Vom Flüchten
Von Cordula Gartmann
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Über dieses E-Book
Janne muss schnell erwachsen werden. Sie erlebt die Schrecken des Krieges , aber auch den Zusammenhalt in der Familie, Freundschaft und die Stärke der Frauen, die sich durchkämpfen, anpassen, nie aufgeben.
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Buchvorschau
Vom Flüchten - Cordula Gartmann
Lübgust
Vom Flüchten
Cordula Gartmann
chapter1Image1.jpegImpressum
Texte: © Copyright by Cordula Gartmann
Umschlag: © Copyright by Paul Boehm ADence
Verlag: Cordula Gartmann
Ekhofstr. 7
22087 Hamburg
CGartmann@web.de
Druck: epubli, ein Service der
neopubli GmbH, Berlin
Printed in Germany
Am Morgen hatte es ein gutes Frühstück gegeben, denn mein Vater hatte aus Norwegen ein Fässchen mit Heringen geschickt, das meine Mutter beim Bauern eingetauscht hatte gegen Eier, Wurst und Käse. Es gab also nicht nur die übliche Brotscheibe zum Frühstück, dünn mit Margarine bestrichen, sondern eine richtige Käsestulle. Für das Mittagessen hatte meine Mutter schon angekündigt, dass sie statt der Milchsuppe, die sie sonst häufig kochte, Eierpfannkuchen machen würde. Milch und Brot waren das einzige, was wir umsonst vom Bauern bekamen, denn meine Mutter, Tante Anna und Josef halfen beim Melken und Ausmisten der Ställe. Ansonsten war der Bauer, auf dessen Hof wir lebten, nicht sonderlich freigiebig. Obwohl seine Speisekammer voll war mit runden Käselaibern, Schinken und Würsten, die von der Decke hingen, Kartoffeln und Zwiebeln in Körben und eingemachtem Obst in Gläsern, durften wir davon nichts haben. Wir hatten nur unsere Lebensmittelmarken und das, was wir dafür bekamen, waren knapp bemessen.
Ich hasste Milchsuppe aus tiefstem Herzen und konnte es kaum erwarten, die süßen, butterweichen Pfannkuchen meiner Mutter zu essen.
Es war der letzte Schultag vor den Weihnachtsferien.
Mein Weihnachtsgeschenk hatte ich schon bekommen: Tante Anna hatte ihre Kleider-Marken spendiert und meine Mutter besorgte dafür einen Wintermantel für mich. Er war gebraucht, ein bisschen zu lang und für meinen Geschmack zu kratzig, aber immerhin hatte ich jetzt einen, den ich über dem Trainingsanzug anziehen konnte, den hier alle Kinder trugen. Trainingsanzüge und Holzschuhe - etwas anderes gab es nicht in diesem Winter. Es war Krieg. Mir war anfangs nicht ganz klar, was das bedeutete. Außer dass mein Vater nicht bei uns war, weil er in Norwegen stationiert war. S t a t i o n i e r t. Ein komisches Wort.
Wenn man stationiert war, so war das gefährlich, weil man fallen konnte.
Roberts Vater war gefallen. Robert war ein Nachbarsjunge, der mit seiner Mutter im Dorf wohnte. Eines Tages - ich kam gerade zur Tür herein- stand Roberts Mutter Rosemarie in der Küche und sprach leise mit meiner Mutter. Sie hatte einen Brief in der Hand und man konnte sehen, dass sie geweint hatte. Sie war blass und zitterte. Es machte mir Angst, denn Erwachsene weinten normalerweise nicht. Ich sah, wie meine Mutter erschrocken die Hand über den Mund legte und Roberts Mutter dann wortlos an sich zog und fest in den Arm nahm. Ich wollte wissen, was passiert war und meine Mutter erwiderte knapp „Roberts Vater ist gefallen."
Sie lösten sich voneinander und Rosemarie setzte sich auf die Küchenbank, während meine Mutter Tee machte. Ich fragte, ob Roberts Vater denn zu schnell gelaufen sei. Rosemarie sah mich einen Moment mit einem merkwürdigen Gesichtsausdruck an, knetete ihr Taschentuch in den Händen und sagte dann mit belegter Stimme, dass gefallen bedeutete, dass er gestorben sei.
