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Anja, Petra und die Pferde
Anja, Petra und die Pferde
Anja, Petra und die Pferde
eBook319 Seiten4 Stunden

Anja, Petra und die Pferde

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Über dieses E-Book

Anja und Petra haben nur eines im Kopf: Pferde, Pferde, Pferde. Kein Wunder also, dass sich alles in ihrem Leben um die Vierbeiner dreht. Drei rührende Geschichten für alle Pferde-Fans über Turniere, Hochzeiten und vor allen Dingen Freundschaft. In diesem Band enthalten: Anja und Petra zu PferdeReiterferien mit Anja und PetraAnja und Petra im Turnier -
SpracheDeutsch
HerausgeberSAGA Egmont
Erscheinungsdatum1. Jan. 2017
ISBN9788711508312
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    Buchvorschau

    Anja, Petra und die Pferde - Lise Gast

    www.egmont.com

    Anja und Petra zu Pferde

    Ein neuer Plan

    Die Sonne mußte vergessen haben, daß es nicht mehr Hochsommer, sondern schon September war. Jedenfalls brannte sie beinahe unerträglich vom Himmel herab. Petra war mit dem Fahrrad zum Reitverein gekommen, Anja im Dauerlauf zu Fuß. Sie trafen sich auf dem kleinen Weg, der von der Bundesstraße abbiegt und „frei für Anlieger" ist, wie das Schild auswies. Heute sollte Heu eingeräumt werden, da mußten sie helfen. Aufatmend sprang Petra vom Rad und ließ es an die Stallwand fallen.

    „So eine Hetze, da bestellen sie einen für zwei, und niemand ist da. Nötig ist das ja nicht. Komm, wir verschnaufen erst mal." Sie zog Anja an der Hand mit sich zur Halle hinunter und um diese herum. Dort warf sie sich mit einem Schwung ins Gras, daß sie sich um die Längsachse rollte. Anja hatte sich vorher von ihrer zerrenden Hand befreit und blieb stehen, atemlos wie die Freundin, aber immerhin auf den Beinen.

    „Immer mußt du rasen! Wir sind ja zur Zeit da!"

    „Ja wieder mal die ersten."

    „Wieder mal war übertrieben. Petra zerriß das Zielband zwar meist noch im letzten Augenblick, wenn sie irgendwo angefordert wurde, erreichte es aber so gut wie nie mit Zeitreserve. „Ich muß dir was erzählen, ganz schnell, komm!

    „Ja? Was denn?"

    „Was Geheimes."

    „Dann schrei nicht so –"

    „Hier hört uns ja keiner. Oder etwa Tante Täubchen? Meinst du, daß sie hinter der Gardine lauert? Petra zeigte zu dem Fenster hinauf, hinter dem Frau Taubes Stübchen lag. „Tantchen, huhu! Bist du wach oder träumst du im Mittagsschlaf? Sie winkte hinauf.

    „Nun sag schon, was du erzählen wolltest! drängte Anja und setzte sich neben sie. „Du mußt es ja nicht brüllen. Aber schnell, sonst kommt der Heuwagen doch noch dazwischen.

    „Ja. Also – weißt du, daß Cornelia heiratet?" Petras Augen waren rund wie Tennisbälle, und das Haar sträubte sich um ihren Kopf. Merkwürdig, so was gab es nur bei Petra; bei keinem anderen Menschen, den Anja kannte, hatte sie das je gesehen.

    „Natürlich weiß ich das", sagte sie und lachte. Es war ja längst klar, daß Cornelia, die von ihnen beiden heißgeliebte junge Ärztin, die so gut ritt und überhaupt in jeder Beziehung bewundernswert war, mit Anjas Onkel Kurt verlobt war. Wer verlobt ist, heiratet eines Tages – das war so klipp und klar und einfach, wie zwei mal zwei vier ist. Aber –

    „Aber wann? Das weißt du nicht, bitte sehr! Hättest du mich nicht, würdest du es vermutlich erst am Tag der Hochzeit erfahren haben. Es ist nämlich geheim, ganz geheim –" Petras Flüstern war bereits wieder so laut, daß man es über den halben Sprunggarten hin gehört hätte, wenn jemand dort stünde. Aber niemand außer ihnen war da. Ein Glück.

