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Paradies am Teich: Metamour Teil 2
Paradies am Teich: Metamour Teil 2
Paradies am Teich: Metamour Teil 2
eBook359 Seiten5 Stunden

Paradies am Teich: Metamour Teil 2

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Über dieses E-Book

Wenn man seiner traumatischen Vergangenheit schon nicht davonlaufen kann, weil sie einen auf Schritt und Tritt begleitet, und man sie in den mitleidsvollen Blicken der anderen wiedererkennt, hat man dennoch die Wahl, wie und wo man weiter dahin vegetiert, erkennt Martin eines Tages und tauscht sein Zuhause gegen eine Eremitage in einer Höhle am Strand auf La Gomera.

Dort trifft er zum ersten Mal auf Menschen, die ihn so akzeptieren wie er ist, seit ihm diese unvorstellbare Gewalt angetan worden war.

Bis ihn ein weiterer 'Unfall' dazu zwingt seine selbstgewählte Eremitage gegen ein Krankenbett in einer utopischen Gemeinschaft von deutschen Alt-Hippies einzutauschen. Doch findet Martin dort auch eine Möglichkeit seine Traumata zu überwinden?
SpracheDeutsch
Herausgeberneobooks
Erscheinungsdatum23. Dez. 2021
ISBN9783754179802
Paradies am Teich: Metamour Teil 2
Autor

Jörn Holtz

Der Autor Jörn Holtz, Jahrgang 1969, lebt mit seiner Frau in seiner Heimatstadt Kiel. Seit seiner Ausbildung ist er in der IT-Branche tätig. Zu seinen derzeitigen Aufgaben gehören der weltweite Support für ein erklärungsbedürftiges technisches Produkt und die Schulung von Mitarbeitern und Partnern. Die Lust am Schreiben hat ihn erst spät gepackt. Dabei macht es ihm viel Spaß, über Erlebtes nachzudenken und es in Geschichten zu verpacken.

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    Buchvorschau

    Paradies am Teich - Jörn Holtz

    Vorwort

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    «Der schlimmste Feind ist nicht um uns herum, er ist in uns und meldet sich immer dann, wenn es still um uns wird.

    Ihn kannst du nicht bekämpfen, du kannst ihn nur verstehen lernen und ihn lieben.

    Du musst wieder lieben lernen, um weiterleben zu können!»

    Prolog

    Wieso, fragte er sich gerade noch, als er mit einen Mal hellwach war. Danach war er nicht mehr fähig, auch nur einen Gedanken zu fassen, weil ein im doppelten Sinne wahnsinniger Schmerz, von seinem rechten Bein aus, seinen Körper hinaufjagte. Wie von Sinnen wälzte er sich auf seinem Lager hin und her, den rechten Oberschenkel fest umklammert. Doch das Gefühl, als hätte man ihm ein glühendes Stück Eisen in die Wade gerammt, wollte nicht nachlassen.

    Wieso, fragte er sich erneut, als er nach einer gefühlten Ewigkeit erschöpft, verschwitzt und außer Atem auf den Atlantik starrte. Doch die Frage nach dem Warum hatte er sich schon lange nicht mehr gestellt. Denn er hatte schmerzlich lernen müssen, dass man aufpassen musste, wie die Antwort ausfiel, wenn man zu hartnäckig danach fragte.

    Außerdem wollte er nicht mehr trauern oder sich selbst bemitleiden. Vor allem aber wollte er kein Mitleid mehr in den Blicken der anderen entdecken, wenn sie ihn anschauten. Denn jeder dieser Blicke brannte sich in seine Seele und verfolgte ihn nachts in seinen Träumen. Und auch wenn er für jeden dieser Blicke nur einen Euro bekommen hätte, und er jetzt wahrscheinlich ein reicher Mann wäre, könnte er sich dennoch nicht das kaufen, was er sich am meisten wünschte, neben all den anderen Dingen, die er damals in nur einer Nacht verloren hatte. Er hatte zwar gelernt, mit den Folgen zu leben, dennoch spürte er seinen Verlust auf Schritt und Tritt.

    Daraus und aus der Summe der vielen anderen kleineren Befindlichkeiten war in ihm die Erkenntnis gewachsen, dass wenn sich die Dinge schon nicht mehr ändern lassen, man immer noch die Wahl hat, wie und wo man weiter vegetiert. Und so war er über diverse Umwege hier gelandet.

