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Die Reise nach Ascona
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eBook236 Seiten3 Stunden

Die Reise nach Ascona

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Über dieses E-Book

Maumi, stolze Mutter und zufriedene Grossmutter, begibt sich mit ihrem Auto auf die Reise nach Ascona, einem wunderschönen Ferienort im Süden der Schweiz. Seit je her hat Maumi von einem Aufenthalt in Ascona geträumt und sogar mit dem Gedanken gespielt für immer dort zu bleiben. Ihre Kinder sind längst erwachsen, ihr Mann ist verstorben und als Grafikerin kann Maumi ihre flexibel einteilen, so würde einer Umsiedlung nach Ascona nichts im Wege stehen. Allerding führt die Reise dahin über einige abenteuerliche Umwege, die Maumi schliesslich genau dort hin bringen, wo sie angelangen will... - Eine humorvolle Geschichte, die in sanften Tönen über die Lieblichkeit des Lebens berichtet.-
SpracheDeutsch
HerausgeberSAGA Egmont
Erscheinungsdatum26. Feb. 2016
ISBN9788711509104
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    Buchvorschau

    Die Reise nach Ascona - Lise Gast

    www.egmont.com

    Maumi sprang auf die Couch hinauf, mit dem von ihr erfundenen, dem sogenannten Maumi-Schwung. Bei dem mußte man mit beiden Füßen zugleich abspringen, wie beim Schlußsprung, und ebenso aufkommen, und zwar gehörte dazu, daß man aus beiden Schuhen – offenen Sandaletten, Hüttenschuhen oder ähnlichen natürlich – freikam und barfuß landete, während das Schuhwerk, genau nebeneinander ausgerichtet, auf der Erde vor der Couch stehenblieb. Niemand konnte es so gut wie Maumi selbst, Bärbel allerdings kam ihr in letzter Zeit ziemlich nach. Maumi, heute allein im Haus, sah sich kritisch um, ob ihr der Sprung auch nach Wunsch gelungen sei. Wahrhaftig, die niedrigen, buntgesäumten Hüttenschuhe aus Seehundsfell standen nebeneinander wie im Schaufenster.

    »Man müßte es fotografieren«, dachte Maumi befriedigt, »aber sie würden es nicht glauben. Sie würden sagen, ich hätte die Aufnahme gestellt. Na, laß.«

    Auf der Couch stehend, begann sie, hinter der Bücherreihe zu wühlen, die auf dem selbstgezimmerten Bord stand. Hier im Haus, wo nichts verschlossen wurde – auch nachts stand stets alles offen, die Schlüssel waren meistens verlegt – mußte man sich, schon aus Selbstschutz, Verstecke suchen für das, was einem wichtig war. Jeder tat das. Bei der großzügigen Art, sich gegenseitig Tanzschuhe, Pullover und Personalausweise auszuborgen, die zwischen Mutter und Töchtern als ungeschriebenes und eigentlich auch unausgesprochenes, aber selbstverständlich durchgeführtes Gesetz galt, hatte sich das von selbst herausgebildet. Jeder besaß ›seine Ecke‹. Nicht etwa, daß er dort Geld oder ähnlichen lichtscheuen Besitz hortete – an den wären die andern sowieso nie gegangen. Niemals, unter Garantie. Aber manches wollte man eben doch griffbereit vorfinden, wenn man es gerade brauchte, ohne in den Schlachtruf »Hat jemand mein ...?« ausbrechen zu müssen. So förderte Maumi jetzt hinter ihrer Bücherreihe zutage, was sich da angesammelt hatte: Kugelschreiber, Zigaretten, ein Paar Sporen mit Lederriemchen dran, eine kleine weiche Schminktasche und schließlich ein noch unausgepacktes, flaches Paket. Maumi angelte ein Taschenmesser aus der tiefen Faltentasche ihres Rockes und schnitt den Bindfaden durch. Dabei bekam ihr Gesicht einen beinah wilden, ja fast süchtigen Ausdruck, der sich in glückliche Entspannung verwandelte, als die letzte Hülle gefallen und das Buch ausgepackt war.

