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Neukonzept: Kriminalroman
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eBook315 Seiten4 Stunden

Neukonzept: Kriminalroman

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Über dieses E-Book

Frederic Petersen (bekannt aus "Eine gute Partie") leiht seinem guten Freund Marius Veit seine beste Kraft, Leonie Sambacher, um seine altmodische Bleistiftfirma auf Vordermann zu bringen. Aber als Leonie dort hinkommt, ist Veit nicht da, niemand weiß etwas von ihrem Auftrag und im Materialraum liegt eine Leiche... Leonie versucht, der Kripo zu helfen, der Firma ein vernünftiges Konzept zu verpassen (oder doch besser gleich den Insolvenzantrag?) und zu verhindern, dass jemand - wer? – auch noch Marius Veit umbringt. Damit hat sie alle Hände voll zu tun, aber am Ende hat es sich in jeder Hinsicht gelohnt.
SpracheDeutsch
Herausgeberepubli
Erscheinungsdatum19. Dez. 2015
ISBN9783737562812
Neukonzept: Kriminalroman

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    Buchvorschau

    Neukonzept - Elisa Scheer

    Alles frei erfunden!

    Sämtliche Namensgleichheiten und sonstige Übereinstimmungen mit real existierenden Personen, Firmen u. ä. sind purer Zufall.

    Imprint

    Neukonzept. Kriminalroman

    Elisa Scheer

    published by: epubli GmbH, Berlin

    www.epubli.de

    Copyright: © 2015 Elisa Scheer

    ISBN 978-3-7375-6281-2

    Prolog

    Sie hatte ja schon öfter blöde Ideen gehabt, ärgerte sich Leonie, aber das hier war bei weitem die allerblödeste. Sie trottete hinter den anderen her und rückte zum hundertsten Mal ihren Rucksackträger zurecht. Ohne Erfolg, er scheuerte immer noch, da half alle schonende Polsterung nichts. Dieser Trottel im Sportgeschäft, hatte er nicht gesagt, das sei das bequemste, komfortabelste, praktischste Modell seit Anbeginn der Zeiten?

    Nein, der Trottel war sie selbst. Eine Woche Urlaub, und was tat sie? Buchte eine geführte Bergwanderung in der Schwarzenbachklamm. Es regnete von oben, die Gischt schäumte von der linken Seite, die Mücken kamen von rechts, und es war so feuchtschwül, dass man sich nicht einmal etwas überziehen konnte, um gegen Nässe und Viehzeug geschützt zu sein – mehr als ein Trägertop und dreiviertellange Cargohosen konnte sie zumindest nicht ertragen, den Rest hatte sie an den Rücksack gebunden.

    Gestern hatte die Sonne geschienen, was ihr eine rote Nase eingebracht hatte, heute nieselte es heftig. Toll aussehen tat es hier ja schon, fast wie im Regenwald, und die Böschung rechts war interessant bewachsen – aber seit wann hatte sie denn etwas mit Natur am Hut?

    Der Schwarzenbach rauschte heftig neben ihr. Sie schaute nach links – wild schäumendes dunkles Wasser über großen Steinen. Ob die Steine wohl so schwarz waren oder woher kam die dunkle Tönung? Von mitgeführter Erde? Das Wasser sah aber eigentlich ganz klar aus.

    Die anderen waren alle schneller, das waren so richtige Profiwanderer, solche, die jedes Wochenende loszogen und vor lauter Hornhaut schon gar keine Blasen mehr kriegten. Das konnte sie von sich nicht behaupten. Jetzt hielten sie ganz da vorne, wo ein wackliger Holzsteg über den Bach führte, anscheinend ging der Weg auf der anderen Seite weiter. O Gott, da hinten führte eine Treppe den Berg hinauf! Sie hasste diese glitschigen nassen Holztreppen – man rutschte, man keuchte, man stellte fest, dass man weder Kondition noch Gleichgewichtssinn hatte und schämte sich ganz grundlos. Wanderer waren nämlich nicht automatisch die besseren Menschen! Und diese Tussi im roten Windbreaker schon gleich gar nicht, die sicher mal wieder andächtig an den Lippen des Führers hing, obwohl der höchstens auf Bartnelken, Nagelflu oder ein altes Vogelnest hinwies und sich auch gar nicht für seine treue Verehrerin interessierte.