    Hier, das ist die Playa de las Arenas, ein Traumstrand vieler Aussteiger, die hier wie er nach dem Sinn des Lebens oder sonst etwas suchten. Doch bis auf die Erkenntnis, dass dieser Traumstrand nicht weiß, sondern schwarz war, war seine Suche bisher erfolglos geblieben, was sich aber in seine Gesamtsituation wunderbar einfügte.

    Dennoch liebte er seine Einsiedelei am Wasser. Denn nur im Wasser fühlte er sich wirklich frei und unbeschwert, da er nur dort alles vergessen konnte, was ihn im Alltag behindert. Außerdem hatte er die Hoffnung noch nicht ganz aufgegeben, ein paar Delphine zu treffen, auch wenn ihm alles andere zumeist hoffnungslos erschien.

    Rendezvous

    Mist, das hatten wir doch alles schon!‘, schreckte Martin aus einem seiner seit Jahren immer wiederkehrenden Alpträume auf, als er von draußen eine unbekannte Stimme hörte, was in ihm weiteren Unmut erregte.

    Zwar wusste er, dass er an diesem Strandabschnitt nicht allein war. Nur hatte er mittlerweile genug von diesen gemeinen Touristen, die direkt vor seiner Behausung immer die gleichen Geschichten aus irgendwelchen billigen Reiseführern vorlasen. ‚Ja, ja, das hier ist die legendäre Schweinebucht mit dem noch gut erhaltenen Kackfelsen, bla, bla, bla...‘, als ob eine öffentliche Latrine eine Touristenattraktion sein könnte!

    Und tatsächlich hörte er wieder jemanden diese Geschichte erzählen. Nur war dieses Mal die Geschichte sehr viel lebendiger, als hätte die Erzählerin diese längst vergangene Zeit selbst miterlebt. ‚Aber nein, das konnte nicht sein!‘, denn dazu hörte sich diese Stimme, viel zu jung an. Neugierig stand er auf und schleppte sich zum Ausgang, um zum Strand hinunterzuspähen.

    Von der tief stehenden Sonne geblendet, kniff er blinzelnd die Augen zusammen und betrachtete die Gestalt der drahtigen, mittelalten Blondine im Gegenlicht, die gerade zwei anderen Personen, die ebenfalls nicht genau zu erkennen waren, sehr anschaulich die Geschichte erzählte. Dabei erkannte er, dass die Sonne bald untergehen würde, was ihn noch mehr ärgerte. Denn der Sonnenuntergang war eines der schönsten Dinge, die diese Bucht zu bieten hatte.

    Aber das schienen die Fremden auch zu wissen, denn sie rollten gerade ihre mitgebrachten Strandmatten aus. Als die Blonde dann auch noch eine Gitarre vom Rücken nahm und die anderen begannen, das mitgebrachte Holz zu einem kleinen Lagerfeuer aufzustapeln, wurde er noch wütender, denn damit war sein Plan für den Abend völlig über den Haufen geworfen. So blieb ihn nichts anderes übrig, als im Schatten seiner Behausung zu verharren, wobei er die schmächtige Blondine des Trios weiter beobachtete.

    Sie schien anders zu sein als ihre beiden Begleiter, und das lag nicht nur an ihrem Äußeren. Denn sie trug eine braune Culotte, ein dazu passendes violettes, nabelfreies Top, ein gleichfarbiges Tuch, das ihr Haar zusammenhielt, und eine lange Holzkette aus mittelgroßen Kugeln, an deren Ende ein Amulett aus Bernstein prangte. Was in etwa seiner Vorstellung von den Freaks entsprach, die hier irgendwann einmal gehaust hatten.

    Nach längerem Beobachten war er endgültig davon überzeugt, dass sie von dieser Insel stammen musste, auch wenn sie fast akzentfrei Deutsch sprach. Ihre beiden Begleiter hingegen waren eindeutig deutsche Touristen.

    Als die Sonne im Meer versunken war, legte die zierliche Blondine ihre Gitarre beiseite, ging zum Wasser und starrte eine Weile regungslos aufs Meer hinaus. Dann kehrte sie zu ihren Freunden zurück, bevor er erstarrte. Denn plötzlich entkleidete sie sich vollständig, und dass kaum zwanzig Meter von ihm entfernt.

    Durch das Lagerfeuer gut beleuchtet, konnte er deutlich ihren sehnigen Körper erkennen, den sie ihren Begleitern völlig ungeniert präsentierte.