    „Cornelia will nicht, daß es jemand erfährt. Warum, ahne ich nicht, sprudelte es aus Petra heraus, „aber wir müssen trotzdem was ganz Großartiges anstellen zu dieser Hochzeit. Etwas, das noch nie da war. Weißt du was?

    „Ich? Wie soll ich denn – du hast doch immer die tollen Ideen", sagte Anja.

    Das war kein Witz und keine Ausrede. Petra sprühte vor Ideen, immer schon, seit sie einander kannten. Anja machte dann mit, folgte der Freundin treulich, fand alles wunderbar, aber der geistige Urheber der Ideen war so gut wie immer Petra.

    „Weißt du, ich hab’ mir schon was überlegt – bei Hochzeiten von Reitvereinsleuten bilden die Reiter manchmal Spalier vor der Kirche, stehen rechts und links, die Pferde geschmückt – oder –"

    „Oder sie reiten zur Trauung?" fragte Anja. Petra hob die Schultern.

    „Hab’ ich noch nie erlebt. Oder – nein, weißt du, warum der Reitverein nichts davon wissen soll? Vielleicht deshalb, weil Onkel Kurt nicht reitet. Darum will Cornelia es geheimhalten."

    „Hm. Das konnte Anja verstehen. „Und seine hundert Hündchen können nicht Spalier bilden, das ist klar.

    Sie lachten beide. Onkel Kurt war Tierarzt und züchtete Hunde, besser: Hündchen, ganz kleine, sie heißen Chihuahuas und haben komische kleine Tütenohren, das heißt, für die Köpfe sind diese Ohren nicht klein. Sie stehen hoch und geben den Tierchen einen sehr lustigen, aufmerksamen Ausdruck. Die beiden Mädchen fanden die winzigen Hunde rein zum Verlieben. Aber Spalier bilden konnten sie wirklich nicht.

    „Das würde Jahre dauern. Und so lange sollen Cornelia und Onkel Kurt nicht warten müssen mit der Hochzeit", sagte Petra. „Nein, wir müssen uns etwas anderes ausdenken. Wenn Onkel Kurt schon nicht reitet, vielleicht könnte er in die Kirche fahren, mit Pferden, das wäre doch wunderschön! Das würde Cornelia ganz toll finden, und bei ihm merkte man nicht, daß er nicht reiten kann." Petra fand, daß ein Mensch, der nicht ritt, schrecklich mangelhaft sei. Anja war derselben Meinung.

    „Fahren? Da müßte man Herrn Taube fragen." Herr Taube war ihr Reitlehrer, eine ziemliche Respektsperson. Sie sahen einander nachdenklich an. Ob er es erlauben würde?

    „Etwa mit Kerlchen? Im Dogcart?" fragte Anja nach einer Weile hinterhältig. Petra fuhr auf.

    „Immer legst du den Finger auf den wundesten Punkt, das ist geradezu brutal von dir, sagte sie – so hatte ihr Vater einmal gesagt, als er sich über Mutter entrüstete, die ihn ein wenig damit aufzog, daß er gern gut aß, „weil ich damals Pech hatte und der Dogcart umflog, und überhaupt warst du nämlich genauso schuld. Wenn du –

    „Ich! Wieso ich? konterte Anja entrüstet, „ich bin ja nur mitgefahren und unschuldig wie ein neugebornes Fohlen. Du warst es, die Kerlchen –

    Sie lachten beide. Jene nicht ganz nach Plan verlaufene Fahrt mit dem alten, treuen Isländer Kerlchen, den sie heimlich eingespannt hatten, stand ihnen beiden noch deutlich vor Augen. Petra hatte kutschiert und beim Wenden die Kurve zu eng genommen, der Wagen kippte, Kerlchen wollte heim, und Anja hing eine Weile hinten an dem umgestürzten Gefährt, bis sie loslassen mußte und eine tolle Bauchlandung machte, wobei sie ihre Nase genau in den einzigen Knetelhaufen bohrte, der am Wege lag. Das vor allem hatte Petra sehr amüsiert.

    „Nächstes Jahr fahr’ ich, und du hängst hinten dran", grollte Anja.

    „Na schön, aber ohne das Brautpaar. Es bedeutet zwar Glück, wenn es in die Brautkrone oder den Brautkranz regnet, aber ob es Glück bringt, wenn man mit der Hochzeitskutsche umfällt, weiß ich nicht. Außerdem müßte man mindestens zweispännig fahren an solch einem Tag!"

