montag war ich eingeliefert worden und ich hatte Hoffnung geschöpft. Doch am Mittwoch ging die Quälerei wieder los. Nie würde ich die angekündigten Belastungstests durchhalten!

    Im mittleren Bereich der Etage, auf der sich meine Krankenstation befand, war eine Raucherecke eingerichtet. Immer wenn es mir möglich war, ging ich dort hin.

    Da saßen sie alle. Operierte Patienten und solche bei denen es sich noch herausstellen sollte, ob ein Eingriff vorgenommen werden musste. Ich war nicht der Einzige, der große Angst vor einer Operation hatte.

    Die vor zwei oder drei Tagen frisch Operierten waren sofort zu erkennen. Sie standen kerzengrade an der Wand oder mit dem Rücken an den vorhandenen Steinsäulen. Sitzen durften und konnten sie nicht, das würde noch einige Zeit dauern.

    Natürlich war ich an allem interessiert, was die Geschädigten zu erzählen hatten. So schlimm würde es nicht sein, berichteten mir die meisten. Hauptsache, die Schmerzen wären weg. Einer sagte: »Du gehst mit wahnsinnigen Schmerzen in den OP - und ein oder zwei Stunden später, wenn Du wieder aufwachst, bist Du vollkommen schmerzfrei.«

    Auch wurde bildhaft beschrieben, wie so eine Bandscheiben-OP durchgeführt wird. Wie man auf eine Art Bock gelegt wird, damit die Chirurgen schön sauber schneiden könnten. Dann würde man wieder zugenäht, denn der nächste Patient wartete bereits in der OP-Schleuse.

    »Die operieren hier von früh morgens bis spät abends. Pro Tag etwa zehn Operationen - Lendenwirbel und Halswirbel. Wie am Fließband.«

    Mir wurde mulmig. Trotzdem war mir klar, dass ich früher oder später auch rankommen würde.

    Ein elender Feigling war ich! Was würde mein Sohn zu so einem Weichei von Vater sagen. Ich rang mit mir. Mit meiner Angst, meinem Stolz und meiner Achtung vor mir selbst.

    Am Abend wurden die Patienten, die am nächsten Tag unters Messer sollten, von den jeweiligen Chirurgen aufgesucht. Die Ärzte sammelten dann immer die Unterschriften ein, mit der die armen Schweine ihre Zustimmung gaben, nachdem sie auf die Risiken des Eingriffs hingewiesen worden waren.

    Ich hatte mich wieder in die Raucherecke geschleppt und steckte mir vor lauter Nervosität eine Zigarette nach der anderen an. Mein Herz klopfte, als ich Doktor Sievers, meinen zuständigen Arzt, über den Flur huschen sah. Wenn er wieder zurückkommt, würde ich ihn ansprechen. Ich hatte mich entschlossen. Aber mir ging’s nicht gut dabei.

    »Doktor Sievers - kann ich Sie kurz sprechen?«

    Er blieb stehen. »Ja, was kann ich für Sie tun?«

    »Ich, ... ich habe mich entschieden. Ich möchte doch operiert werden. Die Schmerzen werden nicht weniger.«

    Ich legte ihm meine Gründe dar. Dass meine Frau schwanger sei und ich für mein Kind gesund sein wollte. Vergaß aber nicht zu erwähnen, welche fürchterliche Angst in mir war. »Können Sie dafür sorgen, dass ich dann aber gleich als Erster rankomme?«

    »Gut, ich werde es versuchen. Aber Notfälle gehen vor. Ich verspreche aber, dass Sie so früh wie möglich dran sind.« Er verabschiedete sich. »Morgen besprechen wir die Einzelheiten.«

    Mir war ein Stein vom Herzen gefallen. Über meinen Mut war ich sogar etwas stolz. Und einige der anwesenden Raucher klopften mir auf die Schulter. »Gut hast Du das gemacht. Bald hast Du es hinter Dir. Wirst sehen, bald wird es Dir gutgehn.«

    Ich ging auf mein Zimmer und rief Ina an. »Stell Dir vor, ich hab allen Mut zusammengenommen. Wahrscheinlich werde ich Freitag operiert. Aber Du weißt ja, ich habe eine wahnsinnige Angst!«

    Ina freute sich. »Ich bin stolz auf Dich. Du brauchst keine Angst zu haben. Du merkst doch nichts davon. Glaub mir.«

    Wir telefonierten noch einige Minuten, in denen sie versuchte mir Mut zu machen. »Morgen besuche ich Dich«, sagte sie zum Abschied.