    Ein neues Buch. Durch irgendeine Empfehlung, mündlich oder aus der Zeitung herausgelesen, im Rundfunk gehört, irgendwo aufgeschnappt, war sie auf dieses Buch aufmerksam geworden und hatte es schließlich nach einem ziemlich kurzen, von vornherein verlorengegebenen Seelenkampf bestellt. Nun lag es auf ihrer Hand, im lackglänzenden bunten Schutzumschlag, neu, frisch, jung, noch nicht aufgebogen, duftend nach Papier oder Leim oder Druckerschwärze oder was es war – ein neues Buch. Eine neue Welt, ein neues Abenteuer, vielleicht eine neue Liebe. Jedesmal glaubte Maumi daran, hoffte sie darauf, erwartete sie es. Mit der Kindergier einer Zehnjährigen auf die Geburtstagstorte stürzte sie sich auf jedes neue Buch, fraß erst mit den Augen den Umschlag, dann den Einband, dann Vorsatzpapier und Titel, beroch das Ganze, fuhr mit dem Buchrücken an der Wange entlang und schlug dann die erste Seite auf. Nun konnte es losgehen.

    Dies tat sie heute stehend auf der Couch, allein im Haus, am späten Nachmittag. Nach zwei Stunden stand sie noch immer und las.

    Maumi war an diesem Tag vierundvierzig Jahre alt. Sie trug eine sparsame rote Sommerbluse ohne Ärmel und einen weiten bunten Leinenrock, der, ein wenig zu lang für die gerade herrschende Mode, um ihre schmale, besser: magere Figur bis auf die Mitte der Waden herabhing. Er ließ nicht viel von den Beinen sehen; nur daß sie dünn und sehr braun waren, konnte man feststellen. Sehr braun war auch das kleine, magere Gesicht mit der schmalen, ganz wenig gebogenen Nase – »mach mal die Totenmaske vom alten Fritz!« verlangten die Kinder manchmal. Dann schloß Maumi die Augen und spitzte den Mund ein wenig, nur eine Sekunde lang – alles schrie Beifall. Die Ähnlichkeit war verblüffend, wenn auch nicht unbedingt schmeichelhaft. Jedoch mit vierundvierzig ist man nicht mehr so eitel wie zwanzig Jahre früher, und Maumi war es überhaupt nie allzusehr gewesen. »Wenn er mich nicht wegen meiner guten Laune genommen hätte, weswegen wohl dann? Denn schön war ich nie«, sagte sie, übrigens ohne das geringste Fishing, von ihrem Mann.

    Die Töchter glaubten ihr das. Sie nahmen ihre Mutter hin, wie sie war, sie taten es ein wenig seufzend, ironisch-liebevoll und gleichzeitig ungeduldig-duldsam, so wie alle Töchter heutzutage ihre Mütter hinzunehmen pflegen, wo es nicht grade hart auf hart geht – mögen es nun zu altmodische oder zu moderne, zu kluge oder zu hausbackene, zu schöne oder zu sportliche, zu dicke, zu tyrannische, zu verschlafene oder zu bedeutende Mütter sein. Alle Mütter sind »zu« für ihre Töchter, keine ist richtig in ihren Maßen. Sobald man das als Mutter erkannt hat, ist ein Nebeneinanderleben möglich.

    Freilich, manchmal war Maumi wirklich etwas zu sehr »zu«. Als Bärbel an diesem Sommerabend – es war ein Samstag im Juni – heimkam, ärgerte sie sich. Alle Türen des kleinen Hauses standen offen, in der Küche verröchelte soeben der Tauchsieder, nachdem er vermutlich halbstundenlang in seinem hohen Aluminiumtopf gelärmt hatte. Bärbel sprang zu und riß den Stecker aus dem Kontakt. Wieder einmal weißglühend und natürlich durchgebrannt, äh! Auf der roten Resopalplatte des Arbeitsplatzes stand gebrauchtes Kaffeegeschirr gestapelt. Es mußte Besuch dagewesen sein. Immer dieser Besuch, wann war man mal ohne!

