Das Opfer einer Mutter: Fürstenkinder 43 – Adelsroman
Von Hella Birken
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Über dieses E-Book
Ihre Lebensschicksale gehen zu Herzen, ihre erstaunliche Jugend, ihre erste Liebe – ein Leben in Reichtum, in Saus und Braus, aber oft auch in großer, verletzender Einsamkeit.
Große Gefühle, zauberhafte Prinzessinnen, edle Prinzen begeistern die Leserinnen dieser einzigartigen Romane und ziehen sie in ihren Bann.
»Betty, wirst du auch bestimmt auf mich warten? Schließlich sind zwei Jahre eine lange Zeit…« »Zwei Tage ohne dich erscheinen mir schon wie eine Ewigkeit; aber ich warte auf dich, wenn es sein muß, mein Leben lang.« Innig schloß der Mann die Frau in die Arme, und während er sie küßte, huschte ein häßliches Lächeln über sein Gesicht, das Betty, die vor Glückseligkeit die Augen geschlossen hielt, aber leider nicht sehen konnte. Betty war neunundzwanzig Jahre alt und hatte den um fünf Jahre älteren Ferdinand Sauer vor drei Monaten auf einem Tanzvergnügen kennengelernt. Es war das erste öffentliche Tanzvergnügen gewesen, das die zurückhaltende Betty jemals besucht hatte, und hätte nicht Liesel, die Köchin, so viel geredet, dann wäre sie bestimmt nicht hingegangen und hätte niemals den Ferdi kennengelernt. Ferdinand Sauer, genannt Ferdi, wohnte noch nicht lange im Dorf, und niemand wußte so recht, wovon er eigentlich lebte. Er selbst behauptete, Ingenieur zu sein, und da er seine Miete pünktlich bezahlte und auch sonst immer Geld zu haben schien, kümmerte sich niemand darum, was er tatsächlich tat. Die Burschen im Dorf neideten ihm sein gutes Aussehen und sein sicheres Auftreten, aber bei den Mädchen war der Ferdi gern gesehen. Darum war es besonders erstaunlich, daß sich der vielumschwärmte Mann an diesem Sonntag so auffallend um die doch wirklich nicht besonders hübsche Betty kümmerte. Die anderen Mädchen waren böse, und ihr Neid gab zu häßlichen Gerüchten Anlaß. Bald aber mußte man im Dorf feststellen, daß der Ferdi es diesmal wohl ernst meinte. Immer wieder sah man ihn mit Betty zusammen, und schließlich kam man dann auch zu der Überzeugung, daß ein Kindermädchen aus dem Schloß wohl eine bessere Frau für einen Ingenieur abgäbe als irgendeine andere aus dem Dorf. Für Betty selbst aber war dieses späte Glück wie ein Traum, aus dem sie befürchtete, jeden Moment zu erwachen. Es war ihr unverständlich, wie dieser wundervolle Mann ausgerechnet sie lieben, sie zur Frau begehren konnte. Bevor sie nach Schloß Hammerstein kam, hatte sie immer im Schatten einer hübschen Schwester gelebt, und nie hatte ihr irgendein Mann Beachtung geschenkt – bis der Ferdi kam. In den letzten drei Monten war Betty aufgeblüht, und in ihren schönen Augen lag so viel Liebe und Glück, daß sie direkt hübsch war, eine Tatsache, die selbst der flotte Ferdi mit Erstaunen wahrnahm. Heute aber hatte ihr der Ferdi nun mitgeteilt, daß ihm eine amerikanische Firma ein einmaliges Angebot gemacht hätte, und daß er sich diese Chance auf keinen Fall entgehen lassen könne. Vom Erfolg dieser Aufgabe könne seine ganze Zukunft abhängen, und damit doch auch die ihre. Betty hatte das zwar nicht ganz eingesehen, aber da sie ungeheuer stolz war auf ihren tüchtigen Bräutigam, wagte sie auch nicht, ihm zu widersprechen.
