Michaela löst eine Verschwörung
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Buchvorschau
Michaela löst eine Verschwörung - Marie Louise Fischer
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Ein schlechter Anfang
Es gibt Tage, die wie verhext sind. Michaela war jetzt schon viele Monate in München im Internat. Sie hatte es mit Hilfe von Fräulein Esser, ihrer Erzieherin, und der anderen Mädchen aus ihrer Gruppe im Josef-Stift längst gelernt, pünktlich zu sein und ihre Sachen in Ordnung zu halten. Aber an diesem Montag morgen lief alles schief.
Dabei hatte es so verheißungsvoll begonnen.
Das helle Licht des frühen Sommertages weckte Michaela. Sie hatte das lange Wochenende in Törwang bei ihren Eltern und ihren kleinen Zwillingsbrüdern verbracht und mußte sich erst wieder besinnen, wo sie war.
So ein Montagmorgen nach dem Heimfahrtswochenende war meistens scheußlich. Immer wieder kam man sich vor wie ein verstoßenes Waisenkind. Auch heute gab es Michaela einen Stich, als sie erkannte, daß sie nicht in ihrem gemütlichen Zimmer zu Hause lag, sondern in einem Schlafsaal voller schnarchender Mädchen. Aber das schöne Wetter war doch ein Trost.
Michaela sprang auf und lief barfuß zu einem der hohen, halb geöffneten Fenster. Der Himmel war sehr blau, wenn auch leicht verhüllt vom Dunst der Großstadt und nicht so klar wie über ihrem heimatlichen Dorf in den Bergen. Aber das wäre auch entschieden zuviel verlangt gewesen.
Immerhin versprach es heiß zu werden, vielleicht würde es sogar hitzefrei geben, und sie würde mit ihren Freundinnen noch vor dem Essen ins Prinzregentenbad hinüberlaufen und schwimmen können. Das waren feine Aussichten!
Obwohl Fräulein Esser noch nicht zum Wecken erschienen war, hatte Michaela keine Lust, sich noch einmal ins Bett zu legen. Sie ging in den Waschraum hinüber, den sie um diese Stunde ausnahmsweise einmal ganz für sich allein hatte. Sie putzte sich die Zähne, brauste heiß und kalt, trocknete sich ab, schlüpfte in ihr Höschen und zog ein frisches, rot-weiß kariertes Sommerkleid über. Sie bürstete und kämmte sich ihr kinnlanges, kastanienbraunes Haar ungewöhnlich sorgfältig und musterte sich dabei mit gekrauster Stirn im Spiegel Dann säuberte sie das Waschbecken, das sie mit Ruth Sommer, der Dicken, gemeinsam benutzte, und hing ihre Handtücher ordentlich auf.
Da es im Klassenzimmer trotz der sommerlichen Wärme draußen meist frühmorgens noch kühl war, schlenderte sie in den Schrankraum und holte sich ihre weiße Strickjacke, die sie über ihr kurzärmeliges Kleid zog. Sie kam sich dabei sehr erwachsen und verantwortungsbewußt vor. An den nackten Füßen trug sie hölzerne Sandalen. Ihre Beine waren braungebrannt.
Die Schulmappe hatte sie noch am Abend zuvor gepackt, und als Fräulein Esser erschien, war sie fix und fertig für die Schule.
„Guten Morgen, Michaela! grüßte die Erzieherin freundlich. „Du bist heute aber schon früh auf den Beinen.
Sie trug einen hellen, gestreiften Rock und ein Twinset.
„Guten Morgen, Fräulein Esser! Ich konnte nicht mehr schlafen."
„Na, immer besser zu früh als zu spät." Die Erzieherin nickte ihr zu und ging weiter in den Schlafsaal, um die anderen zu wecken.
Einen Augenblick wußte Michaela nicht, was sie mit sich beginnen sollte. Dann entdeckte sie ein „Asterix-Heft auf dem Regal mit den Schultaschen. „Edeltraud Möhr
stand mit Kugelschreiber darauf geschrieben, „Gruppe 6a". Also gehörte es der rothaarigen kleinen Pieps. Die würde es ihr bestimmt gern leihen.
Michaela nahm das Comics-Heft und zog sich damit ins Wohnzimmer zurück. Sie setzte sich auf die Fensterbank und vertiefte sich in eine der spannenden und lustigen Abenteuer, die der schlaue Asterix, der starke Obelix und das Hündchen Idefix in der Römerzeit erlebten. Dabei lachte sie, ohne es selber zu merken, immer wieder laut auf. Die Zeit verging wie nichts.
Als die Tür aufgerissen wurde, schrak Michaela auf.
„Ach, hier bist du also!" rief Barbara Neuberger, genannt Babsi.
„Was dagegen?"
„Mensch, puste dich bloß nicht auf! Ich habe dich im ganzen Stockwerk gesucht. Die anderen sind längst zum Frühstück runter."
„Schon?" rief Michaela.
Aber sie bekam keine Antwort.
Babsi war davongesaust.
Michaela besann sich nicht lange, klappte das bunte Heft zu, riß die Schulmappe vom Sofa und rannte ihr nach in das Erdgeschoß hinunter, wo der Eßsaal lag.
Sie wurde mit Hallo begrüßt. Die anderen waren schon mitten beim Frühstück. Aber Fräulein Esser schenkte sich ausnahmsweise eine tadelnde Bemerkung. Michaela klemmte sich auf ihren Platz und begann mit gutem Appetit zu essen; das frühe Aufstehen hatte sie besonders hungrig gemacht.
