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Manyberries: Blueberry Street
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eBook254 Seiten3 Stunden

Manyberries: Blueberry Street

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Über dieses E-Book

Als Ava im Bücherschrank in Manyberries ein Notizbuch findet, ahnt sie nicht, dass die handgeschriebene Geschichte darin ihr Leben für immer verändern wird. Der unbekannte Autor hat alles verloren und ist nach Manyberries gekommen, um Vergessen zu finden. Kann sie ihm helfen, ohne dabei ihr Herz zu verlieren?
SpracheDeutsch
Herausgeberneobooks
Erscheinungsdatum24. Jan. 2022
ISBN9783742770165
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    Buchvorschau

    Manyberries - Avery Yukon

    Impressum:

    © 2022 Avery Yukon

    Auflage: 1. Auflage

    Coverdesign: Noëmi Caruso, Womansphere

    Das Werk, einschließlich seiner Teile, ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung ist ohne

    Zustimmung der Autorin

    unzulässig. Dies gilt insbesondere für die

    elektronische oder sonstige Vervielfältigung,

    Übersetzung, Verbreitung und öffentliche

    Zugänglichmachung.

    Wenn die Liebe ein Medikament wäre

    – der Beipackzettel wäre ein dickes Buch.

    Kapitel 1

    Ava liebte Bücher. Sie hatte Bücher schon immer geliebt, weil sie bedeutet hatten, mit ihnen in ferne Zeiten und ferne Länder reisen zu können. Sie war nie wirklich aus Manyberries herausgekommen, außer wenn sie in ihre Bücherwelt abgetaucht war. Heute hatte sie kaum mehr Zeit für einen guten Roman, nebst all den Bücherstapeln, die sie fürs Studium zu bewältigen hatte. Doch noch immer war eine gute Geschichte das, was Ava sich wünschte, wenn man die junge Frau fragte, was man zu Weihnachten oder zum Geburtstag mitbringen sollte.

    Während der Arbeit bei Gracies, der einzigen Pension der Kleinstadt Manyberries bot sich nicht allzu viel Gelegenheit um zu lesen, doch sie hatte es sich zur Aufgabe gemacht, in der Lobby stets genügend Bücher bereit zu legen, damit Gäste, die selbst keinen Lesestoff mitgebracht hatten, dennoch Lektüre fanden, wenn ihnen im Urlaub danach war. Ava sammelte dann jeweils die Bücher in den Zimmern ein, die dort von ihren Besitzern zurückgelassen worden waren, wobei sich inzwischen eine ganz schön große Sammlung daraus entwickelt hatte. Es gab sogar einzelne Bücher in Spanisch und Deutsch, worauf Ava besonders stolz war.

    Doch eines Tages bat ihre Chefin Grace die junge Frau, ihr an der Rezeption Gesellschaft zu leisten. Nachdem Grace’ Assistentin Madison ihre Stelle aufgegeben hatte, teilten sich Ava und ihre Kollegin Serenity diese Aufgabe und ergänzten sich dabei perfekt. Während Serenity ruhig, zurückhaltend und sehr organisiert war, zeichnete sich Ava dadurch aus, dass sie offen auf jeden neuen Gast zuging und stets deren Wohl in den Vordergrund stellte. Kreativ und unkompliziert das war sie. So gab es beinahe kein Problem, das die Studentin nicht lösen konnte. Zudem fand sie immer Zeit für ein Schwätzchen, sei es um sich über den neuesten Stadttratsch zu unterhalten oder sich über das Weltgeschehen auszutauschen. Es gab kaum ein Thema, zu dem sie nichts zu sagen hatte. Niemand hätte der lebendigen jungen Frau zugetraut, dass sie Ruhe und Kraft in Büchern fand. 

    „Da bin ich", erklärte sie an diesem Nachmittag ihrer Vorgesetzten Grace, nachdem sie noch einen letzten Tisch im kleinen Speisesaal schön gedeckt hatte und nun zu ihrer Chefin an die Rezeption trat. 

    „Danke, Ava", entgegnete diese und sortierte einige Schlüssel ein, bevor sie die Kaffeemaschine einschaltete und zwei Tassen darunterstellte.