    Ich dachte an den Film »The Green Mile« mit Tom Hanks. An die Szene, in der ein zum Tode Verurteilter den Flur entlang geführt wurde. Hinter der Tür am Ende des Gangs war die Todeszelle mit dem elektrischen Stuhl. In meinen Gedanken verwandelte sich der Stuhl in einen OP-Tisch.

    Während der Visite am nächsten Morgen wurden die Einzelheiten besprochen. Ich wurde auf die Risiken hingewiesen, die bei dem Eingriff immer vorhanden sind. Natürlich könnte so ein Eingriff dazu führen, dass der Patient anschließend querschnittgelähmt sei - schließlich gehen durch das Rückenmark die ganzen Nervenstränge. Aber ihm wäre noch nie etwas Derartiges untergekommen, beruhigte mich Dr. Sievers. »Spätestens nach der OP werden Sie froh sein, dass Sie sich dafür entschieden haben.«

    Doktor Sievers versicherte mir, dass ich für den ersten Termin um 07:00 Uhr vorgemerkt wäre. Er übergab mir das Formular, auf dem ich unterschreiben sollte. Dass ich über die Operation aufgeklärt wurde, und dieser zustimmte. Bis zum Nachmittag würde die Schwester das unterschriebene Formular abholen. Zusätzlich würde sich der Anästhesist noch bei mir melden, um mit mir über die Narkose zu sprechen.

    Ich unterschrieb. Jetzt gab es kein zurück!

    Der Narkosearzt kam und machte sich Notizen. Ob und wieviel ich rauchen würde - ob ich regelmäßig Alkohol trinken würde, usw.

    Bevor er das Zimmer verließ, wies er mich noch darauf hin, dass ich nach 22 Uhr weder rauchen noch etwas essen dürfte. Meine Gedanken fuhren wieder Achterbahn!

    Zum Abendessen bekam ich nur etwas Toastbrot, Käse und Tee - also ganz leichte Kost. Und zur Einstimmung brachte mir die Schwester gleich das OP-Hemd, Anti-Thrombosestrümpfe und etwas Netzartiges mit. Das sollte ich morgen früh nach dem Wecken gleich anziehen. Frühstück würde es für mich nicht geben, sagte sie und legte mir eine Tablette hin.

    »Die schlucken Sie bitte vor dem Einschlafen. Das ist ein Beruhigungsmittel und wird Ihnen helfen Ihre Ängste zu nehmen.«

    Wie versprochen besuchte mich Ina an diesem Abend, und wir redeten. »Wie geht es Deinem Bauch?«, fragte ich.

    Es war soweit alles in Ordnung. Nur hatte sich das Baby so gedreht, dass es sich in Steißlage befand. Und nicht, wie normal, mit dem Kopf nach unten lag. »Der Arzt sagt aber, das wäre kein Problem. Es wird sich mit Sicherheit noch drehen. Bis zur Geburt ist ja noch Zeit«, beruhigte sie mich. Andernfalls müsste eben ein Kaiserschnitt gemacht werden.

    »Pass auf Dich auf und überanstreng Dich nicht.« Ich umarmte sie beim Abschied.

    »Ich drück Dir für Morgen die Daumen. Hab keine Angst«, sagte Ina und gab mir einen Kuss.

    Der Abschied fiel mir an diesem Abend besonders schwer. Ich begleitete sie hinaus und ging anschließend in die Raucherecke. Bis 22:00 Uhr war ja noch eine Stunde Zeit. Und ich suchte Gesellschaft, die mich vom Grübeln über die anstehende Operation ablenken sollte.