    Jetzt bekam sie links wirklich eine Blase, und das, wo doch die anderen schon über die Brücke trappelten! Da musste sie nachher regelrecht rennen, um sie wieder einzuholen. Scheiß-Urlaub! Jetzt irgendwo auf eine Liege herumlungern, Meeresrauschen, ein nettes Börsenmagazin und einen möglichst gruseligen Krimi zur Auswahl, ab und an einen Campari Orange... War sie denn vom wilden Affen gebissen, stattdessen durch ein verregnetes frühherbstliches Oberbayern zu humpeln? Soo gesund war Wandern auch wieder nicht.

    Die anderen würden schon merken, dass sie sie verloren hatten, jetzt war eins von diesen komischen Gelpflastern angesagt, basta.

    Sie hinkte noch einige Schritte weiter, bis sie vor einer Art Höhle stand und darin einen sehr zweckdienlichen Sitzfelsen vorfand. Ideal! Sie setzte sich, zog Trekkingschuh und Spezialwandersocke aus (auch so eine Geldverschwendung) und kramte in sämtlichen Taschen und Fächern ihres Rucksacks herum, bis sie das Mäppchen mit ihrer Wanderapotheke gefunden hatte. Das Pflaster kühlte sofort, als sie es aufdrückte, und als sie sich auch noch ein Paar frische Socken gegönnt hatte, fühlte sie sie sich durchaus imstande, die anderen in geschmeidigem Trab wieder einzuholen – wenigstens so lange, bis sie wieder auf ihren beschuhten Füßen stand: Naja! Wenigstens scheuerte es nun deutlich weniger.

    Sie stampfte ein paar Mal probeweise auf und stellte mäßig erfreut fest, dass der Regen stärker geworden war. Da sollte sie wohl doch mal das Regencape aus dem Rucksack holen... Sie hatte es gerade herausgekramt und den Rucksack wieder verschlossen, als sie ein eigenartiges Donnern hörte und mittendrin einen unterdrückten Schrei – dann wurde es dunkel vor ihrem höhlenartigen Standpunkt.

    Sie schüttelte den Kopf und zwinkerte ein paar Mal verwirrt. Was war das denn? So dunkel konnte es doch nicht einmal bei Gewitter werden! Sicher, Gewitter in den Bergen waren nicht ungefährlich, das wusste sogar sie (wieder ein Argument für einen gepflegten Sandstrand), aber es konnte selbst hier weder so stockfinster werden noch so lange nachgrollen. Das klang auch anders – so rollend, so, als bewegte sich etwas. Und die Schwärze vor der Höhle war nicht Nacht oder eine dicke schwarze Wolke, sondern einfach Erde. Schwere, nasse Erde.

    Na Klasse! Ein Bergrutsch. Eine Mure oder wie man das nannte. Sie kannte das auch nur aus dem Nachrichtenkanal, wo man immer die Bilder von halbzerstörten Bauernhöfen und darüber die lange Spur einer Mure auf dem Hang sah. Oder gesperrte Alpenübergänge. Sie konnte ja bloß froh sein, dass sie in dieser Höhle gestanden hatte, sonst wäre sie jetzt wohl tot.

    Tot!

    Der Gedanke missfiel ihr so, dass sie zu zittern begann und sich ziemlich abrupt wieder auf den steinernen Sessel setzen musste. Was für ein Ende! Die erfolgreiche PR-Frau Leonie Sambacher, das coole City-Girl, nur Hightech und Gewinne im Kopf, von der Rache der Natur eingeholt und in einem Bergrutsch erstickt. Nee... hochbetagt als große alte Dame der Werbung (und außerdem steinreich) friedlich einschlafen – so war das geplant!

