Ein schmerzlicher Verzicht: Sophienlust 362 – Familienroman
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Diese beliebte Romanserie der großartigen Schriftstellerin Patricia Vandenberg überzeugt durch ihr klares Konzept und seine beiden Identifikationsfiguren.
»Mami, was ist denn los? Was hast du? Mamilein, so sag doch etwas!«, bettelte die kleine Netta. Mit vollem Namen hieß das kleine Mädchen Antonietta Isabella Caroline Resch und zählte ganze drei Jahre. Netta war ein hübsches Kind mit einem runden Gesichtchen, graubraunen Augen, hellbraunen Haaren und einem anschmiegsamen, vertrauensvollen Wesen. Ihr bisheriges Leben war heiter und behütet verlaufen. Von ihrer noch sehr jungen Mutter erfuhr sie nichts als Liebe, Fürsorge und Zärtlichkeit. Papa kam zwar nur selten, aber wenn er kam, dann brachte er ihr und Mami schöne Sachen mit. Mami war dann besonders fröhlich und Papa ebenfalls. Jetzt aber war Mami gar nicht fröhlich. Sie war in einem Zustand, der Netta fremd war, der ihr Angst einjagte. Mamis Gesicht war blass und seltsam starr. Sie saß regungslos auf dem Küchenhocker, und die Zeitung, in der sie eben gelesen hatte, war ihren Händen entglitten. »Mami! Bitte schau mich an!«, rief Netta angstvoll aus. Als ihre Mutter wiederum nicht reagierte, kletterte sie auf deren Schoß und legte ihr die Arme um den Hals. Mit einem plötzlichen heftigen Aufschluchzen presste Bettina Resch das Kind fest an sich – so als ob es ihr Halt geben könne. Doch diese abrupte Bewegung versetzte das kleine Mädchen erst recht in Schrecken.
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Sophienlust (ab 351)
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Buchvorschau
Ein schmerzlicher Verzicht - Elisabeth Swoboda
Sophienlust
– 362 –
Ein schmerzlicher Verzicht
Elisabeth Swoboda
»Mami, was ist denn los? Was hast du? Mamilein, so sag doch etwas!«, bettelte die kleine Netta.
Mit vollem Namen hieß das kleine Mädchen Antonietta Isabella Caroline Resch und zählte ganze drei Jahre. Netta war ein hübsches Kind mit einem runden Gesichtchen, graubraunen Augen, hellbraunen Haaren und einem anschmiegsamen, vertrauensvollen Wesen. Ihr bisheriges Leben war heiter und behütet verlaufen. Von ihrer noch sehr jungen Mutter erfuhr sie nichts als Liebe, Fürsorge und Zärtlichkeit. Papa kam zwar nur selten, aber wenn er kam, dann brachte er ihr und Mami schöne Sachen mit. Mami war dann besonders fröhlich und Papa ebenfalls.
Jetzt aber war Mami gar nicht fröhlich. Sie war in einem Zustand, der Netta fremd war, der ihr Angst einjagte. Mamis Gesicht war blass und seltsam starr. Sie saß regungslos auf dem Küchenhocker, und die Zeitung, in der sie eben gelesen hatte, war ihren Händen entglitten.
»Mami! Bitte schau mich an!«, rief Netta angstvoll aus. Als ihre Mutter wiederum nicht reagierte, kletterte sie auf deren Schoß und legte ihr die Arme um den Hals.
Mit einem plötzlichen heftigen Aufschluchzen presste Bettina Resch das Kind fest an sich – so als ob es ihr Halt geben könne. Doch diese abrupte Bewegung versetzte das kleine Mädchen erst recht in Schrecken. Die Mutter war bisher immer sanft und zärtlich mit ihm umgegangen. Etwas Schreckliches musste geschehen sein. Das fühlte Netta instinktiv. Sie begann leise zu weinen.
»Ach Netta, was sollen wir jetzt machen?«, flüsterte Bettina tonlos vor sich hin. Es klang nicht wie eine Frage, sondern eher wie die verzweifelte Feststellung, dass alles sinnlos geworden war.
Netta antwortete auch nicht. Sie weinte, ohne eigentlich zu wissen, weshalb. Auf merkwürdige Weise hatte sich die Verzweiflung ihrer Mutter auf sie übertragen.
Bettina strich ihrer kleinen Tochter über die Haare, blickte jedoch über sie hinweg ins Leere. Sie war außerstande, einen klaren Gedanken zu fassen. Zu groß war der Schock, den die kurze, knapp gehaltene Zeitungsnotiz ihr bereitet hatte.