    Anschließend ging ich aufs Zimmer, schluckte die »Leck-mich-am-Arsch-Pille« und legte mich ins Bett. Ich wollte schnell einschlafen aber es gelang mir nicht. Tausend Dinge schwirrten mir durch den Kopf.

    **********

    »Aufstehen!« Die Schwester drückte den Lichtschalter und trat in das nun hell erleuchtete Krankenzimmer. »Machen Sie sich bitte fertig«, sagte sie und legte mir das gestern empfangene OP-Hemd aufs Bett.

    Wenig später wurde meinem Bettnachbarn das Frühstück serviert. Ich ging natürlich leer aus.

    Warum duftete der Morgenkaffee heute so besonders gut?!

    Das Hemd hatte ich angelegt und auch die weißen Anti-Trombosestrümpfe übergezogen. Das netzartige Teil sollte bestimmt eine Kopfhaube sein, doch irgendwas stimmte damit nicht! Ich sah mir das Ding genauer an und musste unwillkürlich grinsen. Das war kein Haarnetz, sondern eine Art Unterhose. Als mir die Schwester etwas später das OP-Hemd auf dem Rücken zuband, erzählte ich ihr davon. Sie lachte.

    Nun lag ich auf meinem Bett und wartete. Die Angst war immer noch da und ich spürte, wie mein Herz klopfte. Die Beruhigungspille zeigte absolut keine Wirkung. Und die Zeit schien mir unendlich.

    Wenig später dann betrat ein Pfleger das Krankenzimmer und löste die Feststellbremsen meines Bettes. »Na dann wollen wir mal«, sagte er und schob mich mitsamt meinem Bett auf den Flur. Wir fuhren in den Aufzug und anschließend durch eine Vielzahl von Fluren und Gängen. Meine ganz persönliche »Green Mile«.

    »Operationssäle« las ich auf einem Schild. Wir waren angekommen. Eine OP-Schwester in grüner Montur und Haube auf dem Kopf nahm mich in Empfang.

    »Guten Morgen, wie geht es Ihnen«, begrüßte sie mich freundlich.

    »Nicht so besonders«, entgegnete ich. »Ich hab eine Schweineangst!« Und das war absolut nicht gelogen.

    »Brauchen Sie nicht zu haben. Sie bekommen gleich eine schöne Vollnarkose und dann werden Sie schlafen wie ein Baby«, sagte sie, während mir eine dicke Kanüle in die Oberseite meiner rechten Hand geschoben wurde. Dann rollte sie mich von meinem Bett auf eine bereitstehende fahrbare Trage. »Haben Sie Schmerzen?« Ja, die hatte ich.

    »Wenn Sie nachher aufwachen, werden die weg sein und sie werden sich toll fühlen«, sagte die Schwester beruhigend. Und trotz des Mundschutzes, den sie nun trug, spürte ich, dass sie lächelte. Dann schob sie mich in den OP.

    Auf der Trage liegend sah ich mich um. »Wie im Fernsehen«, dachte ich, als der Anästhesist neben mich trat. »Guten Morgen.« Er hielt mir eine Art Sauerstoffmaske vors Gesicht, aus der es etwas zischte. »Ich gebe ihnen jetzt mal was Gutes zum Schlafen.«

    Jetzt traten drei oder vier grün gekleidete Personen mit Mundschutz und Haube von der anderen Seite an mich heran. »So, dann wollen wir mal anfangen«, sagte einer von ihnen. Das schien Doktor Sievers zu sein.

    »Moment«, warf ich erschrocken ein. »Ich bin doch noch hellwach!!«

    Und im selben Moment drückte Sievers wohl den Knopf, der in meinem Gehirn das Licht ausschaltete. Auf jeden Fall war es das Letzte, an das ich mich erinnern kann.

    **********

    »Herr Gölnitz. Aufwachen!« Irgendjemand tätschelte mein Gesicht. Ich hatte Probleme meine Augen ganz zu öffnen. »Wach werden«, sagte die freundliche Stimme nochmals. Verschwommen sah ich eine Person im weißen Kittel, die sich über mich beugte.