    „Du auch, oder?", hakte Grace nach, doch die Frage war mehr rhetorisch gemeint, da sie wusste, dass Ava zu ihrem Kaffee nicht nein sagen konnte. 

    „Hör mal, was ich mit dir besprechen wollte, Liebes", Grace sah so aus, als ob es sich dabei um etwas Unangenehmes handelte. Doch praktisch wie sie war, druckste sie nicht lange herum.

    „Diese Sache mit den Büchern, das artet langsam aus. Wir sollten uns da etwas Neues überlegen und da du damit angefangen hast, dachte ich mir, dass ich nicht einfach um- oder eben wegräume, bevor ich nicht mit dir gesprochen habe", erklärte sie dann sogleich. Grace war niemand, der um den heißen Brei herumredete und genau deswegen war sie sowohl bei Gästen, als auch bei ihren Angestellten und den Bewohnern von Manyberries so beliebt. 

    Ava warf einen Blick hinüber zu den Sitzgelegenheiten, zwischen denen jeweils kleine Tischchen aufgebaut waren. Sie waren der ideale Spot, wenn man Lust hatte, die Leute draußen auf der Hauptstraße der Stadt zu beobachten. Dies klang auf den ersten Moment nicht sonderlich lohnenswert, wenn man bedachte, wie wenig Einwohner die Kleinstadt zu bieten hatte, doch tatsächlich spielte sich besonders in den warmen Monaten des Jahres ein großer Teil der sozialen Interaktionen auf der breiten, wenig befahrenen Straße ab. Auch Ava nutzte gern ihre Pause, um dort ein wenig zu verweilen, doch diesmal sah sie sofort, was Grace meinte. Auf jedem der kleinen Tischchen türmten sich Bücher, einige schöner, andere schon abgegriffen und es bot sich nicht einmal mehr die Gelegenheit, irgendwo eine Kaffeetasse abzustellen. Ava hatte bisher jede Woche mehrmals die Bücherschätze zu schönen Stapeln aufgeschichtet und immer wieder darauf geachtet, irgendwie und irgendwo noch Platz zu schaffen. Doch sie erkannte Grace’ Problem auf den ersten Blick: Es waren einfach zu viele Bücher für zu wenig Platz. 

    „Sollen wir einige - du weißt schon - wegwerfen?", fragte sie zögerlich und alles andere als begeistert von der Aussicht, sich tatsächlich von den Büchern trennen zu müssen. Insgeheim hatte es sie auch stolz gemacht, dass so viele Leute sich an dieser Sammlung beteiligten und sie stets vergrößerten. Doch irgendwie hatte sie es sich mehr so vorgestellt, dass die Leute gleich viele Bücher nach Hause nahmen, wie sie auch dagelassen hatten, doch anscheinend gab es genügend Menschen, die sich nicht trauten, die Bücher, die sie in der Lobby von Gracies entdeckt hatten, am Ende des Urlaubs mitzunehmen. 

    „Nein, auf keinen Fall! Wo denkst du denn hin, Ava?", fragte Grace entsetzt auf ihren Vorschlag. Ava zuckte mit den Schultern.

    „Aber was machen wir dann?", fragte sie etwas ratlos. Die Inhaberin von Gracies lächelte verschlagen.

    „Das, meine Liebe, wollte ich dir überlassen. Ich bin mir sicher, dir fällt etwas ein. Nur sollten die Bücher bis nach Weihnachten weg sein, okay?". Grace lächelte aufmunternd und Ava nickte, noch immer unsicher, wie sie diese Aufgabe lösen sollte. Sie hatte auch schon darüber nachgedacht, die Bücher zu sich nach Hause mitzunehmen. Doch in ihrer winzigen Wohnung gab es nicht mehr wirklich viel Platz zwischen ihren eigenen Romanen und den Büchern fürs Studium. 

