wochen ende: Notizen aus einem Leben
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Über dieses E-Book
Caroline Feldhoff an, sich zunehmend mit deren wechselnden Existenzbedingungen nach zwei Weltkriegen, dem wirtschaftlichen Wiederaufstieg und seinen psychischen Folgen zu beschäftigen. Was hat ihre einst so starke Mutter derart geschwächt? Sie geht den Rätseln ihrer Herkunftsfamilie nach, nimmt gleichzeitig die Tier- und Pflanzenwelt im Wechsel der Jahreszeiten auf ihrer Flussinsel wahr, ebenso die sich ausbreitenden Kriege. Der Ex-Freund, der nicht loslassen kann, die neuen Formen des Terrors - all diese thematisch weit gespannten Notizen bilden ein stilistisch ungewöhnliches Geflecht aus poetischer Verknappung und kritischer Durchdringung. Die gezielte Ignoranz der Dudenregeln in Großschreibung und Zeichensetzung tut ein Übriges, um dem Sog dieser Notate zu erliegen.
Brigitta Klaas Meilier
Brigitta Klaas Meilier ist Lyrikerin und Publizistin. Nach ihrem Studium in München und Marburg/Lahn publizierte sie in den 1990er-Jahren mehrere Briefedi- tionen zur Schweizer Frauengeschichte, danach die wissenschaftliche Studie Hochsaison in Sils-Maria. Meta von Salis und Friedrich Nietzsche. Zur Geschichte ihrer Begegnung (Schwabe, Basel 2005). Ebenfalls in den 90er-Jahren gründete sie mit einigen Lyrikerinnen Die Allyren, die mehrere Lyrikbände publizierten. Ihr 2012 erschienener Gedichtband Die Einladung: Eine Erinnerung befragt vor dem Hintergrund der 70. Wiederkehr der Wannseekonferenz von 1942 die Lyrik Paul Celans. 2017 erschien ihr Gedichtband Tiefenbrunnen. Zudem rezensiert sie regelmässig Sachbücher aus Philosophie, Politik und Ökonomie für eine Zürcher Wochenzeitung. Die Autorin ist Mitglied des PEN und leitet die literarischen Treffen des schweizweiten Netzwerks femscript.ch in Zürich. Sie lebt und schreibt in Zürich und München. Näheres unter ihrer Website klaasmeilier.ch
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Buchvorschau
wochen ende - Brigitta Klaas Meilier
Wenn die Zeit kommt, in der man könnte,
ist die vorüber, in der man kann.
v. Ebner-Eschenbach
Inhaltsverzeichnis
Kapitel I
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Kapitel II
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Intro
Es war ein kalter Wintertag, als ich die Tür des Hospizes öffnete. Seit einer Woche ging es Caro rapide schlechter, ihre Begleitperson hatte mich vorbereitet. Mit Frau Feldhoff kann es jeden Tag vorbei sein, hatte sie leise gesagt und mich besorgt angesehen. Ja, jeden Tag, das wusste ich seither und betrat das Hospiz jeden Tag mit derselben bangen Frage. Sie hatte stark abgenommen, die Knochen ihres Gesichts stachen geradezu hervor, als ich sie betrachtete. Sie schlief. Zumindest sah es so aus. Ich rief sie leise, sie antwortete nicht, drehte nur ihren Kopf ein wenig in meine Richtung. Vorsichtig legte ich ihre Hand in meine, nachdem ich mich gesetzt hatte. Ich schwieg, wie so oft in der letzten Zeit. Dabei sah ich uns als Kinder, wie wir spielten, gemeinsam den Schulweg gingen, manchmal Hausaufgaben gemeinsam machten, auch noch während der Gymnasialzeit, bis uns das Studium schließlich trennte. Nach einem schweren Unfall nahm sie plötzlich wieder Kontakt zu mir auf und erzählte mir in einer langen Nacht ihr Leben. Wir sahen uns wieder öfter, denn sie wohnte nicht weit entfernt. Das hatte uns beide überrascht, denn wir lebten nicht mehr in unserer Geburtsstadt. Vor wenigen Monaten dann die Diagnose der Krankheit, die ihr Leben nun bald beenden