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Waldesnacht
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eBook270 Seiten3 Stunden

Waldesnacht

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Über dieses E-Book

Nervenaufreibend bis zum Gehtnichtmehr und unheimlich spannend - mit einer gehörigen Portion Blut und schwarzem Humor. Dieser Roman bringt die Protagonistin an ihre emotionalen und körperlichen Grenzen. Wer wissen will, wie eine Frau wie du und ich in absoluten Ausnahmesituationen handelt, für den ist diese Lektüre ein unbedingtes Lese-Muss.

Ein Tag, der alles verändert

Isabell erschlägt ihren Mann im Affekt mit einer gusseisernen Pfanne. Von da an strudelt sie in eine skurrile Welt des Schreckens. Sie ist gerade dabei, die Leiche im Wald zu entsorgen, als sie merkt, dass sie nicht alleine ist. Was sie in den folgenden Tagen erlebt wird sie wohl nie wieder aus ihrem Kopf bekommen. Sie blickt dem puren Horror ins Angesicht und gerät in einen emotionalen Abgrund, aus dem es kein Entrinnen zu geben scheint. Wird sie es schaffen dieser Hölle ein Ende zu setzen, oder ist ihr Leben von diesem Zeitpunkt an dem Untergang geweiht?
SpracheDeutsch
HerausgeberXinXii
Erscheinungsdatum13. Dez. 2014
ISBN9783957037411
Waldesnacht

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    Buchvorschau

    Waldesnacht - Silvia Bacher

    Danksagung

    Nachts im Wald

    Scheinwerfer kamen langsam näher, huschten vorbei. Dazu ein leises Motorengeräusch. Mitten in der Nacht? Wer kommt um diese Zeit in mein Revier? Er erhob sich geschmeidig. Griff in völliger Dunkelheit nach seinem T-Shirt. Streifte es über. Seine Augen hatten sich blitzschnell an die undurchdringliche Dunkelheit gewöhnt. Nie war Schwarz gleich Schwarz, schon gar nicht im Wald.

    Er konnte die Konturen außerhalb seiner primitiven Behausung genau erkennen, jeden Busch, jedes am Boden modernde Holzstück, jeden Stamm. Auch die Augen der nachtaktiven Waldtiere blieben ihm nicht verborgen. Vollkommen geräuschlos tastete er sich vor, Richtung Scheinwerfer. Das Auto folgte dem unbefestigten Waldweg zum Fluss hinunter, er folgte dem Auto. Und genau an dieser Stelle, wo doch so einige Spaziergänger, Fischer, oder Jäger ihr Fahrzeug abstellten, stand jetzt ein kleines Auto.

    Erst rührte sich nichts, wer auch immer im Auto saß, hatte wohl Bedenken, auszusteigen. Dann öffnete sich die Tür auf der Fahrerseite. Die Gestalt war klein und schlank, sicher eine Frau. Er konnte erkennen, dass sie sich in alle Richtungen umblickte und erst danach die Scheinwerfer im Auto löschte. Aha, sie wollte nicht entdeckt werden, interessant. Die Konturen der Frau bewegten sich zum Kofferraum, seltsam gestelzt kam sie ihm vor, unsicher. Sie öffnete den Deckel und blickte wohl in den Kofferraum, ein paar Minuten war sie vollkommen ruhig, bewegungslos. Hörte er da ein Schluchzen, etwa Weinen?

    Nun kam Bewegung in die kleine Figur, die er mehr als Schatten wahrnehmen konnte denn als dreidimensionales Wesen. Mit ganz viel Anstrengung versuchte sie, etwas aus dem Auto zu zerren. Es musste sehr schwer sein, denn sie ächzte und schnaufte, und schließlich brachte sie einen komischen Gegenstand, der weich und gleichzeitig hart wirkte, zum Vorschein. Sie wuchtete das Paket, ja, so konnte man es nennen, aus dem Auto und setzte sich daneben.

    Sie sagte etwas, aber er konnte es nicht verstehen. Dann stand sie auf, alles schaute ziemlich wackelig aus, nahm ein Ende der Verpackung und begann damit, diese in Richtung Wasser zu zerren. Besser schleifen, tragen konnte sie das große Ding nicht – und das machte ihn immer neugieriger. Vorsichtig ging er näher an die Stelle heran, wo das Auto stand. Es handelte sich um eine Art Parkplatz, was allerdings übertrieben war.