    Er konnte sein Glück noch gar nicht fassen, als die athletische Brünette sich erhob und ihr Kleid einfach in den schwarzen Sand gleiten ließ, was ihm endgültig den Atem raubte. Denn unter dem weiten Sommerkleid kamen ein für eine Frau ungewöhnlich muskulöser Rücken und Po zum Vorschein, welche nur durch jahrelanges exzessives Training entstanden sein konnte.

    «Oh Mann!», stöhnte er leise und blickte neidisch auf ihren Begleiter. Doch der machte keine Anstalten, sich ebenfalls seiner Kleider zu entledigen. Deshalb schüttelte Martin verwundert den Kopf. Denn an seiner Stelle hätte er sich nicht zweimal bitten lassen.

    Aber er war nicht an seiner Stelle und würde es wohl auch nie sein, glitt sein Blick an seinem keineswegs makellosen Körper hinab. Missmutig haderte er erneut mit seinem Schicksal und wollte sich gerade von dem romantischen Schauspiel unten am Strand abwenden, als die Brünette sich ihm plötzlich im Profil zuwandte und damit erneut seine volle Aufmerksamkeit auf sich zog. Denn nun konnte er deutlich die Silhouette ihrer überaus attraktiven Brüste erkennen, die sich über einem wider Erwarten nicht ganz flachen Bauch erhoben.

    Nanu, das ist ja merkwürdig?‘, stutzte er und kniff seine Augen noch mehr zusammen. Dabei machte sich seine rechte Hand selbstständig, weil er sich seinen lang unterdrückten Gelüsten ergab, wobei sein Blick weiter auf die athletische Brünette gerichtet war. Kurz darauf drehte sich die Brünette zu ihm um und kam direkt auf ihn zu. Zuerst blieb sein Blick noch an den sich geschmeidig hin und her wiegenden Brüsten der jungen Frau hängen, dann wurde er sich mit einem Mal seiner Situation bewusst.

    Hastig duckte er sich in den Schatten des Felsens neben dem Eingang, wo er sich vorsichtig bemühte, seine Hose hochzuziehen, während er angestrengt auf die Geräusche um sich herum lauschte. So konnte er deutlich hören, wie sich die hübsche Unbekannte erst schnell näherte und dann in seiner unmittelbaren Nähe stehen blieb.

    Verdammt Martin, du bist ein Spanner und ein echt schlechter noch dazu!‘, ohrfeigte er sich gerade selbst innerlich, als er auf einmal deutliche Würgelaute aus ihrer Richtung hörte. ‚Nanu?‘, zog er sich neugierig wieder ein Stück den Felsen hinauf, wobei der noch offene Hosenbund ein vernehmlich kratzendes Geräusch erzeugte. ‚Mist!‘, fluchte er leise und verzog verärgert das Gesicht, während er wieder den Felsen hinunterrutschte. Angespannt lauschte er erneut und erbleichte, als das wenig schicksame Geräusch plötzlich verstummte und eine bedrückende Stille folgte.

    Erst nach einer gefühlten Ewigkeit siegte die Neugier über seine schamhafte Angst, entdeckt worden zu sein, und er wagte es erneut, über den Felsen hinweg, die gegenwärtige Situation in Augenschein zu nehmen. Dieses Mal achtete er darauf, keine verräterischen Geräusche zu machen, während er sich am Felsen hochzog.

    Als er schließlich über den Felsen hinweg nach links blickte, stellte er zu seiner Erleichterung fest, dass die Aphrodite vor ihm, viel zu sehr mit sich selbst beschäftigt war, um ihn zu bemerken. Dennoch erstarrte er im nächsten Moment, als er einen kurzen Blick auf ihr noch leicht rötlich verzerrtes Gesicht erhaschte. Er wusste, dass die Welt ein Dorf sein konnte, aber ausgerechnet sie hatte er hier nicht erwartet.

    Denn neben ihm im schwarzen Sand kniete seine heimliche Jugendliebe, die er damals fanatisch angehimmelt hatte, ohne auf Gegenliebe zu hoffen. Und nun, gut zehn Jahre später und rund dreieinhalbtausend Kilometer von zu Hause entfernt, streckte sie ihm unverhofft ihren nackten Hintern entgegen.

    Langsam versank die Sonne ganz im Meer und mit ihr die letzten Akkorde von Cat Stevens: Morning has Broken, die Lotta auf der alten Westerngitarre ihres kürzlich verstorbenen Vaters gespielt hatte. Nach einem traurigen Seufzer hob sie langsam den Kopf und sah ihre Metamours mit leicht verquollenen Augen an. «Nun, habe ich euch zu viel versprochen?», fragte sie mit leiser, belegter Stimme.