    Jetzt. Eben. Deshalb ja wohl hatte auch Maumi alles andere vergessen, sich auf irgend etwas gestürzt, das sie längst, längst ersehnte – eine Zeichnung, ein Aquarell oder einen Brief, den zu lesen oder zu schreiben man oft tagelang hinausschieben mußte, oder auf ein Buch. Jedenfalls auf etwas Eigenes, auf etwas, das man endlich, endlich tun konnte, solange man allein war. Alleinsein, köstlichstes Gut aller überbeschäftigten Mütter!

    Bärbel versuchte, das zu verstehen, und bis zu einem gewissen Grad gelang es ihr auch. So verschluckte sie ihren Ärger und trat aus der Küchentür ins Freie, in den Garten hinaus. Von hier aus sah man in Maumis Zimmer. Und da stand die Mutter also auf ihrer Couch und las.

    Bärbel war zwanzig Jahre, ihres Zeichens Krankengymnastin, einen Kopf größer als Maumi und so schön, wie man in diesem Alter zu sein pflegt. Alles an ihr war wohlgebildet und gepflegt, gleichzeitig trainiert und üppig. Sie besaß Schultern und Muskeln einer Schwimmerin, eine mattschimmernde, bräunliche Haut und helles Haar, etwas heller als von Natur, jedoch nicht sehr aufgehellt. Ihre Kleider zeigten tiefste Ausschnitte, tiefer war technisch nicht möglich, und teils enge, teils unwahrscheinlich weite Röcke. Immer kam ihre Taille zu Geltung, die so schmal war, daß jedermann kalkulierte, er vermöge sie mit zwei Händen zu umspannen. Dabei tat Bärbel nie etwas, jemanden zu solch einem Gedanken anzuregen. Sie war einfach da, das genügte.

    Jetzt stand sie sekundenlang, sah zu ihrer Mutter hinüber, öffnete den Mund, um zu rufen, und schloß ihn wieder. Ein Blick auf die Armbanduhr – hm. Und dann ging es los.

    Feuer im Herd, Wasser aufgestellt. Das Holz knackerte, daß es eine Lust war. Bärbel hatte den weiten Rock abgeworfen und lief in Bluse und kurzer Sporthose umher. Sie hantierte mit Büchsenöffner und Brotmesser, goß, mischte und rührte, schmeckte ab und verzierte. Nach fünfundzwanzig Minuten war die Küche blank und im Garten, unterhalb der Küchentür, ein Abendbrottisch gedeckt mit Tee unter der Mütze, den guten Tassen, bunt belegten Broten, einem zierlich angerichteten Salat und einem Glas Heckenrosen mitten auf dem Tisch. Bei Bärbel fehlten nie Blumen. Übrigens war der Tisch für vier Personen gedeckt.

    »Guten Abend, Frau Mama«, rief Bärbel jetzt durchs offene Fenster herein. Maumi drehte sich um, erwachte. Sie ließ das Buch fallen und sprang von der Couch.

    »Bärbel, nein, sowas! Ich dachte, du kämst dieses Wochenende nicht!«

    Sie küßten sich durchs Fenster. In dieser Familie wurde viel geküßt, bei Abschied und Wiedersehen und Gutenachtsagen und herrlichen oder fürchterlichen Neuigkeiten. Man hielt es dabei zwar mehr wie im zaristischen Rußland, küßte also aneinander vorbei in die Luft, zumal helle, ziegelrote oder purpurne Spuren des Lippenstifts ja nicht unnötig auf den Gesichtern der anderen zu erscheinen brauchten, aber es war eine herzliche und echte Gebärde. Maumi schwang die Beine über das Fensterbrett, hakte die Tochter unter und ließ sich von ihr an den Abendbrottisch führen.

