127 Der Traum vom Glück
Von Barbara Cartland
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127 Der Traum vom Glück - Barbara Cartland
Der Traum vom Glück
~
1817
„Küß mich, Hetty, küß mich noch einmal!"
„Nein, Edward, ich muß jetzt wirklich gehen."
„Du darfst nicht gehen, du mußt bei mir bleiben. Ich habe so lange darauf gewartet, mit dir allein zu sein."
Lord Corbury nahm Hetty von Neuem in die Arme. Sein leidenschaftlicher Kuß raubte ihr beinahe den Atem.
„Mein lieber Edward, flüsterte sie, „ich liebe dich, wenn du mich so küßt.
„Und ich liebe dich, sagte er mit tiefer Stimme. „Wann wirst du mich heiraten, mein Liebling?
„Oh, Edward!"
Er ließ sie los und betrachtete ihr Gesicht. Es war ein sehr schönes Gesicht, das in ganz London Aufsehen erregte.
Hetty Baldwyn hatte auffallend blondes Haar und strahlend blaue Augen. Seit sie vor zwei Jahren in die Gesellschaft eingeführt worden war, bewunderte man sie, wo immer sie auch erschien. Kein anderes Mädchen konnte sich mit ihrer Schönheit messen. Sie war nicht nur bei den Gecken und Stutzern der vornehmen Gesellschaft begehrt, sondern auch bei allen anderen jungen Männern, die Rang und Namen hatten.
„Was soll das heißen: ,Oh, Edward?‘" fragte Lord Corbury.
Hetty legte ihre Wange an seine Schulter.
„Du weißt doch, daß Papa es nicht erlauben würde."
„Verdammt noch mal, warum sollten wir uns um deinen Vater kümmern? Wir werden davonlaufen. Wenn wir erst einmal verheiratet sind, kann er nichts mehr dagegen tun."
Er hielt inne. Hetty sah ihn mit großen Augen an.
„Du meinst, wir sollen nach Gretna Green fahren?"
Ihre Stimme klang entrüstet.
„Warum denn nicht? fragte er. „Wenn wir jenseits der Grenze und verheiratet sind, ist er machtlos. Er kann uns dann höchstens noch böse sein, und wen kümmert das schon?
Hetty verzog schmollend den Mund, wodurch sie noch verführerischer wirkte.
„Aber Edward, ich will eine große Hochzeit mit Brautjungfern und all meinen Freunden. Mein Brautkleid habe ich schon entworfen, und ich möchte Mamas Diamantdiadem tragen."
Sie sah, daß Lord Corbury seine Brauen zornig zusammenzog.
„Natürlich würdest du einen sehr gut aussehenden Bräutigam abgeben", fügte sie hastig hinzu.
„Warum, zum Teufel, ist es wichtig, wo und wie wir getraut werden? Hauptsache, wir werden ein Paar, oder? Er sah sie fragend an. „Wir brauchen doch weder Brautjungfern noch Publikum. Nur wir sind wichtig, Hetty! Du wirst meine Frau sein, und niemand kann dich mir nehmen.
„Das wäre wunderbar, seufzte Hetty. „Aber ich will Papa nicht vor den Kopf stoßen. Er ist sehr stolz auf mich, und es würde ihm das Herz brechen, wenn ich mich so ungebührlich verhielte und einfach nach Gretna Green ginge.
„Was sollen wir also tun?" fragte Lord Corbury verzweifelt.
Er war ein ausnehmend gut aussehender junger Mann, groß, mit breiten Schultern. Ein Blick aus seinen sanften, grauen Augen ließ das Herz eines jeden Mädchens schnell schlagen. Außerdem hatte er eine gewisse lässige Art, der selbst die wählerische Hetty nicht widerstehen konnte.
Sie löste sich aus seinen Armen und blickte zu ihm auf. Ihr maßgeschneidertes Reitkostüm aus türkisblauem Samt brachte die weichen Kurven ihres schlanken Körpers vorteilhaft zur Geltung.