»Wiederum forderte der Feiertagsverkehr einen hohen Blutzoll auf Österreichs Straßen«, hatte da gestanden. Bettina hatte den Artikel flüchtig überflogen, aber dann waren ihr die Namen Antonio und Carla Masini förmlich ins Auge gesprungen. Frontalzusammenstoß mit einem Sattelschlepper, der rote Sportwagen total zertrümmert, das Ehepaar Masini sofort tot, der Chauffeur des Sattelschleppers mit schweren Verletzungen in ein Krankenhaus eingeliefert.
Zuerst hatte Bettina das Gefühl gehabt, unter einem Albtraum zu leiden. Was da in der Zeitung stand, konnte einfach nicht wahr sein. Sie hatte die wenigen Zeilen wieder und wieder gelesen, doch nichts hatte sich daran verändert. Antonio und Carla Masini – beide tot.
Nein, sie träumte nicht, und es war auch kein Irrtum, keine zufällige Namensgleichheit, Tonio hatte ihr ja selbst erzählt, dass er die Absicht habe, für ein paar Tage zu seinen Eltern nach Padua zu fahren. Allerdings hatte er nicht erwähnt, dass seine Frau mitkommen sollte. Im Gegenteil, er hatte versprochen, auf der Heimfahrt sie, Bettina und Netta, zu besuchen. Wahrscheinlich hatte Carla diese Absicht gewittert und sie mit allen Mitteln zu vereiteln versucht. Sicher hatte sie sich Tonio aufgedrängt, sodass ihm keine andere Wahl geblieben war, als sie mitzunehmen. Jetzt waren sie beide tot – und alles zu Ende.
Wider Willen kam Bettina der Gedanke, dass Carla letztlich doch noch gesiegt hatte. Tonio war ihr Ehemann geblieben – bis in den Tod.
Bettina schrak zusammen. Nein, jetzt war nicht der richtige Moment für Eifersuchtsanwandlungen. Tonio hatte sie geliebt, nur sie. Er war lediglich aus Mitleid bei Carla geblieben, hatte seiner Frau nicht wehtun wollen. Carla hatte seinen guten Charakter ausgenützt und war wie eine Klette an ihm kleben geblieben, anstatt ihn freizugeben.
Wer weiß, vielleicht war Carla auch an dem Autounfall schuld. Vielleicht hatte sie Tonios Aufmerksamkeit mit dummem Geschwätz abgelenkt, oder sie hatte ihn zu einer überhöhten Geschwindigkeit verleitet, und dann …
Bettina schauderte. Sie wünschte, sie wäre anstelle von Carla an Tonios Seite gewesen. Dann wäre sie jetzt endlich und für immer mit Tonio vereint. Sie müsste nicht diesen schrecklichen Schmerz ertragen, diese innere Leere und diese Verzweiflung, die immer stärker von ihr Besitz ergriff. Ohne Tonio, ohne seine Liebe, ohne die Hoffnung auf eine glückliche gemeinsame Zukunft war das Leben wertlos für sie.
»Mami, warum …, warum sind wir so traurig?«, schluchzte Netta.
Die Frage ihres Kindes brachte Bettina halbwegs wieder zu sich. Sie riss sich zusammen und antwortete leise: »Papa ist tot.«
»Tot?« Das kleine Mädchen konnte mit diesem Wort nichts anfangen.
»Er ist – er wird nie wieder zu uns kommen«, versuchte Bettina ihrer Tochter das Schreckliche begreiflich zu machen.
»Das glaube ich nicht!«, rief Netta. »Papa hat uns lieb. Er kommt sicher bald und bringt mir eine große Puppe mit blonden Zöpfen mit. Die hat er mir versprochen und ein neues Kleid und Lackschuhe …«
»Ach, Netta, sei still«, bat Bettina. Die Erinnerung an ihr letztes Zusammensein mit Tonio stand überdeutlich vor ihr. Tonio war so lustig gewesen, beinahe ausgelassen. Sie hatten alle drei einen kleinen Ausflug ins Grüne unternommen. Auf einer Wiese hatte Tonio mit Netta herumgetollt, und das Kind hatte vor Vergnügen gequietscht. Danach waren sie in einem schattigen Gasthausgarten eingekehrt. Bettina war mit zwei älteren Damen ins Gespräch gekommen. Die beiden hatten bewundernde Bemerkungen über ihre niedliche kleine Tochter und ihren sympathischen Ehemann geäußert. Bettina hatte die irrige Meinung der beiden Damen natürlich nicht korrigiert. Sie selbst hatte Tonio ja nicht bloß als ihren Geliebten angesehen. Sie war seiner so sicher gewesen, hatte nie daran gezweifelt, dass er und sie eines Tages auch vor dem Gesetz als Mann und Frau gelten würden.