    «Nein, es war wirklich schön!», sah Anne sie mitfühlend an und strich ihrer Geliebten sanft über den linken Unterarm. «Und irgendwie spürt man immer noch die Magie, die von diesem Ort ausgeht», wanderte ihr Blick den Strand entlang. Erst dann bemerkte sie, dass Lotta mit den Tränen kämpfte. «Ach Süßen, kann ich vielleicht irgendetwas für dich tun?», legte sie freundschaftlich einen Arm um Lotta.

    «Nein, ist schon gut! … Bernd würde es nicht wollen, dass man um ihn weint. Er … hatte doch immer so eine positive Einstellung zum Leben und war der Meinung …, dass wir durch unsere Gedanken und Taten weiterleben!», befreite sich Lotta aus ihrem Arm, stand unsicher auf und ging hinunter zum Wasser, wo sie sehnsüchtig aufs Meer hinausblickte.

    Während ihr Blick über die Wellen der Brandung glitt, tauchten vor ihrem inneren Auge Szenen aus einer längst vergangenen Zeit auf. Zu dieser Zeit brannten hier noch überall am Strand Lagerfeuer, um die sich ihre neu gegründete Familie und ihr selbst gewählter Clan sowie viele fremde Brüder und Schwestern scharten. Sie alle waren aus ihrem tristen Alltag in der noch prüden und grauen deutschen Nachkriegsgesellschaft hierhergekommen, wenn auch viele nur für kurze Zeit.

    Versunken in die psychedelischen Klänge von Trommeln und Gitarren tanzten einige von ihnen in ekstatischen Bewegungen, meditierten, rauchten oder liebten sich hier in aller Öffentlichkeit. Diese Bucht war für sie lange Zeit ein Zuhause, Wohn-, Schlaf- und Badezimmer in einem. Bis eines Tages der Druck der Einheimischen gegen das, wie sie es nannten, gottlose Treiben zu groß wurde und die Ältesten ihres Clans beschlossen, sich im Hinterland niederzulassen.

    Zwar kehrten sie immer noch regelmäßig zurück, um zum Beispiel den Sonnenuntergang zu genießen. Aber es wurde nie wieder so wie früher, als es nur um das nackte Sein und das Erleben ging. Denn nachdem die Miliz den Strand geräumt und ihre behelfsmäßigen Unterkünfte in Brand gesteckt hatte, war diese unbeschwerte Zeit ein für alle Mal vorbei.

    Ein Großteil der Schwestern und Brüder kehrte enttäuscht oder unter sozialem Zwang in ihr verpöntes, bürgerliches Leben zurück. Ein Teil von Lottas Clan blieb jedoch zusammen und schuf sich weit hinten im Tal eine neue Heimat und eine eigene Gesellschaftsform, die hier ihren Ausgangspunkt genommen hatte.

    «Ja, dieser Ort ist wirklich magisch!», nickte Lotta zustimmend, bevor sie wieder sehnsüchtig aufs Meer blickte. Als ihr Blick diesmal über die Brandung glitt, verspürte sie plötzlich den Wunsch, sich mit den Wellen zu vereinen. «Habt ihr eigentlich auch Lust zu baden?», ging sie zu ihren Freunden zurück und zog kurzerhand ihre Hose aus, wobei sie ihre Begleiter auffordernd und fragend ansah. Dann folgten ihr Oberteil und das Tuch, das sie um ihr Haar trug, sowie die Kette, und so stand sie schon nackt vor ihnen, bevor sie eine Antwort geben konnten.

    Überrascht sahen sich Anne und Ole kurz an, bevor Anne aufstand und sich ihres Kleides entledigte. Ich blieb jedoch unbewegt sitzen und starte Lotta weiter nur fragend an. «Was ist denn, keine Lust? Du lässt uns doch nicht allein baden, oder?», stemmte sie ungewohnt ungeduldig die Arme in die Seite.

    «Ähm, ja, besser nicht!», kratzte ich mich verlegen am Kopf, bevor ich zu Lotta hochsah. «Und ihr solltet euch auch besser wieder anziehen. Hier stehen doch überall Schilder herum, auf denen für jedermann deutlich lesbar steht: Kein FKK!»