Sie hatte ihren Hut mit dem duftigen Schleier abgenommen, als sie das Zimmer betreten hatte. Die Sonnenstrahlen, die durch die rautenförmigen Flügelfenster fielen, spielten in ihrem goldenen Haar und hüllten sie in einen hellen Schein. Sie verliehen ihr eine zarte Schönheit, die Lord Corbury in Bann schlug. Entrückt sah er sie an.
„Ich liebe dich, Hetty, sagte er. „Ich kann nicht ohne dich leben.
„Und ich liebe dich, Edward, hauchte sie. »Aber wir müssen vorsichtig sein, sehr vorsichtig. Ich habe Papa nicht erzählt, daß du zurück bist. Er hat also keine Ahnung, daß wir in diesem Augenblick zusammen sind.
„Wie hast du dann dein Kommen erklärt?"
„Ich habe Papa gesagt, daß. ich zum Kloster reite, um deine Haushälterin, Mrs. Buckle, zu besuchen, weil sie krank ist. Er hat mich gelobt, daß ich so hilfsbereit bin."
„Früher oder später wird er bestimmt erfahren, daß ich wieder hier bin", sagte Lord Corbury mißmutig.
„Daran habe ich schon gedacht", entgegnete Hetty.
„Ich werde ihm sagen, daß dich Mrs. Buckle jeden Tag zurückerwartet. Wenn man schon lügt, sollte es eine gute Lüge sein."
„Und glaubst du etwa, ich mag all diese Lügen und Ausreden?" fragte Lord Corbury.
„Was können wir denn sonst tun?"
„Du kannst mich heiraten", antwortete er.
„Und wovon würden wir leben?"
„Wir könnten hier leben."
Er machte eine ausholende Geste und sah sich dabei im Zimmer um. Niedergeschlagen bemerkte er, daß die Einrichtung abgenutzt aussah und erneuert werden mußte. Nur die alten Holztäfelungen an den Wänden waren noch schön.
Von den Samtvorhängen löste sich der Fransenbesatz, und die Farben des Perserteppichs waren verblichen. Einige der Stühle waren zerbrochen und an den Wänden konnte man deutlich die Stellen erkennen, an denen früher einmal Bilder gehangen hatten.
Hetty folgte seinem Blick.
„Ich weiß, du liebst dein Zuhause, Edward. Aber es würde ein Vermögen kosten, es soweit in Ordnung zu bringen, daß man hier wohnen kann."
„Und ich habe keinen Penny, geschweige denn ein Vermögen." Lord Corburys Stimme klang verbittert.
„Ich weiß, ich weiß, antwortete Hetty, „und deshalb wäre es auch völlig sinnlos, mit Papa zu sprechen oder auch nur anzudeuten, daß du mich heiraten willst. Er will, daß ich eine ausgezeichnete Partie mache. Im Augenblick gilt seine Gunst Sir Nicholas Waringham.
„Waringham! rief Lord Corbury wütend. „Glaubst du denn, du würdest glücklich werden mit diesem hochnäsigen Stutzer, der sich für so wichtig hält?
„Er ist sehr reich", sagte Hetty mit sanfter Stimme.
„Während ich keinen roten Heller besitze!" erwiderte Lord Corbury böse.
Hetty wandte sich zur Tür.
„Ich muß gehen, Edward. Ich kann mich jetzt nicht länger mit dir unterhalten, aber ich werde versuchen, morgen wieder herüberzukommen. Ich werde Papa sagen, daß es Mrs. Buckle noch schlechtgeht und daß ich versprochen habe, ihr etwas zu essen zu bringen. Mama wird das auch gutheißen. Sie sagt ohnehin immer, daß ich mich mehr um die Kranken und Armen kümmern soll."
„Dann kümmere dich um mich! drängte Lord Corbury und nahm sie in die Arme. Er sah ihr tief in die blauen Augen. „Du bist so schön, so unglaublich schön!
Er preßte seine Lippen auf die ihren. Sie erwiderte seinen leidenschaftlichen Kuß, und er drückte sie fester an sich.