    Denn eigentlich war es nichts weiter als eine Wiesenfläche, flaches, verfaulendes Gras, das ob der vor- und zurückfahrenden Autos einfach keine Chance mehr hatte, weiter zu wachsen. Mühsam kam die kleine Frau vor ihm voran, zerrte ihre Last, die in etwa der Form eines Menschen glich, in Decken gewickelt und verpackt. Welch abstruser Gedanke, aber war er das? Er sah sie nun schon unten am Fluss, es ging ein Stück abwärts, auch hier hatte sich das Gras der vielen Tritte nicht erwehren können und bot somit eine relativ freie Gehfläche. Abwärts ging es wohl leichter, sie war doch flott gewesen.

    Irgendetwas störte sie jedoch sehr, und plötzlich kam sie den Steig herauf. Schnell duckte er sich hinter einen Busch, welcher Art, konnte er in der Dunkelheit nicht erkennen. Spielte auch keine Rolle, Hauptsache, er verbarg ihn. Die Gestalt ging zum Auto, schaltete die Innenbeleuchtung ein und suchte im Handschuhfach nach etwas. Fand es auch. Und machte sich mit einem kleinen, flachen Gegenstand wieder zum Flussufer auf. Vorsichtig folgte er ihr so weit wie möglich, wahrscheinlich hatte sie vorhin schon bemerkt, dass sie hier nicht allein war.

    Was nun genau geschah, sah er leider nicht, der Mond versteckte sich vollends hinter den Wolken. Aber sie packte das Paket aus und holte hervor, was darin verborgen war. Dafür nahm sie den Gegenstand heraus, der wohl so etwas wie ein Messer sein musste.

    Oh ja, darin war definitiv ein Mensch eingewickelt gewesen, ein Mann vermutlich. Ein Arm ragte in die Luft, und dieser sah nun nicht nach einem zarten Frauenarm aus, außer es handelte sich um eine austrainierte Bodybuilderin. Lächerlich, eindeutig ein Mann, und da sie ihn in den Fluss warf, wohl ein Bekannter, ein - von ihr ermordeter? - Mann. Wow, wahrscheinlich ihr eigener!

    Immer hatte er vor dem Ausstieg aus seinem langweiligen Leben, wie jeder Normalsterbliche es kennt, in Zeitungen gelesen, dass auch Frauen mordeten. Hier durfte er nun Zeuge eines Paradebeispiels werden, und schon drehten sich sämtliche Räder seines Gehirns um die Frage – was nun? Sollte er sie einfach nur erschrecken, sollte er weitergehen? Sollte er das tun, weswegen er gesucht wurde und was ihn so unheimlich erregte? Sollte er sich in ihrem Auto verstecken und sie überraschen?

    Oh ja, das war die beste Variante und er musste schnell sein, denn so, wie es sich anhörte, watete sie gerade aus dem Wasser, wo sie die Leiche wahrscheinlich so weit wie möglich in die Mitte geschubst hatte, damit sie mit der Strömung verschwand. Jetzt! Was für ein Spaß ...

    Prolog

    Eine sanfte Brise lässt die saftig grünen Blätter an den Birken und wild wachsenden Büschen und Gräsern am Ufer des breiten Flusses rascheln. Ruhig treffen die Wellen den Sand und die runden, über viele Jahre vom Wasser geschliffenen Steine. Ein paar Vögel zwitschern ihr Lied, eine Eidechse sonnt sich in den warmen Strahlen der Mittagssonne.

    Lotti und Iris absolvieren gerade ihre Jogging-Runde. Immer dienstags laufen sie schwitzend am Flussweg entlang. An der Flussbiegung machen sie, auch wie immer, eine kleine Pause, dehnen die Muskeln und unterhalten sich über verschiedene Oberflächlichkeiten ihres Daseins, denn für Tiefgründigeres bleibt beim Training einfach nicht die Zeit. Ihre Gespräche drehen sich ohnehin eher selten um wirklich Wichtiges, Tratsch ist ihnen meist auch im Alltag lieber. Ist das Leben an sich doch schon anstrengend genug. Plötzlich verstummt Iris mitten im Satz und zeigt mit dem ausgestreckten Zeigefinger auf eine Stelle unter einem üppigen Gebüsch, nah am Wasser.