Die Mädchen waren alle sehr munter an diesem Morgen, noch begeistert von den Erlebnissen, die sie am Wochenende gehabt hatten. Besonders Yvonne Helm, genannt die Puppe, ein winziges, zartes Mädchen mit schönem, seidig schwarzem Haar, spielte sich sehr auf. Sie war angeblich zusammen mit ihrer Mutter, einer Schauspielerin, bei einem Filmproduzenten eingeladen gewesen, dessen fabelhafte Villa, selbstverständlich mit Swimmingpool, sie mit allen Einzelheiten beschrieb.
„Und stellt euch vor, rief sie triumphierend, „er hat gesagt, daß er mir eine Rolle geben wird!
„Als was denn? fragte Babsi und pustete sich ihren silberblonden Pony aus der Stirn. „Als Gartenzwerg?
Alle lachten.
„Ich weiß nicht, warum ich mich überhaupt noch mit euch unterhalte, erklärte Yvonne hochnäsig, „ihr Kunstbanausen!
Die anderen lachten noch mehr.
Aber Michaela sollte die gute Laune bald vergehen.
„Wo hast du denn deinen Turnbeutel?" fragte Babsi, als sie vom Frühstückstisch aufstanden.
Michaela schlug der Schreck auf den Magen; ihr wurde geradezu übel. „Vergessen!"
„Dann saus aber los!"
Michaela rannte. In der zweiten Stunde war Turnen. Der Weg zur Turnhalle und das Umziehen dauerten ein paar Minuten, so daß in der kleinen Pause keine Zeit blieb, das vergessene Turnzeug zu holen. Fräulein Stein aber, die Turnlehrerin, war sehr streng.
Während sie die Treppen hinaufraste, kam ihr von oben Lolo Herterich entgegen. Lolo wohnte in München und kehrte immer erst am Montagmorgen nach dem Frühstück ins Stift zurück. Sie hatte oben ihren Koffer ausgepackt.
„Mensch, beeil dich!" rief sie Michaela zu.
„Was denn sonst!" Michaela raste weiter.
Erst nachträglich fiel ihr ein, daß sie besser daran getan hätte, Lolo oder vorher schon Babsi ihre Schulmappe mitzugeben, die ihr dauernd gegen die Beine schlug. Ohne sie wäre sie schneller weitergekommen. Aber dazu war es jetzt zu spät. Und sie irgendwo im Treppenhaus hinlegen, das mochte sie auch nicht.
Oben angekommen, riß sie den Schrank auf, holte den Turnbeutel, den sie ordentlich auf einen Haken gehängt hatte, heraus, nahm sich nicht die Zeit, die Tür zuzumachen, sondern stürmte sogleich wieder hinunter.
Sie war noch auf den letzten Stufen, als ein Klingelzeichen den Beginn des Unterrichts ankündigte. Alle Türen waren geschlossen. Aber Michaela hoffte auf ihr Glück. Die Lehrer waren ja auch nicht immer ganz pünktlich.
Erst als sie die Tür zum Klassenzimmer aufriß, fiel ihr ein, daß sie heute eine neue Biologielehrerin bekommen sollten. Fast im gleichen Augenblick sah sie sie auch schon: eine junge, etwas mollige Frau, die im Gegensatz zu ihrem Namen – sie hieß Hartmann – sehr weich und freundlich wirkte. Sie hatte blondiertes Haar und benutzte silbernen Lidschatten und einen hellroten Lippenstift.
„Oh, entschuldigen Sie, bitte!" Michaela war so in Schwung, daß sie erst wenige Meter vor dem Lebrertisch stoppen konnte.
„Du kommst reichlich spät!" Frau Hartmann bemühte sich, ein strenges Gesicht zu machen.
„Ich … das kommt, weil …", stammelte Michaela.
„Es hat ’ne Verkehrsstockung gegeben", kam ihr Rolly, eine von den Externen, zu Hilfe.
Die Mädchen lachten, denn sie wußten alle, daß Michaela im Haus wohnte.
Aber Frau Hartmann wußte es nicht. In der Klasse waren die Internen, die sogenannten Stiftlerinnen, in der Minderzahl. Sie waren zu acht. Für die fünfundzwanzig anderen war das Josef-Stift ein ganz normales Realgymnasium, das sie mittags wieder verließen, um nach Hause zu gehen. Rolly, ein lang aufgeschossenes mageres Mädchen mit vorstehenden Wangenknochen und schräg sitzenden Augen, führte unter ihnen das große Wort.
„Eine Verkehrsstockung? wiederholte Frau Hartmann ahnungslos. „Davon habe ich aber nichts gemerkt.
Sie begriff nicht, warum das Gelächter noch lauter wurde.
„Doch, erklärte Rolly mit ernstem Gesicht, „am Prinzregentenplatz. Die Straßenbahn ist steckengeblieben.
„Mit solchen Behinderungen, sagte Frau Hartmann, durch das Gepruste irritiert, „muß man immer rechnen. Es ist besser, du fährst das nächstemal fünf Minuten eher los … Wie heißt du eigentlich?
„Michaela … Michaela Körner."
Die Klasse johlte so laut, daß man kaum sein eigenes Wort verstehen konnte.
„Am besten nimmst du dein Mofa, Micky!" schrie Rolly, wodurch sie das Gelächter noch mehr anheizte.
„Ich weiß gar nicht, was ihr so witzig findet", gestand Frau Hartmann hilflos.
Michaela drückte sich rasch auf ihren Stuhl in der ersten Reihe. Die Stiftlerinnen saßen fast alle vorn,