    Sie versicherte Grace schließlich, dass sie das Problem angehen würde und verabschiedete sich kurz darauf in den Feierabend. Weil sie bisher noch immer nicht genügend Geld für ein Auto zur Seite gelegt hatte, nahm sie ihr Fahrrad aus dem Ständer. Dort standen normalerweise in der Sommersaison vier weitere Räder unter einem kleinen Dach und warteten darauf, von Gästen ausgeliehen zu werden. Jetzt aber war Avas alter Drahtesel ganz alleine. Und tatsächlich war es nicht unbedingt die beste Idee, um diese Jahreszeit noch mit dem Fahrrad unterwegs zu sein. Schon wieder schneite es ein wenig und auch wenn die Sonne schon seit Stunden untergegangen war, glitzerte die Hauptstraße verdächtig. Ava würde mehr als nur vorsichtig sein müssen, wenn sie nicht auf der Nase landen wollte.

    „Ab morgen kommte ich zu Fuß", beschloss sie und sie wollte es diesmal wirklich ernst meinen. Allerdings hatte sie schon die letzten Tage immer wieder dieses Versprechen gemacht, ohne sich am Morgen in ihrer Faulheit daran zu halten. Wenn es etwas gab, worin Ava richtig schlecht war, dann war es, nach dem Aufstehen in die Gänge zu kommen. Es dauerte immer mindestens eine halbe Stunde, bis sie überhaupt ansprechbar war und gleichzeitig mindestens ebenso lange, bis sie ihren Wecker wirklich hörte. Natürlich dauerte es dann auch noch ewig, bis sie zu Gracies drei Straßen weiter kam und deswegen war dann meist das Fahrrad die letzte Möglichkeit, um nicht zu spät zu kommen. Jetzt, nach Feierabend, war Ava alles andere als müde. Im Gegenteil wurde sie jetzt langsam richtig munter und bedauerte, in diesem Monat so viele frühe Schichten zu haben. Bisher war Madison diejenige gewesen, die meist gerne früh aufgestanden war und deswegen auch schon vor der Morgendämmerung mit Arbeiten begonnen hatte. Einmal mehr bemerkte die junge Frau, wie sehr ihre kompetente und fleißige Freundin fehlte.

    Gemütlich und überaus vorsichtig kurvte Ava nach Hause. Nach Hause, das war eine winzige Wohnung über der Garage von Mrs Sheltham. Die ältere Dame, hatte einfach zu viel Platz in ihrem Haus gehabt und war deswegen froh, wenn Ava die kleine Wohnung bewohnte und in Schuss hielt. Die Miete war genau richtig für eine Studentin und einen Großteil davon arbeitete Ava ab, indem sie für die Frau einkaufte, ihr manchmal im Garten half, oder aber ihr Bücher aus der Stadt mitbrachte. Sie teilte ihre Leidenschaft fürs Lesen mit Mrs Sheltham und so kam es oft und gerne vor, dass sie sich mit der älteren Dame verquatschte, wenn sie sich zufällig über den Weg liefen. 

    Heute allerdings lag das Haus ruhig da und so zog sich Ava über die Garage zurück. Es gab ein kleines Bad, eine kleine Küche und einen großen Raum, in dem Ava schlief und lebte, wenn sie denn zuhause war. Die beengten Platzverhältnisse waren auch der Grund, warum es nicht wirklich in Frage kam, dass sie die Bücher von Gracies nach Hause nahm, so gern sie dies auch getan hätte. Eher war es umgekehrt der Fall gewesen, dass Ava ab und an, wenn ihre eigene kleine Bleibe fast aus allen Nähten zu platzen drohte, Bücher zu Gracies mitgenommen und dort aufgelegt hatte. 

    Zuhause kuschelte sich die junge Frau zuerst aufs Sofa und war im Kopf gleichzeitig immer noch bei der Aufgabe, die Grace ihr gestellt hatte. Es blieben nicht allzu viele Möglichkeiten übrig, wenn Wegschmeißen und nach Hause nehmen wegfielen. Vielleicht konnte man die Bücher irgendwo auf einem Flohmarkt verkaufen und damit noch einen kleinen Gewinn erzielen? Ava bereute nun plötzlich, dass sie nach der Arbeit nicht noch bei Madison in deren Geschenkladen vorbeigeschaut hatte. Ihre ehemalige Arbeitskollegin war seit wenigen Tagen selbständig und verkaufte Geschenkkörbe, Badezusätze, Seifen und viele andere schöne Dinge, die sich gut verschenken ließen. Sie hatte zwar erst eröffnet, doch jetzt vor Weihnachten war dieser Laden genau das, was das kleine Städtchen Manyberries gebraucht hatte. Jeden Tag drückte sich die Kundschaft die Klinke in die Hand. Auch Ava hatte sich angewöhnt, Madison, die ihr während der drei Jahre, die sie bei Gracies zusammengearbeitet hatten, zu einer Freundin geworden war, oft zu besuchen. Zudem hatte sie auch deren kleinen Welpen, Cookie, längst ins Herz geschlossen, als Madison ihn noch zur Arbeit bei Gracies mitgebracht hatte. Garantiert hätte diese eine Idee gehabt, wie sie das Bücherproblem bei Gracies lösen konnten.

