Die Mücke und der Bücherwurm
Von Lise Gast
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Buchvorschau
Die Mücke und der Bücherwurm - Lise Gast
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„Warum lachst du eigentlich dauernd? fragte Mücke mißtrauisch. Die ganze Zeit über hatte sie schon beobachtet, wie Isa mit bebenden Schultern lautlos lachte. Jetzt wurde es ihr zu bunt. „Was ist denn los? Nun sag schon.
„Gar nichts ist los." Isa senkte ihren Kopf wieder über das Buch. Sie saß auf dem Fensterbrett, die Füße auf einem Stuhl, der bunte Rock fiel in dichten Falten bis auf die hellen, schon ein wenig abgetretenen Schuhe herab. Auf den Knien hielt sie ein Schulbuch. Aber Mücke wußte genau, daß sie nur so tat, als lernte sie. Diese Isa! Man konnte an ihr verzweifeln.
„Hast du die dritte Aufgabe raus? fragte Mücke und nahm sich vor, das Lachen vollkommen zu übersehen. So kindisch und albern Isa manchmal auch sein konnte, in Mathematik war sie einfach großartig. Übrigens ohne viel zu arbeiten. Das hieß, sie arbeitete, aber nicht so wie die anderen in der Klasse. Isa spielte mit der Mathematik wie andere mit drei oder vier bunten Bällen. Sie erfaßte die Zahlen, wirbelte sie durcheinander und griff immer die richtige wieder auf. Es war erstaunlich und erweckte Bewunderung und Neid, wenn man es mit ansah. An Stelle einer Antwort angelte sie jetzt nach ihrer Mappe, fischte aus dem sagenhaften Durcheinander ein Heft heraus und warf es vor Mücke auf den Tisch. Es entfaltete sich dabei, und einige Blätter flatterten heraus, die darin gelegen hatten, aber zweifellos nicht hinein gehörten. Ein Brief, ein Schülerrückfahrschein – „ach, da bist du ja, du kleiner Ausreißer!
sagte sie gleichmütig anerkennend und hob ihn auf, „dich hab ich lange vermißt!" Auch ein Kinoprogramm mit über- und durcheinander fotografierten Leinwandhelden war herausgefallen. Mücke schob das Heft von sich weg.
„Ich will gar nicht", murrte sie düster. Isa sprang von ihrem erhöhten Sitz herab.
„Wie solltest du auch. Es wäre das erste Mal, daß du wolltest. Aber so kommst du nicht weiter, sagte sie erstaunlich vernünftig und fern jeder Alberei. „Komm, los. Integralrechnung ist keine schwarze Kunst. Fangen wir an!
Und nun erlebte Mücke wieder einmal das Feuerwerk, das Isa einem vor den Augen abbrennen lassen konnte, und das den Zuschauer immer wieder fesselte. Nach einer Stunde hatten sie es geschafft.
„Schön ist es aber doch", sagte sie aufatmend und verstaute ihr Heft sorglich neben dem Mathematikbuch im Ranzen. Mücke besaß noch einen Schulranzen, zwar zur Mappe umgearbeitet, aber deutlich noch als solcher erkennbar. Er war abgestoßen und durch das jahrelange Öffnen und Schließen an der Klappe weich wie Sämischleder. Eigentlich war er zu klein für eine Oberprimanerin und gar nicht standesgemäß. Auch jetzt sträubte er sich und wollte einfach nicht zugehen.
„Was hast du denn da wieder für Schwarten drin", sagte Isa und schob ihr eigenes Heft mit dem Ellbogen beiseite. Es wäre heruntergefallen, wenn Mücke es nicht im letzten Augenblick aufgefangen hätte.
„Gib her. Sonst ist es morgen wieder sonstwo, und wir können uns totsuchen. Kannst du eigentlich keine Ordnung halten!" Sie nahm das Heft und verstaute es selbst in Isas Mappe. Mitunter war es unerträglich, mit solch einem liederlichen Menschenkind zusammen zu hausen. Sie sagte dies auch unmißverständlich. Aber Isa machte sich nichts draus.
„Mit jemand anderem hieltest du es ja gar nicht aus. Du mußt stets jemanden haben, den du bessern kannst, oder doch wenigstens zu verbessern suchst. Du bist die geborene Fürsorgeerzieherin." Sie brach ab. Mückes Augenbrauen hatten gezuckt. Das war das sicherste Anzeichen dafür, daß man zu weit gegangen war. Isa wollte es aber nicht darauf ankommen lassen.
„Fürsorgeerzieherin! – so’n Quatsch. Es ärgert mich einfach, wenn du deine kostbare Zeit völlig sinnlos vertust. Mit Kino und solchem Klimbim. Mücke redete sich immer mehr in Wut. „Da, lohnt sich so was? Wieder solch ein Film mit Liebe, Mondschein und dem beliebten Heidegrab –
, sie wies auf das liegengebliebene Programmheft. Isa nahm es gleichmütig an sich.
„Freilich nicht, wenn du es dem Inhalt nach beurteilst. Aber das Spiel, die Darstellung der Einzelnen – – übrigens möchte ich dir den Hieb zurückgeben. Lohnt sich vielleicht das ewige Schmökern? Deine Leserei von früh bis spät? Darum, meine Teure, lachte ich auch vorhin. Du beliebtest, danach zu fragen, und ich teile es dir hierdurch mit. Du saßest über der Mathematik und schautest immerfort sehnsüchtig nach diesem Schmöker." Sie hatte ein Buch aufgenommen, das neben Mückes Bett auf dem Nachttisch lag. Dieser Nachttisch bestand zwar nur aus einer Kiste, über die ein Tuch gebreitet war, aber er erfüllte seinen Zweck. Mücke schoß auf Isa los.
„Gib her!"
„Ich will es ja gar nicht haben, lachte Isa. „Ich bin überhaupt viel duldsamer als du. Ich gönne dir deine Leidenschaft. Du liest, während ich mich eben für anderes interessiere. Gut. Jedem sein Steckenpferd.
„Sicher. Mücke wollte noch etwas sagen, schwieg dann aber. Es hatte keinen Zweck. Daß der Ausdruck „Steckenpferd
wahrhaftig für manches nicht passe, und daß – ach nein, lieber den Mund halten. Sie seufzte.
Im Grunde vertrugen sich die beiden aber sehr gut.
*
Isa – eigentlich hieß sie Isawett und noch eigentlicher und ganz richtig und bürgerlich Elisabeth Arenz – war ihre Klassengenossin seit Untertertia. Voriges Jahr nun zog Isas Mutter aus der Stadt fort; damals hatte Tante Gundula vorgeschlagen, Isa könnte ihre allerletzte Schulzeit doch bei Mücke wohnen. Bisher hatte Mücke mit in ihrer winzigen Wohnung gehaust, dann aber hatte Tante Gundula den Einfall gehabt, die beiden Mädel könnten das alleinstehende Zimmer neben dem Gewächshaus herrichten und beziehen. Mücke und Isa waren begeistert auf diesen Vorschlag eingegangen und hatten sich ihr eigenes Reich geschaffen.
Diese Tante Gundula, Mückes Patentante, hatte vor einigen Jahren ihren damals schon leidenden Mann geheiratet. Der frühere Gartenarchitekt betrieb diese kleine Gärtnerei am Stadtrand. Eine Zeitlang war es ihr vergönnt gewesen, mit ihm zusammen hier zu leben, zwischen Blumen und Kräutern, vor allem aber inmitten des sanften Bunt seiner so sehr