»Papa wird wiederkommen. Ganz bestimmt!«, rief Netta und drückte ihre tränenfeuchte Wange an die ihrer Mutter, die trocken geblieben war. Bettina konnte nicht weinen.
»Nein, Netta. Papa ist tot – begreifst du denn nicht? Nein, du kannst es ja nicht begreifen. Entschuldige«, fuhr Bettina nach einer kurzen Pause fort. Gewaltsam zwang sie sich zur Beherrschung. Das Kind sollte nicht so leiden, wie sie litt.
»Es stimmt, Papa hat uns sehr, sehr lieb«, sagte Bettina langsam. »Aber er kann nicht mehr zu uns kommen. Er ist weit, weit fort – im Himmel. Wir wollen oft an ihn denken und … und …« Bettinas Stimme versagte.
Netta wartete ein Weilchen, dann meinte sie hoffnungsvoll: »Vielleicht irrst du dich. Er kommt sicher wieder.«
Bettina schwieg. Sie wusste nicht, wie sie dem Kind den Verlust, der sie beide getroffen hatte, klarmachen sollte. Möglicherweise war es sogar besser, Netta die Hoffnung nicht zu rauben. Sie war ja noch so klein! Mit der Zeit würde das Bild ihres Vaters verblassen, und vielleicht würde sie ihn ganz vergessen. Tiefgreifende Erklärungen über ihre Herkunft waren wahrscheinlich erst dann nötig, wenn sie älter und verständiger geworden war.
Bettina seufzte tief auf. Bisher hatte sie derartige Überlegungen weit von sich gewiesen. Tonio hatte ihr ja versprochen, Netta nach ihrer Heirat zu adoptieren, und mit diesem Schritt wäre Nettas uneheliche Geburt gegenstandslos geworden. Nun war alles anders gekommen. Schwierigkeiten tauchten auf, mit denen niemand hatte rechnen können. Oder doch? Tief in Bettinas Innerem regten sich Zweifel, ob sie sich nicht zu sorglos verhalten hatte, aber sie verdrängte diese Zweifel rasch.
*
Schließlich ging auch dieser für Bettina Resch so schreckliche Tag zu Ende. Dem Kind zuliebe hatte sie sich zusammengenommen und ihren Schmerz und ihre Trauer unterdrückt. Mechanisch hatte sie die täglichen Handgriffe ihres kleinen Haushalts besorgt, war mit Netta spazieren gegangen, hatte das Kind am Abend gebadet und zu Bett gebracht.
Erst als auch Bettina in ihrem Bett lag, kamen die Tränen. Sie krümmte sich zusammen und weinte hemmungslos. Das Ausmaß ihres Kummers erschien ihr ungeheuerlich. Sie war überzeugt, dass mit Tonios Tod auch ihr eigenes Leben seinen Sinn verloren hatte. Warum hatte nicht sie an seiner Seite in dem Unglückswagen gesessen? In diesem Falle hätte auch sie jetzt ihren Frieden gefunden, und angesichts des offenen Grabes hätten die Eltern ihr sogar ihren Fehltritt vergeben. Netta aber …
Abrupt hörte Bettina auf zu weinen. Es war ihr plötzlich zum Bewusstsein gekommen, wie unverzeihlich ihre Todessehnsucht war. Sie hatte ja Netta. Dem Kind zuliebe musste sie sich zusammennehmen und ihr seelisches Tief überwinden. Es war dringend notwendig, einen Weg zu finden, um sich und ihr Kind ernähren zu können, nachdem sie nun nicht mehr auf Tonio bauen konnte.
Bettina fand in dieser Nacht keinen Schlaf. Ihre Tränen waren versiegt, aber dafür hatte lähmende Angst von ihr Besitz ergriffen. Was sollte aus ihr und dem Kind werden?
Bettina Resch entstammte einer alteingesessenen Tiroler Bauernfamilie. Ihr Vater besaß ein gutgehendes Hotel, einer ihrer Onkel hatte den Hof geerbt, ein anderer Onkel betrieb eine Bäckerei und war außerdem Bürgermeister einer größeren Gemeinde. Ein dritter Onkel war Apotheker. Da er kinderlos war, hätte Bettina in seine Fußstapfen treten sollen, denn ihr einziger und wesentlich älterer Bruder würde einmal das väterliche Hotel erben.
Bettinas Zukunft war also gesichert