würde, vorzeitig beenden, statistisch gesehen. Wir sollten um die achtzig werden, hier aber fraß sich der Krebs durch ein Organ. Sie war ganz ruhig, als sie es mir erzählte, kein Aufbegehren, kein Hadern. Mein Leben? Ist, wie es ist. Es hätte schlimmer sein können. Bei dem Start … Sie ließ den Satz so ausklingen. Ich wusste nicht, was sie meinte, traute mich aber nicht, sie zu fragen. Wenn sie mehr sagen wollen würde, machte sie es eines Tages auch, darauf verließ ich mich. Vielleicht war es auch nicht so wichtig. Anfang letzter Woche, als es ihr schon merklich schlechter ging und sie immer schwächer wurde, hatte sie einen Stapel Papier aus ihrem Nachtkästchen genommen und mir hingehalten. Hier steht, sagte sie, was ich dir bisher nicht erzählt habe. Nimm ihn dann zu dir, wenn. Unsere Blicke trafen sich, als sie den Satz nicht weiterführte. Es sind eher Notizen, lies es danach, es ist nicht viel; das meiste habe ich vernichtet. Und deine Verwandten? Du weißt ja, wie ich zu ihnen stehe. Geschrieben habe ich es nicht für sie. Wenn Du es ihnen geben möchtest, ist es mir auch recht, aber nötig ist es nicht. Sie redete nur schwach, schlief dann ein. Nach zwei Stunden leisen Wartens berührte ich sanft ihre Wange, nahm die Blätter zu mir und rief die Pflegerin. Zu Hause begann ich zu lesen.
I
Samstag
aus dem fenster in den nebel geschaut dabei im kopf den unterricht vorbereitet. für fast die ganze woche. an Lissi gedacht wie auch nicht. bei all den fragen. an sie. mich selbst was soll das gefragt. antworten gibt es keine also. L. wollte lieber tot sein. ja. lieber tot als das. als was. als L. geboren wurde war krieg. was war als L. starb? krieg? in ihrem kopf? immer noch alles im nebel. was frieden sein sollte war keiner. war revolution. sie nannten es demokratie. frauen durften sie wählen. wie männer. jetzt erst, sagte L. den kaiser vorher hatte es einfach gegeben. aber einfach demokratie die gab es nicht. im november, wie jetzt. nebel auch? inflation die gab es. einfach? zu kompliziert. die sonne kommt doch durch. ich gehe noch zum fluss.
Sonntag
wieder nicht länger geschlafen. geht nicht mehr. früher, was konnten wir schlafen. egal. reicht so auch. am fluss gestern keine schwäne. nur die enten in ihrem gleichmäßigen zug übers wasser. und möwen als vorboten. der winter letztes jahr kam im februar. und blieb. was frühling sein sollte war immer noch winter dann gleich sommer: über zwanzig grad im april. mal abwarten was jetzt wird. wenn L. ihren pelz anzog trugen wir die wollhosen. handgestrickt von L. gegen ekzem an den beinen gab es vom arzt eine salbe. gegen protest eher schläge. nicht immer aber oft. L. war mitfühlend aber schläge mussten sein. was sonst … von L.s hilfslosigkeit ahnten wir nichts. gegen die frühere kindergärtnerin das wussten wir gab es keinen widerspruch. vielleicht aber habe ich ihn auch nur vergessen die ausnahme aber behalten? vielleicht hat sie mehr geduldet als ich erinnere. unsere Kindheit war nicht anders als bei allen. alle wurden geschlagen manche mehr manche weniger. wir konnten nur staunen wenn L. aus ihrer kindheit erzählte. waren froh und ihr dankbar. sie hätte ja auch von uns für jedes danke an die eltern einen knicks verlangen können oder einen kniefall mit der bitte um verzeihung bei ungehorsam. ihre eindrückliche stimme ließ keinen zweifel in uns aufkommen: schläge fanden wir besser. das war schnell erledigt. elternmacht. L., ja, immer wieder. andere schon auch aber L. besonders. natürlich dieser unnatürliche tod.
Samstag
eine schöne woche.