Entdecken Sie Millionen von E-Books, Hörbüchern und vieles mehr mit einer kostenlosen Testversion

Nur $11.99/Monat nach der Testphase. Jederzeit kündbar.

Glück in kleinen Dosen
Glück in kleinen Dosen
Glück in kleinen Dosen
eBook163 Seiten2 Stunden

Glück in kleinen Dosen

Bewertung: 0 von 5 Sternen

()

Vorschau lesen

Über dieses E-Book

Cornelia hat es in ihrem Leben nicht einfach. Immer wieder werden ihr Hindernisse in den Lebensweg gestellt, doch Cornelia gibt nicht auf und bleibt optimistisch und mutig. Durch dreissig Jahre aus Cornelias Leben wird der Leser geführt und erkennt wie die tapfere Protagonistin an ihren Aufgaben wächst ... – Eine wunderschöne, inspirierende und mit Lebensklugheit erzählte Alltagsgeschichte über das Leben einer beherzten jungen Frau.-
SpracheDeutsch
HerausgeberSAGA Egmont
Erscheinungsdatum1. Jan. 2017
ISBN9788711509449
Glück in kleinen Dosen

Mehr von Lise Gast lesen

Ähnlich wie Glück in kleinen Dosen

Ähnliche E-Books

Kinder für Sie

Mehr anzeigen

Ähnliche Artikel

Rezensionen für Glück in kleinen Dosen

Bewertung: 0 von 5 Sternen
0 Bewertungen

0 Bewertungen0 Rezensionen

Wie hat es Ihnen gefallen?

Zum Bewerten, tippen

Die Rezension muss mindestens 10 Wörter umfassen

    Buchvorschau

    Glück in kleinen Dosen - Lise Gast

    www.egmont.com

    Nele sprang vom Rad, verzweifelt, den Tränen nahe. Die Luft im hinteren Reifen hielt nicht; dreimal hatte sie nun nachgepumpt, und schon wieder fuhr sie auf der Felge. Dazu dieser fürchterliche Regen, und Gegenwind hatte man ja immer. Erste Erfahrung jedes Radfahrers: Der Wind kommt immer von vorn. Nie, nie würde sie auf diese Weise die andern einholen.

    Das war an sich schon betrüblich genug. Nele hatte sich sehr auf die Fahrt mit Hille und ihren Brüdern gefreut, das ganze Jahr über.

    „In den Herbstferien darf ich mit Hille Hollmann auf Fahrt! Allen mußte sie das verkünden. Und nun hatten sie sie so schmählich im Stich gelassen, waren zeitiger aufgebrochen. „Es sah so nach Regen aus, und da dachten sie, wir machen uns vorher davon, erzählte Hilles Mutter, als Nele zur verabredeten Zeit in Marienbrunn ankam und dachte, nun ginge es los, zu fünft, zu siebent, vielleicht zu zehnt. „Lange sind sie noch nicht fort, du holst sie sicher noch ein, wenn du ein bißchen schnell fährst. Jaja, Richtung Altenburg."

    Wenn sie sie nicht vor Altenburg erwischte, bestand keinerlei Hoffnung, die Fahrt mitzumachen. Von dort aus wollte Hille nach Thüringen hinein, irgendwo von Jugendherberge zu Jugendherberge – ein genauer Plan lag nicht vor. Nele wischte sich die Tränen aus den Augen und beugte sich zur Luftpumpe hinunter, ließ sie dann aber stecken, plötzlich ganz mut- und energielos. Ihre Windjacke war dunkel vor Nässe, und die Zöpfe hingen ihr wie zwei schwere Schlangen über die Schultern. In den Halbschuhen quatschte das Wasser. Sie richtete sich nicht wieder auf, sondern legte den Unterarm auf die Lenkstange und die Stirn darauf. So stand sie, geduckt und verzweifelt, und weinte nun richtig, stoßweise, schluchzend.

    Umkehren kam nicht in Frage. Es war so schwer gewesen, den Eltern die Erlaubnis für diese Fahrt abzuringen. „Du bist zu jung, erst fünfzehn, und gerade mit dieser Hille Hollmann! Sie ist ja nett, aber doch ziemlich unzuverlässig und recht selbstherrlich erzogen. Dazu diese Zeiten, in denen alles so unsicher ist –"

    Nele hatte Hille leidenschaftlich verteidigt. Sie wäre nicht unzuverlässig, sie wäre solch ein guter Kamerad, und ihre Brüder würden ja auch mitfahren, und – und – und – bis sie endlich, endlich mitdurfte. Und nun waren die Hollmanns ohne sie losgefahren!