Es bestand kein Zweifel daran, daß er in Hetty Gefühle erweckte wie kaum ein anderer. Die meisten ihrer Verehrer hielten sie für ziemlich kühl, aber jetzt bebten ihre vollen Lippen, und ihre Arme schlangen sich um Lord Corburys Hals.
Als er sich schließlich von ihr löste, sah sie ihn voller Leidenschaft an. Rasch hoben und senkten sich ihre üppigen Brüste unter der knappen Samtjacke.
„Ich liebe dich! Ich liebe dich! rief er aus. „Gott, wie ich dich liebe!
Schon wollte er sie wieder küssen, aber sie wehrte ihn ab.
„Nein, Edward. Ich muß gehen. Es ist schon spät. Wir dürfen keinen Verdacht erregen, sonst können wir uns nicht mehr treffen."
Sie wandte sich zur Tür. Er folgte ihr langsam.
„Komm nicht mit mir, warnte sie ihn. „Mein Reitknecht darf dich nicht sehen.
„Kommst du morgen?" fragte er mit bittender Stimme.
„Wenn ich kann, versprach Hetty. „Aber Sir Nicholas kommt zu uns zu Besuch und Papa will, daß ich ihn empfange.
„Verdammter Waringham! Warum muß er so viel Geld haben, wenn meine Taschen leer sind?"
„Das habe ich mich auch schon gefragt, antwortete Hetty. „Edward, alles wäre anders, wenn du nur reich wärst. Das versichere ich dir. Kannst du dir nicht irgendwie Geld beschaffen? Wenn du nur ein kleines Vermögen hättest, würde Papa dich sicherlich wohlwollender betrachten. Schließlich trägst du einen sehr alten Titel.
„Er ist genauso alt wie das Kloster, antwortete Lord Corbury. „Und in dem gleichen trostlosen Zustand.
Aus seiner Stimme sprach Verbitterung.
Hetty stellte sich auf die Zehenspitzen und küßte ihn sanft auf die Wange. Dann ging sie schnell zur Tür und öffnete sie. Mit einer verführerischen Geste winkte sie ihm zu und verschwand. Lord Corbury blieb zurück unter dem Eindruck von betörenden blauen Augen und lächelnden roten Lippen.
Einen Augenblick lang stand er vor der geschlossenen Tür, als erwartete er, daß sie noch einmal zurückkomme. Dann ging er langsam zum Fenster und sah traurig hinaus. Die späte Nachmittagssonne warf ihren schwachen Schein auf den vernachlässigten Rasen und die Blumenbeete, auf denen das Unkraut wucherte. Die Balustrade, die die Terrasse begrenzte, war von dichtem Moos bedeckt.
Plötzlich hörte er hinter sich ein Klicken, das ihn aus seinen düsteren Gedanken riß.
Er drehte sich um. Ein Teil der Holztäfelung neben dem Kamin wurde aufgeschoben und ein kleines Gesicht kam zum Vorschein, umgeben von auffallend roten, ungebändigten Locken.
Lord Corbury blickte hinüber.
„Corinna!" rief er aus und ging zur Wand.
Das Mädchen schreckte bei seinem Anblick überrascht zurück. Lord Corbury packte es am Arm und zog es in das Zimmer.
„Was machst du denn da, Corinna? sagte er gereizt und schüttelte sie heftig. „Wie kannst du es wagen, dich in der Sakristei zu verstecken? Du benimmst dich unmöglich! Ich hätte nicht übel Lust, dir ordentlich den Hintern zu versohlen!
Er rüttelte sie wütend hin und her, aber ihre Augen lachten ihn an.
„Nein, nein, Edward! schrie sie. „Deine letzte Tracht Prügel hat scheußlich weh getan! Und überhaupt bin ich jetzt zu alt dafür! Außerdem blieb mir nichts anderes übrig, als mich zu verstecken. Ich wußte, daß Hetty nicht sehr erfreut gewesen wäre, wenn sie mich gesehen hätte.
„Warum denn nicht?"
Er sah sie fragend an.
„Hetty mag andere Frauen nicht gern, antwortete Corinna, „besonders, wenn sie gerade ein romantisches Stelldichein mit einem hübschen Kavalier hat!