    So blieb Ava nichts anderes übrig, als den Fernseher einzuschalten, wenn sie sich nicht ihrem Schulbuch widmen wollte. Dieses wartete noch immer wie eine stumme Mahnung auf dem Kaffeetisch darauf, gelesen zu werden. Es war eine Abhandlung über altdeutsche Dichter und nicht unbedingt das, was Ava an ihrem Literaturstudium so brennend interessierte. Sie las durchaus sehr gerne Klassiker - etwas das sie deutlich von anderen jungen Menschen ihrer Altersklasse unterschied - doch mit Poesie konnte sie schlicht und einfach nichts anfangen. Kurze Zeilen, gereimte Verse, all das sagte ihr nichts und dass die Menschen in diesem dicken Schmöker, der noch immer unangetastet vor ihr lag, damit Ruhm erlangt hatten, war Ava nach wie vor ein Rätsel.

    Schließlich schob sie sich aus der Gefriertruhe eine Portion Makkaroni mit Käse in den Ofen und angelte sich doch das Schulbuch. Wenn alles gut lief, konnte sie in weniger als drei Monaten ihr Studium abschließen und war endlich, endlich frei, das zu tun, was sie wollte.

    Tatsächlich wusste Ava noch nicht ganz genau, was das sein würde, aber dank diverser Umstände war sie nun über fünf Jahre lang Studentin gewesen und es war an der Zeit, dass dies sich änderte. Auch ihren Job bei Gracies hatte sie nun schon fast so lange und auch da hatte Ava das Gefühl, dass sie früher oder später neue Pfade beschreiten musste. Es war eine gute Sache gewesen, direkt in der Stadt angestellt gewesen zu sein und eine so flexible Chefin zu haben. So hatte sie stets ihre Kurse besuchen können, wenn diese anstanden und gleichzeitig auch auf der Arbeit lernen können, wenn gerade nichts zu tun war. So gesehen war der Job bei Gracies ein Geschenk des Himmels gewesen, doch Ava sehnte sich dennoch langsam aber sicher nach Veränderung. Es kribbelte in ihren Fingern, wenn sie daran dachte, dass sie bald ihr ganzes Leben auf den Kopf stellen konnte und es fühlte sich richtig gut an in ihrem Bauch, wenn sie daran dachte. 

    Jetzt aber kämpfte sich die junge Frau erstmal durch Themen und Biografien, die weitaus weniger spannend waren als Goethe. So war sie schlussendlich froh, als ihr der Duft aus der kleinen Küchenzeile ankündigte, dass ihr Abendessen fertig war. Während sie ass, simste sie ihrer Freundin Madison.

    Wie läuft in deinem Laden, Süße? Sag mal, hast du eine Idee was man mit den ganzen Büchern aus der Pension machen kann? Grace meint, sie nehmen langsam zu viel Platz weg und sie sind doch zu schade für den Müll! Sie ist der Meinung ich sollte eine Lösung finden.

    Sie hängte noch das eine oder andere verzweifelte Smiley an, auch wenn sie wusste, dass Madison nicht sonderlich gut zu sprechen war auf moderne Technologien wie Smartphones und Laptops. Aus irgendeinem Grund hatte diese ihre erfolgreiche Karriere in Portland aufgegeben um nach Manyberries, ins kanadische Nirgendwo zu ziehen. Keiner wusste mehr darüber, was tatsächlich in ihrer Vergangenheit passiert war. Und auch warum sie als ehemalige Businesslady nun jegliche Technik verteufelte, war niemandem bekannt. Dennoch musste man ihr zugute halten, dass sie wirklich rasch antwortete, allerdings nicht ganz so produktiv, wie sich Ava erhofft hatte. 