    Kein Problem, sie hatte ja ein Handy dabei, und „der Ernstl", der Bergführer, hatte allen seine Nummer diktiert. Sie würde ihn anrufen, er würde ein paar Leute herbeizitieren, und die würden sie ausgraben. Eine Sache von höchstens einer Stunde, sie waren ja schließlich im hochtechnisierten Bayern.

    Laptop und Lederhose

    Hoffentlich war hier nicht bloß Lederhose pur angesagt!

    Das Handy war schnell gefunden, und sie tippte ihren Code ein. Rechter Balken – hoch. Gut, der Akku war ja auch frisch aufgeladen. Linker Balken – gleich Null. Scheiße, kein Netz. Obwohl... sie rief die Nummer vom Ernstl auf.

    Nein, nichts.

    Toll. Scheiß-Bergwanderung. Scheiß-Schwarzenbachklamm. Scheiß-Urlaub.

    Sie ließ das Handy eingeschaltet, aktivierte die Tastensperre und schob es wieder in den Rucksack. Vielleicht konnte man sie ja trotz Funkloch orten... Der Ernstl musste doch merken, dass sie fehlte? Schließlich zählte er doch ununterbrochen durch und schimpfte, wenn sich jemand unerlaubt von der Truppe entfernte.

    Anscheinend schimpfte er schon jetzt, jedenfalls erklang wütendes Gegrummel von jenseits der Wand aus Erde und Steinen. Sie trat näher an den Höhleneingang. „Hallo? Hier bin ich!"

    „Und ich bin – Scheiße!", war die Antwort. Das war nicht der Ernstl, nicht mal mit dem Mund voller Erde. Hochdeutsch und eine Bassstimme – und der Ernstl hätte nicht Hochdeutsch sprechen können, wenn sein Leben davon abgehangen wäre. Außerdem sprach er nicht annähernd so tief. Da war einer von der Lawine mitgerissen worden!

    Sie inspizierte die Wand genauer und entdeckte schließlich etwas, was wie schlammverkrusteter Gummi aussah. Vorsichtig fasste sie danach. „Hallo? Kann es sein, dass ich Ihren Fuß erwischt habe?"

    „Logisch!, kam die dumpfe Antwort. „Ziehen Sie mal. Ich hab hier eine Luftblase, aber nicht mehr lange. Los doch!

    Sie zog, aber es rührte sich nichts. „Fester, Mensch!"

    „Und wenn Sie sich dabei verletzen?"

    „Mein Risiko. Los, ordentlich ziehen!"

    Sie zerrte aus Leibeskräften, und schließlich bewegte sich der Stiefel. Hoffentlich hatte sie ihn seinem Besitzer nicht bloß vom Fuß gerissen! Nein, der Fuß steckte noch drin, und es folgte ein langes Bein in völlig verdreckten Jeans. Aber nur eins! Er musste in einer saublöden Haltung im Schlamm stecken. Sie zog weiter und bekam eine Ladung Erde und Kieselsteine ins Gesicht. Prustend ließ sie den Fuß wieder los und wischte sich den Dreck aus dem Gesicht. Es roch nach Blut, aber sehen konnte sie fast nichts, weil das bisschen Licht, das durch eine Felsspalte in der Decke fiel, nicht ausreichte. Als sie immerhin die Erdwand wieder sehen konnte, entdeckte sie, dass ein zweiter Fuß aufgetaucht war. Wütend packte sie beide und zerrte ruckartig daran, bis in einer Ladung von Schlamm und prasselnden Steinen der ganze Körper auftauchte und auf den Boden aus trockener Erde fiel.