    „Was heißt ‚mindestens‘? Mehr als zweispännig hab’ ich hier noch keine Kutsche gesehen."

    „Gerade deshalb! Eine Troika haben wir nicht, also müßte vierspännig gefahren werden –"

    „Vierspännig? Wunderbar! Vier silbern glänzende Schimmel", sagte Anja verträumt.

    „Und eine Kutsche aus Glas, fuhr Petra im selben Ton fort, „und ein Prinz darin, neben Cornelia, im dunklen Anzug und mit Brille. Onkel Kurt war Brillenträger. „So was hab’ ich mir immer erträumt."

    „Egal, ob Brille oder nicht. Brille ist kein Charakterfehler, sagte Anja ärgerlich, weil sie aus ihrem Traum gerissen worden war. „Onkel Kurt ist schon in Ordnung, soweit ein Nichtreiter das sein kann. Aber woher nehmen wir den Vierspänner?

    Ja, das war ein Problem. Petra versank in Gedanken, während sie zwei Äpfel aus der Hosentasche grub. „Hier hast du einen. Ich kann am besten nachdenken, wenn ich esse. Sie warf Anja einen Apfel zu, die ihn geschickt auffing, und biß in den anderen. „Wir müssen mal richtig überlegen. Früher gab es keine Pferde – ich meine, in der Zeit, in der die Bauern anfingen, alles mit dem Trecker zu machen, und überall wurde gejammert: ‚Das Pferd muß bleiben!‘ Jetzt gibt es überall wieder welche, wenn auch keine Arbeitspferde. Um so besser. Wir wollen Cornelia ja auch nicht mit Hüh und Hott und Peitsche von riesigen Ackergäulen zur Kirche zerren lassen. Nein, elegant muß es aussehen, und alle Leute sollen Stielaugen machen, und die Presse muß da sein und klicken, oder auch das Fernsehen –

    „– und wir auf dem Bock. Du kutschierst, und ich sitz’ neben dir, mit übereinandergeschlagenen Armen, wie beim Turnier, wenn die Zweispänner hereinfahren –"

    „Ja. Wunderbar! Nur – ob man uns die Pferde anvertraut? Geborgte, meine ich? Pferdebesitzer sind oft schwer davon zu überzeugen, daß man fahren kann –"

    „Kannst du denn? Ich meine: vierspännig?" fragte Anja.

    „Eben nicht. Vielleicht kann man es bis dahin noch lernen!"

    „Bis – ja, wann heiraten sie denn? Kennst du das Datum?"

    „Nein, aber Vater sagte was von vier Wochen – er wußte nicht, daß ich zuhörte. Ist denn so was ein Geheimnis? Ich finde nicht."

    „Ich auch nicht. Na, ich werd’ es schon ergründen. Du, da kommt der Wagen. Auf, los, erst mal an die Arbeit. Dort kommt auch Gero. Na, mit solch großer Hilfe –"

    Gero war klein, kleiner als die Kameraden seines Alters, ritt aber ordentlich. Man darf niemanden wegen seiner Körpermaße auslachen oder verspotten, das tat Petra auch nicht. Sie grüßte und kletterte dann die Leiter zum Heuboden hinauf, Gero und Anja hinterher. Und nun wurden Ballen aufeinandergesetzt. Das war schwere Arbeit, und die Kinder schwitzten und waren froh, als auch noch zwei erwachsene Reitvereinsmitglieder dazukamen. Herr Anders, der Pferdepfleger, reichte die Ballen durch die Luke hinauf. Keiner redete dabei, alle waren froh, genug Atem für die Arbeit zu haben. Ja, Reiterleben ist hart.

    Aber schön! Nicht nur das Reiten selbst, auch das Schuften für die Pferde. Als der Wagen leer war, fühlten sie sich zwar wie durch den Fleischwolf gedreht, so sagte Petra, aber sehr befriedigt.

    „Wir gehen noch nicht heim. Komm, ich lade dich zu einem Sprudel ein."

    Sie liefen zur Baracke hinüber, zogen sich jeder einen Sprudel aus dem Automaten und setzten sich auf den Tisch, die Beine herunterbaumelnd. Oh, wie es zischte, wenn man trank, so durstig machte das Heueinräumen. Wirklich, wie im Hochsommer!