    „Sie kann ja nachkommen, vielleicht darf sie wieder mal nicht. Ihre Eltern haben immer gräßliche Angst, sie sind völlig von vorgestern", mochte sie gesagt haben. Beide hatten recht. Hille und die Eltern. Aber das nützte nichts, hier auf der Chaussee, bei Regen und Gegenwind und mit dem kaputten Fahrrad, allein ...

    „Nele!"

    „Ja?"

    Sie fuhr auf, schnupfte und versuchte, so zu tun, als habe sie gar nicht geweint. Es konnte doch der Regen sein, der ihr vom Gesicht lief. Sie strich hastig mit dem Ärmel darüber. War vielleicht einer von Hilles Gruppe später losgefahren und konnte ihr noch den Anschluß an die andern ermöglichen, wenn er wußte, wohin sie sich wenden wollten? Der durfte nicht merken, daß sie geweint hatte.

    Nein, keiner von ihnen. Es war Utz, Utz Schwertfeger, Mutters Mittagstischstudent. Nele fühlte, wie die Enttäuschung neu in ihr aufbrach; es wäre so schön gewesen, doch noch mitzukönnen. Gleichzeitig aber sikkerte ein Tröpfchen Trost in ihr Herz, sparsam zuerst, gleichsam abwartend. Utz war fünfundzwanzig, zehn Jahre älter als sie, und gehörte völlig zu den Erwachsenen. Die hatten, wie man immer wieder feststellen mußte, kein Verständnis für solche Nöte wie die ihren. Utz aber zeigte sich ihr gegenüber immer sehr freundlich, nie herablassend oder gar hohnvoll-verächtlich und spottlustig wie die Brüder, bei denen sie ja immer „nur" ein Mädchen blieb, noch dazu ein jüngeres. Er brachte es fertig, sie so zu behandeln wie einen gleichberechtigten Menschen.

    Vielleicht kam das daher, daß es ihm selbst sehr schlecht ging. Er studierte Chemie und arbeitete in seiner freien Zeit in einer Fabrik für ätherische Öle. Ein übertrieben süßlicher Geruch haftete an seinen Sachen, sie merkte immer sofort, wenn sie heimkam und sein Mantel im Flur hing, daß Utz da sein mußte. Ein- oder zweimal hatte sie ihn auch auf dem Schulweg getroffen. Sein Labor befand sich in der Liebigstraße, durch die ihr Schulweg führte. Einmal begleitete er sie bis ans Tor. Die Mädchen aus ihrer Klasse hatten runde Augen gemacht. Nele fühlte noch jetzt, wie gut ihr das getan hatte.

    Utz trug eine alte Lederjacke, Knickerbocker und auf dem Kopf eine Mütze mit Schild, einen sogenannten Blaser, etwas, was bei Hille und ihren Leuten für unmöglich galt. Dort ging man bei Regen, Wind und Sonnenschein ohne Kopfbedeckung. Freilich wurde man dabei auch so naß wie sie jetzt. Aber man ertrug Nässe und Kälte mit Haltung und Stolz.

    Das alles ging sekundenschnell durch ihren Kopf, während sie versuchte, Utz zuzulächeln. Er war abgestiegen und lehnte sein Rad gegen einen Chausseebaum.

    „Luft raus? So ein Pech. Warte, ich seh’ mal nach, was man machen könnte."

    Nele trat zurück, und während Utz sich um ihr Rad mühte, konnte sie sich die Nase sehr gründlich schnauben.

    „Das Ventil ist es nicht, ich hab’ schon nachgesehen", schluckte sie. Er richtete sich wieder auf und sah sie an, nachdenklich.

    „Hier können wir nicht flicken, in diesem Regen!"

    „Wir, sagte er. Dieses kleine Wort lockerte in Nele das, was sie gerade nach hinten geschoben und festgeklemmt hatte: all den Jammer und die Verzweiflung ihrer Situation. Ihr „Wir fuhr davon, nach Thüringen, hatte Altenburg sicher längst hinter sich und sie vergessen ...