    Er blieb regungslos liegen und Leonie erfasste eisiger Schrecken: War er tot? Hatte sie so langsam gezogen, dass er die Luftblase verloren hatte und erstickt war? Sie tastete nach seinem Gesicht und schlug ihm leicht auf die Wangen, ohne Ergebnis. Sie kramte in ihrem Rucksack hastig nach der Taschenlampe und leuchtete ihm ins Gesicht – eine Masse aus trocknendem Schlamm. Flüchtig kratzte sie den Schlamm um seinen Mund weg, holte tief Luft und presste ihre Lippen auf seine. Er schmeckte nach Erde, kaum verwunderlich, und reagierte nicht. Sie versuchte es erneut, immer mit der dumpfen Angst, etwas falsch zu machen – der Sofortmaßnahmenkurs war einfach schon zu lange her. Endlich hustete er und wandte sich zur Seite. Sie blieb neben ihm hocken und wartete, bis er Erde und Kies ausgespuckt hatte und sich blinzelnd aufsetzte. „Oh du Scheiße!", sagte er dann, sich umsehend.

    Danke schön hätte es auch getan", tadelte Leonie und versuchte, ihn zu betrachten, soweit das bisschen Licht aus der winzigen Taschenlampe und aus dem Felsspalt das möglich machte.

    „Ja, Entschuldigung. Danke", knurrte er. „Aber Sie haben mich ja reingezogen!"

    „Raus konnte ich ja schlecht, wenn ich selbst drinnen bin, gab sie ärgerlich zurück, erhob sich und knipste die Taschenlampe aus. „Wenn Sie natürlich lieber in den Dreckhaufen zurückwollen... soll ich schieben?

    Er fuhr sich durch das dreckverklebte Haar. „Nein... schon gut. Ich dachte eben nur, ich würde mich im Freien wiederfinden. Was ist das hier?"

    „Wonach sieht´s denn aus? Da landete man mit einem Kerl in einer gottverlassenen Höhle, und dann war er hochgradig beschränkt. Und schlecht erzogen obendrein. „Geht´s dahinten vielleicht noch weiter?

    „Stellen Sie sich vor, ich hatte noch keine Zeit, nachzusehen, fauchte sie. „Fehlt Ihnen sonst noch was? Ich meine, außer Manieren und Hirn? Kopfweh? Was gebrochen?

    „Nein..."

    „Dann setzen Sie sich mal besser auf den Stein da, das ist sicher nicht ganz so kalt von unten."

    Er gehorchte schweigend. Sie konnte erkennen, dass er ziemlich groß war, wahrscheinlich größer als sie selbst, und eine dunkelblaue Jacke trug. Ansonsten schien er nur aus Schlamm zu bestehen.

    Sie horchte in die Stille. Ab und an hörte man es von draußen rieseln, aber darunter war ein anderer Laut zu vernehmen, etwas wie ein ganz leises Plätschern.

    „Irgendwo gibt es hier Wasser, stellte sie fest. „Ich gehe mal gucken.

    Ohne seine Reaktion abzuwarten, machte sie sich auf den Weg. Der dünne Lichtstrahl tanzte über den felsigen Boden, der hier und da mit Erde bedeckt war. Die Höhle machte eine Biegung und wurde breiter und niedriger; an ihrem Ende floss tatsächlich ein schmaler Bach, der zwischen riesigen Felsen auf der einen Seite hervorquoll und zwischen ebensolchen Felsen auf der anderen Seite wieder verschwand. Etwas Größeres als eine Maus passte aber dort nicht hindurch. Und einen dritten Raum gab es auch nicht. Na, immerhin Sauerstoff und Wasser. Und in ihrem Rucksack hatte sie noch zwei Energy-Riegel und einen Apfel. Sie kehrte um.

    „Dahinten fließt ein Bächlein, aber raus geht´s da auch nicht."

    Er sah auf, nun deutlicher erkennbar – zum einen hatten sich ihre Augen wohl an das Dämmerlicht gewöhnt, zum anderen hatte er eine Kerze angezündet und auf den Boden geklebt. Was manche Leute so in ihren Rucksäcken spazieren trugen...

    Sie sah einen langgliedrigen Mann in verdreckter Kleidung und mit schlammverschmiertem Gesicht, dunklen Haaren und dunklen Augen, soweit das Kerzenlicht sie nicht trog, die sie musterten. Er sah wohl eine ebenfalls langgliedrige, schlanke Frau in verschwitztem Trägertop, verbeulten Cargohosen und Trekkingstiefeln, mit zurückgebundenem, schulterlangem Haar undefinierbarer Farbe (aber eher hell), schmalen Augen und mäßig freundlichem Blick.