    Nimm die Bücher mit zu dir und schmeiss dein Bettgestell raus. Leg deine Matratze auf deine Bücherstapel und du wirst dich jeden Morgen klüger fühlen. Spaß beiseite, Süße, ich denke darüber nach.

    Es hing sogar ein Kuss-Smiley hinten an der Nachricht, was Ava allerdings auch nicht wirklich weiterhelfen konnte. Es gab noch eine Person, die wirklich gut darin war, sich solche Dinge zu überlegen und aus Altem Neues zu machen, doch diese Person war ihre Mutter, die sie nur im äussersten Notfall anrufen würde - also noch nicht heute.

    Sie ging schließlich hinunter, um bei Mrs Sheltham zu klopfen, doch von drinnen erklang laut der Fernseher und kam keine Antwort. Ava hatte schon länger den Verdacht, dass ihre gutherzige Vermieterin vielleicht langsam taub wurde. Das bestätigte auch die Tatsache, dass sie von draußen jedes Wort der Abendnachrichten mithören konnte. Unverrichteter Dinge musste sie also wieder in ihre Wohnung zurückkehren. Den Rest des Abends verbrachte sie damit, im Internet zu stöbern, welche Alternativen sich ihren Büchern bot.

    Schlussendlich hatte Ava aber mitten in der Nacht die passende Idee, als sie wegen einem unbekannten Geräusch aus dem Schlaf hochschreckte. Schon seit Jahren hatte sie die meiste Zeit der Nacht einen sehr leichten Schlaf und konnte erst in den frühen Morgenstunden richtig tief und erholsam schlafen, woher auch ihre berüchtigte Zweitidentität als Morgenmuffel herrührte. Sie hatte schon alles probiert: Heiße Milch mit Honig, eine heiße Dusche, eine kalte Dusche, ein heißer Tee, der Verzicht aufs Abendessen, eine warme Suppe zum Abendessen, warme Wickel auf der Stirn, kalte Wickel, der Verzicht auf Trinken vor dem Schlafengehen - kurz einfach alles was man ihr jemals empfohlen hatte. Doch bisher waren all diese Bemühungen mehr oder weniger erfolglos geblieben und wenn ein Trick geholfen hatte, dann nie länger als eine Woche, bevor sie wieder zu ihrem alten Schlafrhythmus zurückgekehrt war. Nun lauschte sie verwirrt in die Dunkelheit, doch das Geräusch wiederholte sich nicht. Schlussendlich war Ava daran gewöhnt, seltsame Laute zu hören und deswegen nicht weiter verängstigt. Mrs Sheltham vergaß manchmal, ihre Mülltonnen richtig zuzumachen und so kam es gut und gerne mal vor, dass ein Waschbär sich daran gütlich tat.

    Einmal hatte Ava ebenfalls geglaubt, ein Waschbär würde sich vor dem Haus herumtreiben, doch schließlich hatte sich dieser als kleinen Schwarzbären entpuppt. Den war Ava nun nur mit einer Taschenlampe und ihren Hausschuhen bewaffnet gegenüber gestanden. Diese Begegnung war zum Glück noch einmal glimpflich ausgegangen, als Mrs Sheltham gekommen war und lauthals schmipfend mit ihrem Besen an die metallenen Mülltonnen geschlagen hatte. Im Nachhinein wusste Ava, dass auch das eher töricht denn mutig gewesen war, doch schlussendlich hatte es den Schwarzbären in die Flucht geschlagen und Ava und ihre Vermieterin waren mit einem Schrecken davongekommen. 

    „So muss man mit dem Ungeziefer umspringen - hast du gesehen?", hatte die alte Dame damals wehrhaft verkündet. Auch in ihrem seidenen Morgenmantel und den farblich passenden Hauspantoffeln sah sie noch immer aus wie eine Lady, die einem britischen Filmset entsprungen sein konnte. Ihr Dutt saß noch perfekt, hochgesteckt mit einigen hölzernen Haarnadeln und sie war noch immer adrett geschminkt gewesen. Dabei hatte Ava den ganzen Tag nicht einmal mitbekommen, dass sie das Haus überhaupt verlassen hätte. 