    «Ach Ole!», schüttelte sich Lotta plötzlich vor Lachen und wedelte mit ihrem kleinen rechten Zeigefinger vor meinem Gesicht hin und her. «Um diese Zeit ist das schon okay. Denn um diese Uhrzeit schlafen die streng katholischen Gomeros schon», griente sie mich verwegen an.

    Gelebte Utopie

    Langsam erwachte ich aus einem unruhigen Schlaf und strich zufrieden mit meiner linken Hand sanft über Annes entblößten, muskulösen Rücken. Vorsichtig bewegte ich mich dabei ein wenig hin und her, um eine bequemere Position zu finden. Denn mein Rücken schmerzte unangenehm. Kurz darauf schloss ich die Augen wieder, um meinen Gedanken weiter nachzuhängen, die sich um mein neues Zuhause drehten.

    Mein neues Zuhause ist seit kurzem La Gomera, ein fast paradiesisch anmutendes Fleckchen Vulkangestein, das aufgrund seiner geographischen Lage meist mit ewig frühlingshaften Temperaturen gesegnet ist. Aus diesem Grund ist diese schöne kanarische Insel seit Jahrzehnten das Ziel vieler Aussteiger, die hierherkommen, um dem ungemütlichen Klima Mitteleuropas zu entfliehen.

    Ich sah mich jedoch nicht als Aussteiger, sondern wenn dann eher als Umsteiger, den eine Reihe glücklicher Umstände hierhergeführt hat. Zuvor hatte ich mir ein Sabbatjahr gegönnt, und war so meinem alten, komplizierten Leben als professioneller Support Engineer für eine große amerikanische Firma im oft kalten und verregneten Norddeutschland entflohen, und genoss nun das einfache Leben hier in dieser fast tropischen Landschaft.

    Doch das einfache Leben hier war bei näherem Hinsehen oft gar nicht so einfach, auch wenn dieses zauberhafte Tal im Südwesten La Gomeras mit seinen Bananenplantagen und den jahrhundertealten künstlichen Terrassen auf den ersten Blick etwas anderes versprach. Zwar kämpften die Menschen hier noch nicht mit den schnöden Wohlstandskrankheiten oder dem medialen Overflow einer westlichen Industriegesellschaft. Doch war die Zeit auch hier nicht stehen geblieben, und so mussten sich die meisten der verbliebenen deutschen Migranten so gut wie möglich in die Gesellschaft integrieren, wobei sie einen mehr oder weniger ausgeprägten Unternehmergeist entwickelten, nur eben anders als in ihrer alten Heimat.

    Am deutlichsten spürte ich das hier in El paraíso en el charco, einer kleinen Ansammlung einfacher Fincas an einem wunderschönen Naturteich, hoch oben am nordöstlichen Ende der grünen Talzunge von Valle Gran Rey. Hierher hatte sich Mitte der siebziger Jahre der Rest von Lottas Clan zurückgezogen, um ihren Traum von einer anderen Gesellschaftsform zu verwirklichen.

    Als New Community lebten, liebten und arbeiteten sie seither hier gemeinsam und belebten so eine im industrialisierten Westen längst verloren geglaubte Ganzheit. Vieles hat sich seitdem verändert und weiterentwickelt, aber man spürt deutlich, dass sie den Kern ihres Traumes nicht aus den Augen verloren haben.

    Für mich als nüchternen, kopfgesteuerten Informatiker war dieses Gegenmodell immer noch eine Art utopische Gesellschaftsform, die mich aber sehr real umgab. Denn während ich Anne weiter zärtlich über den Rücken streichelte, kuschelte sich plötzlich von der anderen Seite Lotta in meinen Arm. «Buenas Diaz! Hast du auch so gut geschlafen?», gähnte sie leise, bevor sie mir einen zärtlichen Kuss auf die Wange drückte.

    «Hm», brummte ich gerade zustimmend, als ein lauter Gong erklang, der die meist noch schlafende Gemeinschaft zum Frühsport rief.

    «Mist, schon so spät?», schaute Lotta überrascht auf die Uhr. «Dabei kommt es mir so vor, als wären wir gerade erst ins Bett gegangen», sah sie mich verschlafen an, bevor sie Anne sanft über die Wange strich, die daraufhin lächelnd die Augen aufschlug.

    «Nein, wir waren schon ziemlich früh im Bett!», hob Anne den Kopf und küsste erst Lotta und dann mich zärtlich auf den Mund, bevor sie mir überraschend munter direkt in die Augen sah. «Vamos!», nickte sie mir aufmunternd zu, bevor sie mir einen weiteren Kuss auf die Lippen hauchte. «Dann mal raus aus den Federn!», erhob sie sich und stieg über mich hinweg aus dem Bett.