    „Hallo, sagte er, als er mit der Musterung fertig war, „und vielen Dank nochmal.

    „Ach, jetzt doch? Wo ich Sie doch erst in die Katastrophe reingezogen habe? Ich sag´s Ihnen lieber gleich, hier geht kein Handy. Funkloch oder so."

    Er ließ seinen Blick über die flackernden Schatten auf den Felswänden wandern. „Kein Wunder. Waren Sie alleine unterwegs?"

    Sie setzte sich auf einen zweiten, etwas niedrigeren Felsen. „Nein, mit einer bescheuerten Gruppe. Blöde Idee. Aber die müssten mich eigentlich irgendwann vermissen. Luft und Wasser haben wir, und heute ist erst Mittwoch."

    „Was hat der Wochentag denn damit zu tun?"

    „Ich hab die Woche Urlaub. Solange ich nicht unentschuldigt fehlen muss, kann ich´s hier aushalten. Dieser Wanderurlaub hat mir eh nicht gefallen."

    „Völlig verbucht?"

    „Kann man so sagen. Sie auch?"

    „Naja, verbucht… vielleicht. Eher einfach verschätzt. Ich muss das vorübergehend für eine gute Idee gehalten haben. Mann, ich könnte jetzt in einer schönen Stadt sein! Paris, Wien, Barcelona, London..."

    „Ja, ich hab´s verstanden."

    „Was besichtigen, zwischendurch in ein Café, abends anständig essen gehen..."

    Sie schielte zu ihm, um zu gucken, ob man ihm die Fresslust schon ansah, aber dafür war es immer noch nicht hell genug. Also seufzte sie ausdrucksvoll. „Und ich könnte jetzt direkt am Meer sitzen, lesen, die Sonne genießen, abends vielleicht durch eine malerische Altstadt bummeln... stattdessen mache ich hier einen auf Ich war bei einer echten Naturkatastrophe dabei."

    „Eher ein Kataströphchen, oder? Mir kam es zwar recht eindrucksvoll vor, als mich diese Dreckflut mitgerissen hat, aber ich kann mir nicht vorstellen, dass wir einem Nachrichtensender eine Sondersendung wert sind."

    Leonie musste kichern. „Stellen Sie sich das mal vor, wir sitzen hier drin, und draußen steht diese Reporterin, die sie da immer haben, wenn irgendwo das Wasser kniehoch steht, und brabbelt mit betroffener Miene ins Mikro – über den Bergungsfortschritt und ob wir wohl noch Sauerstoff haben..."

    Er lachte ebenfalls. „Und sobald wir raus sind, bitten wir um das Video, zur Erinnerung?"

    „Wir könnten auch in die Kamera winken, wenn wir rauskommen."

    „Und grüßen – alle, die mich kennen."

    „Unbedingt!, freute sich Leonie. „Das ist absolut unverzichtbar. Dann wurde sie wieder ernst. „Wir hätten aber auch tot sein können."

    „Ja. Na, wenn schon. Mir weint keiner nach."

    „Mir auch nicht, entgegnete sie, „aber ich hätte es doch schade gefunden. Ich hätte eigentlich schon noch so einiges vorgehabt.

    Schweigen breitete sich aus, vielleicht, weil das Ende des Gesprächs doch etwas arg persönlich gewesen war, überlegte Leonie. Sie kannte den Kerl ja gar nicht, sie hatte ihn nicht mal richtig gesehen. Wollte sie ihn denn kennen lernen? Wozu, überlegte sie, innerlich die Achseln zuckend, und starrte auf ihre Schuhe.

    Auch ihm schien es zu weit gegangen zu sein, jedenfalls wandte er sich ab und begann in seinem Rucksack zu kramen. Schließlich förderte er ein Handtuch und eine kleine Flasche zutage, außerdem ein verknittertes Hemd.