    „Aber jetzt weiß ich was! sagte Petra und stieß die Luft aus, nachdem sie die Flasche leergesogen hatte. „Jetzt ist mir was eingefallen! Vierspännig – ich weiß jemanden, der vierspännig fährt, wenigstens manchmal. Wenn auch nicht mit Pferden. Sondern – Sie sah Anja auffordernd an, als wäre sie die Lehrerin und Anja müßte antworten. „Mit –"

    „Mit Ziegenböcken etwa? Womit kann man denn fahren außer mit Pferden, sagte Anja ärgerlich. „Los, raus damit!

    Petra sah sie strafend an. „Nicht so vorwitzig! Deine Bildung ist recht lückenhaft! Man kann beispielsweise mit Kühen fahren, wenn das jetzt auch kaum mehr ein Bauer tut, oder –"

    „Mit Eseln?"

    „Ja, auch mit Eseln. Ich meine aber was anderes. Hast du schon mal das Wort Pony gehört?"

    „Pony? Kleine? Klar, aber das sind doch auch Pferde, und –"

    „Ja, natürlich. Quatsch beiseite, ich weiß einen Hof, wo es Ponys gibt. Gar nicht sehr weit von hier. Eine Ponyfarm. Wir sind den Leuten vor ein paar Jahren mal im Winter begegnet, als es viel Schnee gab. Vater fuhr uns im Wagen, denn wir suchten einen Hang, wo man Schilaufen üben konnte, einen Hang ohne Bäume für die ersten Anfänge. Mein Bruder war damals noch klein. Und da trafen wir einen Ponyschlitten. Eine junge Frau fuhr ihn, vierspännig. Der Mann und drei kleine Jungen saßen mit drin. So was Nettes! Die Ponys waren winzig, etwa so hoch – Sie maß vom Boden etwa einen Meter ab. „– zwei gescheckte und zwei schwarze. Dick bepelzt, Ponys leben auch im Winter im Freien, und da wächst ihnen ein dickes Fell. Und sie hatten einen wilden Busch über der Stirn und lange, lange Schweife. Die vier trugen rote Ledergeschirre, das sah toll aus. Auf den Rücken hatten sie ein Geläute, das herrlich klangvoll tönte. Nicht bimmelte, sondern tönte, im Dreiklang abgestimmt. Und die junge Frau hatte rote Backen und eine knallblaue Mütze auf dem Kopf und lachte uns zu, als wir winkten – ich wäre am liebsten aus dem Auto gesprungen und bei ihr mitgefahren, so gut gefiel mir das. Ich habe mich dann erkundigt, woher diese Leute stammen, und bekam es auch raus. Natürlich wollte ich sofort hin, um sie kennenzulernen. Vorsichtshalber rief ich an, aber da sagte mir jemand, es paßte jetzt nicht, ich sollte später noch mal nachfragen. Später war ich dann weg, in den Ferien, wie so was eben geht. Aber der Name fällt mir bestimmt wieder ein! Wir müssen einfach mit der Frau reden, Anja.

    „Du, da fällt mir was ein. Anja machte große, nachdenkliche Augen. „Ich hab’ da neulich mal ein Bild in der Zeitung gesehen, das muß derselbe Schlitten gewesen sein. Darin saß aber ein Mann. Der brachte den Weihnachtsmann in die Stadt, auch mit einem Ponyschlitten, aber nur zweispännig. Vielleicht war das der Mann der jungen Frau. Meinst du nicht auch, daß das sein kann?

    „Na sicher! So was gibt’s nicht oft. War der Schlitten rot? Ach so, in der Zeitung sieht man das ja nicht. Aber an den Ort erinnere ich mich jetzt wieder. Wir sehen mal im Telefonbuch nach."

    „Aber –" Anja starrte die Freundin an.

    „Was denn schon wieder für ein Aber? fragte Petra ärgerlich. „Immer hast du ein Aber, beinahe schon, als wärst du erwachsen. Die sehen doch auch überall nur Schwierigkeiten.