    »Wunderschön, ich danke dir. Was hab’ ich für einen gräßlichen Hunger, unbegreiflich, woher! Wollen wir gleich anfangen?«

    »Ja, gern. Nur vielleicht – wir bekommen nämlich Gäste, weißt du«, sagte Bärbel. »Der Assistenzarzt aus unserm Krankenhaus will kommen, mit seinem Freund – ja, es ist noch nicht sicher, daß er es tut, ich habe ihn schlecht behandelt. Und gewarnt: Wer hierherkomme, tue es auf eigene Gefahr.«

    Oben an der Straße bremste ein Wagen. Bärbel sah nicht hinauf, sie konnte auch aus dem Viertelprofil heraus sehen, erkennen und registrieren. »Der Große ist es, der Dünne, man kann auch sagen: der Schlanke. Der andere ist es natürlich nicht, der sieht aus wie ein Gummischweinchen, das man aufbläst und quieken läßt ...«

    »Natürlich freu’ ich mich, sehr sogar«, sagte Maumi und bat zu Tisch. »Immer sind mir (Freunde? Nein, sagt man nicht! Mitarbeiter? Klingt so nach Geschäft. Kollegen? Stimmt nicht ganz. Bekannte? Hm. Lieber:) gute Bekannte meiner Kinder willkommen. Aber ich bitte Sie, von Überfall ist doch keine Rede! Als ob ein Samstagabend nicht wie dazu geschaffen wäre, ein bißchen draußen zu sitzen und Ruhe zu haben.»

    Der Tee war goldbraun und die Schnittchen verlockend in ihrer Mannigfaltigkeit. ›So viel hab’ ich im Haus gehabt, oder hat sie da was mitgebracht?‹ dachte Maumi. Sie aß, wie viele Frauen ihrer Statur, unregelmäßig und oft halbe Tage lang gar nichts. Um so mehr genoß sie es jetzt. Der junge Arzt machte Konversation.

    »Jaja, freilich, das Schönste an unserm Haus ist seine einsame Lage. Wochentags findet kaum einer aus dem Städtchen hier heraus. Was sollte man auch im Wald, wenn man nicht gerade Holz oder Beeren sucht. Man hat ja zu ›schaffe‹.«

    Sie lachten alle vier. Da war es wieder, ›Schaffe‹, das Motto des hiesigen, fleißigen und rührigen Menschenschlages. Alle schafften, die Großen und die Kleinen, die Männer und die Frauen. Maumi stammte nicht von hier, in ihrem Wortschatz wurde gearbeitet und nicht geschafft. Sie sprachen darüber.

    »›Schaffe‹ ist nur, wenn man schwitzt«, lachte der junge Arzt. »Wir alle in weißen Mänteln schaffen nicht. Na, und wer so idyllisch wohnt wie Sie –«

    »Der sagt überhaupt am Morgen Feierabend«, nickte der andere. Er hatte bisher umsichtig und ohne Pause gegessen. Jetzt schien Grund in seinen Magen gekommen zu sein, er seufzte, lehnte sich zurück und versank in den Anblick von Bärbels Halsausschnitt. »Es muß sich herrlich hier arbeiten, ungestört von Motorenlärm.« Wie auf ein Stichwort hin brummte es auf. Alle hoben den Kopf. Gleich darauf ertönte ein trillerndes Pfeifen von der Straße herunter, das sich mit dem schütternden Rasseln eines Lastwagens mischte.

    »Lastwagen, wieso?« fragte Maumi. Bärbel war schon aufgesprungen, und die andern folgten. Oben am Garteneingang gab es eine fröhliche Begrüßung, einen ganz großen Bahnhof. Mechtild war gekommen.

    »Aber nicht allein, Mutti!« Mechtild war die einzige, die mitunter so und nicht ›Maumi‹ sagte. »Ich habe Regina mit, freust du dich? Da, sieh mal, wie sie wedelt! Das tut sie nicht bei jedem! Sie mag dich. Wunderbar, nicht? Sie muß jeden Tag werfen.«

    Maumi bestätigte, daß dies wunderbar sei. Sie war ein großer Tiernarr, liebte vor allem Katzen, aber auch Hunde kamen zu ihr, ohne daß sie sich um ihre Gunst zu bemühen brauchte. Erst neulich hatte sie es erlebt.