    „Da hinten ist ein Bach, sagten Sie? Dann werde ich mal versuchen, ob ich den Berg von mir runterkriege."

    Er schritt vorsichtig an ihr vorbei in die Düsternis, und sie grübelte weiter vor sich hin. Verflixt, wann fiel es dem Ernstl denn endlich auf, dass sie verloren gegangen war? Sollten nicht schon längst Leute von der Bergwacht oder der Feuerwehr oder vom THW draußen graben und rufen? Sie sah auf die Uhr – halb fünf. Um zwei waren sie in Unterschwarzenbach losgegangen und etwa zwei Stunden lang durch die Klamm gelaufen... dann war sie erst eine halbe Stunde hier drin? Unvorstellbar.

    Trotzdem, der Ernstl zählte doch sonst auch dauernd ab, und gerade, wenn er abbog und die Klamm überquerte, musste er doch gucken, ob nicht jemand falsch abgebogen war! Verantwortungsloser Sack, nur darauf aus, junge Touristinnen anzugraben. Wie so ein dämlicher Skilehrer im Winter.

    Nein, das war unfair. Die Tussi in der roten Jacke hatte jedenfalls keinen Erfolg bei ihm. Außerdem war ihr das Liebesleben vom Ernstl herzlich gleichgültig, sollte er doch flachlegen, was ihm über den Weg lief – solange er jetzt, in diesem Moment, endlich stehen blieb und die anderen fragte: „Mei, wo is jetzt die Frau Sambacher bliem?"

    Aufgeregtes Durcheinandergerede, stellte Leonie sich vor – und dann würde einer der Intelligenteren (aber die waren in dieser Gruppe eher dünn gesät) nach hinten zeigen. „Da hab ich sie zuletzt gesehen, vor dieser Höhle." Und der Ernstl würde sich die Höhle genauer anschauen, vielleicht mit dem Feldstecher, und feststellen, dass sie hinter einer Mure verschwunden war. Und dann... spätestens in einer halben Stunde musste jemand zu graben anfangen. Um sechs konnte sie schon draußen sein, bei einem einigermaßen akzeptablen Essen im Schwarzen Bären in Unterschwarzenbach. Mit Schwarz hatten sie´s hier. Wenn die da bloß nicht so fettig kochen würden! Sie hatte sich ihren BMI von knapp zwanzig mühsam genug antrainiert, da würde sie sich von so einer Dorfwirtschaft nicht wieder alles ruinieren lassen. Naja, einen Salat konnte sie essen, da war nur diese klassische Essig-Wasser-Sauce dran.

    Langweilig war es hier. Ja, wenn man Wachsmalkreiden dabei hätte, könnte man die Höhle mit Steinzeitmalereien verzieren und abwarten, ob später jemand glaubte, urzeitliche Dokumente entdeckt zu haben.

    Wenn... sie inspizierte ihren Rucksack. Reserve-T-Shirt, Reserveslip, ein bisschen Duschgel, ein Handtuch, die beiden Energy-Riegel, der Apfel, eine völlig überflüssige Sonnenbrille (aber kein Schirm!), Handy, Taschenlampe, Notfallkit mit Pflastern, Kopfschmerztabletten und Handcreme (Minitube für 50 Cent, Sonderangebot aus dem Drogeriemarkt). Und ein Kärtchen vom Rucksackhersteller – sehr nützlich.

    Jetzt vernünftiges Licht und was zu lesen... egal was. Leise Schritte signalisierten ihr, dass der Mann zurückkam. Sie warf ihm einen mäßig interessierten Blick zu, registrierte aber, dass er sich anscheinend gründlich entschlammt hatte – jedenfalls konnte man sein Gesicht jetzt wieder erkennen, soweit das schwache Licht es zuließ. Gar nicht so übel... gut, wenn er eine schwere Akne hatte, konnte man das nur bei Tageslicht feststellen, aber die Gesichtszüge waren nicht schlecht. Etwas hart vielleicht, aber das konnte ja auch am Licht liegen.