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Buchvorschau
Das Opfer einer Mutter - Hella Birken
Fürstenkinder
– 43 –
Das Opfer einer Mutter
Aus übergroßer Liebe wollte sie auf ihr Kind verzichten
Hella Birken
»Betty, wirst du auch bestimmt auf mich warten? Schließlich sind zwei Jahre eine lange Zeit…«
»Zwei Tage ohne dich erscheinen mir schon wie eine Ewigkeit; aber ich warte auf dich, wenn es sein muß, mein Leben lang.«
Innig schloß der Mann die Frau in die Arme, und während er sie küßte, huschte ein häßliches Lächeln über sein Gesicht, das Betty, die vor Glückseligkeit die Augen geschlossen hielt, aber leider nicht sehen konnte.
Betty war neunundzwanzig Jahre alt und hatte den um fünf Jahre älteren Ferdinand Sauer vor drei Monaten auf einem Tanzvergnügen kennengelernt.
Es war das erste öffentliche Tanzvergnügen gewesen, das die zurückhaltende Betty jemals besucht hatte, und hätte nicht Liesel, die Köchin, so viel geredet, dann wäre sie bestimmt nicht hingegangen und hätte niemals den Ferdi kennengelernt.
Ferdinand Sauer, genannt Ferdi, wohnte noch nicht lange im Dorf, und niemand wußte so recht, wovon er eigentlich lebte.
Er selbst behauptete, Ingenieur zu sein, und da er seine Miete pünktlich bezahlte und auch sonst immer Geld zu haben schien, kümmerte sich niemand darum, was er tatsächlich tat.
Die Burschen im Dorf neideten ihm sein gutes Aussehen und sein sicheres Auftreten, aber bei den Mädchen war der Ferdi gern gesehen. Darum war es besonders erstaunlich, daß sich der vielumschwärmte Mann an diesem Sonntag so auffallend um die doch wirklich nicht besonders hübsche Betty kümmerte. Die anderen Mädchen waren böse, und ihr Neid gab zu häßlichen Gerüchten Anlaß.
Bald aber mußte man im Dorf feststellen, daß der Ferdi es diesmal wohl ernst meinte. Immer wieder sah man ihn mit Betty zusammen, und schließlich kam man dann auch zu der Überzeugung, daß ein Kindermädchen aus dem Schloß wohl eine bessere Frau für einen Ingenieur abgäbe als irgendeine andere aus dem Dorf.
Für Betty selbst aber war dieses späte Glück wie ein Traum, aus dem sie befürchtete, jeden Moment zu erwachen. Es war ihr unverständlich, wie dieser wundervolle Mann ausgerechnet sie lieben, sie zur Frau begehren konnte.
Bevor sie nach Schloß Hammerstein kam, hatte sie immer im Schatten einer hübschen Schwester gelebt, und nie hatte ihr irgendein Mann Beachtung geschenkt – bis der Ferdi kam.
In den letzten drei Monten war Betty aufgeblüht, und in ihren schönen Augen lag so viel Liebe und Glück, daß sie direkt hübsch war, eine Tatsache, die selbst der flotte Ferdi mit Erstaunen wahrnahm.
Heute aber hatte ihr der Ferdi nun mitgeteilt, daß ihm eine amerikanische Firma ein einmaliges Angebot gemacht hätte, und daß er sich diese Chance auf keinen Fall entgehen lassen könne. Vom Erfolg dieser Aufgabe könne seine ganze Zukunft abhängen, und damit doch auch die ihre.