    Dieses Mal wollte Ava, als sich das Geräusch nicht wiederholte, soeben wieder die Augen schließen, um auf den Schlaf zu warten, da kam ihr die grandiose Idee, was sie mit den überflüssigen Büchern aus Gracies anstellen sollten. Rasch machte sie sich eine Notiz auf dem Schreibblock, den sie stets neben dem Bett liegen hatte, seitdem ihr jemand erklärt hatte, ein Traumtagebuch könne ihre Schlafprobleme lösen. Sie drehte sich um und tatsächlich fand sie wieder in den Schlaf.

    Am nächsten Tag ärgerte sich die junge Frau, dass ein Uni-Tag anstand, wo sie doch so schnell wie möglich Grace ihre Idee präsentieren wollte. Sie fragte einige ihrer Freundinnen nach dem Online-Kurs, der in einem virtuellen Klassenzimmer via Internet abgehalten wurde, was sie von der Idee hielten. Allesamt waren sie begeistert. So suchte Ava nach dem Kurs noch einmal in ihren eigenen Büchern nach solchen, die sie sowieso nicht mehr lesen würde und die sich dazu eignen würden, ihre Idee in die Tat umzusetzen.

    Danach kehrte sie erneut zu ihren Schulbüchern zurück, bis es an die Tür klopfte. Davor stand Celeste, groß, blond und mit der Figur eines Models. Nicht deswegen war Ava schon fast ihr ganzes Leben mit Celeste befreundet. Ihre Eltern hatten auf benachbarten Farmen gelebt, etwas außerhalb von Manyberries, und so war Celeste zu Anfang die einzige Spielkameradin gewesen, die Ava zur Verfügung gestanden war. Aus dieser Zweckgemeinschaft war aber längst richtige Freundschaft entstanden, die nun bis ins Erwachsenenalter anhielt. Dass Avas Eltern inzwischen in ein gehobeneres Viertel gezogen waren, hatte dem keinen Abbruch getan. Celeste studierte inzwischen Tiermedizin, wobei sie öfters an der Universität in Calgary anwesend sein musste als Ava, die ihre Literaturkurse fast alle von zu Hause aus via Internet besuchen konnte. Umso seltener waren ihre Treffen geworden und umso größer die Freude, wenn es dann mal klappte, sich zu sehen. Einfach so, spontan vorbeigekommen, war Celeste schon seit Ewigkeiten nicht mehr.

    „Hey, was machst du denn hier?", fragte Ava auch dementsprechend überrascht, als sie die Tür öffnete. Dass sie noch immer Jogginganzug und Flauschsocken trug, störte die Freundin wenig und sie zog Ava in eine herzliche Umarmung.

    „Na was wohl? Dich besuchen. Nach was sieht es sonst aus?", fragte sie lachend und Ava stimmte mit ein. 

    Mit Celeste war es jeweils vollkommen egal, wie lange sie sich nicht gesehen hatten. Wenn sie sich wieder trafen, dann war das so, als hätten sie sich erst vor einer Stunde verabschiedet. Meist gelang es ihnen sogar, Gespräche, die sie vor über einer Woche beendet hatten, wieder aufzunehmen und fortzuführen. Genau das liebte Ava so an ihrer besten Freundin. Gleichzeitig bestand keine Verpflichtung, sich regelmäßig zu sehen und zu treffen. Genau das war das Schöne an ihrer Beziehung: Dass sie so eng und gleichzeitig so ungezwungen war

    „Wie läuft dein Studium? In letzter Zeit lässt du noch seltener etwas von dir hören als sonst schon", bemerkte Celeste dieses Mal. Ava nickte.

    „Ich bin so froh, wenn es endlich vorbei ist. Heute hatte ich wieder eine ellenlange Online-Vorlesung, zu der ich mir mindestens fünf Seiten Notizen gemacht habe. Wenn ich das alles in meinen Kopf bekommen will, muss ich noch einmal einen ganzen Tag lang lesen und wiederholen, was der Professor alles gesagt hat. Zum Glück stehen bald die Prüfungen an und ganz egal wie diese ausfallen, werde ich es danach endlich hinter

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