    „Sieh mal, was ist das?", fragt sie und setzt sich auch schon in Bewegung, um dem unbekannten Etwas auf den Grund zu gehen. Nach ein paar Schritten bleibt sie stehen, gerade als Lotti sie einholt, und beginnt laut zu schreien...

    1. KAPITEL

    Seelenleiden zu heilen vermag der Verstand wenig,

    die Zeit viel, entschlossene Tugend alle."

    Johann Wolfgang von Goethe

    Der Anfang vom Ende

    Isabell legte das Buch auf den Tisch, eigentlich hatte sie noch nicht einmal eine Seite des, so die Beschreibung, ultraspannenden Krimis gelesen. Sie konnte sich nicht konzentrieren. Gedanken bahnten sich immer wieder ihre Wege in den Vordergrund, keine sehr erfreulichen. Nichts Positives, nur das Übliche. Du bist ein Nichts, du bist eine Null, du kannst dich nicht durchsetzen, du bist allein … obwohl, da stimmte was nicht.

    Sie war immerhin 17 Jahre verheiratet, und manchmal hatte sie gute Zeiten erlebt. Manchmal, ja wann? Je mehr sie darüber nachdachte - viele Gelegenheiten, wo es wirklich gut ging, gab es in ihrer Ehe eigentlich nicht. Das war der Fluch ihrer Gedankengänge, chemische Vorgänge im Hirn, wie lustig, sich diese leuchtenden Blitze in den Tiefen des Gehirns vorzustellen! Aber ihre Gedanken wollten nichts Lustiges, sie gaukelten ihr nichts Komödiantisches vor.

    Oh nein. Da waren einsame Gedanken, traurige Gedanken, schlimme Gedanken. Manchmal sogar böse Gedanken. Was war nur passiert? Wie konnte eine Ehe so aus den Gleisen rattern? Wie konnten 17 Jahre vorbeigehen und dann blieb – na was, nichts? Leere, Stille, ein Gefühl der totalen Einsamkeit, mein Gott, schon wieder dieses Wort. Aber wie konnte man es sonst nennen? Dieses Gefühl im Bauch, dieses Kribbeln, das schon beinahe wehtat. Was konnte es anderes sein als diese allumfassende Einsamkeit, obwohl man eigentlich gar nicht allein war?

    Wie konnte man es anders erklären, dieses Gefühl? Der Mann, den man einst geliebt hatte, wenn man ihm nun über den Weg lief, wurde einem beinahe übel. Wie konnte das passieren?

    Es grenzte beinahe an Hass, was sie fühlte. Isabell war todunglücklich, gerade weil sie jetzt Hass für den Menschen empfand, den sie so viele Jahre geachtet und geliebt hatte. Was war bloß geschehen? Warum hatte ihr Mann seinen Respekt vor ihr verloren? Einige Episoden fielen ihr ein, Geschichten, die schön waren, die ihre Liebe stärkten. Zumindest dachte sie das. Ihr erster Urlaub in der Türkei.

    Glasklares Wasser, Sonne, alles, was die Romantik zu bieten hatte, dort wurde ihr Sohn gezeugt, das Wunder und der Lichtblick ihres Lebens. Ein Kind der Sonne - an einem Sonntag vereinten sich Zellen, und das wunderbare Ereignis des neuen Lebens nahm seinen Anfang. Doch war da nicht noch ein Ereignis, eines, das weit weniger zum Träumen einlud? Die Sache in der Diskothek? Wo er sie in einem fremden Land unter total fremden Menschen allein ließ? Weshalb?

    Was war damals passiert? Isabell tanzte gerne, und sie beherrschte die rhythmischen Bewegungen perfekt, denn sie hatte bis vor Kurzem als Tänzerin gearbeitet. Sie war jung, schön, und es machte ihr Spaß zu wissen, dass die Gäste sie attraktiv fanden und ihr bewundernde Blicke zuwarfen. Sie konnte sich perfekt im Rhythmus der Musik bewegen, fühlte sich wie auf den Bühnen ihrer ehemaligen Tanzkarriere, hier, in dieser türkischen Disco.

    Aber der eigene Mann, erst vor Kurzem wurden sie getraut, wollte ihr nicht länger zusehen, fand keine Bewunderung für ihr Können, ihre natürliche Begabung und Liebe zum Tanz, verließ das Lokal, unvermittelt und ohne Worte. Bei näherer Betrachtung hätte Isabell merken müssen, dass er nicht der Richtige für sie war, dass sie ihm eigentlich peinlich war, zu jung, zu spontan, dass er sie nach der ersten „Krise" schon allein ließ, in einem fremden Land – unter fremden Menschen. So begann also der Anfang vom Ende.