    „Ich meine nur, wir haben doch keinen Schnee. Und Cornelia heiratet diesen Herbst –"

    „Schlaumeier! Wer einen Ponyschlitten hat, wird wohl auch einen Wagen haben. Eine Kutsche. Oder mehrere. Schnee ist ja, Gott sei’s geklagt, seit einiger Zeit Mangelware und wird nur wenige Wochen im Jahr gereicht. Das find’ ich schade, ich hab’ den Winter lieber als den Sommer. Da ist es bloß heiß, und die Fliegen plagen die Pferde, und –"

    „Ja, ich mag den Winter auch mehr. Und den Herbst. Den Herbst, wenn Jagden geritten werden. Ob wir dieses Jahr schon mitdürfen?"

    „Zur richtigen Jagd? Du bist bekloppt! Kannst froh sein, daß du voriges Frühjahr wenigstens so eine Art Jagd mitreiten durftest. Das war ein ganz großes Glück."

    „Als du den Affen fingst –"

    „Richtig, ja. Du, den müssen wir wieder mal besuchen, ach, war der süß! Und Gero ist damals beinahe ertrunken. Wenn Cornelia nicht gewesen wäre –" Sie saßen und schwatzten, Gero kam herein und gesellte sich zu ihnen. Sie vergaßen die Zeit über lauter Weißt-du-Nochs. Ach ja, nirgends war es so schön wie im Reitverein!

    Großer Spaß mit kleinen Pferden

    Sie hatten versprechen müssen, nicht die große Straße zu fahren, wo die Autos einander jagten und man nichts als Auspuffgase schluckte. Die Feldwege waren trocken und hart, und wenn man nicht in die ausgefahrenen Spuren kam, radelte es sich ganz gut. Einmal ging Petra zu Boden, als sie nicht aufpaßte – sie hatte einem Keil Wildgänse nachgesehen, der am Himmel entlangzog.

    „Meine älteste Schwester ist nach ihrem Abitur nach Schweden gefahren, erzählte sie, als sie wieder auf dem Rad saß, „sie wollte etwas von der Welt sehen. ‚Folg der Vogelfluglinie!‘ riet ihr meine Mutter. ‚Das ist die schönste Tour, die man dort machen kann.‘ ‚Ach nein‘, jammerte Martina. Meine Mutter war erstaunt: ‚Warum denn nicht?‘ ‚Ach weißt du, mit den Wildgänsen fliegen, dazu hab’ ich keine Lust!‘ sagte meine Schwester. Du kennst doch sicherlich das Buch vom Nils Holgersson.

    Anja lachte.

    „Natürlich. Jetzt sind wir bald da!"

    Sie überquerten die Straße, fuhren einen kleinen Weg an Tennisplätzen entlang und kamen dann in einen Hof, in dem rechts ein Brunnen stand. Er plätscherte vor sich hin, richtig romantisch. Links und rechts lagen kleine alte Fachwerkhäuser, gegenüber eine Scheune. An der rankte sich Wein empor. Drei Hunde standen auf dem Hof und sahen ihnen entgegen: ein Basset, niedrig, lang, schwarzbraunweiß gefleckt, ein kohlschwarzer Riesenschnauzer und einer, dessen Rasse Petra nicht feststellen konnte. Vielleicht war sie überhaupt nicht festzustellen, auch von Kennern nicht, besser: von Kennern erst recht nicht. Der große schwarze Schnauzer fing jetzt an zu bellen, tief, grollend. Petra und Anja sprangen vom Rad und blieben stehen.

    Aus dem linken Fachwerkhaus ertönte jetzt ein „Tina, hierher!", und der Schwarze verstummte. Eine junge Frau trat in die offene Tür, in Jeans und einem bunten Hemd, und winkte den beiden.

    „Kommt, sie tut euch nichts, wenn ich dabei bin." Petra und Anja folgten. Die Frau führte sie in eine niedrige Küche, und die Hunde folgten. Die Küche war holzgetäfelt und richtig gemütlich, fanden die beiden Mädchen sofort. Am Tisch saß ein kleiner Junge und blies Blockflöte, immerzu dieselbe Zeile einer Melodie, die sie auch kannten; ein anderer kroch auf der Erde einer Katze nach, ein Gipsbein hinter sich herziehend. Der dritte hatte eine Trillerpfeife im Gang, die einem in die Ohren gellte. Tina murrte und grollte noch, und auf dem Herd zischte es. Die ganze Küche roch nach Birnen und Zimt, herbstlich süß, und nach Pferden. Der Hausherr, ein junger Mann mit dunklem Haar und freundlichem Gesicht, stand am Tisch und versuchte mit einem Brotmesser eine Schraube an einem Türschloß zu lösen.