Betty hatte das zwar nicht ganz eingesehen, aber da sie ungeheuer stolz war auf ihren tüchtigen Bräutigam, wagte sie auch nicht, ihm zu widersprechen. Und doch sagte sie jetzt, nachdem sie ihre ein wenig in Unordnung geratenen Haare wieder gerichtet hatte:
»Ferdi, warum heiraten wir nicht vorher, ich meine, bevor du nach Amerika gehst?«
Nachsichtig lächelnd antwortete der Mann: »Du bist doch wirklich ein Närrchen! Wovon sollen wir denn wohl heiraten? Ich habe dir doch gesagt, daß ich bei dem Schwindelunternehmen damals mein ganzes Geld verloren habe…«
»Aber Ferdi«, unterbrach ihn Betty mutig, »wozu brauchen wir Geld? Andere Leute heiraten auch und haben kein Vermögen.«
»Ja, aber ich nicht«, entgegnete er protzig. »Entweder kann ich meiner Frau eine Wohnung und ein standesgemäßes Leben bieten, oder ich heirate überhaupt nicht.«
Bewundernd sah Betty ihren Ferdi an, dann meinte sie verschämt:
»Ein paar tausend Mark habe ich mir ja auch gespart, und wenn du mich nicht mitnehmen kannst, dann könnte ich doch in den zwei Jahren weiterhin auf Hammerstein bleiben. Dann brauchen wir vorläufig keine Wohnung, und ich kann auch noch weiter sparen.«
Gerührt drückte ihr der Mann einen Kuß auf die Stirn, dann sagte er:
»Nein, nein, Liebste, das ist ausgeschlossen! Niemals würde ich meiner Frau erlauben, für fremde Menschen zu arbeiten. Laß uns warten, bis ich wiederkomme, und dann bin ich ein gemachter Mann, wenn ich jetzt auch ohne einen Pfennig in der Tasche die Reise in die Fremde antreten muß…«
Lauernd beobachtete er die Wirkung seiner Worte auf Betty, und wie erhofft, kam die Reaktion spontan und von Herzen.
»Ich weiß nicht, Ferdi«, sagte sie schüchtern, »ob ich dich recht verstanden habe; aber wenn du in einer momentanen Geldverlegenheit bist, dann kann ich dir doch gerne aushelfen. – Was mein ist, ist schließlich doch auch dein.«
Ferdinand Sauer protestierte, und so wurde dann vereinbart, daß er abends nach Hammerstein kommen und sich das Geld holen sollte.
Betty war glücklich, etwas für den geliebten Mann tun zu dürfen, und naiv wie ein ganz junges Mädchen baute sie Luftschlösser, ihre gemeinsame Zukunft betreffend.
Selbstgefällig lächelnd ließ Ferdi sie reden –, er hatte sein Ziel erreicht. Nun konnte er den letzten Akt in Szene setzen. Gespielt erschrocken sagte er plötzlich:
»Du, Betty, ich sehe Ariane gar nicht mehr…«
Gewaltsam auf die Erde zurückgerissen, meinte Betty ehrlich bestürzt:
»Ja, aber sie war doch eben noch dort unten bei der Sandkiste… Sie kann doch nicht fort sein…«
Aber so viel sie auch suchte und rief – Ariane blieb verschwunden.
Verzweifelt irrte Betty durch den Park.
Ariane war ein kleiner Kobold, vielleicht hatte sie sich hinter einem Baum oder einem Strauch versteckt, so jedenfalls hoffte das Kindermädchen; aber die Hoffnung war vergebens. Von ein paar Spaziergängern abgesehen – keiner von ihnen aber hatte ein kleines Mädchen gesehen – war der Stadtwald wie ausgestorben.
Betty hastete den Weg zurück.
›Sicherlich sitzt sie jetzt ganz brav in der Sandkiste und spielt‹, versuchte sich Betty einzureden. Aber als sie die Wegkrümmung erreichte, von der aus sie die Sandkiste sehen konnte, war diese leer. Nur Arianes kleine Schaufel und Förmchen zeugten davon, daß sie vor kurzer Zeit hier noch gespielt hatte.
Weinend brach das Mädchen auf dem Rand der Sandkiste zusammen.
Langsam schlenderte Ferdinand Sauer heran, und während er ganz gleichgültig auf das weinende Mädchen herabsah, sagte er wirklich ungewohnt grob:
»Nun, dein Heulen nutzt jetzt auch nichts. Das Kind ist eben weg. Vielleicht war es ihm zu langweilig und es ist nach Hause gelaufen.«
Betty hob das verquollene, verweinte Gesicht, und mit herzbewegender Stimme erwiderte sie:
»Ariane kennt den Weg nach Hause gar nicht. Gegen das Verbot der Baronin habe ich mit Ariane den Schloßpark verlassen und bin hierher gekommen, um dich zu treffen. Ich allein trage die Schuld, wenn was passiert ist. Du warst mir eben wichtiger als meine Pflichten und alle Verbote. Ferdi, sag, Gott wird es doch nicht zulassen, daß dem Kind was passiert?«
»Nein, nein, nun beruhige dich!«
Der Mann tätschelte ihr geistesabwesend den Kopf.