    Ich dachte jedoch nicht daran aufzustehen, denn wie jeden Morgen genoss ich erst einmal den Anblick ihres durchtrainierten Körpers, während sie vor dem bodentiefen Fenster, von dem aus man einen wunderschönen Blick ins Tal hatte, ein paar Dehnübungen machte, um sich fürs Laufen aufzuwärmen. Doch als der Gong zum zweiten Mal ertönte, mussten auch Lotta und ich das Bett verlassen.

    Frühsport an sich und ausgiebiges Joggen gleich nach dem Aufstehen gehörten nicht gerade zu den Dingen, auf die ich mich besonders freute. Aber immerhin schien sich mein Körper darauf einzustellen, so dass ich es neuerdings sogar ein wenig genoss, mit den anderen am Rande des immergrünen Nebelwaldes entlangzulaufen, ohne von Seitenstichen oder Kurzatmigkeit geplagt zu werden. Den krönenden Abschluss dieses sportlichen Ausflugs in die Natur bildete dabei stets ein gemeinsames Bad in dem großen Naturteich im Herzen unserer kleinen Siedlung.

    Als ich zum ersten Mal an diesem öffentlichen Bad teilnahm, kam es meiner Vorstellung von einem Garten Eden sehr nahe. Denn egal ob jung oder alt, alle gaben sich hier ganz natürlich und planschten ausgelassen, wobei selbst die anwesenden Teenager keine Probleme mit ihren sich transformierenden Körpern hatten.

    Beim anschließenden gemeinsamen Frühstück fühlte ich mich durch das Bad im kalten Wasser erfrischt und voller Tatendrang, was für mich ebenso neu war wie das Gefühl, Teil einer großen informellen Gemeinschaft zu sein. Dieses Gefühl gefiel mir nach all der Zeit, der meist selbst gewählten Einsamkeit und den körperlichen Gebrechen, und so haderte ich auch mit der Meinung einiger älterer Kommunarden. Denn diese sogenannten Stones betrachteten Anne und mich bisher nur als Lottas Sommergäste. Und ich hoffte inständig, dass sie sich in dieser Hinsicht irren würden. Denn mein altes Leben lag nicht nur von der Entfernung her sehr weit von diesem lebens- und liebenswerten Ort entfernt.

    Als kleine Anerkennung, so empfand ich es jedenfalls, war mir vor kurzem die Aufgabe übertragen worden, mich um die wirtschaftlichen Belange der Gemeinschaft zu kümmern. Denn diese verpönte monetäre Aufgabe war den meisten Stones von Natur aus zuwider, da sie sich lieber mit höheren Dingen beschäftigten. Das konnte ich zwar nachvollziehen, was mich allerdings verwunderte, war, dass sie sich dann aus meiner Sicht eher niederen Tätigkeiten zuwandten, wie zum Beispiel der Landwirtschaft, handwerklichen Tätigkeiten oder dem Betrieb von Restaurants, von denen die Gemeinschaft insgesamt drei besaß.

    Ich hingegen freute mich über meine neue Aufgabe, da sie mir die Möglichkeit bot, hinter die Kulissen der HFNCI zu schauen. Anne, quasi die zweite Novizin der Gemeinschaft, wurde als angehende Pädagogin und Mutter mit der Betreuung der Kinder betraut.

    Die Hippe Freak New Community International, kurz HFNCI, ist die Organisation, die Lottas Vater mit einigen Gleichgesinnten vor gut dreißig Jahren gründete, um ihren Traum von einer idealen Welt, wenn auch im Kleinen, zu bewahren, nachdem ihnen die Gründe für das Scheitern der Counterculture in Amerika Anfang der siebziger Jahre wie ein Fanal erschienen waren. Denn auch dort kehrten damals viele Gleichgesinnte desillusioniert oder aus sozialen Zwängen in das eintönige Leben ihrer Elterngeneration zurück. So tat Lottas Clan etwas, was man ihnen als Teil eines bis dahin nicht arbeitenden, mystisch orientierten Zweiges dieser Subkultur eigentlich nicht zugetraut hätte, und schuf mit dieser Organisation etwas Nachhaltiges.