    Dabei waren das die Flitterwochen, eine schöne, fröhliche Zeit, eine Zeit der Liebe, des Verständnisses, des Sich Zusammenfindens. Nur dass es kein Zusammenfinden gab, das hätte Isabell schon damals ahnen müssen. Alle Liebkosungen, alle Zärtlichkeit – gespielt? Schon damals? Hatte er wirklich nur geheiratet, um nicht allein zu sein, um den Status Mann zu leben – seht her, ich bin verheiratet, ich habe eine Familie!? Doch Isabell hatte aus anderen Gründen geheiratet, sie glaubte an die Liebe, an die Ehe. Sie wollte einen Mittelpunkt in ihrem Leben schaffen, für den zu leben es sich lohnte. Als sie merkte, dass alles schiefging, bemühte sie sich anfangs, diese Realität zu ignorieren, war still, antwortete immer so, wie es eine gefügige Frau machen sollte. Unterwerfung – in gewissem Sinne war es das gewesen, denn sobald Isabell versuchte, ihren Standpunkt klar zu machen, gab es Streit, und danach eisiges Schweigen.

    Ein nicht auszuhaltender Zustand. So hatte sich ihre innere Einsamkeit auf fruchtbarem Boden entwickeln können. Einziger Lichtblick: ihr Sohn Patrick. Ein wundervolles, sensibles Kind. Intelligent und fröhlich. Er wuchs heran, und Isabell versuchte ihn von ihrem Scheitern fernzuhalten, ließ die Probleme nie ganz an ihn heran. So wuchs er mit all ihrer Liebe und ihrem Verständnis auf. Aber irgendwie ohne seinen Vater – denn auch ein Vater, der anwesend war, konnte nicht da sein.

    Es geschieht

    „Zur Resignation gehört Charakter."

    Johann Wolfgang von Goethe

    Heute war Patrick nicht im Haus, zwei Tage nicht. Isabell hatte diesen Tag allerdings so nicht geplant. Es war ein Samstag im September. Ein Wochenende, entspannt, ohne Arbeit. Aber schon jetzt, um diese Zeit, gerade mal acht Uhr morgens, wurde es sehr, sehr heiß. Schwül. Ungewöhnlich heiß für September. Ein Tag, an dem man sich besser irgendwo an einem kühlen Ort aufhielt – vielleicht in einem Keller. Komischer Gedanke, unter der Erde, sich verkriechen, verstecken und nicht nur vor der Hitze fliehen.

    Doch in dem Keller des Hauses, wo sie derzeit wohnten, war es nicht besonders erfreulich. Hier roch es schimmelig, es war ein alter, feuchter, hässlicher Keller. Gerade gut genug zum Einlagern von Dosen oder Flaschen, für mehr nicht zu gebrauchen. Eine Klimaanlage hatte das alte Haus schon gar nicht, ein Ventilator war, so SEINE Meinung, ungesund und teuer. Deshalb hatten sie keinen. Im Schatten des großen Nussbaums ließ es sich an einem Tag wie diesem gerade noch aushalten. Aber da saß ER schon. Verdammt!

    Isabell nahm ihr Buch, die Tasse Kaffee, und setzte sich zum Teich. Das war zwar ein schmeichelhafter Ausdruck für diese Pfütze, oder besser Kloake, aber auf der unbequemen Holzbank hatte sie wenigstens noch eine Stunde Schatten. Teich – darüber könnte man lachen, sofern man das noch witzig fand. Ein Projekt von IHM, schlampig gemacht, wie alles, das ER je angefangen hatte. Ein Loch gebuddelt, Folie ausgelegt, ein paar Steine drauf – fertig!

    Davor eine harte Holzbank aus einem auseinandergesägten Holzstamm, kein Schleifen – wozu auch? Ein kleiner Span im Hintern konnte doch recht vergnüglich sein –, und fertig war das passende Sitzmöbel. So war ER, so tickte ER, nichts wurde richtig erledigt, gar nichts. So sah er wohl auch das, was ihre Ehe noch war.