Meine Mutter warf mir einen Blick zu, der bedeutete, dass ich nicht so vorlaut sein sollte. Das tat sie häufig, obwohl ich eigentlich nicht genau wusste, was vorlaut war. Es hatte wohl damit zu tun, dass ich nicht so viele Fragen stellen sollte, weil sie das nicht mochte. Wenn ich etwas wissen wollte, fragte ich normalerweise meinem Großvater, der nie müde wurde, mir alles zu erklären. Er schien auf jede Frage eine Antwort zu wissen. Ein freundlicher kleiner Mann, mit vollem grauem Haarschopf und buschigen Brauen. Ich vermisste ihn schrecklich und dachte daran, wie er lachend die Arme hochwarf und - um mich ein wenig aufzuziehen - „Warum? Warum? Warum?" rief.
Mein Großvater wohnte in einem anderen Stadtteil von Eichenwalde, unserer Heimatstadt, war aber, nachdem mein Vater nach Norwegen abkommandiert worden war und das Haus, in dem er wohnte bei einem Fliegerangriff zerstört wurde, zu uns gezogen.
Ich ging in das Zimmer nebenan, in dem wir Kinder und Tante Anna schliefen, das aber keinen eigenen Ofen hatte, weshalb die Tür zur Küche immer offenbleiben musste. Ich war traurig, vor allem tat es mir für Robert leid, der sehr an seinem Vater hing. Ich konnte hören, dass die beiden Frauen leise redeten, konnte aber nicht genau verstehen, was.
Die Stimme meiner Mutter war sanft und beruhigend. So hatte ihre Stimme geklungen, wenn sie mit Evi sprach, meiner kleinen Schwester. Evi war im vergangenen Frühling zur Welt gekommen. Sie weinte viel und meine Mutter versuchte sie zu beruhigen. Aber es wurde immer schlimmer und sie schrie ganze Nächte durch. Sie war winzig und ihre Adern schimmerten bläulich unter ihrer Haut, sie krümmte sich zusammen, wenn sie schrie. Sie tat
mir leid, aber gleichzeitig wünschte ich, sie würde endlich aufhören zu schreien. Eines Morgens war es dann ganz still. Ich ging auf Zehenspitzen hinüber ins Elternschlafzimmer. Meine Mutter saß auf dem Bett neben Evi. Sie hatte, was ungewöhnlich war, noch ihren Morgenmantel an und trug die Haare nicht wie üblich zu einem Knoten zusammengebunden, sondern offen. Sie saß dort bewegungslos und starrte auf ihre Hände, die sie im Schoß gefaltet hatte. Mir fiel auf, dass Evi sich ebenfalls nicht bewegte und Margots Taufkleid und weiße Schühchen trug.
„Was ist mit Evi?"
Meine Mutter blickte auf, überrascht mich zu sehen. Sie räusperte sich.
„Evi ist letzte Nacht gestorben."
Sie sagte es ganz ruhig und ich betrachtete das Gesicht meiner Schwester, dass zum ersten Mal friedlich und ruhig schien. Es kam mir vor, als würde ich ihr Gesicht in diesem Moment zum ersten Mal betrachten und mir wurde bewusst, wie sehr Evi unserer Mutter glich. Sie hatte die gleiche Mundpartie. Der Flaum auf ihrem Köpfchen, den man noch nicht als Haar bezeichnen konnte, war von dem gleichen hellen Blond. Ihre Augen, die jetzt geschlossen waren, so erinnerte ich mich, hatten das gleiche kühle Blau ihrer Augen.
Ich wusste nicht, was ich tun sollte. Mein Großvater kam ins Zimmer. Er wünschte mir leise einen guten Morgen, legte meiner Mutter, die aufgestanden war, kurz den Arm auf die Schulter. Dann wickelte sie Evi in eine Decke und er nahm sie ihr vorsichtig ab, so als würde sie noch leben und er hätte Angst, sie fallen zu lassen. Er verließ mit dem Bündel das Haus. Wohin er ging, wusste ich nicht und fragte auch nicht.
Ich ging in die Küche und machte Frühstück, meine Mutter blieb im Schlafzimmer. Den ganzen Tag kam sie nicht heraus und ihre Tür blieb verschlossen.
Ich überlegte, ob ich etwas putzen sollte. Meine Mutter begrüßte es immer, wenn ich mich nützlich machte. Ich machte mich auf die Suche, aber