Die Erlenhofzwillinge
Von Lise Gast
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Buchvorschau
Die Erlenhofzwillinge - Lise Gast
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Die Jagd
Kaum war die alte Auguste hinaus, da zerrten Imme und Ute den großen Waschzuber dicht an den Kessel heran. Das ging gar nicht leicht. Sie waren ja erst zehn Jahre alt, die Erlenhof-Zwillinge, und Ute sogar ein bißchen dünn und piepsig, Imme jedoch sehnig und gesund; aber so ein Ding wiegt schon was! Ein paarmal schwappte das Wasser auch gewaltig über den Rand, und die beiden quietschten laut. Der Fußboden hier in der Waschküche war glatt, so gelang ihnen schließlich ihr Vorhaben. Zum Glück floß alles, was über den Rand ging, von selbst wieder ab, man konnte also spritzen, soviel man wollte. Das war das Schöne hier.
Imme stopfte noch ein Bündel Reisig ins Feuer, daß das losprasselte, ließ die Ofentür halb offen und drehte das Licht aus. Dann hopste sie im Schein des Feuers schnell wieder in die Wanne, in der Ute schon saß.
„Fein, was? Richtig gruselig; und wie heiß es ist! Ich bleib mindestens zwei Stunden drin."
Auguste hatte ihnen die Haare schon eingeseift, und Ute sah mit ihrer weißen Schaummütze so ganz anders aus, daß Imme lachen mußte, so oft sie die Schwester ansah.
„Auguste hat aber gesagt, wir dürften bloß –"
„Ach die! Die kommt so bald nicht wieder, wetten? Die hat doch heute alle Hände voll zu tun. Achtung!"
Imme ließ den Schwamm in den Zuber klatschen. Das Wasser spritzte, daß es auf der kleinen schwarzen Ofentür zischte und der Dampf aufstieg. Imme fand das großartig und spritzte gleich nochmal dran. Die Waschküche füllte sich mehr und mehr mit Dampf.
„Das ist gesund! Dampfbäder sind gesund! sagte Imme eifrig, „in einer Sauna ...; weißt du, was eine Sauna ist?
„Natürlich", brummte Ute.
„Ach du! Natürlich weißt du es nicht! spottete Imme. „Du denkst, das ist was mit einer Sau. Stimmt’s? Schwindle nicht!
„Ist doch auch", sagte Ute unsicher.
„Haha! Sowas! Die Ute – du bist noch dümmer als der Gustel, sooo dumm!"
„Selber dumm!" Ute war immer im Nachteil gegenüber der Schwester. Sie war das zwar gewöhnt und wagte auch nie eine regelrechte Verteidigung, aber gefallen lassen wollte sie sich auch nicht alles. So blieb ihr weiter nichts übrig als zurückzugeben, was Imme ihr an den Kopf warf, wenn sie nicht einfach schwieg. Schweigen war entschieden das Beste, aber es gelang nicht immer.
Übrigens war Imme heute viel zu vergnügt, um dauernd zu streiten; sie ärgerte Ute eigentlich nur so nebenbei und aus Gewohnheit.
Sonst badeten die beiden Mädchen stets im Badezimmer neben ihrer Schlafstube, und meist kümmerte sich dann auch Sigrid um sie, ihre zwanzigjährige Schwester, überprüfte Hals und Ohren auf Sauberkeit und kämmte die kleinen Schöpfe durch. Aber morgen war Jagd, das große Fest des Jahres, das sogar Schweineschlachten überstrahlte und selbst Weihnachten ein wenig in den Schatten stellte, so großartig war es. Und da waren alle Badezimmer des großen Gutshauses schon bis ins kleinste blitzblank geputzt, und die Fremdenstuben warteten mit frischbezogenen Betten und bereits heute angeheizten Öfen auf die Gäste.
Jagd! Man wurde ganz verrückt vor Freude, wenn man daran dachte: An die vorfahrenden Schlitten der Gutsnachbarn, die vielen fremden Pferde im Stall, die Hunde, die unter dem Spritzleder saßen und lautlos in den Schnee sprangen, wenn ihre Herren die Pelzdecken zurückschlugen; an Kaminfeuer in der Diele und Zigarrenrauch und heiße Fleischbrühe, an das Murren der Treiber, die im Schnee warteten, und an die vielen Gewehre.
„Wenn ich groß bin, geh ich auch mit. Sigrid geht jedes Jahr mit, sagte Imme, „aber Hasen, puh, Hasenschießen ist gar nichts. Ich werde alle Füchse schießen und alle Keiler, und die andern kriegen gar nichts ...
„Das Feuer geht aus, leg doch noch was hinein!" mahnte Ute. Sie hockte bis an die Schultern im Wasser, bereits wohlig müde und ein bißchen schlapp von der feuchten Hitze ringsum.
„Ja, warte!" Imme sprang aus dem Zuber und lief in die Ecke, wo das Holz lag. Dabei rutschte sie aus und saß – platsch! – auf dem nassen Steinboden. Ute lachte.
„Aua, wirst du gleich aufhören zu lachen! Ich werd dich –"
Sie stand einen Augenblick und überlegte, was sie Ute antun könnte. Spritzen hatte keinen Zweck, schimpfen oder hauen war nicht neu. Da fiel ihr der viele Schnee ein, der draußen lag. Schnee! Sie riß die Tür auf, während sich Ute mit einem kreischenden: „Du bist verrückt!" ins Wasser duckte.
Imme stand einen Augenblick wie benommen in der offnen Tür. Der Unterschied zwischen der heißen, dampfgefüllten Waschküche und der eiskalten Novemberluft war zu überraschend. Aber dann hatte sie alle Rachegelüste jäh vergessen und schrie leise auf vor Entzücken. „Ute, komm! Du, das ist großartig!"