    Als er wieder saß und in seinem Rucksack herumwühlte, sammelte sie ihrerseits Handtuch, Duschgel und frische Klamotten ein und verzog sich an den Bach, der einen ganz brauchbaren Badezimmerersatz darstellte. Es war zwar etwas mühsam, in den Bach zu pinkeln, aber es gelang ihr. Männer hatten es eben doch einfacher, wie immer. Sie zog sich aus, wusch sich den kalten Schweiß von der Haut, trocknete sich ab und zog sich wieder an, dann schrubbte sie Slip und T-Shirt gründlich mit Duschgel, spülte sie aus und drückte das eisige Wasser heraus. Trocknen würden sie kaum, aber sie hatte keine Lust, verschwitzte Klamotten im Rucksack herumzutragen.

    Sie raffte alles wieder zusammen und kehrte in die Wohnhöhle zurück. Dort sah sie sich ratlos um, bis sie eine eigenartige Felsnase entdeckte, über die sie T-Shirt und Slip drapierte, den Slip natürlich diskret unter dem T-Shirt. Der Mann saß immer noch auf dem Sitzfelsen, hatte seinen Rucksack wieder geschlossen und starrte vor sich hin. Haha, er hatte auch nichts Sinnvolles darin entdeckt.

    Sie räumte alles Trockene wieder in ihren Rucksack, schloss ihn, breitete das feuchte Handtuch darüber und setzte sich ebenfalls. So, und was jetzt?

    Eine Zeitlang amüsierte sie sich mäßig dabei, das Spiel der flackernden Schatten auf den Höhlenwänden zu verfolgen, aber die Kerze brannte langsam herunter, und lange würde dieser schwache Fernsehersatz nicht mehr vorhalten. Ihr XAM!-Anhänger am Rucksackreißverschluss blinkte im dürftigen Kerzenlicht immer schwächlicher. „Müsste Ihre Reisegruppe nicht allmählich gemerkt haben, dass Sie abgängig sind?"

    „Eigentlich schon, antwortete Leonie lustlos, „aber so besonders schlau sind die alle nicht.

    „Wir könnten natürlich schauen, ob wir diesen Berg etwas abtragen können", schlug er vor.

    Jetzt? Jetzt, wo sie gerade frisch gewaschen waren?

    „Womit?, fragte sie. „Haben Sie einen Spaten dabei oder etwas Ähnliches?

    „Nein, bekannte er. „Aber keine Lust mehr, hier zu bleiben.

    „Die hab ich auch nicht. Und nicht mal einen Suppenlöffel zum Graben. Höchstens... mit einem Stein? Sie sah sich suchend um, entdeckte aber nichts. Er stand auf und suchte ebenfalls. „Hier – der könnte gehen, oder?

    Sie betrachtete sich den Stein, der relativ groß und flach war. „Ja, der ist nicht schlecht. Jetzt brauchen wir bloß noch einen zweiten Stein, damit es schneller geht. Man müsste halt wissen, wie dick diese Dreckwand ist."

    „Und wie stark dieser Dreck schon getrocknet ist. Getrockneter Schlamm ist wie Zement, das hab ich gemerkt, als ich mir das Zeug runtergewaschen habe."

    „Heitere Aussichten, murmelte Leonie und suchte weiter, bis sie ein abgebrochenes Felsstück gefunden hatte, das wenigstens als Pickel dienen konnte. „Also, auf geht´s!

    Sie hackte auf die Erdwand ein, aber viel passierte nicht, nur etwas Erde und Kies rieselten nach innen in die Höhle.

    Er schaufelte direkt neben ihr und sie konnte nicht umhin wahrzunehmen, dass er gut duftete. Er musste ein richtig teures Duschgel in seinem Rucksack herumschleppen, nicht so ein Drogeriemarktfläschchen wie sie selbst. Außerdem war er den idealen halben Kopf größer als sie, jetzt konnte sie es genau feststellen. „Verdammt, das Zeug ist schon steinhart", fluchte er, und sie brummte zustimmend, während sie weiter hackte.