    Denn wozu sich bemühen, wozu eine Frau wie eine Frau behandeln, wozu Respekt. Halt, gebot sich Isabell, heute nicht. Sie wollte nicht über ihre gescheiterte Beziehung und schon gar nicht über ihren Mann nachdenken. Dann war der Tag sofort versaut. Nein, heute wollte Isabell sich entspannen, nach einer anstrengenden Arbeitswoche relaxen. Isabell arbeitete als freiberufliche Texterin, und in der Hauptsache für eine Werbeagentur. Sie hatte viel zu tun und eine Arbeitswoche konnte ganz schön anstrengend sein.

    Isabell liebte ihre Arbeit, aber manchmal war sie echt froh, wenn es Wochenende wurde. Denn dann konnte sie ein wenig lesen, im Garten arbeiten, zum Fluss spazieren, die Füße eintauchen, träumen, entspannen. In der Pfütze quakte ein Frosch. Das liebte Isabell, Tiere. Frösche ganz besonders. Schon als kleines Mädchen hatte sie eine Vorliebe für all die Tiere, die andere einfach nur eklig fanden.

    Isabell liebkoste Schlangen, Kröten oder Eidechsen - wenn sie sie denn erwischte. Es konnte auch vorkommen, dass sie die Reptilien küsste, und das konnten selbst ihre Geschwister nun gar nicht verstehen. Wie konnte jemand ein glitschiges, unheimliches Tier auch noch küssen, igitt. Doch ihre Liebe zu Tieren war tief und ehrlich. Ja, Isabell mochte „ihre" Tiere wohl immer schon lieber als so manchen Menschen, denn Tiere taten ihr nicht weh, hänselten sie nicht, weil sie viel zu dünn oder die Nase zu lang war. Nein, Tiere waren still und dankbar, wenn sie beispielsweise eine Eidechse vor einer Katze rettete.

    Oder den Spatz mit dem verletzten Flügel pflegte, bis er wieder fliegen konnte. Mit Tieren fühlte sich Isabell frei und glücklich, ihnen konnte sie ihre Liebe bedingungslos schenken. Gerne dachte sie an ihre Kindheit zurück. Aufgewachsen mit fünf Geschwistern, war sie allerdings selten für sich.

    Deshalb verkroch sie sich oft genug allein im nahe gelegenen Wald in einer Höhle und führte geheime Dialoge mit sich selbst, oder wenn gerade ein Tier vorbeischaute, mit diesem. Isabell war zwar ein fröhliches Kind und liebte ihre Brüder und Schwestern, aber viel lieber war sie allein. Sie war schon sehr früh kreativ, erfand Geschichten im Kopf und setzte nachts genau diese Geschichten in schöne Träume um.

    Manchmal war sie eine wunderschöne Prinzessin, dann wieder ein armes Aschenputtel. Alle ihre Geschichten fanden ein schönes Ende, natürlich. Und damals dachte Isabell, dass alles im Leben ein gutes Ende finden kann. Die Liebe vor allem. Ach, wie schön und unschuldig sind doch Kinderträume. Der Frosch quakte weiterhin vergnügt vor sich hin, eine Libelle flog knapp über dem Wasserspiegel ihre Kreise.

    Der Kaffee war schon kalt. Macht nichts, schmeckt trotzdem. Hauptsache allein. Den Insekten zusehen, den Fröschen und Libellen. Nur nicht denken, nicht in die Gegenwart zurück. Die Kindheit war da schon besser. Nicht immer, aber meistens. Isabell war ein sehr mageres Kind und wurde oft ausgelacht. Außerdem hatte sie nie eigene Kleider, sondern musste erst die alten, abgetragenen ihrer älteren Schwester anziehen. Was war das für ein Gefühl, als sie als Teenager mit ihrem ersten selbst verdienten Geld, Klamotten einkaufen konnte!

    Mit vierzehn arbeitete sie einen Sommer lang auf der Alm in einem Gasthof. War keine sehr schöne Arbeit und selten lustig, aber sie verdiente eigenes Geld! Geld, das sie in der Hauptsache fürs Saubermachen bekam, denn Gäste bedienen durfte sie nur selten. Bist noch zu jung, musst es erst lernen. Tja, nur wie lernen, wenn es einem verboten wird? Aber grundsätzlich machte es ihr nichts aus, nur aufzuräumen – außer wenn die Toiletten angekotzt waren, das hasste Isabell. Allein der ekelhafte Geruch, der sie ganz oft nahe ans eigene Erbrechen bringen konnte.