    „Was ist denn?" fragte Utz, verwundert und mitleidig.

    Durch seinen freundlichen Ton brach bei Nele der Staudamm. Sie schluchzte wild, und mit dem Schluchzen kam das zutage, was sie sonst wahrscheinlich niemandem gesagt hätte: die Abneigung ihrer Eltern gegen Hilles Gruppe, der verpaßte Anschluß, die Unmöglichkeit, die andern noch zu erreichen. Alles, alles kam heraus. Nele verstand selbst nicht, daß sie Utz dies alles erzählte; es war wohl ihr Ausgeschlossensein und die Hoffnungslosigkeit und seine freundliche, mitfühlende Art, die das bewirkte. Sogar ansehen konnte sie ihn jetzt, obwohl ihr die Tränen über das Gesicht flossen.

    Sie war viel kleiner als er. Und während sie zu ihm aufsah und all diese schrecklichen Zusammenhänge daherstammelte, fiel ihr zum erstenmal die Farbe seiner Augen auf, dieses sanfte, schimmernde Blau. In diesen Augen saß ein zärtliches, ernstes und weiches Lächeln. Er legte eine Sekunde lang seine beiden Hände um ihre Schultern, zog sie ein wenig näher zu sich und sagte halblaut, ohne seinen Blick zu senken, in ihre Augen und, so deuchte es sie, mitten in ihr Herz hinein:

    „Still. Hab keine Angst. Ich bin ja bei dir."

    Nie, nie vergaß sie diese Worte. Zauberworte, niemals bisher gehört, ein Leben lang ersehnt, so schien es ihr. Nele hörte auf zu weinen, holte tief Luft, und wie mit einem Schlag war alles gut. Utz sah die Veränderung ihres Gesichts, es spiegelte ihr Empfinden wider wie ein überdeutlicher Film, klar und unmißverständlich. Er lachte. Und dann ließ er ihre Schultern los, ging zu seinem Fahrrad und nahm es mit der einen Hand während er mit der anderen Neles Rad ergriff.

    „Es bleibt uns keine Wahl, wir müssen schieben, sagte er munter, „bis zum nächsten Dorf jedenfalls. Und dort – „Dort?" fragte Nele, nun ohne Tränen, neugierig und gespannt.

    „Dort – er genoß es, Schicksal zu spielen und diesem kleinen Mädchen helfen zu können. Es tat so gut und wärmte das Herz, der Große und Kluge, der Mächtige zu sein, der den gordischen Knoten durchschlug und alles zurechtbog. Große Sorgen – für sie. Er selbst hatte auch welche, deren sich niemand annahm. Um so schöner war es, helfen zu können und zu merken, ein Mensch vertraute sich ihm an, ohne Rückfrage, gläubig und hoffnungsvoll. Schönstes Gefühl für einen Mann. „Dort, fuhr er fort, „bauen wir erstmal den Schlauch aus, und ich flicke ihn. Flickzeug habe ich dabei. Und dann rufen wir bei dir daheim an, daß du –"

    „Daß ich die andern.,." Nele sprach nicht weiter. Er schüttelte den Kopf und verbarg ein winziges, zärtliches Lächeln. O nein, nicht lachen, dieser junge Mensch mußte ernstgenommen werden mit all seinen Schwierigkeiten.

    „Aber nein. Ich verrate dich doch nicht. Wir sagen, ich hätte dich getroffen, als du – nun, ehe du in Marienbrunn warst. Und du fährst jetzt mit mir nach Langenbernsdorf. Ich hab’ mir das schon immer gewünscht und deine Eltern oft und oft gefragt, ob du oder deine Brüder nicht einmal zu uns kommen wollten, in den Ferien. Du hast doch Ferien?"

    Nele nickte.

    „Und Lust?"