    Das daraus entstandene Gemeinschaftsgefühl hatte auch bei Anne etwas Bleibendes hinterlassen. Nachdem sie sich von dem Schock erholt hatte, durch einem eher enttäuschenden One-Night-Stand schwanger geworden zu sein, konnte sie sich im Kreis der Gemeinschaft dazu durchringen, das ungeborene Leben entgegen ihren eigentlichen, straff organisierten Zukunftsplänen zu behalten.

    Als äußeres Zeichen dieser inneren Einkehr und als eine Art Initiationszeichen ließ sie sich einen fröhlichen Smiley, der frech die Zunge herausstreckt, auf den Hintern tätowieren. Dies sollte den Bruch mit ihrer Vergangenheit dokumentieren, in der sie sich ohnmächtig unter der Knute ihres übermächtigen Vaters wähnte. Nach dieser Renaissance bekannte sie sich auch öffentlich zu ihrer bis dahin sorgsam unterdrückte sexuelle Neigung zu beiden Geschlechtern, und das von Polyamorie geprägte Umfeld der Gemeinschaft ermöglichte ihr ein unbeschwertes Ausleben ihrer Persönlichkeit.

    Der Smiley, den Lottas Mutter als junge Designstudentin entworfen hatte, wurde im Laufe der Zeit nicht nur zum modischen Accessoire, sondern auch zum Markenzeichen des HFNCI und ziert seitdem die meisten Produkte der Organisation.

    Dubios

    «Guten Morgen Ole, wie sieht's aus, habe ich heute wieder das Glück, diesen wunderbaren Tag in der Gesellschaft eines jungen, überaus sympathischen Mannes zu verbringen?», riss mich Leonoras sanfte Stimme gegen Ende des Frühstücks aus meinen Tagträumen.

    «Oh, hallo Leo? Ja, das hast du!», erhob ich mich lächelnd, nachdem ich Anne einen Abschiedskuss gegeben hatte.

    «Gut, das freut mich!», lächelte sie Anne kurz an, bevor sie mich wieder ansah und sich mütterlich bei mir einhakte. «Okay, dann lass uns zuerst einmal die Zettelkästen leeren und schauen, ob jemand einen besonderen Wunsch hat, den wir heute noch erfüllen können.»

    «Gerne!», lächelte ich zurück, auch wenn ich mich immer noch ein wenig über die Kommunikationswege innerhalb der Gemeinschaft amüsierte. Aber das würde ich nie sagen, denn ich mochte und respektierte die ältere Dame sehr.

    Leonora vertrat nach dem unerwarteten Tod von Lottas Vater nicht nur die Kommune nach außen, sondern kümmerte sich auch fast allein um die materiellen Bedürfnisse der Kommune, die sie nicht durch Subsistenzwirtschaft produzieren konnte. Deshalb freute sie sich über meine Unterstützung.

    «Na, dann bin ich ja mal gespannt, was heute so alles auf den Zetteln steht», sagte ich und öffnete neugierig den ersten himmelblauen Kasten. «Wow, das lohnt sich!», griff ich nach dem wilden Zettelberg, der mir aus dem Kasten entgegenquoll, und reichte ihn Leonora.

    «Ach was, das geht doch noch! Warte erst einmal den Sommer ab, dann wird dir dieser vermeintliche Berg hier nur noch wie ein Hügel vorkommen», hob sie demonstrativ die Ausbeute des Zettelkastens in die Höhe. Dann setzte sie sich in den Schatten einer alten Bananenstaude, wo sie lächelnd den Inhalt des Stapels studierte und das Gelesene auf mehrere Rückseiten übertrug, wobei sie den Originaltext auf der jeweiligen Vorderseite markant durchstrich.

    «Hier, das kannst du alles schon mal mitbringen, wenn du Lotta und die anderen in den Ort hinuntergefahren hast», reichte sie mir kurze Zeit später einen der Einkaufszettel.

    «Okay, mach ich», überflog ich neugierig den Inhalt des Zettels und erfreute mich wie jedes Mal an ihrer Handschrift, die sehr schön geschwungen war und fast altdeutsch wirkte. Doch plötzlich zuckte ich zusammen: «Ja sag mal, was soll ich da mitbringen…? Nee nun mal im Ernst, das geht doch nun wirklich nicht, ich meine ich kann doch nicht!», tippte ich nachdrücklich mit dem Zeigefinger auf den Zettel und sah sie mit großen Augen an.

    «Ja, natürlich meine ich das ernst!», nahm sie mir den Zettel aus der Hand und las die Bestellung noch einmal Zeile für Zeile durch. «Also ehrlich gesagt weiß ich nicht, wo dein Problem liegt», sah sie mich verständnislos an.