    Sie arbeiteten etwa eine halbe Stunde und praktizierten eine recht ordentliche Kuhle in die Wand, aber ohne nach draußen zu gelangen, die Schlammlawine musste einfach zu dick sein. Schließlich sahen sie sich an, heftig atmend und schwitzend. „Und dafür haben wir uns gewaschen, murrte sie. Er lachte. „Satz mit x, was?

    „Verdammt, ja. Ich meine, wir haben doch echt was weggegraben, aber das bringt gar nichts. Vor dem Eingang muss ein wahrer Berg sein. Scheiße, wenn die Leute von meiner Gruppe sich die Höhle nicht genau angeschaut haben, merken sie vielleicht gar nicht, dass sich hier was verändert hat. Die können ja sonst wo suchen! Und jetzt ist es – was, schon halb sieben?"

    „Noch zwei Stunden, tröstete er, „dann wird es dunkel. Aber ich glaube auch, dass wir uns auf eine Nacht hier einrichten müssen. Haben Sie irgendeine Unterlage dabei?

    Sie sah sich zweifelnd nach ihrem Rucksack um. „Naja, nichts wirklich Brauchbares. Eine Picknickdecke – und eine Isomatte."

    „Nicht schlecht. Ich habe auch eine Isomatte und einen Daunenschlafsack."

    „Toll, murrte sie, „an einen Schlafsack hätte ich auch denken sollen. Die Picknickdecke reicht locker für zwei, aber so ein Schlafsack...

    „Den kann man ganz aufmachen und als Decke nehmen. Und die Rucksäcke als Kissen – wenn man den harten Kram nach unten stopft. Das kriegen wir schon hin."

    „Hoffentlich. Aber ein bisschen sollten wir doch noch weiter graben... So was wie einen Speer müsste man haben, vielleicht könnte man damit durchstoßen bis nach draußen."

    „Ja, wenn man einen hätte. Tauschen wir mal? Vielleicht kann ich den Pickel tiefer in die Wand stoßen. Und Sie graben."

    Männer! Müssen doch immer mit ihrer Stärke protzen... Aber er sah wirklich einigermaßen kräftig aus, also warum nicht? Sie reichte ihm den Pickel, und er hackte mit aller Kraft in die Wand – mit genauso wenig Erfolg wie sie. Sie grub eifrig, aber außer einem kleinen Häufchen auf dem Boden brachte sie nichts zustande. Er hämmerte wie ein Besessener auf die Wand ein, aber das einzige Ergebnis war eine Staubwolke, die sie beide husten ließ.

    „Das bringt auch nichts, keuchte Leonie schließlich und sah ihn verzweifelt an. „So kommen wir hier nie raus. Wieso trocknet dieser Schlamm denn so schnell?

    „Außen ist er bestimmt noch nass. Es hat ja schließlich ganz schön geregnet. Aber Sie haben Recht, so wird das nichts. Verdammt! Ich habe nicht die geringste Lust, hier den Rest meines Lebens zu verbringen."

    „Ja, glauben Sie, ich vielleicht? Ich will hier raus, und das zügig."

    „Da sind wir uns ganz wundervoll einig." Grinste er etwa? Konnte nicht schaden, die Sache mit Humor zu nehmen. Sie grinste versuchsweise zurück.

    „Und was jetzt?, fragte sie. „Auch wenn wir hier übernachten können, ist das doch keine Perspektive auf Dauer.

    „Vor allem, weil wir bald ziemlichen Hunger kriegen dürften, stimmte er zu. „Ich habe bloß noch ein Brot dabei.

    „Was ist da drauf?", fragte Leonie begierig, denn sie hatte jetzt schon Hunger.

    „Leberpastete."

    „Igitt! Das dürfen Sie alleine essen, ich nehme meine Energy-Riegel und den Apfel."

    „Wieviele Riegel haben Sie denn da drin?" Anscheinend gierte er auch

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