    „Warum nimmst du nicht den Schraubenzieher?" fragte seine Frau, und er antwortete friedlich:

    „Weil ich ihn doch nicht finden kann, Stine, mein Goldkind." Petra mußte herzhaft lachen. Sie wußte ganz genau, wie sehr sich ihr Vater immer ärgerte, wenn jemand sich erfrecht hatte, an sein Handwerkszeug zu gehen. Lag das nicht genau an seinem vorbestimmten Platz, so gab es ein furchtbares Donnerwetter.

    „Warte, hier. Ich hatte – Stine griff hinter sich und reichte ihm dann einen Schraubenzieher, der in einer der Pellkartoffeln gesteckt hatte, die dampfend in einem Topf auf dem Herd standen. „Ich wollte sehen, ob sie gar sind.

    „Danke. Ja, so geht’s besser. Und was möchte unser lieber Besuch?"

    „Wir möchten – wir haben angerufen, schoß Petra los, „wir haben Sie mal vierspännig fahren sehen, mit dem Pferdeschlitten – mit Ponys –

    „Ach so. Holle, damit war Stines Mann gemeint, legte die Schraube auf den Tisch und das Türschloß daneben. „Ich weiß. Stine, diese beiden jungen Damen möchten eine andere junge Dame vierspännig zur Hochzeit fahren.

    „Hoffentlich auch einen jungen Herrn dabei, sagte Stine vergnügt. „Wo, wann, wen?

    Petra berichtete, und Anja gab immer einmal ein Wort oder einen Satzteil dazu. Hier waren sie richtig, merkten beide schnell, hier würden sie mit ihrem Wunsch Verständnis finden. Das junge Ehepaar mit den drei kleinen Jungen schien daran gewöhnt zu sein, daß man sie um merkwürdige Dinge bat, die die Ponys betrafen, und Stine stellte den Topf mit den Kartoffeln erst einmal zum Abkühlen vors Fenster. Sie sagte:

    „Kommt! Ihr wollt doch sicherlich die Ponys sehen."

    Anja und Petra nickten begeistert. Der älteste der drei kleinen Jungen, Johannes, genannt Jo, legte die Flöte weg und Moritz, der Trillerpfeifer, sein Lärminstrument ebenfalls. Da schrie auch der mit der Katze, Thomas, der jüngste, er wolle mit. Petra angelte ihn unterm Tisch hervor und nahm ihn auf den Arm. Himmel, war das Gipsbein schwer!

    „Du kannst ihn noch nicht tragen", mahnte Stine besorgt.

    „Wohl kann ich! eiferte Petra, ihn hochhievend, „ich hab’ auch einen kleinen Bruder zu Hause, den ich manchmal rumschleppen muß, auch ohne Gipsbein ist der schwer –

    Stine lachte und half ihr, den Kleinen auf den Rücken zu nehmen.

    „Huckepack mag es gehen, ja, so. Nun kommt. Die Ponys sind auf der Koppel, sie müssen sowieso rein. Wir haben sie im Elektrozaun, und der muß umgesetzt werden."

    „Wir helfen!" sagten Anja und Petra sofort. Sie gingen über den Hofplatz an einem niedrigen selbstgebauten Stall entlang und dann einen schmalen Weg, der zum Wald führte. Nach etwa achthundert Metern sahen sie die Ponys von weitem auf einer Wiese stehen. Da rannte auch Petra mit ihrem Gipsbein-Jungen auf dem Rücken los. Wer kann schon langsam gehen, wenn er eine Herde winziger Ponys sieht, dick bebuscht, die Nasen sofort wendend, als sie Menschen und Hunde kommen hörten.

    „Nein, so was Hübsches! So was Nettes! Nein, sind die süß!" rief Anja, und Stine begann sogleich Namen zu nennen und Eigenschaften aufzuzählen: Lettchen war die älteste, dreiundzwanzig Jahre alt, aber beim Ziehen noch fleißig und vorbildlich; Erie, der kleine Schimmel, manchmal frech und im Geschirr etwas faul, aber gut zum Reiten; Nikolo, jener Scheck, noch jung und eben erst eingefahren; Peuke zuverlässig unterm Reiter und unermüdlich. Der Stolz der Herde, der weiße Hengst Winnetou, stand ein wenig abseits und beobachtete seine Herde mit ruhiger Würde. Dann gab es noch ein paar Halbwüchsige, zwei Jährlinge und zwei Zweijährige.