Sie sah Lord Corbury an und bemerkte den raffinierten Faltenwurf seines Halstuches, den eleganten Schnitt seiner Jacke und seiner gelben Beinkleider.
„Du siehst wirklich gut aus, Edward! Ich fand dich schon in deiner Uniform unwiderstehlich, aber jetzt bist du ein echter Adonis."
„Ich wollte, ich wäre wieder in der Armee, fiel ihr Lord Corbury ins Wort. „Dann müßte ich mir wenigstens nicht den Kopf über mangelndes Geld zerbrechen.
„Ich befürchtete schon, daß du entsetzt sein würdest, wenn du erfährst, was auf dem Gut hier geschieht", sagte Corinna mitfühlend und setzte sich auf die Armlehne eines Sofas.
„Warum hat mir niemand etwas mitgeteilt?" fragte Lord Corbury.
„Ich wollte dir schon schreiben, antwortete Corinna, „aber was hätte das genützt? Du warst in Frankreich, und selbst wenn du den Brief erhalten hättest, was ich bezweifelte, hättest du nichts ändern können, bevor du zurückkamst.
„Und was kann ich jetzt tun? Seine Stimme klang aggressiv. „Swayer suchte mich vorgestern in London auf und teilte mir mit, daß ich die Gehöfte nicht verpachten könnte, ohne sie vorher instand setzen zu lassen und daß ich sie nicht instand setzen lassen kann, weil ich kein Geld habe. Wie konnte es soweit kommen?
„Dein Vater war sehr krank, bevor er starb, sagte Corinna, „und alles wurde immer schlimmer. MacDonald gab seinen Hof auf, und Grimble weigerte sich, weiterzumachen, wenn die Scheunen nicht ausgebessert würden. Natürlich würde sie im jetzigen Zustand niemand pachten.
Sie hielt einen Augenblick lang inne. „Die anderen Höfe sind seit beinahe drei Jahren ohne Pächter", fügte sie zögernd hinzu.
„Ich fragte Swayer, warum er mir nicht schrieb, sagte Lord Corbury, „und er antwortete, daß das nicht seine Sache sei.
„Ich glaube, das hätte Johnson tun sollen, der Verwalter deines Vaters, sagte Corinna. „Aber er war schon immer ein mürrischer, schwieriger Mensch. Als er sechs Monate lang kein Gehalt bekam, war er so erbost, daß er einfach seine Sachen packte und verschwand. Er verabschiedete sich nicht einmal.
„Verlassene Höfe! Keine Einkünfte! Und das Haus stürzt mir über dem Kopf ein! rief Lord Corbury aus. „Ich habe die Löcher im Dach bemerkt und die vielen Risse in den Zimmerdecken.
„Die Decke in der Gemäldegalerie ist die einzige, die wirklich wichtig ist", sagte Corinna.
„Gemäldegalerie! Lord Corbury lachte bitter. „Warum sollte sie wichtig sein? Es gibt dort keine Bilder. Schon seit Jahren nicht mehr.
„Man mußte den letzten van Dycke verkaufen, um deinem Vater .die letzten Monate vor seinem Tod erträglich zu machen, sagte Corinna. „Ich glaube, man hat einen ganz vernünftigen Preis dafür bekommen, aber es gab so viele Verpflichtungen und Schulden, so viele überfällige Löhne. Ich fürchte, es wird nichts davon übrig sein.
„Es ist nichts übrig."
„Oh, Edward, es tut mir so leid. Ich habe mich so sehr auf deine Rückkehr gefreut. Ich habe oft daran gedacht und mich so nach dir gesehnt, und jetzt ist alles verdorben."
„Du kannst kaum erwarten, daß ich vor Freude außer mir bin", sagte Lord Corbury niedergeschlagen.
„Nein, natürlich nicht, gab Corinna zu. „Und du willst Hetty heiraten?
Unsicher und zögernd war die Frage über ihre Lippen gekommen.
„Natürlich will ich das!" antwortete Lord Corbury. „Sie ist das schönste Mädchen, das ich je gesehen habe. Und sie liebt mich, Corinna, das weiß ich. Wir könnten