    »Ich war bei Sommers, du kennst sie doch. Sie haben einen neuen Hund, einen Boxer, anderthalb, ja, schon riesengroß, ein Kalb von einem Hund. Erst bellte er, als wollte er uns zerreißen, ich war mit Grünewalds dort. Später wurde er dann vorsichtig und unter tausend Beschwörungen losgebunden und ins Zimmer gelassen. Er beschnupperte mich, stieß mich mit der Nase an und kletterte schließlich auf meinen Schoß. Dort richtete er sich häuslich ein, so, wie Hunde das tun, indem sie sich erst dreimal um sich selbst drehen. Es war ein niedriger Stuhl, und ich saß sehr zurückgelehnt. Als Riesenkranzkuchen prangte er also auf meiner spärlichen Vorderseite, zufrieden schnaufend, ich konnte mich nicht mehr rühren. Meine Gastgeber erklärten, dies sei eine sehr, sehr große Ehre.«

    Regina schien sich auch zu Maumi hingezogen zu fühlen. Sie richtete ihre großen, melancholischen Augen auf sie und seufzte tief, jene unerklärbare, kreatürliche Schwermut im Blick.

    »Du bekommst sofort etwas, mein guter Hund«, versprach Maumi, »nein, wer wird denn so traurig aussehen! Komm, ich habe Milch da.«

    »Erst muß aber der Fahrer bezahlt werden«, erinnerte sich Mechtild. »Wo ist die Mauke?«

    Das Wirtschaftsgeld, jedem in der Familie jederzeit zugänglich, befand sich in einer großen Vase, die nur dazu und nie für Blumen benutzt wurde. Es war die größte, die man im Laden des Städtchens hatte auftreiben können, und sie paßte im Stil überhaupt nicht in das kleine Holzhaus hinein, aber sie besaß den Vorteil, daß man sie nicht »verlegen« konnte. Ihre fast meterhohe, bauchige Fülle machte sich selbst unter darübergeworfenen Mänteln und davorgeschobenen Möbeln überall bemerkbar. Sie wanderte zwar, da sie meist im Wege stand, von einem Raum in den andern, manchmal traf man sie sogar im Bad an. Aber man fand sie. Mechtild erspähte sie in der Ecke des Flurs.

    »Gut, danke. Ich bezahle nur rasch.«

    »Warum kommst du eigentlich mit dem Lastwagen?« wunderte sich Maumi flüchtig, als sie, nun zu fünft, wieder Platz genommen hatten und Bärbel neuen Tee brachte. »Ist Regina so schwer?«

    »Aber nein, nur wegen der Wurfkiste. Sie muß doch eine Wurfkiste haben, wenn es soweit ist. Das vereinfacht alles«, erklärte Mechtild. Maumi verlor sich für Sekunden in die Betrachtung ihrer jüngsten Tochter.

    Mechtild war stämmig, mit dunklerem Haar als Bärbel; sie hatte breite Fäuste, aber ein feines Gesicht. Alles an ihr wirkte so, daß man merkte: Sie blickte nicht sehr oft und auch dann nur flüchtig in den Spiegel, ganz im Gegensatz zu ihrer Schwester. Der schmale Mund war nicht nachgezogen, die Wimpern nicht getuscht. Die Bräune, mehr ins Rötliche spielend, war echt, die weiße Bluse nicht mehr sauber. Na ja, Samstagabend, und eine Fahrt mit Hund auf einem Laster ... Mechtild arbeitete als Landwirtschaftslehrling auf einem Mustergut, etwa fünfzig Kilometer entfernt. Sie hatte, wie sie erzählte, um Regina betreuen zu können, Urlaub genommen, den man ihr auch gerne gewährte. Regina war ein goldfarbener Cocker-Spaniel, vierjährig, besaß eine erdrückend lange Reihe erlauchter Ahnen und hatte schon mehrere Preise heimgebracht.

    »Hoffentlich kriegt sie nicht mehr als sechs Junge«, sagte Mechtild sorgenvoll und klappte zwei Schnittchen aufeinander, um sie gleichzeitig in den Mund zu schieben, »hab’ ich einen Hunger! Es kann heute nacht schon losgehen.«

    Die beiden Herren rauchten. Die Hitze des Tages war einer sanften Kühle gewichen, die einen aufatmen ließ.

    »Der Jasmin«, sagte Maumi und sog die Luft ein. Man spürte den feinen Duft durch den starken und ein wenig aufdringlich süßen des Holunders hindurch. »Er blüht erst seit heute. Ich sah ihn vorhin.«

    Noch mehr Gerüche wehten wie auf lauen Wellen daher. Einmal Heu, dann bitterer Tannenduft, dann wieder einfache, sozusagen klare Kühle.