    „Dürfen wir sie reinführen?" fragten Petra und Anja wie aus einem Munde.

    „Führen? Wir reiten sie immer rein, antwortete Jo ein wenig von oben herab, „oder wollt ihr lieber nicht?

    Und ob sie wollten! Stine lachte zwar und warnte sie.

    „Sobald ich den Zaun aufmache, gibt’s ein großes Wettrennen nach Hause, wo sie Kraftfutter und Lecksteine vermuten. Traut ihr euch zu, oben zu bleiben? Reiten tut ihr doch, im Reitverein, sagte Holle. Also?"

    „Auf einem Pony hab’ ich noch nie gesessen, gab Anja zu, „aber schwieriger als Pferde sind sie doch sicherlich nicht, oder? Sie wollte natürlich unter gar keinen Umständen zurückstehen. Petra hatte schon auf kleinen Pferden gesessen, wie sie sagte.

    „Galopp ist doch leicht. Wenn sie wirklich sofort angaloppieren –"

    „Das tun sie, darauf könnt ihr euch verlassen. Also, wer nimmt wen?"

    „Ich die Erie, bitte, bitte –"

    „Ich den Peuke –"

    „Ich –" schrien die kleinen Jungen durcheinander und hopsten an Stine hoch. Die nahm Petra erst einmal den kleinen Gipsbeinigen vom Rücken. Aber der schrie Protest und zappelte und wollte auch reiten.

    „Also, Augenblick. Ich schalte zunächst den Strom aus." Stine ging an den Zaun, wo die Batterie stand und sich am Draht ein Griff befand, knipste an dem Kasten und fühlte dann am Draht.

    „So, in Ordnung. Nun rauf auf eure Rösser! Jo, du nimmst am besten Winnetou, mit dem können die andern nicht." Jo war schon unterm Draht durchgeschlüpft und beim Hengst angelangt. Wupp, saß er drauf.

    „Und Mo den Nikolo –"

    „Ja, reitet ihr denn ohne Zügel?" fragte Anja etwas perplex. Daß man diese kleinen Pferde nicht sattelte, hatte sie erwartet, aber ohne Zügel – da wußte man doch gar nicht, wohin sie liefen.

    „Die laufen zum Stall, unter Garantie! Stine lachte. „Festhalten muß man sich an der Mähne. Dazu hat der liebe Gott sie ja wachsen lassen.

    Ja, wenn man die Mähnen der kleinen Pferde mit denen der großen verglich, dann konnte man allerdings sagen: Hut ab! Das waren dicke, meist nach beiden Seiten herabhängende Mähnen, struppig und ein wenig gewellt, hart anzufassen. Stine war seitlich über den Zaun gesprungen, ging zu Peuke, einem breiten kleinen Sommerrappen ... und faßte ihn vorn an seinem dicken Schopf. „So, steh schön, mein Dicker, und du steig auf. Auf so einen kommst du auch ohne Bügel, sagte sie freundlich zu Anja, „ich halt’ ihn solange.

    Petra hatte sich bereits eiligst, als habe sie Angst, daß doch noch ein Nein kommen könnte, auf den Scheck geschwungen. Moritz sprang gerade auf Lettchen. Da gab sich Anja einen Ruck und stemmte sich – komme, was wolle – auf Peuke.

    Natürlich kommt man auf ein so kleines Pferd ohne Bügel leichter als auf ein großes mit Bügel, aber ein Ruck gehörte bei Anja schon dazu. Stine, den kleinen Thomas auf dem Rücken, Peuke neben sich herführend, fragte noch: „Alles klar?" und ging zum Eingang in dem Zaun, hakte den Griff aus und trat zur Seite, Peuke vorläufig noch festhaltend. Sogleich kam Winnetou angeschossen, seinen kleinen Reiter auf dem Rücken, und lief schräg durch die Öffnung, Richtung Heimat. Nikolo folgte, Petra auf sich; die hatte die Knie eng

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