    »Schon fertig?«, nuschelte ich ungläubig und benommen.

    »Ja, die Operation ist gut verlaufen. Haben Sie Schmerzen?«

    Ich hatte absolut keine Schmerzen, stellte ich überrascht fest. Nur ein leichter Druck im Rückenbereich.

    Keine Schmerzen! Wie lange war das her, dass ich keine Schmerzen hatte! Eine besondere Art von Glückseligkeit durchströmte mich. Ich hatte die Operation anscheinend hinter mir und absolut nichts davon mitbekommen. Am liebsten hätte ich die Schwester gedrückt und abgeküsst!! Nur bewegen konnte ich mich nicht. Ich lag da, wie angenagelt.

    So eine Vollnarkose hat was. Man schläft, wacht kurz auf, schläft. Zwischendurch kommt eine Krankenschwester und wechselt den Beutel für den Tropf, damit man keine Schmerzen hat. Und man schläft weiter. Irgendwie ist das angenehm.

    Am Nachmittag wachte ich kurz auf. Ina war gekommen. »Wie geht’s Dir«, fragte sie mich und streichelte meine Wange.

    »Ich habe keine Rückenschmerzen mehr. Du kannst Dir nicht vorstellen, wie toll das ist«, antwortete ich. »Ungewohnt ist es nur für mich, auf dem Rücken zu schlafen. Manchmal wache ich von meinem eigenen Schnarchen auf.«

    »Morgen hast Du ja Geburtstag«, sagte Ina. »Ist zwar blöd, dass Du ihn im Krankenbett verbringen musst, aber ich denke, Besuch wirst Du trotzdem bekommen.«

    »Ach, Geburtstage sind mir nicht mehr so wichtig. Ist ja dann mein 34-ter. Also nichts Besonderes mehr«, erwiderte ich.

    Ina blieb eine ganze Zeit an meinem Bett und ich schlief immer wieder kurz ein.»Morgen komme ich wieder«, sagte sie, »schlaf Dich aus.«

    Ich bekam vom Rest des Tages kaum etwas mit. Erst gegen Abend wurde ich wieder wach. Die Schwester kam mit den Thrombosespritzen. Von den Dingern würde ich die nächste Zeit mehr als genug bekommen.

    »Ich hab soviel geschlafen. Hoffentlich liege ich nicht die ganze Nacht wach«, sagte ich zu ihr. Doch die Nacht verlief normal.

    »Herzlichen Glückwunsch zum Geburtstag!« Die Stationsschwester kam an mein Bett. »Jetzt werden wir Sie ersteinmal waschen und hübsch machen. Sie sollen doch gut aussehen, wenn Ihr Besuch kommt«, scherzte sie.

    Ich konnte absolut nichts alleine machen, noch nicht einmal meine Zähne putzen. Ich lag flach auf dem Rücken. Mich nur einen Zentimeter aufzurichten war schier unmöglich. Und obwohl ich Hunger hatte, war es äußerst schwierig mein Frühstück einzunehmen. Die Schwestern schmierten mir ein Brötchen und meinen Kaffee trank ich aus einer Schnabeltasse.

    »Morgen wird es besser. Dann zeigen wir Ihnen wie Sie aufstehen können.«

    »Morgen aufstehen? Das wird nix«, sagte ich ungläubig.

    »Doch«, sagte die Schwester lachend, »das wird was. Sie können ja nicht ewig hier rumliegen und sich von uns betütern lassen.«

    Am Nachmittag gab sich der Geburtstagsbesuch die Klinke in die Hand. Ina war die Erste. Sie hatte eine Torte und Kaffee dabei. Auch Mutti hatte sie aus ihrer Wohnung abgeholt und mitgebracht. Dann erschienen meine Schwiegereltern und auch Axel mit Anja.

    Und obwohl ich flach im Bett lag, wurde es ein schöner Nachmittag. Ina hatte sogar den Kopfteil meines Bettes etwas erhöhen können. Mir ging es schon richtig gut.