»Wenn du willst, kann ich ja noch einmal den Stadtwald durchkämmen, er ist ja nicht sehr groß.«
»Nein«, protestierte Betty schwach, »das ist sinnlos. Ich gehe jetzt zur Polizei.«
»Bist du verrückt!« unterbrach der Mann sie barsch. »Vielleicht ist das Kind ja doch zu Hause, vielleicht ist es mit irgendeinem Bekannten mitgelaufen. Bevor du den ganzen Polizeiapparat in Bewegung setzt, mußt du erst feststellen, ob Ariane nicht doch auf Hammerstein ist.« Und zärtlich fügte er hinzu: »Komm, ich begleite dich.«
Schwankend wie eine Schwerkranke taumelte das Mädchen neben dem Mann her. Betty wußte, für sie war alles aus, es gab kein Glück mehr; aber sie dachte nicht an sich. Ihre Gedanken kreisten nur um Ariane – das bezaubernde Mädchen mit den blonden Locken, das größte Glück ihrer Eltern, der Liebling aller, die sie kannten. Wenn Ariane etwas zugestoßen war, wollte auch sie nicht mehr leben…
Als der Mühlensee durch das Dunkel der Bäume schimmerte, schrie Betty mit weher Stimme:
»Ferdi, o mein Gott, Ariane wird doch nicht etwa zum See gelaufen sein und…«
»Aber nein, was du dir für dumme Gedanken machst!« sagte der Mann beruhigend.
Doch plötzlich wurde ihm klar, daß die Idee vielleicht gar nicht so schlecht war, und vorsichtig tastend meinte er daher:
»Möglich wäre es natürlich. Kinder spielen ja immer gern am Wasser; aber ich glaube nicht, daß das kleine Mädchen so weit gelaufen ist.«
Bis Hammerstein sprach Betty kein Wort mehr. Nur hin und wieder kam ein wehes Schluchzen aus ihrem Mund, und jedesmal gab es dem Mann einen kleinen Stich, denn wenn er sich aus Betty auch nichts machte, so sah er bei aller Skrupellosigkeit Menschen doch ungern leiden.
Vor dem großen, schmiedeeisernen Portal verabschiedete er sich herzlich mit einem Kuß, und mit ein paar gewählten Worten erinnerte er Betty daran, ihm heute abend, wie verabredet, das Geld zu bringen.
Betty nickte nur, und schon hastete sie mit großen Schritten quer über die gepflegten Rasenflächen dem Schloß zu.
*
Baron von Hammer war ein Mann von vierzig Jahren. Er war von großer, trotzdem etwas gedrungen anmutender Gestalt, und sein volles Gesicht wirkte anziehend durch die blauen, durchdringend blickenden Augen, die eine tiefe Güte ausstrahlten.
Er war bei seinen Angestellten wie auch bei den Dorfbewohnern überaus beliebt und geachtet.
Vor zehn Jahren hatte er die arme, aber sehr schöne Amelia von Lossow geheiratet, die neben ihrem vor Gesundheit strotzenden Mann wie eine zarte fremdländische Blume wirkte.
Die Hochzeit hatte damals große Überraschung ausgelöst, denn alle hatten fest damit gerechnet, daß der Baron die Komteß von Millner heiraten würde, mit der er schon seit frühester Jugend eng befreundet war.
Die Komteß, die nie ein Hehl daraus gemacht hatte, daß sie Bernhard von Hammer sehr zugetan war, nahm zwar an den Hochzeitsfeierlichkeiten teil, doch später sah man sie nie mehr auf Hammerstein.
Diese Heirat