    »Nirgends riecht es so wie zu Hause«, sagte Mechtild und lehnte sich zurück. Gleich darauf war sie eingeschlafen, mit halboffenem Mund.

    »Laß sie doch«, sagte Maumi, als Bärbel ihr einen Rippenstoß gab. Es war schon zu spät.

    »Was ist denn? Ach so. Ich bin seit vier heute früh munter.«

    Ganz still war es jetzt. Sie sprachen nicht mehr. Der Himmel weitete sich, je dunkler es wurde. Maumi hatte sich in ihrem Stuhl ganz nach hinten gelehnt und sah diesem Phänomen zu. Die Sterne warteten noch, ihre Stunde war wohl noch nicht gekommen. Dafür aber stand plötzlich eine schmale, scharfgoldene Mondsichel über dem Giebel des Hauses. Maumi entdeckte sie, lächelte, stand schweigend aus ihrem Stuhl auf und knickste dreimal, den Rock leicht an den Zipfeln anhebend und das Gesicht nach oben gewandt.

    Der eine der Besucher räusperte sich diskret. Maumi fuhr nicht etwa zusammen, man merkte ihr aber an, daß sie verstand.

    »Verzeihung! Nein, ich bin nicht durchgedreht oder verrückt! Das ist nur ein alter Kinderbrauch. – Wenn man die zunehmende Mondsichel das erste Mal sieht, muß man drei Knickse, beziehungsweise drei Diener machen, dann darf man sich etwas wünschen«, erzählte sie im gleichen Ton, in dem sie es früher ihren Kindern berichtet hatte.

    »Darf man?« fragte der dickere Doktor eifrig.

    »Und was haben Sie sich gewünscht?« lächelte der andere. Es klang nachsichtig freundlich. Bärbel konnte diesen Ton nicht ausstehen.

    »Das erzählt Ihnen Mutter nicht, sonst geht es doch nicht in Erfüllung!« sagte sie. »Ich hab’ übrigens auch gerade einen Wunsch auf Lager. Warte –«

    Sie war aufgestanden. Auch Mechtild stemmte sich empor. Und wie magnetisch angezogen erhob sich ebenfalls der junge Mann, den Bärbel so lieblos als Jahrmarktsschweinchen bezeichnet hatte. Schweigend, die jungen Mädchen ein wenig lächelnd-wippend, der junge Mann gravitätisch, machten sie dem Mond ihr Kompliment. Danach setzte die Unterhaltung wieder ein.


    Bärbel blinzelte. Jemand hatte sie am Ärmel gezupft. »Na, laß doch!« murmelte sie und bewegte den Kopf. Sie drehte sich halb um und versuchte, im Dämmern etwas zu erkennen. »Was gibt’s denn?«

    Sie lag auf dem Liegestuhl im Garten, ein Deckbett über sich. Es tropfte ringsum von Tau. Der Holunder wölbte sich wie eine Riesenhalbkugel über ihr. Die Luft war herrlich kühl.

    »Was ist denn?« sagte Bärbel. Dann hörte sie, wie jemand leise lachte.

    »Ich war es gar nicht«, sagte Mechtild vergnügt. Sie hockte auf der zweiten Stufe der Küchentreppe, den Kopf des Hundes im Schoß und beobachtete die Schwester. Bärbel zuckte die Achseln und suchte eine neue Schlaflage.

    »Dann paß auf, daß ich nicht immerzu gestört werde. Wenn du schon dasitzt, kannst du das wirklich tun.«

    »Königlich bärblischer Schlafwachbeamter«, sagte Mechtild gutgelaunt, »ich wüßte mir nichts Schöneres. Sag’s ihm doch selber!«

    »Wem?«

    »Dem Esel. Der dich immer zupft. Er steht hinter dir.« Bärbel drehte sich um. »Nanu? Seit wann haben wir denn einen Esel?«

    »Ach, Maumi muß jetzt ein Eselbuch illustrieren. Da

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