    Sie nickte wieder, sehr schüchtern aber unmißverständlich. Er fuhr fort:

    „Meine Eltern freuen sich bestimmt. Wir haben einen riesengroßen Garten mit Pflaumen- und Apfelbäumen, eine Ziege, einen Dackel – und eine von meinen Schwestern ist auch daheim, die Anne. Du kannst dich an Obst toll und voll essen, es wird nie alle, wir bewältigen es kaum, auch wenn wir verkaufen. Und im Garten ist eine Kegelbahn, weißt du, so eine, bei der die Kugel hängt. Baumelschub nennt man das. Es ist nicht einfach, aber ich zeige dir, wie man kegelt. Oder wir fahren mit den Rädern über Land, zur Göltzschtalbrücke oder in den Werdauer Wald, und früh gehen wir Pilze suchen. Es gibt Unmengen dort, du wirst staunen, und meine Mutter fädelt sie auf und trocknet sie vor dem Fenster.

    Und du hilfst mir, die letzten Kartoffeln herauszumachen. Anne backt zur Feier dieses Tages immer Pflaumenkuchen, das war von jeher so. Um diese Zeit muß auch Kirmes sein. Kirmes ist ein lustiges Fest auf dem Dorf, und man bekommt Besuch, so daß Anne immer wieder nach Kaffee laufen muß. Wenn wir Glück mit dem Wetter haben, sitzen wir dann im Garten, und ringsum leuchtet es von Dahlien und Georginen und Astern ..."

    Er sprach noch weiter, während sie schon miteinander dahinmarschierten, ruhig und im gleichen Schritt. Nele hatte ihr Fahrrad nun selbst genommen und schob es, während sie zuhörte. Der Regen hatte nachgelassen, es sah aus, als würde es heller.

    „Wie lange bleiben Sie denn zu Hause?" fragte Nele. Dies war schon eine Zusage. Er merkte es und freute sich.

    „Weiß noch nicht. Ich kann mich ja nach dir und deinen Ferien richten. Wir fahren dann wieder miteinander zurück nach Leipzig, und ich liefere dich bei deinen Eltern ab. Und wie ich meine Mutter kenne, wird sie uns einen tüchtigen Sack Äpfel mitgeben oder einen Korb Pflaumen, oder beides. Aber eins geht nicht, unterbrach er sich plötzlich. Neles Herzschlag wollte stocken: Gerade jetzt hatte sie gedacht, sie sei gerettet aus Einsamkeit und Kummer. „Was denn? fragte sie erschrocken.

    Er lachte.

    „Daß du mich ‚Sie‘ nennst. Unmöglich! Was, meinst du, würden meine Eltern sich denken, wenn ich ein ganz fremdes Mädchen, das mich siezt, daherbringe! Ich wollte es dir schon immer sagen. Dein Vater duzt mich, weil er Alter Herr ist bei uns, von Marburg her, du weißt ja – und deine Brüder, weil wir uns im Alter nahe sind. Aber deine Mutter und du, ihr siezt mich immer noch. Könntest du nicht Utz und du zu mir sagen?"

    „Doch, sagte Nele leise, „wenn ich darf?

    Sie sagte nicht: Wenn ich soll. Er lächelte sie an.

    „Du darfst. Ich bitte dich darum. Ich habe es mir längst gewünscht. Utz und du, das ist doch viel handlicher."

    Nele nickte. Sie wagte nichts zu sagen, aber ihr Herz dehnte sich vor Stolz. Utz duzen zu dürfen, das erschien ihr wie ein Ritterschlag. Wenn die andern aus ihrer Klasse das wüßten! Nur merken lassen durfte sie sich nichts. So ging sie schweigend und mit möglichst unbewegtem Gesicht weiter. Utz sprach. Seltsam, sonst war er wortkarg, jetzt aber erzählte und schilderte er, lachte und war lebhaft – Nele hatte ihn so noch nie erlebt. Und ehe sie es merkte, hatten sie die Chaussee hinter sich und Espenhain erreicht. Schön waren die sächsischen Dörfer ja nicht – wenigstens hier nicht. Ziegelsteinbauten und Misthaufen vor der Tür, aber was machte das, wenn man nur einen Gasthof fand, in den man erst einmal hineinschlüpfen konnte.

    „Telefon wird es hier schon geben und für uns etwas Warmes zu trinken auch, verhieß Utz aufgeräumt. „Herein, herein meine Dame. Nein, das Stahlroß hole ich nachher. Lehn es ruhig hier an den Zaun, so – und jetzt wollen wir uns erst einmal richtig aufwärmen und trocknen.


    Das Pfarrhaus lag oben neben der

    Gefällt Ihnen die Vorschau?
    Seite 1 von 1