    **********

    In der Nacht wachte ich auf. Ich hatte urplötzlich starke Schmerzen. Anfangs dachte ich, sie würden von der OP herrühren. Die Schmerzen verlagerten sich bis unter die Arme.

    »Das sind festgesetzte Blähungen. Manchmal haben Patienten das nach einem operativen Eingriff. Das hat mit der Vollnarkose zu tun. Die natürlichen Bewegungen des Darms setzen dann aus«, meinte die Nachtschwester und gab mir ein Mittel dagegen. »Legen Sie sich auf die linke Seite, das entlastet.«

    Doch wie sollte das gehen?

    Die Schwester half, und drehte mich leicht auf die Seite. Ich hatte das Gefühl, als würde ich in der Mitte durchzubrechen. Es war so, als wenn der Schnitt am Rücken auseinanderreißen würde.

    Aber die Bauchschmerzen wurden nun leicht weniger und ich schlief etwas.

    Am Morgen waren sie jedoch wieder so stark, dass ich keinen Bedarf auf das Frühstück hatte. Meiner Bitte, mir einen Einlauf zu verpassen, kam man nicht nach. Ich bekam nur wieder dieses bescheuerte Mittel, das den Stuhlgang aufweichen sollte, aber keine Wirkung zeigte. Und mir ging es jetzt richtig schlecht! Dabei hatte ich damit gerechnet, dass es an diesem Morgen allmählich aufwärts mit mir gehen würde. Gestern Nachmittag war ich noch guter Dinge.

    Die Krankengymnastin kam und sollte mir helfen mich aufzurichten. Zuerst ganz langsam im Bett auf die linke Körperseite rollen. Dann das linke Bein aus dem Bett und den Oberkörper mit Hilfe eines Griffs, der über meinem Bett baumelte, langsam in Sitzhaltung - dann aufstehen. Wenn ich das schaffen würde, könnte ich bald alleine auf die Toilette gehen.

    »Ich schaff das nicht«, sagte ich ängstlich. Doch die junge Frau bestand darauf und half mir, indem sie meinen Oberkörper stützte.

    Irgendwann hatte ich es dann doch geschafft. Aber mit dem Gefühl, als würde ich in der Mitte durchknicken. Erschwerend waren zudem diese irren Bauchschmerzen.

    Als ich das erste Mal aufrecht neben meinem Bett stand, wurde mir schwarz vor Augen. Mein Kreislauf brach regelrecht zusammen.

    Langsam half mir die Krankengymnastin mich wieder hinzulegen.

    »Das ist normal nach so einer Operation«, bemerkte sie. »Ich komme morgen früh wieder. Dann wird es schon bessergehen.«

    Als Ina mich am Nachmittag besuchte, klagte ich ihr mein Leid - worauf sie in das Stationszimmer ging und mit dem Arzt sprach. Sie war verärgert und verlangte, dass man mir sofort ein Klistier verabreichen solle. Klistier ist der medizinische Ausdruck für einen Einlauf.

    Wenig später kam der Pfleger, etwas genervt durch Inas Auftritt im Stationszimmer, mit einer Schüssel und einem Schlauch.

    »Ich werde Ihnen jetzt den Einlauf verpassen. Klemmen Sie anschließend die Pobacken zusammen, solange es geht. Können Sie zur Not alleine auf den Toilettenstuhl? Ich stelle ihn direkt neben Ihr Bett.«

    Und dann führte er den Schlauch ein. Ein merkwürdiges Gefühl, als die etwas kühle Lösung in meine Gedärme floss. Aber ich war froh. Jetzt wurde endlich etwas gegen meine irren Bauchschmerzen unternommen. In mir gluckerte und rumorte es.

    Nicht lange und ich merkte, wie sich etwas tat. Ina half mir schnell auf den »Kack-Stuhl« - und dann ging die Post ab!

    Hier breche ich jetzt eine genauere Beschreibung ab. Es war schon schlimm genug, was mein Zimmernachbar aushalten musste. Und was das Krankenpflegepersonal anschließend zu tun hatte, um die Sauerei zu beseitigen. Aber in solchen Momenten hat man absolut kein Schamgefühl.