    «Na ja, ich meine unter anderem die ganzen Gummis hier!», tippte ich mit dem Zeigefinger auf die entsprechende Zeile auf dem Zettel. «Und was soll das bitte sein?», deutete ich auf die Zeile darunter.

    «Ach, du meinst unsere gute Gleitcreme! Nein, die ist echt super und aus ganz natürlichen Inhaltsstoffen», schaute sie mich weiterhin verständnislos an, bevor sie ein gewinnendes Verkäuferlächeln aufsetzte. «Also, wenn ihr mal welche braucht, dann kann ich euch genau diese empfehlen. Diese Creme ist so ziemlich geschmacksneutral, greift die Scheidenflora nicht an und lässt sich hinterher ganz leicht abwaschen, ohne zu schmieren!»

    «Ähm ja…, danke für den Tipp!», erwiderte ich zuerst überrascht ihren Blick, dann legte sich meine Stirn in Falten. «Leo, jetzt aber mal Butter bei die Fische! Ich kann doch nicht ernsthaft ein Dutzend Familienpackungen Kondome und x Flaschen Gleitcreme kaufen. Da komme ich mir ja vor wie ein Bordellbesitzer, der seinen Jahresvorrat auffüllt», empörte ich mich, wenn auch im Flüsterton.

    «Na, wenn wir damit mal ein ganzes Jahr hinkommen? Denn wenn ich mich recht entsinne, hielt die letzte Fuhre gerade mal knapp zwei Monate, und nun beginnt auch noch bald die Hauptsaison», wirkte sie auf einmal nachdenklich. «Na, wie dem auch sei», lachte sie kurz herzhaft, bevor sie die Anzahl der Packungen nach oben korrigierte. «Bestell Oswaldo einfach einen lieben Gruß von mir. Dann wird er schon nicht die Policia holen.»

    Doch einen lieben Gruß von Leonora brauchte ich dem Besitzer des örtlichen Reformhauses gar nicht auszurichten. Denn kaum hatte ich meine Bestellung wortlos über den Tresen geschoben, lächelte mich Oswaldo auch schon spöttisch an. «Ah, der neue Laufbursche meiner Lieblingskundin!», begrüßte er mich auf Spanisch.

    «Sí!», antwortete ich schüchtern, nickte und überlegte, bis ich die Bedeutung von Oswaldos Aussage ganz verstand. Dabei lächelte ich vordergründig, da ich zunehmend nervöser wurde. Denn der untersetzte, aber sehr kräftige Mann machte keine Anstalten, die soeben aufgegebene Bestellung zu begutachten, stattdessen musterte er mich eine Weile eingehend, bevor er etwas ungläubig aus dem Fenster blickte. Dann zuckte er mit den Schultern, bevor er über seine linke Schulter hinweg laut in die Dunkelheit seines Ladens rief: «Sophia!»

    «Sí, papá!», sagend, erschien daraufhin eine hübsche junge Frau in Lottas Alter. Diese schaute zuerst mürrisch zu ihrem Vater, bevor sie zu lächeln begann, als sie mich erblickte. Dabei blies sie sich eine Locke ihres langen schwarzen Haares aus dem Gesicht, während sie ihr ohnehin schon enges Top glatt strich, wodurch mein Blick automatisch auf ihre pralle Oberweite fiel. Lächelnd nahm sie es zur Kenntnis, ebenso wie ihr Vater, der aber nicht lächelte, sondern seine Augen kritisch verengte.

    Als sie dann den Zettel mit der Bestellung von ihrem Vater entgegennahm, der mich weiterhin eindringlich musterte, legte sich ihre Stirn sichtlich in Falten. «Oh, vale!», stieß sie wissend aus, drehte sich auf dem Absatz um und bedeutete mir mit der rechten Hand, ihr in die Dunkelheit des Ladens zu folgen.

    Unsicher nickte ich dem immer noch finster dreinblickenden Ladenbesitzer zu, bevor ich mich anschickte, ihr zu folgen. Dieser murmelte nur etwas Unverständliches und wandte sich wieder seiner Tageszeitung zu, die er zur Seite gelegt hatte, als ich seinen Laden betrat.

    Dann musste ich mich beeilen, denn ich sah Sophia gerade noch hinter einem der hohen Regale verschwinden.

    «Keine Angst, mein Vater ist eigentlich ganz umgänglich! Er hadert nur jedes Mal mit Gott, wenn jemand

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