Dann war sie verschwunden. Ute reckte den Hals und guckte. Was fiel der denn ein? Nackt hinauszulaufen in Schnee und Kälte!
Die Tür stand offen, und die Dampfschwaden wehten hinaus. Es wurde kalt. Ute fing an zu rufen.
„Imme! Imme! Wo steckst du?"
„Puh!" Da stand Imme wieder in der Tür, lachend und hopsend. Sie war krebsrot und voller Schnee.
„Du mußt das auch mal machen!"
„Was denn?"
„Im Schnee wälzen. Das ist herrlich. Wie eisgekühlte Schlagsahne auf heißer Schokolade. Das haben wir doch mal gekriegt."
„Bei der Kälte!" wehrte sich Ute, aber Imme riß sie mit sich.
„Gerade! Wir spielen Sauna, das ist gesund."
„Wenn aber Sigrid ..."
„Die kommt nicht!" –
Sigrid kam aber doch. Das wäre vielleicht nicht so schlimm gewesen, wenn sie allein gekommen wäre, aber Vater war dabei.
Das war eine ganz üble Geschichte. Vater konnte gar keine lustigen Dummheiten leiden, und am Tage vor der Jagd war er sowieso immer sehr reizbar und nervös. Da rutschte ihm die Hand noch leichter aus als sonst, und man ging ihm am besten aus dem Weg. Ihm aber splitterfasernackt bei dieser Kälte im Schnee zu begegnen, war schon mehr als Pech, besonders für Imme, die Anstifterin. So erschraken die beiden Mädchen sehr, als er plötzlich dastand, sie sahen ihn erst im letzten Augenblick, weil es fast schon dunkel war.
„Ihr seid wohl vollkommen wahnsinnig! donnerte er los, „was in aller Welt fällt euch denn ein!
„Wir –" stammelte Imme, aber er unterbrach sie sofort wieder.
„Wir? Sag lieber: ich. Denn daß du das angestellt hast und nicht Ute, das ist mir klar. Ihr wollt euch wohl den Tod holen?"
„Nein, Vater, wir wollten –"
„Was denn?"
„Sauna spielen, das ist doch so gesund. Die Finnen machen das auch so, Sigrid hat es uns erst letzte Woche vorgelesen."
„Ach, du Unglückswurm, los, los, hinein ins Warme, aber bissel hopp!" rief Sigrid schnell. Daß es nun glücklich auf sie hinauslief! Imme hätte wirklich den Schnabel halten können.
Sie quetschte sich hinter den Zwillingen in die Waschküche und zog die Tür zu. „Laß, ich bring schon alles in Ordnung!" rief sie zu Vater hinaus. Er brummte, sie horchten alle drei, aber dann ging er doch weiter. Gott sei Dank!
Sigrid sah großartig aus, fand Imme, wie sie so dastand, mit vor Aufregung und Ärger roten Backen. Sie hatte ihr Lodenkostüm an und die hohen Stiefel, und ihre dunklen, krausen Haare hingen voller Schnee. „Was fällt euch nur ein!"
Sie hatte das Licht angedreht und kam jetzt an die Wanne heran, in die die beiden schnell gestiegen waren. „Seid ihr wenigstens sauber?"
„Du lachst ja, Sigrid", sagte Imme und lachte auch.
„Gar nicht lach ich, du freches Stück!" antwortete die große Schwester und wollte schimpfen, aber es lachte doch aus ihr heraus, jung und froh. Sigrid lachte in letzter Zeit so viel, ganz ohne Anlaß.
Sie war ja selbst noch jung, aber von Zeit zu Zeit versuchte sie doch, streng zu sein. Die Zwillinge trieben es manchmal auch zu arg. Imme war ein Ausbund, und Ute machte mit, ob sie wollte oder nicht.
„Dir schadet es ja nichts, schalt Sigrid jetzt und fischte nach dem Waschlappen, „mit nassen Haaren! Ihr könnt euch zu Tode erkälten. Wollt ihr morgen im Bett liegen? Los, Haare abspülen und raus aus dem Wasser! Warum läßt euch Auguste auch allein!
Beim Abendbrot, zu dem die Mädchen allein im Kinderzimmer saßen, hustete Ute natürlich bereits.
„Da habt ihrs. Jetzt sofort ins Bett und heißen Tee trinken! Verstanden? So heiß wie es geht!" befahl Sigrid.
Ute jammerte und heulte, weil sie sich die Zunge verbrannte. Ihr war scheußlich zumute, und sie hatte doch gar nicht mittun wollen.
Imme saß in ihrem Bett und betrachtete die Schwester ziemlich ungerührt. Sie kannte es nicht anders, als daß Ute leicht krank wurde. Ihrer Meinung nach kam das nur davon, daß man sie viel zu sehr verhätschelte. Und daß sie krank sein wollte. Imme spürte genau, daß Ute in einer Art glücklich war, wenn sie wieder einmal im Bett bleiben mußte, wenn Sigrid bei ihr saß und ihr vorlas und wenn sie, Imme, sie nicht ärgern konnte.
Sigrid kam, um Gutenacht zu sagen, obwohl es noch ziemlich zeitig war. Als sie das Licht gelöscht hatte, lag Imme noch eine Weile wach und dachte, wie sie es morgen anstellen könnte, mit zur Jagd zu gehen. Wenn sie doch ein Junge wäre! Jungen durften in ihrem Alter immer mit, auch solche, die sie glatt untergekriegt hätte. Ach, sie wollte