    Über das Aussehen wollte sie besser nicht nachdenken. Aber da musste sie durch und schlussendlich hatte es sich gelohnt! Eine karierte Bluse, ganz eng tailliert mit Gummizügen, und dazu eine rot glänzende Karottenjeans! Nun kam ihre superschlanke Figur zur Geltung, okay ein bisschen zu wenig Hintern, aber im Großen und Ganzen sah es einfach hinreißend aus! Und gekauft wurde das Ganze in Dillingen, der großen Stadt, mit ihrer ältesten Schwester ging’s zum Shopping. Was für ein großartiges Erlebnis für die Landmädchen!

    Später, im Herbst, fing Isabell dann in Dillingen ihre Lehre als Verkäuferin an. Hier sollte sie auch eine ganze Zeit lang leben und meistens glücklich sein. Diese Zeit, ihre Jugend- und frühe Erwachsenenzeit, liebte Isabell. Eine Zeit der Freiheit, Ungebundenheit. Wo Spaß und Freunde an allererster Stelle standen! Wo man sich zum gemeinsamen Schachspiel in verrauchten Kneipen traf und so tat, als beherrsche man dieses unglaublich komplizierte Spiel.

    Wo man zum Tanzen ging, sich frei zu den Beats der 80er Jahre bewegte. Auch Alkohol wurde getrunken, manchmal ganz schön viel. Aber Drogen waren kein Thema, die brauchte es nicht, die ganze Clique war einfach fröhlich und unbeschwert. Alles in allem war es ein wundervolles Leben, pulsierend, froh und voller Erwartungen. In dieser Zeit wuchs Isabell zu einer sehr schönen jungen Frau heran, auch wenn sie sich selbst im Spiegel immer mit Vorbehalt begutachtete.

    Da zu dünn, da zu wenig weiblich. Aber eine Laufbahn als Nebenjobmodel brachte ihr stets ein wenig Geld. Und da sie sehr schlank war, war sie bei verschiedenen Modenschauen gefragt. Auch ihre Größe, sie brachte es gerade mal auf einen Meter sechzig, spielte zu jener Zeit keine Rolle. Hohe Absätze überspielten dieses Manko. Isabell hatte Spaß, sie lebte ein aufregendes Leben und freute sich auf die Zukunft. Und auch ihre Arbeit liebte sie. Sie besuchte außerdem die Abendschule, Abitur, das war das erklärte Ziel. Sie lernte unheimlich leicht und schaffte den Abschluss ohne große Anstrengungen. Die Uni wartete - schließlich wollte sie einmal eine große Künstlerin werden! Obwohl, Schauspielerin, Schriftstellerin oder Malerin, das stand noch nicht fest. Egal, die Welt stand ihr offen, alles war möglich! Und alles kam ganz anders...

    Was für schöne Gedanken! Ein Lächeln zauberte sich auf Isabells Lippen. Fast konnte ein zufälliger Beobachter annehmen, sie wäre glücklich, oder zumindest augenscheinlich zufrieden. Aber das war vorbei. Die Leere machte sich wieder breit, diese alles umfassende Leere in ihrem Inneren. Als Isabell die Augen aufschlug, wurde ihr bewusst, wo sie sich befand. Weit weg von diesen wunderbaren Erinnerungen. Sitzend auf einer steinharten Bank, an einem Tümpel, wohl wissend, dass ER auch da war.

    Geistesabwesend trank Isabell ihren schwarzen, bitteren Kaffee aus. Kaffee war ihr Getränk, mal zuckersüß mit Milch, dann ganz schwarz und ohne Zucker, und heute schwarz mit ein wenig Zucker. Die Trinkgewohnheiten veränderten sich, wie sich wohl irgendwann, ganz schleichend, das ganze Leben veränderte. Schicksalsschläge, Veränderungen im Umfeld, einfach tausend Kleinigkeiten und auch so manches Große formen das Leben eines Menschen.

    Bitter ist es dann nur, wenn sich dieser Mensch zu einem völlig anderen Wesen entwickelt, fremd für den Lebenspartner, fremd für die Familie, einfach anders. Ebenso wie ER. Es gab Zeiten, oh ja, da hat Isabell IHN geliebt, seine kleinen Kauzigkeiten witzig gefunden, sich mit IHM stundenlang unterhalten können. ER war ihr bester Freund.

    Tief versunken in ihren Erinnerungen fragte sich Isabell, ob auch

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