    Ich fühlte mich wie neugeboren! Und ich war Ina unendlich dankbar dafür, dass sie sich so resolut beim Personal und dem Arzt durchgesetzt hatte.

    Die Schmerzen waren fast ganz verflogen. Und von nun an ging es endlich rapide aufwärts mit mir. Noch am Abend rief ich eine Schwester und übte mit ihr das seitliche Aufstehen. Richtig verbissen war ich nun bei der Sache. Und es klappte ganz allmählich immer besser.

    Voller Stolz zeigte ich am nächsten Morgen der Krankengymnastin meine Fortschritte. Wir gingen sogar schon ein paar Schritte auf dem Flur. Zwar hielt sie mich fest und stützte mich, aber es sollte den Tag darauf schon weitaus besser gehen. Ich ging so kerzengerade, wie noch nie zuvor.

    »Wenn Du die Treppe hochgehen willst, zieh den Besenstil aus dem Arsch. Sonst kommst Du nicht hoch«, lästerte mein Bettnachbar und lachte.

    Drei Tage nach der Operation versuchte ich, so oft wie möglich aufzustehen. Ich wollte unbedingt wieder beweglich sein - und ich wollte Rauchen!

    Ich steckte die Schachtel Zigaretten, die in meinem Nachtisch lag und ein Feuerzeug ein. Mit langsamen, kurzen und äußerst vorsichtigen Schritten verließ ich das Zimmer und begab mich Richtung Raucherecke. Weit war sie ja nicht entfernt. Im Lendenbereich war ich allerdings immer noch wackelig. Als wenn dort keine Muskulatur mehr vorhanden war. Aber ich schaffte es!

    Eine der tragenden Rundsäulen war frei.

    Ich glaube, nie zuvor hatte ich mich dermaßen aufrecht und gerade gehalten. Es ging auch garnicht anders. Der Spalt in der Wirbelsäule, in dem die kaputte Bandscheibe nun fehlte, wurde durch das Wundfleisch ausgefüllt. Und wenn dort neuerlicher Druck entstand, würden die Nerven wieder gequetscht werden. Dann wäre alles umsonst gewesen. Das war auch der Grund, weshalb ich auf keinen Fall sitzen durfte.

    »Erst in etwa vier Wochen werden Sie lernen müssen, ganz vorsichtig zu sitzen«, hatte Doktor Sievers gesagt. »Bis dahin dürfen Sie nur Sachen mit »L« machen - Laufen und Liegen.«

    Ich lehnte an der Säule, den Blick geradeaus, und kramte in der Tasche meines Bademantels. Dann zündete ich mir meine erste Zigarette seit Tagen an. Ich nahm drei oder vier tiefe Züge.

    Urplötzlich wurde mir schlecht. Kalter Schweiß trat auf meine Stirn. Ich legte die angerauchte Zigarette in den nächsten Aschenbecher, ohne sie auszudrücken. Mir war übel - und ich wollte schnell in mein Bett zurück. Doch schnell ging nunmal überhaupt nicht!

    Mit einer Hand an der Flurwand bewegte ich mich in Richtung Krankenzimmer. »Hoffentlich fall ich nicht um!«

    Ich spürte, wie mir der Schweiß aus den Achseln trat und von der Stirn lief. Wahrscheinlich sah ich in diesem Moment aus wie der »Tod auf Latschen«.

    Nach einer gefühlten Ewigkeit lag ich wieder in meinem Bett und mir war immer noch speiübel. Ich schloss die Augen. Nur jetzt nicht übergeben!

    Ganz allmählich wich die Übelkeit und ich versuchte zu schlafen. Es mochten ein oder zwei Stunden vergangen sein, als ich wieder erwachte. »Nie wieder werde ich rauchen«, sagte ich mir.

    Am Nachmittag besuchte mich Ina. Neben den Mahlzeiten war ihr Besuch für mich immer das Highlight des Tages. Aber es war für sie ein langer Weg, den sie täglich auf sich nahm. Eine Stunde Fahrt hin und eine Stunde wieder zurück. Und das in ihrem Zustand!

    »Du musst

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