Eine Liebe im Advent
Von Lise Gast
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Buchvorschau
Eine Liebe im Advent - Lise Gast
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Ich liefüber den Flugplatz von Keflawik der Maschine zu, die mich nach Deutschland bringen sollte. Dabei atmete ich noch einmal bewußt die Luft ein, die mir hier bei meiner Ankunft vor drei Jahren sofort aufgefallen war: Luft wie frisches Quellwasser, ganz rein – Inselluft. Ich hatte sie damals entzückt eingesogen und gedacht: Das ist Island. Alles andere erlebte ich später: die ungeheure Weite, die Hexenküche am Hekla, die Geysire und natürlich die Pferde. Der Pferde wegen war ich gekommen.
Pferde haben für mich etwas Faszinierendes, das man nicht mit ein paar Worten erklären kann. Sehr vielen Menschen geht das so, vielleicht, weil Pferde vor langer, langer Zeit bei unseren Ahnen heilig waren. Jedes Tier ist mir lieb, Pferde aber und der Umgang mit ihnen – das ist etwas Besonderes.
Ich wollte nach Island, weil man dort Pferde noch täglich braucht, weil sie in den Lebensrhythmus gehören und nicht nur zum Spaß vielleicht zweimal die Woche geritten werden, ansonsten aber im Reitstall stehen. Mit Pferden leben – das war es, was mich nach Island lockte, und ich wurde nicht enttäuscht. Jetzt aber wollte ich wieder nach Hause, ich fühlte, Mutter braucht mich.
Daß ich damals wegging, war sicherlich richtig. Zu Hause wäre ich nie erwachsen geworden. Mutter wendete auch nichts dagegen ein. Und Island war mir insofern lieb, weil man nicht ohne weiteres, wenn das Heimweh einen packt, zurück kann. Arbeit, so wurde mir gesagt, gibt es zur Genüge dort. Das stimmte.
Klopfenden Herzens stieg ich in die Maschine. Zu meinem Leidwesen muß ich gestehen, daß ich Angst vor dem Fliegen habe, obwohl ich sonst nicht gerade hasenherzig bin. Ich fürchte mich einfach davor, abzustürzen. Das ist sicherlich sehr dumm und unmodern, ich kann es aber nicht ändern. Andere genießen jeden Flug, finden es großartig, hinunterzuschauen, können nicht genug davon schwärmen. Ich gehöre zu denen, die die Erde lieben, an ihr hängen, ihr nahe sein wollen. Jetzt aber trieb mich eine innere Unruhe nach Hause. Lag es an Wulfs Briefen, aus denen ich herauszulesen meinte, Mutter bräuchte jemanden?
Nun gab es kein Zurück mehr. Der Start war imponierend. Kraftvoll stieß das Flugzeug zum Himmel auf, ich konnte eine gewisse Hochachtung nicht leugnen. Und später war Petrus so freundlich, einen Wolkenteppich unter uns auszubreiten. Man hat dann die Illusion, dieser würde einen, falls man stürzt, liebevoll und weich auffangen. Ich weiß zwar, daß das nicht stimmt, aber dennoch bin ich ruhiger.
Wir schwebten dahin, es gab etwas Gutes zu essen, mir wurde leichter zumute. Dann, kurz vor Frankfurt, gerieten wir in ein Unwetter. Man sah nichts mehr, und das Flugzeug wurde derart gebeutelt, daß ich meinte, mein letztes Stündlein habe geschlagen. Doch endlich war es soweit: die Erde hatte uns wieder, noch dazu die Heimaterde. Ich atmete auf.
Ich passierte den Zoll und stand schließlich mit meinem Köfferchen etwas verloren in der großen Halle, in der man wartet und Kaffee trinkt, in der man weint, bevor man abfliegt und lacht, wenn man angekommen ist und abgeholt wird. Ich wurde nicht abgeholt, hatte meine Ankunftszeit absichtlich nicht angegeben. Ich wollte …
Ja, was wollte ich eigentlich?
Ich glaube, ich wollte noch einen halben, einen Vierteltag ich selbst sein, mich entscheiden können, mich selbst bewahren. In der Familie kann man das nicht, jedenfalls nicht in unserer, womit nichts gegen sie gesagt sein soll. Größere Familien sind eben so.
Ich trank Kaffee, eine Tasse, eine zweite, sah mich um. Um mich herum Leben und Hektik, ich ganz allein. Endlich raffte ich mich auf und rief in Wulfs Büro an.
Wulf ist mein ältester Bruder, knapp vierzig, und Anwalt in Frankfurt. Da er der erste in der Geschwisterreihe ist und ich die letzte, habe ich ein ziemlich unbrüderliches Verhältnis zu ihm, ein mehr nichtenhaftes – nahe und doch distanziert, liebend und gleichzeitig ein wenig respektvoll von meiner Seite aus. Wir verstehen einander gut, doch war er mir immer mehr Onkel denn Bruder. Onkels sind etwas sehr Erfreuliches im Leben: Sie helfen, ohne zu erziehen – was Tanten fast immer tun – sie lachen, wo andere entsetzt sind, stecken einem Geld zu, ohne dabei zu ermahnen, es »richtig« auszugeben, und sind zärtlicher als Brüder, die sich oft ruppig geben. Ein kleiner Schuß Erotik ist in der Liebe zur jüngsten Schwester enthalten, Belustigung, mitunter ein winziger Hauch Wehmut. Wehmut, daß man selbst auch einmal so jung war, so dumm, so unsicher.
Wulf war nicht da, aber seine Sekretärin, Frau Gilg. Ich kenne Frau Gilg, seit Wulf sie – ich weiß nicht vor wie vielen Jahren – mitsamt der Anwaltspraxis übernahm. Sie ist Berlinerin, einiges älter als Wulf, lebhaft, gescheit, überall beschlagen, herzlich, tyrannisch, sehr tierliebend, kurzum ein Goldstück. Jetzt hörte ich ihre Stimme im Telefon.
»Lisachen, Sie? Nein, so eine Überraschung. Ich denke, Sie sind in Island?«
»War, Fau Gilg, war. Jetzt Flughafen Frankfurt, soeben gelandet. Ist mein